Die Versorgung mit eigenem Solarstrom war ein Grund, warum Fritz Lüpold mit seiner Frau in die Überbauung in Möriken-Wildegg zog. Bild: B. Vogel

Die Überbauung in Möriken-Wildegg (AG) besteht aus vier Häusern mit 35 Wohnungen. Bild: B. Vogel

Stromtarif an einem Sommertag (links) und einem Wintertag (rechts). Grafik: BFE-Schlussbericht

Die Grafik zeigt für eine Winterwoche im Januar die Betriebszeiten der vier Wärmepumpen (unten) und den Stromtarif (oben). Grafik: BFE-Schlussbericht

Ein grünes Lämpchen signalisiert den Bewohnern, dass aktuell PV-Strom aus eigener Produktion zur Verfügung steht. Bild: BFE-Schlussbericht

Von der Gesamtleistung der PV-Anlage (164 kWp) sind 120 kWp auf dem Dach und 44 kWp an Brüstungen und Hauswänden installiert. Bild: B. Vogel

In der Einstellhalle sind bisher zwei Ladestationen für Elektromobile eingerichtet. Bild: B. Vogel

Studie über finanzielle Anreizen einer Eigenverbrauchsgemeinschaft: Die Verlockung des eigenen PV-Stroms - Maximierung des Eigenverbrauchs lohnt sich nicht in jedem Fall

(BV) Eigenversorgung mit selbst produziertem Solarstrom liegt im Trend. Seit 2018 begünstigen neue gesetzliche Regelungen die Bildung von Eigenverbrauchsgemeinschaften (ZEV), die es einer Nachbarschaft erlauben, den Strom der eigenen Photovoltaik-Anlagen gemeinsam zu nutzen. Ein vom BFE unterstütztes Pilotprojekt hat nun die finanziellen Konsequenzen eines solchen Zusammenschlusses unter die Lupe genommen. Das Fazit: Die Teilnehmer des untersuchten ZEV profitieren von günstigem Solarstrom. Das heisst aber nicht, dass die Maximierung des Eigenverbrauchs automatisch zu einer tieferen Stromrechnung führt.


Ein sonniger Morgen im aargauischen Möriken. Fritz Lüpold bringt zwei geschnürte Bündel für die Altpapiersammlung hinaus auf die Strasse. Der Rentner wohnt in der neuen Überbauung am Grabenweg. «Wir haben unser Haus verkauft und sind hierhergezogen, unter anderem deshalb, weil wir hier unseren eigenen Photovoltaikstrom nutzen können», erzählt Fritz Lüpold. Nicht nur die Dachflächen sind mit Photovoltaik (PV)-Modulen bedeckt, sondern auch der Pavillon im Innenhof, die Brüstungen in den Attikageschossen und ein Teil der Hauswände. Damit aber nicht genug: «In unserer Wohnung haben wir eine Anzeige», berichtet Lüpold, «dort sehen wir, wann unsere Anlage PV-Strom produziert. Dann leuchtet das Lämpchen grün. Das ist das Signal, um den Geschirrspüler oder die Waschmaschine einzuschalten: Dann verbrauchen wir unseren eigenen Strom, und der ist auch noch günstiger als der Niedertarif.»

Mehr, als die Bewohner brauchen
Fritz Lüpold und seine Frau gehören zu den rund 100 Personen, die die 35 Miet- und Eigentumswohnungen der Überbauung am Grabenweg seit 2019 bezogen haben. Wie bei Neubauten üblich, sind die vier Mehrfamilienhäuser exzellent wärmegedämmt (Minergie-P-Eco-Standard). Heizwärme und Warmwasser werden von Sole-Wasser-Wärmepumpen bereitgestellt. Im Sommer wird die Wärme aus den Wohnungen über die Bodenheizung zur Regeneration des Erdreichs herangezogen. In der unterirdischen Einstellhalle stehen Ladestationen für Elektroautos bereit. Strom für die Überbauung liefert eine PV-Anlage mit 164 kWp Leistung. Im ersten Betriebsjahr lieferte sie 153'000 kWh Strom – mehr als geplant, und mehr als das, was die Bewohner der Überbauung über ein Jahr hinweg verbrauchen.

