Auf der Remap-Plattform können Studierende, Forschende und Industriepartner komplexe Zusammenhänge des Energiesystems realitätsnah überprüfen. ©Bild: ETH Zürich/ Energy Science Center

Energieforschungsplattform Remap: Ermöglicht Einsichten in die vernetzte Energiezukunft

(FM) Wie verändert sich der künftige Stromverbrauch in der Schweiz, wenn mehr Konsumenten lokale Energiespeicher nutzen? Was bedeutet das für die Netze, die Tarife und den Datenschutz? Solche vernetzten Fragen zu untersuchen, ist das Ziel der gemeinsamen Energieforschungsplattform Remap der ETH Zürich, des Paul Scherrer Instituts und der Empa.


Was wird in Zukunft wichtiger: Privatsphäre oder Kosteneffizienz? Diese Frage hat Gabriela Hug, ETH-Professorin für elektrische Energiesysteme, im Hinblick auf langfristige Veränderungen in der Energieversorgung untersucht. Ihr Lösungsansatz zeigt auf, wie Stromverbraucher in Zukunft einen lokalen Speicher nutzen könnten, um sowohl die Belastung des Stromnetzes insgesamt zu optimieren als auch um ihre eigenen Energiekosten zu senken und ihre Privatsphäre zu schützen.

Neue Herausforderungen
Einerseits stellt die zunehmende Bedeutung von erneuerbaren Energien neue Herausforderungen an das Stromnetz. Das Netz muss stets die Strommenge liefern, die die Verbraucher tatsächlich beziehen. Mit der steigenden Stromproduktion durch Windkraft und Sonnenenergie wird es – im Vergleich zum derzeit vorherrschenden Mix aus fossilen Energieträgern, Wasserkraft und Kernkraft – eine immer grössere Herausforderung, Produktionsschwankungen auszugleichen.

Auf der anderen Seite bieten technische Entwicklungen wie etwa Batteriespeicher oder intelligente Stromzähler (engl. Smart Meter) den Konsumenten auch die Chance, dass sie künftig Schwankungen der verfügbaren Strommenge selber ausgleichen können. Eine Voraussetzung dafür ist, dass man zuhause oder in der Nachbarschaft auf einen Speicher zugreifen kann, über den sich auch dann Strom beziehen lässt, wenn die Produktion zu gering ist – zum Beispiel, weil kein Wind weht oder die Sonne nicht scheint.

Flexibler Konsument und lokale Intelligenz
Speziell im Verteilnetz, das den privaten Haushalten und Konsumenten den Strom ins Haus bringt, könnten digitale Geräte dazu beitragen, die Netzbelastung zu optimieren. Digitale Smart Meters messen den Stromverbrauch regelmässig in kurzen zeitlichen Abständen. Damit liefern sie eine Datengrundlage, die künftig auch Energieverbraucher nutzen könnten, um ihren Stromverbrauch flexibler zu gestalten.

Besonders am Abend erreicht der Stromverbrauch jeweils eine Spitze, wenn man nach Hause kommt, das Nachtessen kocht und Geräte wie Waschmaschine, TV oder PC benutzt. In Zukunft dürfte der Energiebedarf just in dieser Phase weiter ansteigen: dann nämlich, wenn mehr Personen auf Elektroautos umsteigen und diese zuhause aufladen. Mit digitalen Geräten liesse sich der Stromverbrauch jedoch zeitlich staffeln, wodurch man die Belastungsspitzen brechen könnte. Wenn man abends das Elektroauto an die Ladestation anschlösse, würde die Batterie nicht sofort geladen, sondern erst später in der Nacht.

Verteilte Optimierung und lokale Intelligenz
In der Energieforschung spricht man bei staffelbaren Strombezügen von einer flexiblen Last – oder vom flexiblen Konsumenten. Gabriela Hug erforscht, wie man das mit verteilter Optimierung und lokaler Intelligenz nutzen kann. Dabei erfolgt die Entscheidung, wann und wie man Strom bezieht, zumindest teilweise lokal beim Verbraucher. «Dank der neuen Technologien können die Konsumenten die Energie effizienter nutzen und zugleich an der Lastverteilung teilnehmen», sagt Hug. Im Endeffekt könnte sich der Gesamtverbrauch so «abflachen» und gleichmässiger verteilen.

Kosteneffizienz oder Schutz-Algorithmus?
Eine entscheidende Rolle spielen die Preise, da sie das Verhalten der Verbraucher beeinflussen: In Zukunft, sagt Hug, könnten die Strompreise variabler sein. Heute gibt es nur Hoch- und Niedertarife. Für die Konsumenten hätten variablere Tarife den Vorteil, dass sie auswählen und ihre Energiekosten senken könnten. Wer zum Beispiel den Strom aus einem Speicher bei sich zuhause bezöge, könnte die Tarife optimal auszunutzen. Nur: Die Smart Meter, die das ermöglichen, haben auch Risiken.

