Das Wissen, in welchen Zyklen Gebäude bzw. Gebäudeteile erneuert werden, ist bisher lückenhaft. Eine neue Studie liefert Daten. Foto: B. Vogel

Vergleich der Angaben zur Lebensdauer von acht ausgewählten Bau- und Gebäudeteilen zwischen der Schweiz und dem Ausland. Grafik: Schlussbericht DUREE

Das DUREE-Forscherteam fokussierte seine Untersuchung auf vier Kategorien von Bau- und Gebäudeteilen. Illustration: Schlussbericht DUREE

Darstellung einer Liegenschaft, die im Jahr 1972/73 erbaut und dann im Jahr 2015 saniert wurde. Grafik: Dokumentation D 0249 © 2017 by SIA Zurich

Die vier untersuchten Kategorien von Bau- und Gebäudeteilen haben eine unterschiedliche Renovierungsrate. Grafik: Schlussbericht DUREE

Treibhausgasemissionen eines Hauses über den Lebenszyklus von 60 Jahren. Grafik: Schlussbericht DUREE

Prof. Mehdi Farsi (links) zusammen mit Dr. Sébastien Lasvaux, der das DUREE-Projekt koordiniert hat. Foto: B. Vogel

DUREE-Studie: Wie man Gebäude rechtzeitig erneuert und Sanierungsmuffel motiviert

(BV) Den idealen Zeitpunkt für eine Gebäudesanierung zu finden ist nicht leicht. Ein Grund: Die verschiedenen Bau- und Gebäudeteile haben eine sehr unterschiedliche Lebensdauer. Wie gross die Differenzen sind, hat eine vom Bundesamt für Energie unterstützte Studie beleuchtet. Eine zentrale Empfehlung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lautet: Eigentümer sollten mit einer Sanierung nicht zu lange warten. (Texte en français >>)


Die 2.3 Millionen Gebäude im Land sind für rund die Hälfte des schweizerischen Energieverbrauchs verantwortlich, wobei Heizung, Warmwasser und Klimatisierung einen beträchtlichen Teil ausmachen. Über eine Million Wohn- und Geschäftshäuser sowie öffentliche Bauten sind nicht oder kaum gedämmt und damit energetisch dringend erneuerungsbedürftig. Und genau hier hapert es: Nur ein geringer Teil der Gebäude wird zum erforderlichen Zeitpunkt mit entsprechenden Massnahmen modernisiert. So werden immer noch viel mehr Energie etwa für Heizung und Warmwasser verbraucht als nötig.

Fokus auf Bau- und Gebäudeteilen
Jeder Hauseigentümer und jede Liegenschaftsbesitzerin weiss: Der Zeitpunkt für eine Gebäudeerneuerung lässt sich nicht so einfach bestimmen. Bei einem Teil der Fenster zieht es zwar, doch die Gasheizung tut doch noch zuverlässig ihren Dienst. An einer Stelle des Dachs sind die Ziegel beschädigt, aber die Fassade scheint immer noch gut im Schuss. In solchen Situationen ist die Versuchung gross, mit Erneuerungsmassnahmen zuzuwarten. Darüber, in welchen Abständen Gebäude ganz oder teilweise erneuert werden, weiss man relativ wenig, denn es fehlt an Wissen über die tatsächlichen Sanierungszyklen.

Das ist die Ausgangslage einer Studie, die ein Forscherteam der Fachhochschule Westschweiz in Yverdon-les-Bains (heig-vd), der Universität Neuenburg und der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich in den letzten vier Jahren durchgeführt hat. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten die Lebensdauer von Gebäuden, richteten ihr Augenmerk dabei aber nicht auf die Liegenschaften als Ganzes, sondern untersuchten die Lebensdauer der einzelnen Bau- und Gebäudeteile. Das Forschungsprojekt mit dem Namen DUREE wurde unter anderem vom Bundesamt für Energie finanziell unterstützt.

