Areal-Überbauung in Möriken-Wildegg AG nach Minergie-P-Eco-Standard mit PV-Anlagen auf Dächern, Fassaden, und Terrassen-Brüstungen.

Bild 2: Anzeige des aktuellen Strompreises bzw. des Solaranteils auf dem Smartphone (links), in den Raumbedienstationen (Mitte) und an der Solarsteckdose (rechts).

Bild 3: Intelligente Integration der Wärmepumpen (WP = Wärmepumpe, BWW = Brauchwarmwasser-Speicher, SP = Puffer-Speicher, T = Temperaturmessung)

Bild 4: Integration von Elektromobilität mit intelligent geregelten Ladestationen und einfacher Nachrüstung über Flachbandkabel.

Bild 5: Erreichte Kennzahlen in der ersten Messperiode

Areal-Überbauung in Möriken-Wildegg: Die Gebäudemasse wird aktiv genutzt als thermischer Speicher - erste Auswertung der Messungen

(D. Zogg) In Möriken-Wildegg wurde eine innovative Areal-Überbauung mit vier MFH als Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) realisiert. Nach dem Verursacherprinzip bekommen die Bewohner einen Anreiz, möglichst viel lokalen Strom zu nutzen. Nach einem Jahr Betrieb wurde nun die erste Messperiode ausgewertet.


Die Areal-Überbauung mit vier Mehrfamilienhäusern wurde als Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) realisiert. Im lokalen Netz wird der Betrieb der vier Wärmepumpen, ca. 70 Haushaltsgeräte und mehrerer Elektromobil-Ladestationen automatisch auf die Produktion der PVAnlagen abgestimmt. Damit wird der lokale Eigenverbrauchsanteil erhöht und die Netzbelastung reduziert. Im Rahmen des Projekts wurde eine neuartige Software entwickelt, welche die Abrechnung der Energiekosten für die Bewohner basierend auf einem variablen Stromtarif ermöglicht («Real Time Pricing»). Nach dem Verursacherprinzip bekommen die Bewohner einen Anreiz, möglichst viel lokalen Strom zu nutzen. Nach einem Jahr Betrieb wurde nun die erste Messperiode ausgewertet, welche vielversprechende Resultate lieferte. Eine zweite Messperiode wird folgen.

Das innovative System zur Eigenverbrauchsoptimierung
In früheren Publikationen, vgl. [2] bis [7], wurde das innovative System zur Eigenverbrauchsoptimierung über eine Strombörse mit verteilter Intelligenz und der Integration von Wärmepumpen, Haushaltgeräten und Elektromobil-Ladestationen bereits mehrfach beschrieben. Es wurde eine arealweite regelungstechnische Optimierung aller Verbraucher realisiert, welche verschiedene Kriterien berücksichtigt wie Eigenverbrauch, Effizienz und Stromkosten. Als wesentliche Neuerung wurden die Bewohner laufend über Anzeigen informiert zum aktuellen Strompreis (Bild 2). Zudem konnten die Haushaltgeräte automatisch solar betrieben werden und Solarsteckdosen lieferten nur Strom bei 100% solarer Deckung (z.B. zum Aufladen von mobilen Geräten).

Intelligente Einbindung der Wärmepumpen
Wesentlich war jedoch auch die intelligente Einbindung der Wärmepumpen (Bild 3). Dank aktivem Thermomanagement konnte das gesamte Gebäude als Speichermasse genutzt werden. Dazu wurden die Raumtemperaturen gezielt beeinflusst, jedoch in einem Masse, welche vom Bewohner kaum spürbar war. Neben dem Gebäude wurden auch die technischen Speicher optimiert (Puffer und Brauchwarmwasser). Über Mobus® konnten die internen Sollwerte der Wärmepumpe variabel vom Eigenverbrauchsmanager vorgegeben werden, je nach aktueller solarer Deckung, Bedarf sowie den Stromkosten.

Innovative Bauweise
Auch die Bauweise war innovativ. Es wurde eine moderne, effiziente Architektur mit integrierten Solarpanels nach dem Minergie-P-Eco-Standard realisiert. Dadurch wurde höchste passive Effizienz mit hoher Dämmung in Holz-Mischbauweise mit modernster aktiver Produktion und Regelungstechnik kombiniert. Die PV-Anlagen lieferten dank Ost-/West-Ausrichtung auf den Dächern und Ost-Süd-West-Ausrichtung an den Fassaden zu jeder Tages- und Jahreszeit die höchst möglichen Erträge. Die Überbauung wurde deshalb auch mit dem Solarpreis 2020 ausgezeichnet als 123%-Plusenergie-Mehrfamilienhaus.

Zudem wurde die Elektromobilität gefördert, indem ein einfaches Nachrüstsystem mit Flachkabel installiert wurde (Bild 4). Selbstverständlich wurden die Ladestationen intelligent angesteuert, d.h. mit aktivem Lastmanagement zur optimalen Nutzung des Solarstromes und Reduktion der Leistungspeaks.

