Die acht von der Baugenossenschaft Zurlinden errichteten Häuser auf dem Hüttengraben-Areal umfassen 69 Mietwohnungen. Bild: BG Zurlinden

Nach der Absenkung der Raumtemperatur auf 21.5 °C empfanden deutlich über die Hälfte der Bewohner die Temperatur als zu kalt. Bild: Schlussbericht ‹2000-Watt-Gesellschaft leben›

Mit der Amphiro-Duschanzeige lassen sich während des Duschens der Wasser- und Energieverbrauch sowie die Wassertemperatur ablesen. Illustration: Amphiro AG

Raumtemperatur in ausgewählten Wohnungen (Erdgeschoss) von sieben Häusern des Hüttengraben-Areals im Zeitraum November 2018 bis März 2019. Bild: Schlussbericht ‹2000-Watt-Gesellschaft leben›

In Workshops wurden die Bewohnerinnen und Bewohner des Hüttengraben-Areals unter anderem über Möglichkeiten zum Energiesparen informiert. Bild: ZHAW

Der Stromsparwettbewerb zeigte wegen der Corona-Krise nur bedingt Wirkung. Bild: Schlussbericht ‹2000-Watt-Gesellschaft leben›

Die acht Gebäude der Hüttengraben-Überbauung in Küsnacht (ZH) sind mit Holz aus lokalen Wäldern verkleidet, um die graue Energie zu vermindern. Bild: BG Zurlinden

23 Haushalte haben ihren Stromverbrauch während der sechs Wochen wegen der Corona-Pandemie (zum Teil massiv) erhöht. Bild: Schlussbericht ‹2000-Watt-Gesellschaft leben›

Auszug aus dem Newsletter, mit dem ein bestimmter Haushalt über den Warmwasserverbrauch in der vergangenen Woche informiert wurde. Illustration: Schlussbericht ‹2000-Watt-Gesellschaft leben›

BFE: Erkenntnisse aus dem 2000-Watt-Labor der Neubausiedlung in Küsnacht

(BV) Technische Neuerungen und Interventionen, die auf eine Verhaltensänderung abzielen, sind wirksame Mittel zur Reduktion des Energieverbrauchs, gerade im Wohnbereich. Damit die Instrumente ihre volle Wirkung entfalten, müssen sie von Bewohnerinnen und Bewohnern im Alltag angenommen und umgesetzt werden. Wie gut das gelingt, hat ein sozialwissenschaftlich und technisch orientiertes Projekt der Fachhochschulen Zürich (ZHAW) und Luzern (HSLU) in einer Neubausiedlung in Küsnacht (ZH) untersucht.


Die Gemeinde Küsnacht am Zürichsee hat den Ruf einer exklusiven Wohngegend. Entsprechend teuer ist das Bauland. Im November 2010 haben Einwohnerinnen und Einwohner in einer Abstimmung beschlossen, das Hüttengraben-Areal zu einem Drittel des Verkehrswerts der Baugenossenschaft (BG) Zurlinden zu überlassen, um dort im Baurecht eine Überbauung «für Menschen mit mittelständischen Einkommen» zu realisieren, wie die damalige Abstimmungsvorlage festhielt. Nach dem zustimmenden Volksentscheid entstand die Überbauung mit acht Wohngebäuden und 69 Mietwohnungen. Sie wurden in den Jahren 2016/17 bezogen.

Technische und psychologische Faktoren des Energiesparens
«Die Siedlung folgt den Vorgaben des SIA-Effizienzpfads Energie (Merkblatt SIA 2040). Die Gebäude (graue Energie), deren Energieversorgung sowie der zugehörige Verkehr entsprechen den Vorgaben der 2000 Watt-Gesellschaft (durchschnittlicher Energiebezug von 2000 Watt Leistung bzw. Emission von einer Tonne CO2 pro Bewohner und Jahr)», sagt Stefan Kälin, Vizepräsident und Nachhaltigkeitsexperte der BG Zurlinden. Die Überbauung erfüllt mit Minergie-P den Goldstandard für energieeffizientes Bauen. Die Versorgung mit Frischluft erfolgt über Einzelraumlüfter mit Wärmerückgewinnung. Erdsonden-Wärmepumpen stellen Heizwärme und Warmwasser bereit, Photovoltaik-Anlagen (insgesamt 108 kWp) liefern Strom. Dank guter Wärmedämmung kann die Niedertemperatur-Bodenheizung mit einer Vorlauftemperatur von max. 30 °C betrieben werden. Eine Besonderheit dieser Siedlung ist, dass die Raumtemperatur für jedes Haus von zentraler Stelle eingestellt wird; eine individuelle Regelung durch die Bewohner ist nicht möglich.

