Temperaturen in Nordamerika vom 26.12.17–2.1.18: Extreme Kälte auf der einen Seite, extreme Wärme auf der anderen. Quelle Bild: Nasa Earth Observatory

Verteilung der Tagesmittelwerte lokal (links) und global (rechts): Aus globalen Tagesmittelwerten geht der Trend zur Erwärmung deutlich hervor. Quelle Bild: Sippel et al. Nat. Climate Change, 2020

ETH Zürich: Fingerabdruck der Klimaerwärmung ist mittlerweile im Wetter erkennbar

(ETHZ) Klimaforschende können den Fingerabdruck der Klimaerwärmung mittlerweile in den täglichen Wetterbeobachtungen auf globaler Ebene erkennen. Damit ergänzen sie das langjährige Paradigma: Wetter ist nicht gleich Klima, aber der Klimawandel ist inzwischen im täglichen Wetter nachweisbar.


Im Oktober dieses Jahres massen Wetterforscher im US-Bundesstaat Utah die tiefste je im Oktober in den USA (ausserhalb Alaska) gemessene Temperatur: -37,1°C. Der bisherige Oktober-Kälterekord lag bei -35°C. Und manch einer hat sich da wohl gefragt, wo denn der Klimawandel geblieben ist.

Klima ist nicht gleich Wetter
Klima ist eben nicht gleich Wetter, antworteten bisher Klimaforschende. Klima ist das, was man langfristig erwartet, Wetter, was man kurzfristig erhält. Und da das lokale Wetter sehr variabel ist, kann es an einem Ort durchaus kurzfristig sehr kalt sein, trotz langfristiger Klimaerwärmung. Kurz: Die Variabilität des lokalen Wetters verschleiert langfristige globale Klimatrends.

Das gekippte Paradigma
Nun aber hat eine Gruppe von Wissenschaftlern um ETH-Professor Reto Knutti Temperatur-Messwerte und Modelle neu analysiert. Die Wissenschaftler kommen zum Schluss, dass das Wetter-ist-nicht-gleich-Klima-Paradigma in dieser Form nicht mehr gilt. Das Klimasignal, also der langfristige Trend zur Erwärmung, lässt sich gemäss den Forschern tatsächlich aus den täglichen Wetterdaten wie Lufttemperaturen an der Oberfläche und Luftfeuchtigkeit herauslesen, sofern globale räumliche Muster berücksichtigt werden.

Das heisst im Klartext: Es kann trotz Klimaerwärmung sehr wohl im Oktober in den USA einen Kälterekord geben. Ist es zur gleichen Zeit in anderen Regionen überdurchschnittlich warm, dann wird diese Abweichung fast vollständig ausgelöscht. «Um im täglichen Wettergeschehen das Signal für den Klimawandel zu entdecken, ist eine globale Betrachtungsweise nötig, nicht eine regionale», sagt Sebastian Sippel, Postdoktorand bei Reto Knutti und Erstautor einer Studie, die soeben in «Nature Climate Change» erschienen ist.

Fingerabdruck des Klimawandels extrahieren
Um das Klimasignal in täglichen Wetteraufzeichnungen zu detektieren, verwendeten Sippel und Kollegen statistische Lernverfahren und kombinierten auf diese Weise Simulationen mit Klimamodellen und Daten von Messstationen. Statistische Lernverfahren können aus der Kombination der Temperaturen verschiedener Regionen und dem jeweiligen Verhältnis der Erwärmung und Variabilität einen sogenannten «Fingerabdruck» des Klimawandels extrahieren. Durch systematische Auswertung der Modellsimulationen können sie den Klimafingerabdruck in den globalen Messdaten identifizieren, und zwar an jedem beliebigen Tag seit Frühjahr 2012.

Vergleicht man die Variabilität der lokalen und globalen Tagesmitteltemperaturen, zeigt sich, warum die globale Betrachtungsweise wichtig ist. Während lokal gemessene Tagesmitteltemperaturen (selbst nach Abzug jahreszeitlich bedingter Schwankungen) sehr stark schwanken können, so bewegen sich rechnerisch ermittelte globale Tagesmittelwerte in einem sehr engen Bereich.

Vergleicht man nun die Verteilung der globalen Tagesmittelwerte von 1951 bis 1980 mit denjenigen von 2009 bis 2018, dann überlappen sich die beiden Mittelwertverteilungen (Glockenkurven) kaum noch. In den globalen Werten tritt das Klimasignal also deutlich hervor, während es in den lokalen Werten verschleiert wird, da sich die Verteilung der Tagesmittelwerte in den beiden Perioden ziemlich stark überschneiden.

Methode auf Wasserkreislauf anwenden
Die Erkenntnisse dürften breite Implikationen für die Klimawissenschaft haben. «Wetter auf globaler Ebene trägt wichtige Klimainformationen in sich», sagt Reto Knutti. «Diese Informationen könnten beispielsweise für weiterführende Studien genutzt werden, mit denen Änderungen in den Wahrscheinlichkeiten von Extremereignissen, wie zum Beispiel regionale Kältewellen, quantifiziert werden. Diese Studien basieren auf Modellrechnungen, und unser Ansatz könnte dann während solcher regionaler Kältewellen globalen Kontext über den Fingerabdruck des Klimawandels in Beobachtungen liefern. Somit entstehen neue Möglichkeiten für die Kommunikation von regionalen Wetterereignissen vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung.»

Fruchtbare Zusammenarbeit
Die Studie resultiert aus einer Zusammenarbeit der ETH-Klimaforscher mit dem Swiss Data Science Center, das die ETH Zürich gemeinsam mit ihrer Schwesterhochschule EPFL betreibt. «Die vorliegende Arbeit unterstreicht, wie fruchtbar Methoden der Datenwissenschaft für die Klärung von Umweltfragen sind, und das SDSC ist dabei von hohem Nutzen», sagt Knutti.

Methoden der Datenwissenschaft erlauben nicht nur, die Stärke des menschlichen «Fingerabdrucks» nachzuweisen. Sie zeigen auch, an welchen Orten auf dem Globus der Klimawandel besonders klar und früh erkennbar ist. Besonders bedeutend ist dies im Wasserkreislauf, wo die natürlichen Schwankungen von Tag zu Tag und Jahr zu Jahr sehr gross sind. «Damit sollte man in Zukunft auch in anderen komplizierteren Messgrössen wie Niederschlag menschgemachte Muster und Trends erkennen können, die mit traditioneller Statistik schwer nachweisbar sind», sagt der ETH-Professor.

Literaturhinweis
Sippel S, Meinshausen N, Fischer EM, Székely E, Knutti R: Climate change now detectable from any single day of weather at global scale. Nature Climate Change 2019, January 2nd, DOI: 10.1038/s41558-019-0666-7 >>

Text: Peter Rüegg, ETH Zürich

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