Bei den Vögeln, zu deren Schutz solche Systeme in Zukunft eine gewisse Verbreitung finden könnten, wird es bei jedem Projekt vor allem eine betriebswirtschaftliche Frage sein, welchen Aufwand man betreiben will. Bild: A. Saturnino Miranda/Pixabay

Das derzeit am weitesten fortgeschrittene optische System heisst Identiflight. In den USA ist es schon im Einsatz, auch an sechs deutschen Standorten wurde es erprobt. Bild: Identiflight

Birdvision ist ein Kamerasystem mit mehreren Industriekameras, die mit Weitwinkelojektiven ausgestattet sind. Diese sind je nach Topografie zwischen 6 m und 30 m (Wald, Waldrand) am Turmfuss einer Windenergieanlage montiert. Bild: Birdvision

Ornithologisches Fachwissen für Windkraftanlagen: Optische Systeme erkennen die Spezies der Vögel und verlangsamen bei gefährdeten Arten den Rotor

(BJ) Vor einigen Jahren noch hätte man solches Können als reichlich futuristisch abgetan – heute funktioniert die Technik bereits: Optische Systeme sind in der Lage zu erkennen, ob Vögel, die sich einer Windkraftanlage nähern, einer bestimmten Art angehören. Ist dies der Fall, geht diese in den Trudelbetrieb über, das heisst, die Rotordrehzahl fällt deutlich ab, nachdem die Anlage den Anstellwinkel der Flügel verändert hat. Das wohl spektakulärste an dieser Technik: Die Anlage regelt nur ab, wenn der Vogel tatsächlich einer der zuvor definierten Arten angehört – denn das System hat ornithologische Fachkenntnis implementiert und kann somit die Spezies von Ferne erkennen.


Solche Systeme könnten den Konflikt zwischen Windkraft und Vogelschutz in Zukunft erheblich entschärfen und Standorte genehmigungsfähig machen, die es bislang aus Gründen des Artenschutzes nicht sind. Oder, wie es das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) in Deutschland formuliert: „Antikollisionssysteme haben das Potenzial, signifikant erhöhte Tötungsrisiken so weit zu verringern, dass der artenschutzrechtliche Verbotstatbestand nicht erfüllt wird.“

Weitwinkelkameras
Die Detektion der Vögel kann über Radarsysteme und optische Systeme erfolgen, so wie über solche, die beide Techniken kombinieren. Die optischen Systeme bestehen aus Weitwinkelkameras, die das gesamte Umfeld der Anlage, also 360 Grad, stets im Blick haben. Da sie mit Bildern im sichtbaren Bereich des Lichtspektrums arbeiten, also kein Infrarot nutzen, sind sie nur tagsüber und damit für tagaktive Arten einsatzfähig. Aber die meisten der relevanten Arten fallen darunter.

Bei einer Annäherung auf 500 Meter
Ermitteln die Weitwinkelkameras ein Flugobjekt, fokussiert eine hochauflösende Stereokamera dieses sofort, misst die Entfernung und versucht mittels einer ausgefeilten Bildanalysesoftware die Art zu identifizieren. Das muss bereits bei einer Annäherung auf 500 Meter bis spätestens 350 Meter zur Windkraftanlage erfolgen. Nur wenn das System eine der im Speicher hinterlegten gefährdeten Arten erkennt, geht die Anlage binnen etwa einer halben Minute in den Trudelbetrieb über. Diese Zeit reicht aus, um eine Gefährdung des identifizierten Tieres weitestgehend auszuschliessen. Ein Rotmilan zum Beispiel bewegt sich in der Mehrzahl der Fälle mit weniger als zehn Metern pro Sekunde fort.

Radarsysteme bis 1500 Meter
Anders als die Kameras können Radarsysteme zwar nicht die Art erkennen; sie sind in dieser Hinsicht blind. Dafür haben sie aber zwei andere Vorteile. Zum einen können sie auch weiter entfernte Individuen erkennen, bis auf 1500 Meter Distanz etwa; optische Systeme sind bei der Hälfte der Strecke am Ende. Zum anderen kann ein einzelnes Radarsystem auch einen ganzen Windpark abdecken, während optische Verfahren in der Regel nur für die Beobachtung von einer oder maximal zwei Anlagen taugen.