Privatsphäre schützen
Schliesslich können die Daten von Smart Metern oder Speichern auch das Verbraucherverhalten offenlegen: Neben Energieverbrauchsprofilen liessen sich auch Lebensstilmuster herauslesen. Dies birgt Risiken für die Privatsphäre der Verbraucher. Im Rahmen der europäischen Forschungsinitiative Chist-Era hat ein Doktorand von Hug ein Modell entwickelt, wie sich die Privatsphäre der Verbraucher schützen lässt und die Vorteile intelligenter Zähler für das Stromnetz trotzdem zur Geltung kommen. Der Lösungsansatz des im Frühjahr 2019 abgeschlossenen Projekts setzt auf lokale Energiespeicher, die den überschüssigen Strom speichern.

Hugs Gruppe entwickelte einen Schutz-Algorithmus, der die Verbrauchsdaten so verfremdet, dass der individuelle Energieverbrauch eines Verbrauchers geschützt ist. Im theoretischen Modell hat der Energiespeicher einen Schalter. Diesen kann ein Verbraucher selber so einstellen, dass entweder seine Privatsphäre geschützt ist – dann hat er aber nicht die volle Tariffreiheit – oder dass er die eigenen Energiekosten optimieren kann – dann sind seine Verbrauchsdaten offener nachvollziehbar. Das Beispiel zeigt, wie viele Ebenen und Abhängigkeiten der Wandel des Energiesystems umfasst. Wie gut das theoretische Modell des Schalters deshalb in der Praxis funktioniert, möchte Hug nun möglichst realistisch testen. Gleiches gilt auch für das Konzept der lokalen Intelligenz.

Remap: Renewable Management and Real-Time Control Platform
Eine neue Plattform, die zu diesem Zweck aufgebaut wird, ist Remap oder «Renewable Management and Real-Time Control Platform». Darin werden verschiedene Forschungsprojekte und -plattformen zusammengeführt. Das Ziel ist, besser zu verstehen, wie die Wechselwirkungen zwischen den Technologien zur Produktion, Umwandlung und Speicherung von Energie den Wandel des Energiesystems beeinflussen, und wie sich diese Wechselwirkungen optimieren lassen

Forschungsresultate realitätsnah prüfen
Remap ist eine gemeinsame Forschungsplattform der ETH Zürich, des Paul Scherrer Instituts und der Empa. Sie wurde unter der Federführung des ETH Energy Science Centers Ende 2018 lanciert und wird nun schrittweise ausgebaut. Um die Zusammenhänge zwischen Quartierebene, Verteilnetz, Energiemanagement, Gebäuden und Mobilität möglichst realitätsnah zu erforschen, wird Remap mit Forschungsinfrastrukturen des PSI in Villigen und der Empa in Dübendorf verbunden. Dazu zählen die Energy System Integration-Plattform ESI des PSI sowie die Energieforschungsplattform ehub, die Mobilitätsplattform move und das Forschungs- und Innovationsgebäude NEST der Empa. Remap wird vom Bundesamt für Energie (BFE) und der ETH Foundation unterstützt. Die Plattform steht auch anderen Universitäten, Hochschulen und der Industrie offen.

«Die Vernetzung der Plattformen dient dazu, dass man innovative Ansätze in einer realitätsnahen Testumgebung überprüfen und so die Umsetzung im realen Netz unterstützen kann», sagt Hug, die die projektverantwortliche Forscherin bei Remap ist. Der Speicher mit Schalter liesse sich zum Beispiel im NEST testen und mit Daten über Netzschwankungen aus der ESI-Plattform verknüpfen. «Remap stellt die Brücke zwischen Forschung und industrieller Anwendung her – und das in dem für die Schweiz so wichtigen Energiemarkt», sagt Detlef Günther, ETH-Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen, «umso mehr freut es mich, dass die Energieforschenden der ETH, des PSI und der Empa diese Aufgabe gemeinsam angehen.» Für Günther zeigt Remap die Stärke des ETH-Bereichs: «Nur durch komplementäre Investitionen und Anstrengungen können wir einen signifikanten Beitrag zu diesem überaus wichtigen Thema leisten.»

Literaturhinweis
Chin, J. X., Tinoco De Rubira T., Hug, G.: Privacy Protecting Energy Management Unit through Model-Distribution Predictive Control. Special Issue on Distributed Control and Efficient Optimization Methods for Smart Grid, IEEE Transactions on Smart Grids, Vol. 8, No. 6, pp. 3084 – 3093, 2017, doi: 10.1109/TSG.2017.2703158

Text: Florian Meyer, ETH Zürich

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