Sonia Seneviratne: „Es wird heute kaum mehr bestritten, dass wir uns auf eine Klima-Notsituation zubewegen. Offen ist hingegen, wie wir die CO2-Emissionen effektiv senken. ©Bild: ETH Zürich

Gletscherinitiative: Klimakurs auf 1.5 Grad setzen

(SS) Die Vision einer klimaneutralen Schweiz bis 2050 der Gletscher-Initiative ist weder radikal noch utopisch, sagt Sonia Seneviratne. „Angesichts der Risiken sollten wir dieses Ziel ernsthaft verfolgen. Die aktuellen Massnahmen gegen den Klimawandel sind gänzlich unzureichend, auch in der Schweiz. Am 10. Mai begann hierzulande die Unterschriftensammlung für die Gletscher-Initiative [1].


Als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Initiative und als Hauptautorin des neuen IPCC-Sonderberichts über die globale Erwärmung um 1.5 Grad Celsius [2] ist es mir persönlich und beruflich ein Anliegen, dieses Volksbegehren einzuordnen – denn es ist relevant, wollen wir dem Pariser Abkommen gerecht werden.

Konsistent mit IPCC SR15
Die Gletscherinitiative will den CO2-Ausstoss der Schweiz bis 2050 auf netto Null senken. Gemäss dem IPCC-Sonderbericht ist dies vereinbar mit einer auf 1.5 Grad begrenzten Erderwärmung, sofern der Rest der Welt das Gleiche tut. Als hoch entwickeltes Land verfügt die Schweiz über die besten Voraussetzungen, um zu zeigen, wie das gelingen kann.

Im Idealfall wäre es sogar noch besser, die CO2-Neutralität früher zu erreichen, zum Beispiel 2040, um die 1.5-Grad-Grenze möglichst nicht zu überschreiten und einigen Entwicklungsländern mehr Zeit zu gewähren, ihre Energieversorgung umzustellen. Immerhin: Eine Frist bis 2050 für netto Null Emissionen würde zumindest sicherstellen, dass die Schweiz nicht dazu beiträgt, das Erwärmungsziel von 1.5 Grad zu überschiessen.

Wir müssen handeln – jetzt!
Der IPCC SR15 Bericht zeigt zudem, dass wir unsere CO2-Emissionen bis 2030 mindestens halbieren müssen, um 1.5 Grad nicht zu überschreiten. Angesichts unserer trägen Gesellschaft (beispielsweise gebundene Emissionen durch bestehende Infrastruktur) bedeutet dies schlicht: Wir müssen umgehend beginnen.

Zudem ist es gefährlich, die 1.5 Grad-Limite substantiell zu überschreiten (also um mehr als 0.1 Grad) und erst später zu reduzieren. Das könnte zu irreversiblen Schäden führen [3], zum Beispiel könnten verschiedene Pflanzen- und Tierarten aussterben [4].

Ein ambitioniertes, aber realistisches Ziel
Da überschüssiges CO2 sehr lange in der Atmosphäre verbleibt, bis zu mehreren 100 bis 1000 Jahren, sollten wir uns ernsthaft darauf konzentrieren, wie wir den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bewältigen können. Ein Netto-Null-CO2-Ausstoss bis im Jahr 2050 bedingt einen echten Paradigmenwechsel. Aber bedeutet das weniger Lebensqualität? Oder dass dieses Ziel unrealistisch ist? Der jüngste Bericht des britischen Ausschusses für Klimawandel (CCCUK) legt nahe, dass dies nicht der Fall ist [5].

Für das Vereinigte Königreich, das der Schweiz in vielem ähnlich ist, kommt das CCCUK zum Schluss, dass bis 2050 ein CO2-Budget von netto Null durchaus erreichbar ist, einschliesslich der Emissionen von Fliegerei und Schifffahrt. Die Kosten werden auf ein bis zwei Prozent des BIP geschätzt, wobei neben den vermiedenen Auswirkungen zahlreiche Vorteile für Wirtschaft und Gesellschaft entstehen.

Dekarbonisierung diskutieren
Es wird heute kaum mehr bestritten, dass wir uns auf eine Klima-Notsituation zubewegen [6]. Offen ist hingegen, wie genau wir die CO2-Emissionen effektiv senken. Ich bin überzeugt, dass die Initiative auch eine fruchtbare Debatte über die geeigneten Lösungswege hin zur einer CO2-freien Wirtschaft und Gesellschaft ermöglichen wird.“

Referenzen
1 Klimaschutz Schweiz >>

2 IPCC special report on 1.5°C global warming: IPCC SR15

3 Seneviratne et al. (2018): The many possible climates from the Paris Agreement's aim of 1.5°C warming >>, Nature. 558, 41-49

4 Science (2018): The projected effect on insects, vertebrates, and plants of limiting global warming to 1.5°C rather than 2°C >>

5 UK Committee on Climate Change (CCCUK): Net Zero – The UK’s contribution to stopping global warming >>

6 Science (2019): Concerns of young protesters are justified >>

Text: Sonia Seneviratne, ETH Zukunftsblog, ETH Zürich

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