Billiger als ein optisches System
Entscheidet sich ein Windparkbetreiber für Radar und somit dafür, auf eine Feststellung der Vogelart zu verzichten, kann das zur Folge haben, dass die Anlagen öfter als nötig ausser Betrieb genommen werden müssen. Denn dann müssen sie zwangsläufig bei jedem Vogel reagieren, also auch bei Individuen, deren Art weit verbreitet ist. Andererseits ist ein Radarsystem bei einer Vielzahl von Windkraftanlagen billiger als ein optisches System, von dem man dann mehrere Geräte bräuchte. Ein Radarsystem koste derzeit rund eine halbe Million Euro, ein optisches System etwa eine viertel Million, so das KNE. Die optischen Systeme könnten aber in Zukunft deutlich billiger werden, sobald die Geräte erst am Markt etabliert sind und sich mehrere Anbieter im Wettbewerb gegenüber stehen.

Identiflight an 6Standorten in Deutschland
Das derzeit am weitesten fortgeschrittene optische System heisst Identiflight. In den USA ist es schon im Einsatz, auch an sechs deutschen Standorten wurde es erprobt. Auf dem Windenergietestfeld auf der Schwäbischen Alb war auch die Schweizerische Vogelwarte eingebunden.

Die Oldenburger Arbeitsgruppe für regionale Struktur- und Umweltforschung (Arsu) GmbH analysierte die Wirksamkeit des Systems. Deren Geschäftsführer Marc Reichenbach berichtet beim Rotmilan von einer Erfassungsreichweite von 750 Meter, einer mittleren Erfassungsrate von 92 Prozent und einer Erkennungsrate von bis zu 97.5 Prozent. Die Validierungsphase des Systems für den Rotmilan wurde im Herbst abgeschlossen. Inzwischen sei dieses System als „erstes Kamerasystem zur Vermeidung von Vogelkollisionen an Windenergieanlagen reif für die Praxis“ urteilt das KNE.

Seeadler, Schwarz- und Weissstorch
Auch für andere Vogelarten wird die Technik weiterentwickelt. Für den Seeadler soll im Jahr 2022 der Abschlussbericht vorgelegt werden, dann sollen der Schreiadler und später auch der Schwarz- und Weissstorch folgen. Für den Steinadler, der in der Schweiz (neben Wanderfalke, Weissstorch, Bartgeier und anderen) auf der Liste der windkraftsensiblen Arten steht, hat Identiflight in den USA schon viel geforscht. Für die Schweiz wäre insbesondere ein System für den Bartgeier interessant. Denn bei diesem sei „das Kollisionsrisiko sehr hoch, da ein Grossteil seiner Flüge im kritischen Höhenbereich stattfinden“, heisst es bei der Schweizerischen Vogelwarte.

Deutsche Birdvision
Unterdessen strebt ein deutsches Unternehmen an, Identiflight zu folgen. Es ist die baden-württembergische Firma Birdvision, die von der Bürgerwindpark Hohenlohe GmbH initiiert wurde. Diese betreibt 21 Anlagen und ist auch Gesellschafterin des Unternehmens. Kürzlich erteilte das Landratsamt Hohenlohe der Firma die erste Betriebsgenehmigung: Seit Juli darf das System Birdvision im Probebetrieb und somit unter Realbedingungen an zwei Anlagen im Windpark Weissbach betrieben werden. Die Arterkennung durch Form, Farbe und auffällige Merkmale des Vogels ist hier aber noch in der Entwicklung. BirdVision spricht von einem „Deep-Learning-Netzwerk“, einer Methode des maschinellen Lernens.

Besenderung zu aufwändig
Optische Systeme und solche auf Basis von Radar sind heute die bevorzugten Techniken. Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit, die Vögel mit Sendern auszustatten, was mitunter auch gemacht wird. Doch dies erfolgt in der Regel nur, um deren Flugbewegungen im Rahmen von Forschungsprojekten zu untersuchen. „Um einen Kollisionsschutz über die Betriebslaufzeit der Anlagen von mindestens 20 Jahren zu gewährleisten, wäre eine Besenderung zu aufwändig“, sagt Elke Bruns, Leiterin Fachinformation am KNE. Denn die Vögel müssten von Zeit zu Zeit eingefangen werden, um die Batterien der Sender zu ersetzen. Bei einer Vielzahl von Individuen ist das unpraktikabel.