Erreichte Kennzahlen
Nach dem ersten Betriebsjahr wurden die Daten statistisch ausgewertet. Die erreichten Kennzahlen sind in Bild 5 zusammengefasst. Es ist dabei zu beachten, dass das System im Verlaufe des ersten Betriebsjahres noch eingestellt und optimiert werden musste. Dennoch lassen sich die Resultate sehen.

Autarkiegrad von 45%
Die energetische Auswertung hat gezeigt, dass ein jährlicher Autarkiegrad von 45% erreicht werden konnte, und dies ohne Batterie-Speicher. Als grösster Speicher wurde die thermische Masse des Gebäudes gezielt genutzt, um die Wärmepumpen effizient mit möglichst viel Sonnenstrom zu betreiben. Es wurden Jahresarbeitszahlen > 4 erreicht inkl. Trinkwarmwassererwärmung. Dies dank effizienter Wärmepumpen und möglichst tiefer Vorlauftemperaturen, gepaart mit aktivem Thermomanagement des gesamten Gebäudes. Die Raumtemperaturen wurden laufend gemessen und verliefen in einem täglichen Band von 1.2°C, was keinen spürbaren Einfluss auf den Komfort hatte. Zudem wurden die Gebäude nach den Minergie-Kennzahlen ausgewertet, was zu sehr guten Resultaten führte (die Anforderungen wurden stark unterschritten). Der jährliche Netzbezug des Areals war nur 1200 kWh pro Person inkl. Haushaltstrom, Heizen, Warmwasser und Elektromobilität.

Rund 8% tiefere Stromkosten
Im Verlaufe des Projektes hat sich schnell gezeigt, dass mit dem heutigen Stromtarifmodell keine zusätzlichen Einsparungen für die Bewohner möglich sind wegen dem zu geringen Unterschied zwischen Solar- und Nachttarif. Deshalb wurde für die Bewohner auf den ökologischen Anreiz umgeschwenkt, möglichst viel Solarstrom vom eigenen Dach zu nutzen. Dennoch profitierten die Bewohner von Einsparungen der Stromkosten in der Grössenordnung von 8% im Vergleich zur Situation ohne ZEV. Wichtig für solche Projekte ist die Rendite des Eigentümers bzw. Betreibers. Diese konnte durch die Eigenverbrauchsoptimierung gesteigert werden und lag bei ca. 5%.

Eine durchgeführte Umfrage hat gezeigt, dass der ökologische Anreiz bei den Bewohnern gut angekommen ist. Die Haushaltgeräte wurden mehrheitlich mit Solarstrom betrieben, entweder manuell oder über die Automatik-Funktion. Auch die Idee der Solarsteckdose ist gut angekommen. Leider hatte es jedoch zu wenige Elektromobile (nur 2), um dort signifikante Aussagen machen zu können.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen für kommerzielle Projekte
Mit der Überbauung wurde ein kantonales und schweizweites Leuchtturmprojekt umgesetzt. Dank der Eigenverbrauchsoptimierung mit Arealvernetzung konnte für den Betreiber das Maximum aus dem System herausgeholt werden. Auch die Sensibilisierung der Bewohner ist gelungen. Die Bewohner haben das System schnell akzeptiert und den ökologischen Anreiz wahrgenommen.

Zudem konnte die grundsätzliche Funktionalität der Strombörse aufgezeigt werden. Diese ist softwaretechnisch mit minimalem Mehraufwand realisierbar. Der Nutzen des variablen Stromtarifs ist aber wohl eher etwas für die Zukunft. Das volle Potential kann erst dann ausgeschöpft werden, wenn auch das übergeordnete Stromnetz einen variablen Tarif aufweist. Im Verlaufe des Projektes wurde klar, dass heute der ökologische Anreiz im Vordergrund stehen muss. Für die Umsetzung in kommerziellen Projekten wird die Anzeige des Solarstroms mit grünem LED empfohlen. Auch die Idee der Solarsteckdose wurde von den Bewohnern gut aufgenommen und ist einfach umsetzbar.

Das grösste Potential der Eigenverbrauchsoptimierung lag bei der Wärmepumpe. Speziell die Warmwassererwärmung kann gut tagsüber erfolgen, was den Eigenverbrauch wesentlich erhöht. In Mehrfamilienhäusern sollte der Brauchwarmwasserspeicher ca. um den Faktor 2 überdimensioniert werden und verlustbehaftete Zirkulationsleitungen sollten nachts ausgeschaltet werden, wenn kein Warmwasserbedarf vorhanden ist. Mit diesen Massnahmen braucht es an sonnigen Tagen nur 1 Ladung auf 24 Stunden.

Bei der Heizung ist die Optimierung anspruchsvoller wegen den Komfortansprüchen der Bewohner. Aber auch hier konnte dank aktivem Thermomanagement eine klare Steigerung des Eigenverbrauchs herausgeholt werden bei zugleich hoher Effizienz und ohne spürbaren Einfluss auf den Komfort. Es wird deshalb empfohlen, in zukünftigen Projekten die Gebäudemasse als thermischen Speicher aktiv zu nutzen. Diese Nutzung ist wesentlich effizienter und kostengünstiger als die Einbringung überdimensionierter Pufferspeicher.