«Die Mieterinnen und Mieter des Hüttengraben-Areals sind nicht speziell sensibilisierte Energiesparer, sondern ein Querschnitt der Gesellschaft, das war eine wichtige Voraussetzung unserer Untersuchung», sagt Dr. Bernadette Sütterlin, Umweltpsychologin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). In der von Sütterlin erwähnten Studie haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Beispiel der Hüttengraben-Überbauung untersucht, wie sich Menschen zum Energiesparen motivieren lassen bzw. dieses mittragen. In drei Teilstudien wurden die Bereiche Elektrizität, Warmwasser und Heizwärme untersucht. 38 von 69 Haushalten beteiligten sich an der Studie. Diese wurde von einem Team der ZHAW und der Hochschule Luzern (HSLU) durchgeführt und vom Bundesamt für Energie als Demonstrationsprojekt finanziell unterstützt.

Stromsparen als Wettbewerb
Ein ganz besonderer Moment dieses Projekts war am 2. März 2020: Damals starteten drei Teams – jedes umfasste rund zehn Haushalte – eine Art Stromsparwettbewerb: Jedes Team sollte während sechs Wochen so viel Strom sparen wie möglich. Während dieser Zeit erhielten die Teilnehmer jede Woche einen Newsletter mit Informationen zum eigenen Stromverbrauch, zum Stromverbrauch ihrer Gruppe und zum Verbrauch der anderen Gruppen. In jedem Newsletter wurden ihnen zudem konkrete Stromspartipps vermittelt. Der spielerische Wettbewerb zwischen den drei Gruppen und das Feedback zum Stromverbrauch, so die Idee der Versuchsanordnung, würden die Menschen in ganz besonderem Mass zum Stromsparen motivieren.

Doch es kam anders: Zwar ging der Verbrauch in der ersten Woche zurück, doch dann stieg er deutlich an, und statt weniger Strom, verbrauchten alle Haushalte zusammen in den sechs Wochen bis zu 14 Prozent mehr Strom (vgl. Bild 03). Der Grund war die Corona-Pandemie und der mit dem Lockdown ab Mitte März für viele geltende Zwang zum Homeoffice sowie der allgemein vermehrte Aufenthalt zu Hause. Ab Woche 4 war der Verbrauch wieder rückläufig. Dies könnte gemäss Bernadette Sütterlin auf einen positiven Effekt der Stromverbrauchsintervention hinweisen. Aus einer nachträglichen Befragung der Studienteilnehmer leitet das Forscherteam ab, dass es die Menschen zum Stromsparen motiviert, wenn sie beispielsweise über einen Newsletter regelmässig Informationen zum Stromverbrauch erhalten. Die Leute sparten in erster Linie mit dem Ausschalten von Licht und Elektrogeräten, seltener beim Standby-Verbrauch, beim Kochen und Waschen/Trocknen.

Senkung der Temperatur auf 21.5 °C
Bereits Anfang 2019 hatten die Forscherinnen und Forscher in einem ersten Teilprojekt untersucht, inwieweit die Mieterinnen und Mieter eine Absenkung der Raumtemperatur akzeptieren. Zu dem Zweck wurde ab dem 4. Januar 2019 die Temperatur in allen 69 Wohnungen von durchschnittlich ca. 23 °C zuerst mittels hydraulischem Abgleich einander angeglichen und dann auf 21.5 °C gesenkt. Diese Intervention, mit der sich 25% der Heizenergie sparen lässt, war den Mietern im Vorfeld als «Heizungsoptimierung» angekündigt worden. Der genaue Zeitpunkt der Massnahme wurde aber nicht kommuniziert.

Als Folge der Temperaturabsenkung beschwerten sich sieben Mieter (entspricht 10% der Haushalte) spontan beim Hauswart. Bei einer Befragung Ende Januar 2019 beurteilen die meisten Bewohner die Temperatur zwischen «gerade richtig» und «etwas zu kalt». Andererseits gab die Hälfte der Mieter an, die Temperatursenkung nicht bemerkt zu haben. «Die Temperatursenkung stiess insgesamt auf eine eher tiefe Akzeptanz», fasst ZHAW-Forscherin Evelyn Lobsiger die Einzelbeobachtungen zusammen. «Das ist bemerkenswert, denn die 21,5 °C liegen ja deutlich über der SIA-Empfehlung in Merkblatt 2024 von 20 °C.»

