Die Mini-Solarraffinerie an der ETH Zürich hat sich in zwei Jahren Testbetrieb bewährt. ©Bild: Alessandro Della Bella / ETH Zürich

Der der Sonne nachgeführte Parabolreflektor liefert konzentriertes Sonnenlicht an einen Solarreaktor, der aus der Luft extrahiertes CO2 und Wasser in ein Synthesegasgemisch umwandelt, das zu Drop-in-Treibstoffen verarbeitet wird. ©Bild: ETH Zürich

ETH Zürich: Weist technische Machbarkeit der Produktion von solarem Kraftstoff mit Mini-Solarraffinerie nach

(©PR) Forscher der ETH Zürich haben eine Verfahrenstechnik entwickelt, mit der sie aus Sonnenlicht und Luft CO2-neutrale Treibstoffe herstellen können. Nun weisen sie in einer Nature-Publikation den stabilen und zuverlässigen Betrieb der Mini-Solarraffinerie unter realen Sonnenbedingungen nach. Und sie zeigen einen Weg auf, wie sich solarer Treibstoff ohne zusätzliche CO2-Steuern im Markt einführen lässt.


Seit zwei Jahren betreiben Forschende um Aldo Steinfeld, Professor für erneuerbare Energieträger der ETH Zürich, auf dem Dach des Maschinenlaboratoriums mitten in Zürich eine Mini-Solarraffinerie. Die Anlage kann in einem mehrstufigen Verfahren aus Sonnenlicht und Luft flüssige Treibstoffe wie Methanol oder Kerosin herstellen. Im Interview erklären Projektarchitekt Steinfeld und Studienmitautor Anthony Patt, Professor am Departement Umweltsystemwissenschaften der ETH, was die Experimente ergeben haben, wo Optimierungsbedarf besteht und wie dem solaren Kerosin der Markteintritt gelingen kann.


Interview mit Aldo Steinfeld und Anthony Patt

Die Mini-Solarraffinerie ist seit zwei Jahren in Betrieb. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Aldo Steinfeld: Wir konnten die technische Machbarkeit der gesamten thermochemischen Prozesskette zur Umwandlung von Sonnenlicht und Umgebungsluft in Drop-in-Treibstoffe erfolgreich nachweisen. Das Gesamtsystem arbeitet unter realen Sonneneinstrahlungsbedingungen stabil und dient uns als einzigartige Plattform für weitere Forschung und Entwicklung.

Was verstehen Sie unter Drop-in-Treibstoffen?
Aldo Steinfeld: Drop-in-Treibstoffe sind synthetische Alternativen für die aus Erdöl gewonnenen flüssigen Kohlenwasserstoffe wie Kerosin und Benzin. Diese synthetischen Treibstoffe sind vollständig kompatibel mit den bestehenden Infrastrukturen für die Lagerung, Verteilung und Endanwendung, und können insbesondere zu einem nachhaltigen Langstreckenflugverkehr beitragen.

Sind diese synthetischen Treibstoffe CO2-neutral?
Aldo Steinfeld: Ja, sie sind CO2-​neutral, weil zu ihrer Herstellung Sonnenenergie verwendet wird und weil bei ihrer Verbrennung nur so viel CO2 freigesetzt wird, wie zuvor zu ihrer Herstellung aus der Luft entnommen wurde. Die Ökobilanz der Produktionskette von solaren Treibstoffen zeigt, dass die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu fossilem Kerosin zu 80 Prozent vermieden werden können und dass sie gegen Null gehen, wenn die Materialien für den Bau der Produktionsanlagen wie Glas und Stahl mit erneuerbaren Energien hergestellt werden.

Eine Raffinerie, die Treibstoffe aus Sonnenlicht und Luft herstellt das klingt nach Science-Fiction. Wie funktioniert sie?
Aldo Steinfeld: Das ist keine Science-Fiction. Die Technologie basiert auf reiner Thermodynamik. Sie besteht aus drei in Reihe geschalteten thermochemischen Umwandlungseinheiten. Erstens: die Luftabscheidungseinheit, die Kohlendioxid und Wasser direkt aus der Umgebungsluft extrahiert. Zweitens: die solare Redox-Einheit, die CO2 und H2O in ein spezifisches Gemisch aus CO und H2, Syngas genannt, umwandelt. Und Drittens: die Gas-to-Liquid Syntheseeinheit, die schliesslich das Syngas in flüssige Kohlenwasserstoffe umwandelt.

Wie war die Ausbeute an Syngas respektive Methanol über die beiden Betriebsjahre betrachtet?
Aldo Steinfeld: Unsere Mini-Solarraffinerie ist eine Anlage für Forschungszwecke; sie produzierte dementsprechend nur kleine Treibstoffmengen. Dies haben wir jedoch unter realen Feldbedingungen – mit der nicht optimalen Sonneneinstrahlung von Zürich – geschafft. In einem repräsentativen Tagesbetrieb beträgt die produzierte Menge an Syngas etwa 100 Standardliter, die zu etwa einem halben Deziliter reinem Methanol verarbeitet werden können.