Bei den Haushaltgeräten ist der ökonomische Nutzen der Eigenverbrauchsoptimierung für den einzelnen Bewohner kaum spürbar. Dennoch ist der ökologische Anreiz gut bei den Bewohnern angekommen und die Möglichkeit des solaren Betriebs wurde rege genutzt, sowohl manuell wie auch automatisiert. Es waren jedoch nur die Waschmaschinen und der Geschirrspüler geeignet, der Tumbler konnte aus Sicherheitsgründen nicht automatisiert werden (automatisches Anlaufen wäre zu gefährlich). Obwohl hier Standard-Geräte eingesetzt wurden, rechnet sich der Aufwand für ein kommerzielles Projekt jedoch eher nicht.

Bei den Elektromobilen kann keine generelle Aussage gemacht werden, weil nur zwei Elektromobile vorhanden waren. Davon wurde ein Elektromobil ab und zu tagsüber aufgeladen, das andere vorwiegend nachts. Hier kann nur empfohlen werden, die Ladeinfrastruktur in Gebäuden vorzubereiten, um die Elektromobilität zu fördern. Offenbar reicht es nicht, nur Leerrohre oder (wie hier) Flachbandkabel bereit zu stellen, sondern es müssten effektiv komplette Ladestationen vorinstalliert werden. Wahrscheinlich braucht es auch noch ein paar Jahre Zeit, bis die Elektromobile wirklich eine grosse Verbreitung finden (erste erschwingliche Modelle mit hohen Reichweiten sind ja verfügbar).

Ausblick auf die zweite Messperiode
Es wurde entschieden, eine weitere jährliche Messperiode im Areal durchzuführen, welche wiederum vom Bundesamt für Energie (BFE) unterstützt wird. In der zweiten Messperiode soll der Fokus auf die Optimierung der Wärmepumpen gelegt werden. Dabei sollen verschiedene Szenarien verglichen werden, von der manuellen Optimierung über heutige Standard-Lösungen mit einfacher Speicheroptimierung bis zur intelligenten dynamischen Optimierung des gesamten Gebäudes. Aufgrund der idealen Verhältnisse im Areal mit (fast) baugleichen Gebäuden am selben Standort können die verschiedenen Szenarien parallel gefahren werden. Damit wird es erstmals möglich sein, verschiedene Kombinationen von PV und WP an einem realen, bewohnten System auszutesten. Die Systeme werden so eingestellt, dass die Bewohner keine wesentlichen Unterschiede im Komfort spüren. Wir können also gespannt sein auf weitere Resultate in einem Jahr!


Autor und Projektpartner
Smart Energy Engineering GmbH, Prof. Dr. David Zogg (Autor)
Setz Architektur AG, David Zimmerli
RTB Regionale Technische Betriebe, Laszlo Körtvelyesi
Fachhochschule Nordwestschweiz, Prof. Hans Gysin

Das Pilotprojekt wurde unterstützt vom Bundesamt für Energie (BFE).


©Text: Prof. Dr. David Zogg, Smart Energy Engineering GmbH, dieser Artikel ist auch erschienen in HK-Gebäudetechnik 1/2021, S.40-43.

Quellen

[1]D. Zogg, D. Zimmerli, H. Gysin: Innovative Eigenverbrauchsoptimierung für Mehrfamilien-Arealüberbauung mit lokaler Strombörse in Möriken-Wildegg, Phase I: Inbetriebnahme und erste Messperiode, Bundesamt für Energie, 11/2020.

[2]D. Zogg: Der Strom bekennt Farbe, Digitalisierung im Gebäude mit Sinn: Farbliche und preisliche Anreize sollen Bewusstsein für erneurbare Stromproduktion schaffen. HK Gebäudetechnik 11/2019

[3]P. Warthmann: Vier MFH am Grabenweg in Möriken AG sind ein gelungenes Beispiel für eine PEB-Überbauung - PlusEnergie-Häuser mit modernstem Wohn- und Energiekonzept, HK Gebäudetechnik 10/2019.

[4]D. Zogg: Optimierung Eigenverbrauch und Lastmanagement - Eigenverbrauchsoptimierung von Arealen mit verteilter Intelligenz, HK Gebäudetechnik 02/2019.

[5]J. Wellstein: Elektromobilität im Ein- und Mehrfamilienhaus sowie im Plusenergie-Areal - Gebäudetechnik mit Elektromobilität optimal kombinieren, HK Gebäudetechnik, Special Elektromobilität, 03/2019.

[6]D. Zogg: Steigerung des zeitgleichen Eigenverbrauchs und Entlastung des Stromnetzes durch Speicherung im Elektromobil - Intelligente Einbindung von Elektromobilität, HK Gebäudetechnik 05/2016.

[7]D. Zogg et. al: OPTEG - Regelstrategien für die Optimierung des Eigenverbrauchs von Gebäuden, Simulation und Realisierung, Bundesamt für Energie BFE, Fachhochschule Nordwestschweiz, 2016.

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