Anreize für maximalen Eigenverbrauch
All diese Komponenten sind grundsätzlich nicht neu, und neu ist auch nicht, dass sich Bewohnerinnen und Bewohner einer Überbauung in einem ‹Zusammenschluss zum Eigenverbrauch› (ZEV) organisieren, also einer Gemeinschaft, die ihre Stromversorgung mit selbst produziertem Solarstrom in die eigene Hand nimmt. Neuartig sind jedoch das intelligente Regelsystem und die Instrumente, mit denen der Eigenverbrauch gesteigert wird: Eine Anzeige in jeder Wohnung signalisiert den Bewohnerinnen und Bewohnern, wann PV-Strom produziert wird und ermöglicht ihnen, ihre Elektrogeräte dann in Betrieb zu nehmen. Eine ‹Solarsteckdose› in jeder Wohnung liefert dann Energie, wenn die PV-Anlage Strom erzeugt. Zudem verfügt der ZEV über eine automatische Steuerung, den sogenannten Eigenverbrauchsmanager (EVM): Dieser legt die Betriebszeiten der Wärmepumpen und der Waschmaschinen und Geschirrspüler, sofern sie von den Bewohnern für die automatische Steuerung freigegeben wurden, auf Zeiten mit PV-Ertrag. Die Intention: Der selbst produzierte Solarstrom soll nach Möglichkeit direkt auf dem Areal verbraucht werden.

Eigenverbrauchsquote von 39.8%
Dieses Ziel wird in hohem Mass erreicht, wie ein von der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) durchgeführtes Monitoringprojekt für die Messperiode September 2019 bis August 2020 zeigt. Die Haushaltgeräte wurden mehrheitlich mit Solarstrom betrieben, entweder manuell zugeschaltet (wenn das grüne Lämpchen leuchtet) oder über die Automatik-Funktion (Steuerung via EVM), wie die Auswertung zeigt. Auch die Solarsteckdose wurde gut angenommen. Unter dem Strich wurden gut zwei Fünftel des PV-Stroms auf dem Areal genutzt (Eigenverbrauchsquote: 39.8%) – ohne Einsatz des EVM wären es schätzungsweise rund 20%. Vom jährlichen Strombedarf der Überbauung (ca. 138'000 kWh) wurden gut 61'000 kWh mit eigenem Solarstrom gedeckt (Autarkiegrad: 45.6%). Diese Werte wurden ohne Batteriespeicher erzielt. Als Speicher dienen die thermischen Warmwasserspeicher und die thermische Masse des Gebäudes. So werden die Räume tagsüber bei PV-Produktion um ein, zwei Grad «überheizt», um Energie im Gebäude zu speichern und nachts zu nutzen. Die thermischen Warmwasser-Speicher wurden um ca. das Zweifache überdimensioniert.

Teilnahme an ZEV lohnt sich für die Bewohner
Die Monitoringstudie legte ein Augenmerk auf den finanziellen Aspekt der Eigenverbrauchsgemeinschaft. Die Anschaffung einer leistungsfähigen PV-Anlage ist für die Bewohnerinnen und Bewohner vorteilhaft, wie die Untersuchung auf Grundlage des Messjahres 2019/20 nachweist: In den erfassten zwölf Monaten hatten die Bewohnerinnen und Bewohner Stromkosten von insgesamt 29'310 Fr. Hätten sie ihren Strombedarf im gleichen Umfang und zu den zu denselben Tageszeiten zum Hoch- bzw. Niedertarif allein aus dem Netz gedeckt, hätten sie als Gemeinschaft 2235 Fr. (+ 8%) mehr auslegen müssen. Der Zusammenschluss zur Eigenverbrauchsgemeinschaft habe sich für die Bewohnerinnen und Bewohner also «klar gelohnt», hält der Schlussbericht fest.

Gezielter Eigenverbrauch bringt finanzielle keinen Nutzen
Darf man aus dieser Feststellung schliessen, dass eine ZEV-Gemeinschaft finanziell umso besser fährt, je mehr PV-Strom sie selber verbraucht? Diese Hoffnung hat sich nach Auskunft von Hans Gysin, FHNW-Professor und Verfasser der Monitoringstudie, nicht bestätigt: «Die gezielte Verlegung des Stromverbrauchs auf Zeiten mit Solarproduktion bringt keinen Zusatznutzen, sondern ist im Untersuchungsjahr 2019/20 finanziell gesehen ein Nullsummenspiel.» Grund dafür ist laut Gysin die aktuelle Tarifstruktur: Im ZEV kostete der selbst produzierte Solarstrom 16.68 Rp/kWh; das war nur gut einen Rappen weniger als der Niedertarif (17.76 Rp./kWh). Solange die Differenz zwischen dem eigenen PV-Strom und dem Niedertarif so gering sei, ergebe sich aus der Maximierung des Eigenverbrauchs für die Bewohnerinnen und Bewohner kein finanzieller Vorteil.