Angaben zur Lebensdauer schwanken beträchtlich
Nun würde man denken, dass unter Fachleuten über die Lebensdauer einer Heizung oder eines Fensters Einigkeit herrscht, zumal ja auch entsprechende Herstellerangaben vorliegen. Die DUREE-Forscherinnen und -Forscher kamen zu einem anderen Schluss: In ihrer Studie verglichen sie die Lebensdauer-Angaben des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA-Merkblatt 2032 zur Ökobilanzierung von Gebäuden), des Schweizer Kompetenzzentrums für Baustandards (CRB-Dokument zu Lebenszykluskosten) sowie weiterer Schweizer Fachgremien von Mietern, Gebäudeeigentümern, Versicherungen und Banken, aber auch von ausländischen Quellen.

Bei der Auswertung dieser breiten Datenbasis – eine Besonderheit der vorliegenden Studie – stiessen sie auf ein beträchtliches Spektrum von Angaben. Um nur zwei Beispiele der insgesamt 100 untersuchten Bau- und Gebäudeteile zu geben: Bei Wärmepumpen schwankten die Angaben zur Lebensdauer zwischen den untersuchten Dokumenten von 11 bis zu 22 Jahren. Bei Fenstern betrug die Bandbreite sogar 17 bis 50 Jahre. Die Ausschläge sind genau genommen noch höher, denn bei den genannten Bandbreiten sind die 10% tiefsten und 10% höchsten Extremwerte jeweils weggelassen.

Schweiz geht nicht von kürzerer Lebensdauer aus
Dr. Sébastien Lasvaux, Gebäude- und Ökobilanzexperte an der Fachhochschule heig-vd, der das DUREE-Projekt koordinierte, gelangt denn auch zu einem klaren Befund: «Wir haben bei den Angaben zur Lebensdauer der Bau- und Gebäudeteile grosse Unterschiede gefunden.» Um diese Unterschiede genauer zu verstehen, verglichen die Forscher die SIA 2032- und CRB-Angaben mit anderen Quellen im In- und Ausland. Die Wissenschaftler stellten fest, dass die SIA-Angaben zur Lebensdauer meistens im Mittelfeld dessen liegen, was andere Quellen über die Lebensdauer sagen. Die CRB-Angaben hingegen gehen teilweise von einer längeren Lebensdauer aus so, z.B. im Bereich Gebaudetechnik und Wärmeverteilung. Wer erwartet hätte, dass die Schweiz die Lebensdauer der Bauteile konservativer (kurzlebiger) einschätzt, sieht sich also getäuscht. Eine Ausnahme bilden die Fassaden. In diesem Bereich nimmt SIA 2032 vergleichsweise kurze Lebensdauern an.

Der besondere Ansatz der DUREE-Studie bestand darin, eine Datenbank zu entwickeln, um die in den verschiedenen untersuchten Dokumenten festgelegten Lebensdauer-Werte zu kategorisieren (gemäss eBKP-H-Baukostenplan des CRB), aber auch nach Produkttyp aufzuschlüsseln, sofern die entsprechenden Literaturwerte angegeben wurden. Das gelang den Forschern indes nur teilweise, denn es war nicht immer möglich, verlässliche Statistiken über Produkttypen z.B. aller Arten von Wärmepumpen oder Fenstern zu erhalten. Nur wenige Datenquellen meldeten spezifische Werte für verschiedene Produkte, so dass man davon ausgehen kann, dass zumindest ein Teil der Unterschiede bei den Angaben zur Lebensdauer auf objektive Unterschiede in der Fertigungsqualität basieren.

5000 Haushalte befragt
Die tatsächliche Nutzungsdauer von Bau- und Gebäudeteilen wird nicht nur durch deren technische Eigenschaften bestimmt. Hinzu kommen viele weitere Einflussfaktoren, etwa ästhetische und finanzielle Überlegungen der Eigentümer, aber auch gesetzliche Auflagen oder Zuschüsse für Renovierungen. Vor diesem Hintergrund haben die DUREE-Forscher die tatsächliche Schweizer Sanierungspraxis bezogen auf vier Kategorien von Bau- und Gebäudeteilen (Dach, Fassade, Fenster, Heizsystem) untersucht. Zu diesem Zweck befragten sie 5000 Haushalte (Eigentümer und Mieter) in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz, welche Bau- und Gebäudeteile in ihren Häusern wann ersetzt wurden. Die Datenerhebung erfolgte mit je einer Befragung in den Jahren 2017 und 2018 im Rahmen des Swiss Household Energy Demand Survey/SHEDS (die Befragung wurde 2019 und 2020 fortgesetzt).

