Der 'Altbau standard' gemäss HLSU-Studie: Der Altbau stammt aus dem Jahr 1954 und wurde mit Backsteinfassade und Stahlbetondecken errichtet. ©Bild: CCTP, HSLU

Der 'Altbau geschützt' gemäss HSLU-Studie: Das Gebäude wurde 1929 errichtet und 2013 saniert. Es steht unter Denkmalschutz. ©Bild: CCTP, HSLU

Wegen der erwarteten Temperaturerhöhung im Zuge des Klimawandels nimmt für alle vier untersuchten Gebäude der Heizwärmebedarf ab und der Klimakältebedarf zu. ©Grafik: IGE/HSLU

Fensterfronten schaffen lichtdurchflutete Räume, aber auch einen erhöhten Kühlbedarf. ©Bild: B. Vogel

Die fett ausgezogene Linie zeigt im Jahresverlauf die für den Standort Basel erwartete Temperaturzunahme im Zuge des Klimawandels (Zeitraum 2045-2074 im Vergleich zum Zeitraum 1980-2009). ©Grafik: IGE/HSLU

Der 'Neubau massiv' gemäss HSLU-Studie: 2017 erbaute Minergie-Gebäude. Die Massivbauten haben einen automatisierten Sonnenschutz sowie eine mechanische Lüftungsanlage. ©Bild: B. Vogel

Der 'Neubau hybrid' gemäss HSLU-Studie: Das 2014 errichtete Gebäude besteht vorwiegend aus Holz. ©Bild: Renggli AG, Sursee

Der Architekt Gianrico Settembrini hat gemeinsam mit einem Team der Hochschule Luzern Technik & Architektur die Folgen des Klimawandels auf Wohngebäude untersucht. ©Bild: B. Vogel

Wenn es in Innenräumen zu warm wird, helfen sich die Bewohner mitunter selber, indem sie elektrisch betriebene, meist ineffiziente Klimageräte einsetzen. ©Bild: G. Settembrini

HSLU-Forschung Climabau: Wenn Kühlen wichtiger wird als Heizen … ein markanter Anstieg des Energiebedarfs zeichnet sich ab

(BV) Praktisch jedes Schweizer Wohngebäude verfügt über eine Heizung, erst wenige hingegen über ein Kühlsystem. Dieser Standard in der Gebäudetechnik wird durch den erwarteten Temperaturanstieg im Zuge des Klimawandels in Frage gestellt. Die Kühlung von Wohngebäuden dürfte in Zukunft nämlich stark an Bedeutung zulegen und neben der Heizungmassgeblich zum Energiebedarf von Gebäuden beitragen. (Texte en français >>)


Das konstatiert eine Studie der Hochschule Luzern (HSLU), sie formuliert zudem eine Reihe von Empfehlungen für Gebäudeplaner.

Trägt Klimawandel zu Energiesparzielen im Gebäudebereich bei?
Schweizer Wohngebäude werden im Winterhalbjahr und bedarfsweise in der Übergangszeit geheizt. Heizwärme wird über das Jahr also während einer langen Periode benötigt. Vor dem Hintergrund dieser Alltagserfahrung würde man erwarten, dass der für die kommenden Jahrzehnte erwartete Temparaturanstieg im Zuge des Klimawandels den Bedarf für Heizwärme vermindert und den dafür notwendigen Energiebedarf senkt. Die Erhöhung der durchschnittlichen Aussentemperatur, so möchte man glauben, könnte dann sogar einen Beitrag leisten, den Energiebedarf des Schweizer Gebäudeparks zu senken. Der Klimawandel würde also – um es pointiert zu sagen – mithelfen, um die Energiesparziele im Gebäudebereich zu erfüllen.