PV-Tarif nur im günstigen Fall
Diese zentrale Aussage untermauert der FHNW-Forscher in seiner Studie mit verschiedenen Detailrechnungen. Grundlage bildet ein Datenpool mit mehreren Millionen Messdaten, die Produktion und Verbräuche auf dem Areal in viertelstündlicher Auflösung dokumentieren. Alle Bemühungen waren darauf ausgerichtet, den Eigenverbrauch an PV-Strom zu maximieren. Deckte der eigene Solarstrom den Bedarf nicht, wurde zusätzlich Strom aus dem Netz bezogen, je nach Tageszeit zum Hochtarif (20.99 Rp./kWh) oder Niedertarif (17.76 Rp./kWh). Die Auswertung der Daten zeigt: An sonnigen Sommertagen deckt die PV-Produktion durchaus den gesamten Bedarf, dann kommen Bewohnerinnen und Bewohner in Genuss des günstigen PV-Tarifs. Doch an vielen Tagen ist nicht genug Solarstrom vorhanden: Dann muss in der ‹Solarzeit› (sprich: tagsüber) Hochtarif-Strom aus dem Netz zugekauft werden. Dann resultiert nicht selten ein Mischtarif, der deutlich über dem PV-Tarif und auch über dem Niedertarif liegt (vgl. Grafik 05).

Sogar finanziell nachteilig
Anders formuliert: Im Jahresverlauf gibt es oft die Situation, dass der Stromkonsum tagsüber bei laufender PV-Anlage teurer ist, als wenn der Strom in der Niedertarifzeit (Nacht, Wochenende) bezogen würde. Die Berechnungen zeigen, dass die Maximierung des Eigenverbrauchs für die Haushalte, aber auch bei den (für den Stromverbrauch bedeutsamen) Wärmepumpen sogar finanziell nachteilig ist (vgl. Textbox unten). Allerdings beträgt die finanzielle Einbusse durch die Maximierung der Eigenverbrauchsquote über das ganze Jahr gerechnet nur wenige Franken. Ein hoher Eigenverbrauch verschafft Bewohnerinnen und Bewohner also die Genugtuung, ihren Strombedarf mit einem hohen Anteil an nachhaltig erzeugtem Solarstrom zu decken, finanziell gesehen aber erwächst für sie daraus bei den aktuellen Tarifen kein zusätzlicher Vorteil. Anzumerken bleibt, dass die Tarife (v.a. derjenige für den PV-Strom) nur für das vorliegende Projekt gelten und in anderen Versorgungsgebieten ganz unterschiedlich aussehen können.


So steuert der Eigenverbrauchsmanager

In der Überbauung am Grabenweg soll möglichst viel PV-Strom auf dem Areal verbraucht werden. Um dies zu ermöglichen, kommt eine speziell entwickelte Software (Eigenverbrauchsmanager/EVM) zum Einsatz. Denn die Produktionsleistung der Solaranlage schwankt stark, ebenso der Stromverbrauch auf dem Areal.

Grundlage für die Steuerbefehle des EVM bilden kontinuierlich erhobene Messwerte für Stromproduktion und -verbrauch. Sobald in einem 15-Minuten-Zeitraum die PV-Produktion den Arealverbrauch übersteigt, signalisiert der EVM «PV-Strom verfügbar». Jetzt werden die durch den EVM gesteuerten Geräte einzeln in Betrieb genommen, so dass der Gesamtverbrauch möglichst optimal auf den Solarstrom abgestimmt wird. Zudem zeigt in den Wohnungen ein grün leuchtendes Lämpchen den Bewohnerinnen und Bewohnern, dass sie ab sofort PV-Strom beziehen können. Bei zu tiefem Solaranteil wechselt das grüne Lämpchen auf rot. Allerdings bleiben bereits laufende Haushaltsgeräte in Betrieb.