Prof. Mehdi Farsi, der an der Universität Neuenburg einen Lehrstuhl für Mikroökonomie im öffentlichen Sektor innehat, sieht durch die Ergebnisse der Umfrage bestätigt, worüber Energiefachleute schon lange klagen, dass Schweizer Gebäude nämlich tendenziell zu spät saniert werden: «Die Leute renovieren erst dann, wenn die Lebensdauer der Bauteile in der Regel schon längere Zeit abgelaufen ist; bei Fassaden ist der Zeitverzug sogar besonders ausgeprägt», fasst Farsi ein Hauptergebnis zusammen.

Sanierungsmuffel motivieren
Würden Gebäudeerneuerungen immer dann vorgenommen, wenn ein bestimmtes Bau- oder Gebäudeteil das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat, wären schrittweise Sanierungen die Norm. In der Praxis zeigt sich indes ein anderes Bild, wie die Forscher im DUREE-Schlussbericht festhalten: «Während gleichzeitige Renovierungen mehr Energieeinsparungen bringen können, deuten die empirischen Befunde darauf hin, dass gebündelte Renovierungen (z.B. Fassaden, Dach und Fenster zusammen) bislang nicht die verbreitetste Praxis sind. Allerdings machen die Sheds-Daten auch deutlich, dass solche Renovierungen nicht völlig unüblich sind.»

Allerdings ist spät sanieren immer noch besser als nie. Tatsächlich gibt es nämlich eine Gruppe von Hauseigentümern, die an eine unbeschränkte Lebensdauer von Bau- und Gebäudeteilen zu glauben scheint – und eine umfassende Gebäudesanierung überhaupt nie anpackt. Nach Auskunft der DUREE-Forscher verfügen rund 20% aller hundertjährigen Liegenschaften noch über das ursprüngliche Dach und die ursprüngliche Fassade. «Wir sollten neue Wege einschlagen, um auch die Besitzer dieser Gebäude zu einer energetischen Sanierung ihrer Liegenschaften zu bewegen», sagt Mehdi Farsi. Ein möglicher Weg sei eine Erhöhung der Subventionen, die heute bloss 10 bis 15% der Erneuerungskosten deckten und deshalb wenig Impact hätten, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Denkbar seien aber auch verbindliche gesetzliche Vorgaben oder indirekte Anforderungen. Er denkt bei letzteren zum Beispiel an eine Bestimmung, dass ein Hausbesitzer einen gewissen Anteil der Energieversorgung mit erneuerbaren Energien decken muss. Diese Vorgabe lässt sich leichter einhalten, wenn ein Gebäude saniert ist.

Sanierung der Gebäudeteile ist klimarelevant
Ein weiteres Teilprojekt widmeten die DUREE-Wissenschaftler der Lebenszyklus-Analyse von Neubauten. Sie errechneten unter anderem, wie viel Treibhausgas-Emissionen ein Haus beim Bau und durch den Energieverbrauch während der gesamten Lebensdauer verursacht. Dank Ökobilanzierung unter Einbezug von Lebensdauer-Statistiken konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sich die Emissionen abhängig von der Lebensdauer der eingesetzten Bauteile massgeblich ändern. Dieses Ergebnis hilft, die Zuverlässigkeit von künftigen Lebenszyklus-Analysen zu verbessern.


Literaturwerte haben praktische Bedeutung

Die Literaturwerte zur Lebensdauer von Bau- und Gebäudeteilen, die das DUREE-Team zusammengetragen hat, stammen aus den Dokumentationen von Fach- und Normierungsorganisationen. Die beiden wichtigsten Organisationen in der Schweiz sind der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) sowie das Schweizer Kompetenzzentrum für Baustandards CRB. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben rund 100 Quellen im In- und Ausland ausgewertet. Es handelt sich bei den untersuchten Angaben um die Werte, auf die sich Planer, Architekten und Immobilienverwalter in ihrem Arbeitsalltag massgeblich stützen. BV


Text: Dr. Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)

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