Markanter Anstieg des Kühlbedarfs
Ein Forscherteam des Instituts für Gebäudetechnik und Energie (IGE) der Hochschule Luzern – Technik & Architektur hat nun in einer Studie die Folgen des Klimawandels auf Wohngebäude untersucht. Die Untersuchung bestätigt, dass der Heizenergiebedarf im Zuge des Klimawandels sinken wird. Das ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Wegen der erwarteten Temperaturerhöhungen müssen Wohnräume künftig nämlich deutlich mehr gekühlt werden, wie Co-Autor Gianrico Settembrini, Leiter Forschungsgruppe Nachhaltiges Bauen und Erneuern am IGE, ausführt: „Die heutigen Neubauten sind so gut wärmegedämmt, dass eine Erhöhung der durchschnittlichen Aussentemperatur den Heizenergiebedarf nur unwesentlich senkt. Hingegen bringt der Temperaturanstieg im Zuge des Klimawandels einen markanten Anstieg des Kühl- und damit des Energiebedarfs.“ Settembrini, diplomierter Architekt ETH/SIA, hat die Studie gemeinsam mit einem Forscherteam der HSLU verfasst. Die Arbeit wurde von den Bundesämtern für Energie (BFE) und für Umwelt (BAFU) finanziell unterstützt.

Zwei Alt- und zwei Neubauten untersucht
Bereits früher hatten Gebäudeexperten der Hochschule Luzern – Technik & Architektur die Folgen des Klimawandels untersucht, damals in Bezug auf Bürogebäude. Sie waren zum Schluss gelangt, die Folgen des Klimawandels müssten bei der Auslegung der Kühlsysteme berücksichtigt werden (siehe BFE-Fachartikel 'Gebäudeplaner wappnen sich gegen Klimawandel', abrufbar unter www.bfe.admin.ch/CT/gebaeude). Die neue Studie richtet das Augenmerk nun auf Wohnbauten. Hier spielt die Gebäudetechnik eine weniger zentrale Rolle als bei Verwaltungsbauten. Im Vordergrund steht vielmehr, wie planende Architekten dem erwarteten Anstieg der Durchschnittstemperatur vorausschauend entgegenwirken können.

Die Luzerner Forscher haben die Auswirkungen des Klimawandels anhand von vier existierenden Mehrfamilienhäusern untersucht (vgl. Fotos links). Darunter waren zwei Neubauten (Massivbau nach Minergie-Standard; fortschrittlicher Holz-Hybridbau) und zwei Altbauten, einer davon denkmalgeschützt. Um die berechneten Werte vergleichen zu können, nahmen die Wissenschaftler in der ersten Projektphase für alle Gebäude einen Standort in Basel an. Die Wissenschaftler legten ihren Berechnungen das mittlere Klimaszenario (A1B) des Weltklimarats (IPCC) für den Zeitraum 2045 bis 2074 zugrunde. Nach diesem Szenario wird in diesem 30-Jahres-Zeitraum die Aussentemperatur in der Schweiz durchschnittlich um 2 °C höher sein als in der Vergleichsperiode 1980 bis 2009. Die Resultate der Studie zeigen erhebliche Unterschiede zwischen Neubauten und Altbauten (vgl. Grafik links). Wenn nachfolgend von ‚Periode 1980/2009‘ bzw. ‚Periode 2045/2074‘ die Rede ist, ist jeweils der Medianwert der 30 Jahreswerte der Periode gemeint.

Was bei Heizwärme wegfällt, entsteht neu als Bedarf für Kühlung
Am markantesten sind die Auswirkungen des erwarteten Temperaturanstiegs bei den Neubauten. Als repräsentatives Gebäude für den heutigen Baustandard haben die Wissenschaftler einen 2017 errichteten Minergiebau ausgewählt. Die Simulationen führen zu folgendem Ergebnis: Der Heizenergiebedarf sinkt von Periode 1980/2009 zu Periode 2045/2074 von 8.6 auf 5.8 kWh/m2a (also -2.8 kWh/m2a bzw. -32%), der Klimakältebedarf hingegen steigt von 0.4 auf 3.0 kWh/m2a (also +2.6 kWh/m2a bzw. +703%). Das heisst: War der Kältebedarf in Periode 1980/2009 gegenüber dem Heizwärmebedarf praktisch noch zu vernachlässigen, wird der Kältebedarf in Periode 2045/2074 mehr als die Hälfte des Heizenergiebedarfs betragen. Pointiert formuliert: Was an Bedarf bei der Heizwärme wegfällt (-2.8 kWh/m2a), entsteht neu als Bedarf für Kühlung (+2.6 kWh/m2a).