Was lief gut, was lief nicht optimal?
Aldo Steinfeld: Aussergewöhnlich gut war, dass wir eine vollständige Selektivität erreicht haben. Das heisst, dass wir keine unerwünschten Nebenprodukte bei der Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff und bei der Spaltung von Kohlendioxid in Kohlenmonoxid und Sauerstoff erhalten haben. Ausserdem – und das ist für die Prozessintegration entscheidend – konnten wir die Zusammensetzung des Syngas entweder auf die Methanol- oder die Kerosin-Synthese abstimmen. Die Energieeffizienz ist jedoch noch zu gering. Bislang liegt der höchste von uns gemessene Wirkungsgrad des Solarreaktors bei 5.6 Prozent. Dieser Wert ist zwar ein Weltrekord für die solare thermochemische Spaltung, ist aber nicht gut genug. Es sind noch erhebliche Prozessoptimierungen erforderlich.

Welche Optimierungen sind besonders wichtig?
Aldo Steinfeld: Die Wärmerückgewinnung zwischen den Reaktionsschritten des thermochemischen Zyklus ist wesentlich, da sie den Wirkungsgrad des Solarreaktors auf über 20 Prozent erhöhen kann. Ausserdem kann die Struktur des Redox-Materials optimiert werden, zum Beispiel durch 3D-gedruckte hierarchisch geordnete Strukturen, die den Wärme- und Stofftransport verbessern. Wir unternehmen grosse Anstrengungen in beide Richtungen, und ich bin optimistisch, dass wir bald einen neuen Rekordwert bei der Energieeffizienz erzielen.

Für den chemischen Prozess müssen zunächst CO2 und H2O aus der Luft extrahiert und in das System eingespeist werden. Wie viel Energie muss dafür aufgewendet werden?
Der spezifische Energiebedarf pro Mol abgetrenntem CO2 liegt bei etwa 15 Kilojoule mechanischer Arbeit für die Vakuumpumpe und 500 bis 600 Kilojoule Wärme bei 95°C, je nach relativer Luftfeuchtigkeit. Allerdings können wir die Abfallabwärme des Solarreaktors nutzen, um die Extraktion anzutreiben. Der grösste Teil der Hochtemperatur-Prozesswärme wird jedoch für die Aufspaltung von Wasser und CO2 benötigt und durch konzentrierte Sonnenenergie bereitgestellt.

Lässt sich diese Technologie im industriellen Massstab umsetzen?
Aldo Steinfeld: Auf jeden Fall. Für die Skalierung kann ein Heliostatenfeld, das auf einen Solarturm fokussiert ist, verwendet werden. Die derzeitige Mini-Solarraffinerie verwendet einen 5-Kilowatt-Solarreaktor. Bereits wurde eine zehnmal grössere Anlage in einem Solarturm getestet. Für ein 1-Megawatt-Solarreaktormodul ist noch eine 20-fache Skalierung erforderlich. Der Solarturm in industriellem Massstab sieht eine Reihe von Solarreaktormodulen vor und kann vor allem die bereits für kommerzielle solarthermische Kraftwerke etablierte Infrastruktur zur Solarkonzentration nutzen.

Werden Sie und Ihre Gruppe sich darum kümmern?
Aldo Steinfeld: Nein, das ist Sache unserer Industriepartner. Wir an der ETH konzentrieren uns auf die grundlegenden Aspekte der Technologie. Aber wir kümmern uns auch um den Technologietransfer in die Industrie, zum Beispiel durch die Lizenzierung von Patenten. Aus meiner Gruppe sind bereits zwei Spin-offs hervorgegangen, die von ehemaligen Doktoranden gegründet wurden: Climeworks vermarktet die Technologie zur CO2-Abscheidung aus der Luft, während Synhelion die Technologie zur Herstellung von Solartreibstoff aus CO2 vermarktet.

Anthony Patt, Sie haben als Mitautor der Nature-Studie untersucht, wie der Markteintritt von solarem Kraftstoff gestaltet werden müsste. Was wäre eine effektive politische Massnahme, um der Technologie zum Durchbruch zu verhelfen?
Tony Patt: Unsere Analyse der politischen Massnahmen zeigt, dass die Fördermassnahmen ähnlich sein sollten wie bei der Wind- und Solarenergie. Als Regierungen damit begannen, diese Energien zu fördern, war Strom aus Wind- und Sonnenenergie zehn Mal teurer als Elektrizität, die mit fossilen Energien erzeugt wurden. Das heutige Preisverhältnis von solarem Kerosin zu fossilem ist ähnlich. Der Vergleich mit anderen erneuerbaren Energietechnologien zeigt, dass mit den richtigen Fördermassnahmen der Preis des Kerosins, das mittels der Solarraffinerie erzeugt wird, in wenigen Jahren auf den heutigen Stand von fossilem Flugbenzin sinkt.

