Konstantinos Boulouchos: «Wir sollten die Chancen nutzen und unser Know-how und die Infrastruktur im Bereich erneuerbarer, synthetischer Treibstoffe ausbauen.»

Konstantinos Boulouchos: Der (lange) Weg zum klimaneutralen Strassentransport

(KB) Die Massnahmen der EU und der Schweiz genügen nicht, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, insbesondere um die Mobilität zu dekarbonisieren. Denn die Zeit läuft uns davon. Angesichts der Risiken steigender Temperaturen sind umfassende politische und legislative Massnahmen notwendig. Um das von den meisten Länder unterzeichnete Abkommen von Paris zu erreichen und die Erderwärmung auf weniger als zwei Grad zu begrenzen, sollten ab 2015 die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen rund 800 Gigatonnen (GT) nicht überschreiten [1].


Gemessen am Anteil an der Weltbevölkerung beträgt das verbleibende CO2-Budget für die EU 50 Gt. Nimmt man die gleiche Dekarbonisierungsrate an wie beim Energiesektor, so muss der europäische Verkehrssektor bis 2040 praktisch emissionsfrei sein. Die EU hat verschiedene Reduktionsziele festgelegt [2], doch selbst die ehrgeizigsten werden das Pariser Abkommen weit verfehlen.

Jetzt die Weichen stellen
Im Jahr 2016 betrug in Europa der Anteil des Transportsektors an den gesamten Treibhausgasemissionen (THG) 24 Prozent [3], in der Schweiz sogar 38 % [4]. In beiden Fällen wachsen diese Anteile weiter, wobei der Strassentransport am stärksten dazu beiträgt (rund 3/4), gefolgt vom Luft- und Schiffverkehr [4, 5]. Es braucht also drastische und wirksame Massnahmen, die sowohl die Nachfrage nach Transportdiensten als auch die Angebotsseite miteinbeziehen – im Personenverkehr und im Gütertransport.

Ich bin mir bewusst, dass sich die Art, wie wir Menschen und Güter transportieren, nicht über Nacht verändern wird. Das Transportsystem ist ein komplexes Zusammenspiel von Mobilitätsdienstleistungen, Fahrzeugflotten und Infrastrukturen mit unterschiedlichen Lebenszeiten und Energieträgern. Hinzu kommen verschiedene Verhaltens- und Konsummuster, die noch schwieriger zu beeinflussen sind. Umso dringender ist es, den künftigen Kurs jetzt festzulegen.

Anleitung zum CO2-freien Transport
Ich bin überzeugt: Angesichts der Risiken steigender Temperaturen sind umfassende politische und legislative Massnahmen notwendig. Doch welche Rahmenbedingungen können die Dekarbonisierung des Transports begünstigen, ohne den ökonomischen und sozialen Wohlstand zu gefährden? Im Rahmen einer Arbeitsgruppe des European Academies’ Science Advisory Council (EASAC) haben wir diese Fragen untersucht. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht [6] skizzieren wir, worauf die europäische Politik fokussieren sollte, um die THG-Emissionen im Transportwesen radikal zu senken.

Eine kurze Übersicht:

  • Eine hohe Priorität muss sein, das Nachfragewachstum nach konventionellem, motorisiertem Transport einzudämmen.
  • Wichtig dafür ist der Wechsel auf effizientere Betriebsmodi, was massive Investitionen in den ÖV, insbesondere in die Eisenbahn bedingt. Bedenkt man, dass fossile Brennstoffe weltweit jährlich mit 300 bis 400 Milliarden Euro subventioniert werden, wäre eine Umverteilung von Mitteln ein erster Schritt, um dies zu finanzieren.
  • Mit Blick auf den Strassentransport braucht es ein optimiertes Fahrzeugdesign und eine Förderung effizienterer (hybrider) Antriebssysteme sowie von Fahrzeugen optimaler Grösse, die mit CO2-armen Treibstoffen fahren.
  • Eine breit implementierte elektrische Mobilität muss mit dem Ausbau erneuerbare Energien und verbesserter Batterietechnik einhergehen.
  • Eine wesentliche Rolle spielt der EU-Emissionshandel (EU ETS), da Transport-, Industrie- und Bausektor künftig im Wettbewerb um Emissionszertifikate stehen werden.
  • Der Langstreckentransport (einschliesslich Luft- und Schifffahrt) wird herausfordernd, da hier Batterien den Bedürfnissen kaum gerecht werden. Es braucht dafür wohl synthetische Treibstoffe (wie Wasserstoff und Kohlenwasserstoffe) aus erneuerbarer Energie, und eine kosteneffizient implementierte Infrastruktur.
  • Um einen fairen Wettbewerb für alle Technologien und Energieträger zu garantieren und Importe von CO2-intensiven Produkten zu vermeiden, sollten Lebenszyklus-Emissionen (von der Wiege bis zur Bahre) als generelle Vergleichsbasis dienen.

Implikationen für die Schweiz
All diese Empfehlungen sind relevant für die Schweiz, da sie ihre Klimapolitik langfristig mit der EU abstimmen muss. Für eine CO2-arme hiesige Stromproduktion ist es entscheidend, wie die Schweiz in den EU-ETS integriert wird. Zu guter Letzt: Schweizerinnen und Schweizer stehen im weltweiten Vergleich weit oben auf der Rangliste der Vielflieger. Gleichzeitig sind hierzulande einige führende Technologie-Lieferanten der Automobil- und Schiffantriebindustrie ansässig. Wir sollten deshalb die Gelegenheit nutzen und unser Know-how sowie die Infrastruktur im Bereich erneuerbar, synthetischer Treibstoffe ausbauen – um so Synergien zwischen dem Schutz des Klimas und der Stärkung der Schweizer Industrie zu schaffen.

Konstantinos Boulouchos leitete den Easac-Bericht «Decarbonisation of Transport». Er verfasste diesen Beitrag zusammen mit Kirsten Oswald, Projektmanagerin beim Sccer Mobility und Mitglied der entsprechenden Easac-Arbeitsgruppe.


Weiterführende Informationen
Der Bericht «Decarbonisation of Transport: options and challenges» 6 des European Academies Science Advisory Council (EASAC) wurde erstmals am 20. März in Brüssel der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 5. April wurde er in Bern präsentiert.

1 International Energy Agency & International Renewable Energy Agency. 2017. Perspectives for the energy transition >>
2 European Environment Agency. 2018. Total greenhouse gas emission trends and projections >>
3 Eurostat. 2018. Greenhouse gas emission statisticsemission inventories >>
4 Bundesamt für Umwelt. 2018. Treibhausgasemissionen der Schweiz 1990-2016 >>
5 European Environment Agency. 2018. Greenhouse gas emissions from transport >>
6 European Academies’ Science Advisory Council. 2019. Decarbonisation of transport: options and challenges >>


Text: Konstantinos Boulouchos, ETH Zürich

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