Noch pointierter ist das Ergebnis, wenn man einen sehr warmen Sommer des Zeitraums 2045 bis 2074 betrachtet: Dann würde der Klimakältebedarf (8.2 kWh/m2a) jenen für die Heizwärme (5.0 kWh/m2a) sogar übersteigen. Diese insgesamt markante Umlagerung von der Heizung zur Kühlung wird auch augenscheinlich, wenn man die Zahl der Überhitzungsstunden betrachtet, also die Stunden, an denen die in der SIA-Norm 180 (2014) definierten Werte für behagliches Wohnen überschritten sind. Ist aktuell (Zeitraum 1980 bis 2009) in einem sehr warmen Sommer mit 200 Überhitzungsstunden zu rechnen, wären es in einem sehr warmen Sommer im Zeitraum 2045 bis 2074 nahezu 900 Stunden, was rund einem Fünftel des gesamten Sommerhalbjahres entspricht. In den oben genannten Werten ist der zusätzliche Kühlbedarf, der sich in Städten durch den Klimainseleffekt (eine Folge von dichter Bebauung und starker Versiegelung des Bodens) ergibt, noch nicht berücksichtigt. Mit einem ebenfalls nochmals deutlich erhöhten Klimakühlbedarf ist an warmen Standorten wie dem Tessin zu rechnen. In Lugano wäre in einem sehr warmen Jahr zwischen 2045 und 2074 mit 1'400 Überhitzungsstunden zu rechnen, nahezu ein Drittel des gesamten Sommerhalbjahres.

Altbauten halten die Wärme fern
Ein anderes Bild zeigen die Simulationen der HSLU-Wissenschaftler bei den Altbauten, die im allgemeinen deutlich schlechter gedämmt sind als Neubauten: Zwar nimmt auch hier der Wärmebedarf im Zuge des Klimawandels ab und der Kühlbedarf nimmt zu, allerdings in ganz anderen Grössenordnungen. Beim 'Altbau standard' sinkt der Heizwärmebedarf von 119.5 auf 97.0 kWh/m2a (-22.5 kWh/m2a bzw. -19%), während der Klimakältebedarf von 0.0 auf 0.7 kWh/m2a nur unmerklich zunimmt. Der Heizwärmebedarf liegt hier also weiterhin weit über dem Klimakältebedarf. Ähnlich fällt der Befund beim zweiten untersuchten Altbau ('Altbau geschützt') aus. Hierzu halten die HSLU-Forscher fest: „Hinsichtlich der Behaglichkeit in der Sommerperiode zeigten Altbauten bedeutend bessere Werte als die Neubauten. Dies hat mit den typologischen Eigenschaften – in erster Linie mit dem Fensteranteil – der jeweiligen Gebäude zu tun.“

Unter dem Strich bleibt das Fazit: Bei Altbauten wird auch in Periode 2045/2074 die Behaglichkeit in den Wohnräumen gegeben sein. Bei Neubauten hingegen ergibt sich gegenüber heute (Periode 1980/2009) ein massiv höherer Kühlbedarf. Dieser kann durch mechanische Kühlsysteme sichergestellt werden, was zu einer Erhöhung des Energiebedarfs führt. Zumindest ein Teil des Kühlbedarfs lässt sich aber auch ohne Zusatzenergie decken, indem nämlich die Bewohner abends, über Nacht und/oder morgens die Fenster öffnen und damit die tieferen Nachttemperaturen für die Kühlung nutzen. Immer vorausgesetzt, Strassenlärm oder Einbruchsgefahr und andere Umstände stehen dem nicht entgegen.

Verhalten der Bewohner ist zentral
Das Verhalten der Bewohner ist einer der wichtigen Faktoren, um dem absehbaren, zusätzlichen Kühlbedarf bei Wohngebäuden Herr zu werden. Die HSLU-Forscher empfehlen in ihren Schlussfolgerungen, Sonnenschutzsysteme so zu konzipieren, dass die einfache Bedienung sichergestellt ist. Die Forscher kommen zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass sich der gesamte zusätzliche Klimakältebedarf auch in Neubauten selbst in sehr warmen Jahren der Periode 2045 bis 2074 über konsequenten Sonnenschutz und natürliches Lüften decken lasse: „Die Simulationsergebnisse der Studie zeigen, dass die Behaglichkeit in Wohnbauten durch optimales Lüftungsverhalten und optimale Nutzung des Sonnenschutzes auch in warmen Jahren dieser Periode genügend sichergestellt werden kann.“