Der Stromtarif, den die Bewohnerinnen und Bewohner bezahlen, ist variabel. Das heisst, er wird im 15-Minuten-Takt berechnet: Reichte in den letzten 15 Minuten die PV-Produktion aus, den Bedarf zu decken, gilt der PV-Tarif. Wurden während der letzten Viertelstunde hingegen z.B. zwei Drittel des Bedarfs mit PV-Strom gedeckt und ein Drittel aus dem Netz, gilt für diese Viertelstunde ein Mischtarif, bei dem der PV-Tarif zu zwei Dritteln und der Hochtarif zu einem Drittel gewichtet wird.

Schaltet ein Bewohner beispielsweise um 11:00 Uhr die Waschmaschine ein, weil das grüne Lämpchen aufleuchtet («PV-Strom verfügbar»), bleibt offen, welcher Anteil des Waschgangs tatsächlich mit PV-Strom gedeckt wird. Im besten Fall steht für den 2,5-stündigen Waschgang dauerhaft PV-Strom zur Verfügung, und der Bewohner profitiert durchgängig vom PV-Tarif. Im ungünstigen Fall zieht um 11:15 Uhr ein Gewitter auf, die PV-Produktion bricht ein und der Waschgang wird dann überwiegend mit Strom aus dem Netz gedeckt, der zu dieser Tageszeit zum Hochtarif verrechnet wird. BV


Betreiber profitiert von hohem Eigenverbrauch
Die Autoren des Projekt-Schlussberichts beleuchten das Thema auch aus Sicht des ZEV-Betreibers, im vorliegenden Fall das lokale Elektrizitätswerk RTB Möriken-Wildegg. Dieses profitiert von einem hohen Eigenverbrauch, weil der Verkauf von PV-Strom an die Bewohner einträglicher ist (knapp 17 Rp./kWh) als die Rückspeisung ins Netz (im vorliegenden Fall knapp 7 Rp./kWh). Eine Amortisationsrechnung für die Solaranlage einschliesslich Mess- und Regeltechnik beziffert die Rendite des Betreibers während des einjährigen Pilotprojekts auf 5.2% (ohne Subvention der PV-Anlage läge sie bei 3%). Die Eigenverbrauchsquote entscheide damit indirekt auch darüber, wie attraktiv ein ZEV für einen Investor ist, betont David Zogg (Smart Energy Engineering GmbH): «Dank unserem Eigenverbrauchsmanager konnte der Eigenverbrauch massiv gesteigert werden. Dadurch konnte der Betreiber eine ansprechende Rendite erzielen mit seiner Investition in Solarenergie.»

Schlussbericht zum Projekt ‹Innovative Eigenverbrauchsoptimierung für Mehrfamilienhaus-Arealüberbauung mit lokaler Strombörse in Möriken-Wildegg› >>

Auskünfte zu dem Projekt erteilen Dr. Michael Moser (michael.moser[at]bfe.admin.ch), Leiter des BFE-Forschungsprogramms Netze und Dr. Men Wirz (men.wirz[at]bfe.admin.ch), verantwortlich für das Pilot- und Demonstrationsprogramm des BFE.


Projektpartner
Die Überbauung am Grabenweg in der Aargauer Gemeinde Möriken-Wildegg (AG) wurde von der Setz Architektur AG (Werner Setz; David Zimmerli) realisiert. Der Eigenverbrauchsmanager und das zugehörige Datenerfassungssystem stammt von der Smart Energy Control AG (heute: Smart Energy Engineering GmbH). Diese Software erlaubt zugleich die Abrechnung der Energiekosten für die Bewohner basierend auf einem variablen Stromtarif (‹Real Time Pricing›). Das Monitoring im ersten Betriebsjahr führte Prof. Hans Gysin (Institut für Automation der Fachhochschule Nordwestschweiz) durch.

Das Projekt wurde vom Pilot- und Demonstrationsprogramm des Bundesamts für Energie (BFE) unterstützt. Damit fördert das BFE die Entwicklung und Erprobung von innovativen Technologien, Lösungen und Ansätzen, die einen wesentlichen Beitrag zur Energieeffizienz oder der Nutzung erneuerbarer Energien leisten. Gesuche um Finanzhilfe können jederzeit eingereicht werden. BV


Text: Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)

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