Welches Hindernis stellt sich dem in den Weg?
Tony Patt: Am schwierigsten ist es, die anfänglich hohe Preisbarriere zu überwinden. Mit CO2-Steuern schafft man das nicht. Wenn man fossiles Flugbenzin mit einer Steuer belegt, damit dieses so teuer wird wie solares Flugbenzin, würde fossiles Kerosin zunächst zehnmal teurer. Niemand wäre bereit, diesen Preis zu bezahlen. Und Politiker sind nicht gewillt, solch hohe Steuern einzuführen. Bei der Förderung von Solar- und Windenergie haben aber Instrumente gut funktioniert, die nur mit einem sehr kleinen Preisaufschlag auf den fossilen marktbeherrschenden Treibstoffen auskommen. Man muss dann den Preis für fossile Brennstoffe nur leicht anheben, um aufgrund der Marktmacht der fossilen Energieträger genügend Mittel zu generieren, um erneuerbare Treibstoffe zu fördern. Einen solchen Preismechanismus brauchen wir, um dem Solarreaktor und dem damit erzeugten solaren Flugbenzin zum Durchbruch zu verhelfen.

Welches Instrument ist Ihrer Meinung das Wirkungsvollste, um solarem Kraftstoff zum Durchbruch zu verhelfen?
Tony Patt: Am besten geeignet ist ein Quotensystem. Das funktioniert so: Fluglinien und Flughäfen werden dazu verpflichtet, jedem getankten Liter Kerosin einen vorgeschriebenen Mindestanteil an solarem Flugbenzin hinzuzufügen. Dieser Anteil liegt zu Beginn beispielsweise bei ein bis zwei Prozent. Das verteuert zwar das Kerosin insgesamt, der Preisaufschlag wäre jedoch bescheiden und dürfte umgerechnet auf ein Flugticket für innereuropäische Flüge bei wenigen Franken liegen. Die Quote wird dann alljährlich erhöht, bis nach einer gewissen Zeit 100 Prozent erreicht sind, dass also nur noch solares Kerosin getankt wird. Die sukzessive Erhöhung der Quote führt dazu, dass der Preis für solares Kerosin drastisch sinkt – so wie wir das bei Wind- und Solarenergie beobachtet haben. Bereits bei einem Anteil von 10 bis 15 Prozent wird gemäss unseren Berechnungen solares Flugbenzin gleich viel kosten wie fossiles Kerosin. Das ist politisch realistisch und einfacher umsetzbar.

Wo werden grosse Anlagen sinnvollerweise errichtet?
Tony Patt: Der Solarreaktor braucht direktes Sonnenlicht. Deshalb ist es nur sinnvoll, Grossanlagen in Wüstengegenden zu bauen, beispielsweise in Südspanien und Nordafrika, auf der arabischen Halbinsel, in Australien, im Südwesten der USA, in der Wüste Gobi in China oder in der Atacama-Wüste von Chile. Die solare Prozesskette braucht als Ausgangsmaterial Wasser aus der Luft, und dieses ist selbst in der trockenen Wüstenluft in ausreichenden Mengen vorhanden. Zudem ist Wüstenland günstig und es bestehen in der Regel keine anderen Nutzungsansprüche wie in dicht besiedelten Gegenden. Solartreibstoffe wären wie heutige fossile Treibstoffe globale Rohstoffe, die auf die gleiche Infrastruktur für Transport und Lieferung angewiesen sind.

Aldo Steinfeld: Geeignete Standorte sind Regionen, in welcher die jährliche direkte normale Sonneneinstrahlung mehr als 2000 kWh pro Quadratmeter pro Jahr beträgt. Im Gegensatz zu Biotreibstoffen, die durch die Ressourcenbereitstellung begrenzt sind, kann der weltweite Bedarf an solaren Flugzeugtreibstoffen durch die Nutzung von weniger als ein Prozent der weltweiten Trockenflächen, die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen, gedeckt werden. Zum Vergleich: 2019 lag der weltweite Kerosinverbrauch in der Luftfahrt bei 414 Milliarden Litern. Die Gesamtfläche aller Solaranlagen, die erforderlich wäre, um den weltweiten Bedarf vollständig zu decken, würde etwa 45’000 km2 betragen, was 0,5 Prozent der Fläche der Sahara entspricht.

Literaturhinweis
Schäppi R, Rutz D, Dähler F, Muroyama A, Haueter P, Lilliestam J, Patt A, Furler P, Steinfeld A: Drop-in fuels from sunlight and air >>. Nature, online publiziert am 3. November 2021, doi: 10.1038/s41586-021-04174-ycall_made

Text: ETH Zürich

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