Die unterschiedlichen Interpretationen des Bundesgerichtsurteils zeigen, dass weiterhin viel Klärungsbedarf erforderlich ist. Im Bild das Kraftwerk Gattikonerbrücke in Langnau a. Albis der Adev Wassesrkraftwerk AG

Swiss Small Hydro: Wie weiter mit den ehehaften Wasserrechten? Es besteht weiterhin viel Klärungsbedarf

Swiss Small Hydro engagiert sich intensiv bei der Suche nach Lösungen zur Umsetzung des Bundesgerichtsentscheids vom März 2019. Dieser fordert bei Wasserkraftwerken eine Ablösung der ehehaften Wasserrechte und eine Anpassung der betreffenden Wassernutzungen «bei erster Gelegenheit» an das heutige Recht. Für die Weiterführung dieser Nutzungen ist eine Konzession erforderlich. Ein Überblick über die aktuelle Situation. (Texte en français >>)


Das BAFU hat den Kantonen seine Interpretation des Urteils im Schreiben vom 24. Oktober 2019 mitgeteilt. Das Schreiben fasst das Urteil des Bundesgerichts relativ allgemein zusammen, ohne jedoch auf die dadurch entstandenen Fragen vertieft einzugehen. Am 10. Dezember 2019 bestätigte das BAFU dann per E-Mail, dass die juristischen Begriffe «Neukonzessionierung» oder «Konzessionserneuerung» nicht massgebend für die Frage der Entschädigung bei der ökologischen Sanierung Wasserkraft sind. «Wichtig ist, ob es sich um eine bestehende Anlage handelt, die in den Bereichen Fischgängigkeit, Geschiebe oder Schwall-Sunk saniert wird. Wenn dies der Fall ist, hat der Inhaber gemäss Art. 34 EnG Anspruch auf Entschädigung der vollständigen Sanierungskosten.». Damit ist im Hinblick auf die vom Bundesgericht geforderte Ablösung der ehehaften Wasserrechte zumindest eine Unsicherheit im Rahmen des weiteren Vorgehens beseitigt.

«Ein Zucken genügt»
Bis anhin hatte vor allem die Seite des WWF als Beschwerdeführer verschiedene Artikel mit seiner Interpretation zur Umsetzung des Urteils veröffentlicht. Im Schweizerischen Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht ZBI 8/2019 wurde im August 2019 ein unabhängiger Kommentar von Ass.-Prof. Dr. Martin Föhse der Universität St. Gallen publiziert. Er kommt zum Schluss, dass als Massstab für eine «Gelegenheit» zur Ablösung der ehehaften Rechte ein Ereignis von vergleichbarer Tragweite gelten dürfte, wie eine Massnahme, die eine Baubewilligung erfordert. Und ergänzt: “Insgesamt scheint die Schwelle aber tief zu sein – man ist versucht zu sagen, «ein Zucken genügt».“

Übergangsfrist
Der Kanton Graubünden hat die Frage zur Umsetzung des Urteils in einem unabhängigen Gutachten vom September 2019 durch Vincenz & Partner, Rechtsanwälte und Notare, Chur, untersuchen lassen. Das Gutachten berücksichtigt gegenüber den Interpretationen von Seiten des WWF deutlich stärker den Vertrauens- und Investitionsschutz. So sollen Berechtigte, insbesondere in «jenen Einzelfällen, in denen sie im Vertrauen auf behördliche Zusicherungen namhafte Investitionen zum Weiterbetrieb ihrer Anlagen getätigt haben, die Möglichkeit behalten, ihre Investitionen auf der Basis des zugrundeliegenden Nutzungsrechts abzuschreiben.». Das heisst, dass dem Berechtigten, wenn diese Investitionen seit der Projektgenehmigung noch nicht amortisiert werden konnten, bis zur vollständigen Abschreibung eine Übergangsfrist zur Ablösung des ehehaften Rechts zu gewähren sei. Dies gelte auch, wenn der Berechtigte im Zuge eines energetischen Fördermodells eine Beitragsverfügung erhalten hat, die ihm während einer festgelegten Betriebsdauer eine Entschädigung für den produzierten Strom garantiert.