Da man aber nicht davon ausgehen kann, dass die Bewohner sich immer optimal um die Raumtemperatur kümmern bzw. kümmern können, formulieren die HSLU-Forscher eine Reihe von Anregungen und Empfehlungen zuhanden von Architekten und Gebäudetechnikplanern. So erachten sie die Automatisierung elektrischer Sonnenschutzsysteme als sinnvoll. Auch die Automatisierung der Fenster zur Förderung der natürlichen Kühlung sei „ein untersuchenswerter Ansatz“, schreiben die Forscher. Mechanische Lüftungssysteme, da wo sie eingesetzt werden, sollten nicht wie bisher auf den Winterfall ausgelegt werden, sondern so, dass sie „auf den Sommerfall angemessen reagieren können“.

Gegenmassnahmen bei grossen Fensterflächen
Da die grossen Fensterflächen in Neubauten den wachsenden Kühlbedarf massgeblich verursachen, sehen die Wissenschaftler bei der Befensterung (Qualität, Ausrichtung, Fläche, Öffnungsmöglichkeit, Beschattung usw.) einen wichtigen Anknüpfungspunkt für Planer. „Durch eine Reduktion des Fensteranteils lassen sich die Behaglichkeit und die Energiebilanz in Wohnbauten heute – und noch verstärkt in der Zukunft – massgeblich verbessern“, schreiben die Wissenschaftler und ergänzen: „Angesichts des immensen Einflusses des Fensteranteils auf den Energiebedarf sowie der Behaglichkeit erscheinen diesbezüglich differenzierte Normvorgaben oder Vorschriften denkbar. Ein ausserordentlich hoher Fensteranteil könnte beispielsweise an spezifische Massnahmen zur Gewährleistung von Behaglichkeitskriterien gekoppelt werden. Dies können zwingende Vorgaben zu Free Cooling oder Geocooling sein.“

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Die zwei Seiten der Leichtbauweise
Die Untersuchung der Hochschule Luzern – Technik & Architektur hat neben zwei Altbauten und einem massiv ausgeführten Neubau auch ein Gebäude mit einbezogen, das in Holz-Hybridbauweise ausgeführt wurde (vgl. Foto links). Das Gebäude besteht überwiegend aus vorgefertigten Teilen und nutzt ein Tragwerk aus Holz- und Stahlstützen. Keller und Treppenhaus sind betoniert, die Unterlagsböden mit Bodenheizung aus Zement gefertigt. Das Bundesamt für Energie hatte das Gebäude im Rahmen seines Pilot- und Demonstrationsprogramms gefördert (vgl. Fachartikel 'Energieeffizienz im Baukastensystem', abrufbar unter: www.bfe.admin.ch/CT/gebaeude).

Der Holz-Hybridbau hat eine geringere Wärmespeicherfähigkeit und schneidet deshalb hinsichtlich Behaglichkeit und Kältebedarf leicht schlechter ab als ein Massivbau, wie die HSLU-Forscher in ihrer Studie zeigen. Dasselbe gilt – in geringerem Mass – für den Heizenergiebedarf. Der gleiche Befund trifft, in ausgeprägterem Ausmass, auf klassische Leichtbaukonstruktionen zu. Die Leichtbauweise hat aber auch Vorzüge mit Blick auf die energetische Gesamtbilanz, welche den Erstellungsaufwand der Gebäude mit berücksichtigt. Insbesondere bei den Treibhausgasemissionen dürften Leichtbaukonstruktionen besser abschneiden als Massivbauten, stellen die Luzerner Gebäudeexperten in ihrer Studie fest. Holzkonstruktionen seien auch in Zukunft durchaus sinnvoll, wenn durch spezifische Massnahmen eine genügende Wärmespeicherfähigkeit erzielt werden

Schlussbericht des Projekts: ClimaBau – Planen angesichts des Klimawandels: Energiebedarf und Behaglichkeit heutiger Wohnneubauten bis im Jahr 2100 >>

Auskünfte zu dem Projekt erteilt Rolf Moser (moser[at]enerconom.ch), Leiter des BFE-Forschungsprogramms Gebäude und Städte.

Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Gebäude und Städte >>

Text: Dr. Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)








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