Routen von Rotmilanen
Der Forschung bringt die Besenderung natürlich immer wieder neue Erkenntnisse. So hat das Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW), das auf dem Stöttener Berg auf der Schwäbischen Alb das Windenergie-Forschungstestfeld „Winsent“ betreibt, Rotmilane mit Sendern versehen. Damit werden deren Routen erfasst, in der Hoffnung neue Daten zum grundsätzlichen Verhalten der Greifvögel zu gewinnen, Raumnutzungsanalysen präzisieren und somit Kollisionsrisiken besser abschätzen zu können.

Ein weiteres Verfahren zum Kollisionsschutz ist ferner die Vergrämung durch akustische Signale. Doch eine ernsthafte Alternative zu ausgefeilten Abschaltsystemen ist diese nicht, denn es ist immer unsicher, wie lange sie funktioniert. Die Tiere gewöhnen sich an die Schallereignisse, wie man auch aus der Landwirtschaft, etwa dem Weinbau, weiss.

Parmeterbasierte Abschaltung für Fledermäuse
Zum Schutz von Fledermäuse hat sich unterdessen bei Windkraftanlagen eine ganz andere Abschaltlogik etabliert als bei Vögeln. Diese erfolgt nach Tages- und Jahreszeit in Kombination mit bestimmten Witterungsverhältnissen. „Diese parameterbasierte Abschaltung ist sehr zielgenau“, sagt Franziska Tucci von der deutschen Fachagentur Windenergie an Land. Das liege daran, dass die Tiere sehr berechenbar bei bestimmten Umweltbedingungen unterwegs sind. Für eine individuelle visuelle Erfassung von Fledermäusen, die zu einer bedarfsgerechten Abschaltung führt, gibt es bisher nicht die entsprechende Technik. Auch müsste zunächst untersucht werden, ob dies einen Mehrwert brächte.

Betriebswirtschaftliche Frage
Bei den Vögeln, zu deren Schutz solche Systeme in Zukunft eine gewisse Verbreitung finden könnten, wird es bei jedem Projekt vor allem eine betriebswirtschaftliche Frage sein, welchen Aufwand man betreiben will, um möglichst zielgenau abschalten zu können – also möglichst selten abschalten zu müssen.

Ertragseinbussen von 0.4 bis 7.7 Prozent
In welchem Masse die bedarfsgesteuerte Abschaltung im Vergleich zu pauschalen Verfahren die Erzeugungseinbussen senken kann, dazu gibt es auch bereits erste Abschätzungen. Die Arsu veröffentlichte im Dezember 2020 eine entsprechende Studie mit dem Titel „Wirtschaftliche Aspekte ereignisbezogener Abschaltung“. Basierend auf den sechs mittels Identiflight in Deutschland untersuchten Standorten ermittelten die Gutachter im Zusammenhang mit Flugaktivitäten von Rotmilanen Anzahl und Dauer von Abschaltereignissen und extrapolierten diese auf die gesamte Brutzeit. Daraus entstanden mehrere Szenarien, die Ertragseinbussen von 0.4 bis 7.7 Prozent ergaben. Eine pauschale Abschaltung über die gesamte Brutzeit hätte in den Szenarien hingegen Einbussen um die 28 Prozent ergeben, so die Arsu.

Text: Bernward Janzing

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1 Kommentare

Max Blatter

Aus ethischer Sicht finde ich das schon ein bisschen fragwürdig! Man schafft eine "Zweiklassen-Gesellschaft" unter den Vögeln: Auf bedrohte Arten nimmt man Rücksicht; die andern dürfen von den Rotorblättern ohne weiteres "abgeschossen" werden??

Das zeigt, wie sehr sich der Mensch über die Tierwelt stellt – in einem Ausmass, das ihm nicht zusteht.

Ich bin überzeugt, dass der Konflikt "Windenergie versus Artenschutz" (der ja z.B. auch die Fledermäuse betrifft) für alle zufriedenstellend gelöst werden kann; aber das hier halte ich für einen Irrweg.

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