Wenn die Vollzugsbehörden (und allenfalls die Gerichte) diese Einschätzung teilen, wäre gemäss unserer Interpretation folgende Regelung denkbar:

  • Anlagen, welche vom 15 Räppler profitieren (Mehrkostenfinanzierung), benötigen spätestens per 01.01.2036 eine Konzession.

  • Anlagen, welche über die KEV gefördert werden, benötigen nach Ablauf der KEV-Förderdauer eine Konzession. Dies dürfte für die meisten Anlagen in den 30-er Jahren der Fall sein.

  • Bei allen anderen Anlagen, inklusive solcher, welche Investitionsbeiträge erhalten haben, dürfte die Nutzungsdauer gemäss Energieförderungsverordnung EnFV Anhang 2.2, Ziffer 3 zur Anwendung kommen. Wurden Komponenten mit sehr hoher Nutzungsdauer erneuert, ist denkbar, dass eine Entschädigung zur Anwendung kommt, deren Höhe sich auf Basis der Berechnung für Investitionsbeiträge festlegen liesse (lineare Abschreibung).

Unklar bleibt dabei, wie bei sanierungspflichtigen Kraftwerken mit ehehaften Rechten, welche von einem energetischen Fördermodell profitieren, vorgegangen werden muss. Diese müssten zwar erst nach Ablauf der Förderung (also ab 2031 bis ca. 2040) neu konzessioniert werden – wären aber gleichzeitig bei der Sanierung Wasserkraft blockiert (da sie im Rahmen dieser wieder bewilligungspflichtig werden würden und somit ein Konzessionsprojekt ausarbeiten müssten). Sanieren sie erst nach 2030, würden die Kosten für diesen Aufwand nicht mehr vergütet.

Weiterhin viel Klärungsbedarf
Die unterschiedlichen Interpretationen des Bundesgerichtsurteils zeigen, dass weiterhin viel Klärungsbedarf erforderlich ist. Dies gilt umso mehr, als das Urteil nicht nur auf Wassernutzungsrechte, sondern auch auf andere ehehaften Rechte (bspw. Fischerei, Quellnutzung, Forstwirtschaft) Auswirkungen haben dürfte. Es sind daher die Resultate weiterer Kommentare und Gutachten, insbesondere das vom Kanton Zug und weiteren Kantonen in Auftrag gegebene Gutachten zu offenen Vollzugsfragen, abzuwarten. Bis dahin bleibt leider nur die Feststellung, dass nicht nur Erneuerungsarbeiten bei den betroffenen Kraftwerken zumindest vorläufig ausgebremst sind, sondern auch deren ökologische Sanierung, und ein riesiger Scherbenhaufen ohne eigentlichen Gewinner entstanden ist.

Weitere Informationen / Quellen

«Die Abkehr von den ehehaften Wasserrechten», erschienen im Aqua Viva Magazin, Ausgabe 4/2019, Autor Michael Bütler (Verfasser des im Urteil verwendeten WWF Gutachtens). Verlangt eine Übergabefrist von 5 bis 15 Jahren. >>

«120 Jahre ohne Restwasser sind genug», Interview mit Daniel Heusser (WWF) im Aqua Viva Magazin, Ausgabe 4/2019.

Michael Bütler: Zur Ablösung ehehafter Wasserrechte durch Wassernutzungskonzessionen – Besprechung von BGE 145 II 140 >>

Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht ZBI 8/2019, Kommentar von Ass.-Prof. Dr. Martin Föhse der Universität St. Gallen >>

Rechtsgutachten Rechtsfragen im Umgang mit ehehaften Wasserrechten Gutachten von Vincenz & Partner, im Auftrag des Kantons Graubünden >>

Text: Zeitschrift Small Hydro / Petite Hydro des Verbands Swiss Small Hydro

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