Die befragten Bewohnerinnen und Bewohner gaben an, sie hätten angesichts der Temperatursenkung wärmere Kleidung anzogen, öfter warm gegessen und getrunken, auch öfter warm geduscht oder gebadet. Sieben Personen griffen sogar zum Elektroofen. Ein Jahr später hatten sich die meisten Bewohner mit der tieferen Temperatur angefreundet, wie Evelyn Lobsiger berichtet: «Die Antworten, die wir bei einer neuerlichen Befragung Anfang 2020 erhalten haben, weisen auf einen Gewöhnungseffekt hin. Daraus leiten wir die Empfehlung ab, die Hintergründe und Ziele derartiger Sparmassnahmen zu erklären und diese schrittweise umzusetzen, damit sich die Menschen daran gewöhnen können.» Die Baugenossenschaft Zurlinden will die Energiesparmassnahme auch bei anderen ihrer Liegenschaften umsetzen, soweit dies möglich ist.

10% weniger Warmwasser
Eine dritte Intervention hat das HSLU/ZHAW -Forscherteam im Mai 2019 durchgeführt. In allen Haushalten, die sich an der Studie beteiligten, wurden Duschanzeigen der Firma Amphiro installiert. Diese zeigen den Personen während des Duschens an, wie viel Warmwasser sie gerade verbrauchen (vgl. Illustration 07). Nach gut zwei Monaten erhielten die Haushalte während sieben Wochen zusätzlich einen wöchentlichen Newsletter, der ihren Warmwasserverbrauch in einen Vergleich mit demjenigen der Nachbarhaushalte setzte. Im Newsletter waren zudem Energiespartipps enthalten (z.B. Waschmaschine ganz füllen; Wasser beim Zähneputzen oder Einseifen in der Dusche ausschalten; nur wirklich schmutzige Kleider waschen). Diese Versuchsanordnung wurde von drei Befragungen begleitet.

Dabei zeigte sich: Mit der Duschanzeige verbrauchten die Menschen im Durchschnitt 10% weniger Warmwasser, und wenn sie zusätzlich über den Newsletter ihren Verbrauch und den der Nachbarn erfuhren, waren es sogar 14% weniger. Da sich diese Zahlen jeweils auf den gesamten Warmwasserverbrauch bezogen, also nicht nur auf das Duschen, sind sie im Einklang mit einer Untersuchung der ETH Zürich, welche den Einspareffekt der Amphiro-Duschanzeigen 2014 auf 20% beziffert hatte (vgl. Fachartikel ‹Wer bewusst duscht, duscht kürzer›). «Das ist ein wichtiger Effekt, denn die Menschen nehmen hier eine Komforteinbusse in Kauf», sagt Evelyn Lobsiger.

Die Forscherinnen und Forscher beziffern den langfristigen Spareffekt – gestützt auf Messungen knapp sieben Monate nach Installation der Duschanzeige – mit 10%. «Dieser wünschenswerte Effekt ist zum einen auf das Echtzeit-Feedback durch die Duschanzeige und das vermittelte Handlungswissen in Form von Spartipps zurückzuführen, aber auch darauf, dass wir die Menschen ermuntert haben, sich mit ihren Nachbarn zu vergleichen. Damit haben wir bei ihnen eine soziale Norm bewusst gemacht und einen sozialen Vergleich angestossen – beides Elemente, die handlungsleitend wirken.», so Bernadette Sütterlin.

Auskünfte zu dem Projekt erteilt Dr. Men Wirz (men.wirz[at]bfe.admin.ch), verantwortlich für das Pilot- und Demonstrationsprogramm des BFE.


Pilot- und Demonstrationsprojekte des BFE
Das Projekt zur Umsetzung der 2000-Watt-Gesellschaft im Hüttengraben-Areal wird vom Pilot- und Demonstrationsprogramm des Bundesamts für Energie (BFE) unterstützt. Damit fördert das BFE die Entwicklung und Erprobung von innovativen Technologien, Lösungen und Ansätzen die einen wesentlichen Beitrag zur Energieeffizienz oder der Nutzung erneuerbarer Energien leisten. Gesuche um Finanzhilfe können jederzeit eingereicht werden. BV


Text: Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)

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