Kristina Orehounig leitet die Abteilung Urbane Energiesysteme an der Empa und unterrichtet an der ETH Zürich. ©Bild: Nils Appenzeller/Brenet

Gebäudesimulation des neuen Spitalzentrums Oberwallis in Brig mit elf Geschossen und insgesamt 2100 Räumen. ©Bild: Gruner Roschi AG

Peter Gallinelli lehrt und forscht an der Westschweizer Hochschule für angewandte Wissenschaften Genf. Über sein 'passive igloo project' berichtete er am Status-Seminar in Zürich. ©Bild: Nils Appenzeller/Brenet

Ein Projektteam unter der Leitung der Fachhochschule Nordwestschweiz untersucht mit der Hochschule Luzern Technik&Architektur die Beeinträchtigung der Bewohner durch Zugluft bei passiven Fensterlüftern. ©Bild: FHNW/HSLU

„Es passiert unfassbar viel, was mit Klima zu tun hat, aber das Klima spielt dabei eigentlich keine Rolle.“ Der Soziologe Harald Welzer formulierte in seiner Keynote provokative Thesen. ©Bild: Nils Appenzeller/Brenet

Kann ein Investor seine Rendite steigern, wenn er eine energetische Sanierung mit einer Gebäudeerweiterung kombiniert? Nein, zeigt ein Forschungsprojekt der Hochschule für Landschaft, Technik und Architektur in Genf. ©Bild: Hepia

Peter Schwehr – Professor an der Hochschule Luzern Technik&Architektur – kam in seinem Keynote-Referat auf den Verdrängungswettbewerb im Berner Länggassquartier zu sprechen. ©Bild: Nils Appenzeller/Brenet

Am Empa-Labor für Materialien und Komponenten für energieeffiziente Gebäude haben Wissenschaftler einen Dämmziegel entwickelt, der mit dem stark wärmedämmenden Material Aerogel gefüllt ist. ©Bild: Empa

Brenet Status-Seminar 2018: Wie die Erneuerung des Gebäudeparks gelingt

 

(BV) Welches sind die Erfolgsfaktoren, damit der Schweizer Gebäudepark dem Ziel einer effizienten und nachhaltigen Energieversorgung näher und näher rückt? Diese Frage schwebte als Leitgedanke über dem Status-Seminar des Nationalen Kompetenznetzwerks für nachhaltiges Bauen und erneuerbare Energien (Brenet) von Anfang September 2018 in Zürich. (Texte en français >>)


Eine zentrale Erkenntnis: Technische Innovationen in der Gebäudetechnik allein genügen nicht, sie müssen von den Bewohnerinnen und Bewohnern auch angenommen werden, um die erwünschten Wirkungen zu erzielen.

Debatte über die Grenzen des Wachstums
1980 haben Gebäudeexperten das erste Status-Seminar organisiert. Im Zentrum der aus der Empa hervorgegangenen Fachtagung stand damals der Wärmeschutz im Hochbau. An diese Wurzeln erinnerte Gerhard Zweifel, Professor an der Hochschule Luzern Technik&Architektur und Brenet-Präsident, als er Anfang September in Zürich die 20. Ausgabe der zweijährlich stattfindenden Veranstaltung eröffnete. Dass dieses Expertenforum geschaffen wurde, ist nicht zuletzt Ausdruck einer umfassenden gesellschaftlichen Debatte über die 'Grenzen des Wachstums', die im Jahr 1972 durch die gleichnamige Zukunftsstudie angestossen worden war.

Diese Publikation war der Anknüpfungspunkt für das einführende Keynote-Referat des deutschen Sozialpsychologen und Soziologen Harald Welzer. Seit dieser Publikation wisse die Öffentlichkeit, dass unsere auf Wachstum getrimmte Wirtschaftsordnung nicht zukunftsfähig sei, leitete Welzer seine düstere Zustandsbeschreibung ein. Die Gesellschaft aber ignoriere dieses Wissen seit Jahrzehnten. Rund um den Klimawandel habe sich zwar eine grosse Betriebsamkeit mit eigens geschaffenen Organisationen, Instituten und Grosskonferenzen entwickelt, ohne dass allerdings eine wirkliche Verbesserung erzielt worden sei. Kurz: „Die Nachhaltigkeitsakteure kommen an ihre Grenzen.“ Um tatsächlich Fortschritte zu erzielen, seien technische Neuerungen „total sinnvoll“, meinte Welzer. Noch wichtiger aber, damit die Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft gelingt, sei es, diesen Wandel als gesellschaftliches Projekt zu verstehen, das von den Menschen mitgetragen wird.

Fragen des menschlichen Verhaltens
In den rund 60 Referaten und 30 Posterpräsentationen des Status-Seminars 2018 standen naturgemäss die technischen Neuerungen im Bereich des nachhaltigen Bauens im Vordergrund. Immer häufiger werfen die aktuellen Forschungsarbeiten aber einen Fokus auf den Nutzer und auf die Entscheidungsträger, die diese Innovationen annehmen und im Alltag sinnvoll nutzen müssen. Caroline Hoffmann (Fachhochschule Nordwestschweiz) berichtete über eine Befragung, in der Nutzer über die Beeinträchtigung durch Zugluft abhängig vom Typ der Zuluftöffnung und der Heizungsart Auskunft gaben. Meta Lehmann (Econcept AG) hat das Entscheidverhalten im Zuge eines Heizungsersatzes untersucht und Handlungsansätze entwickelt, mit denen Mitarbeiter der öffentlichen Hand den Umstieg auf erneuerbare Energien unterstützen können. Um Entscheidhilfen ging es auch bei der Studie von Marvin King (Hochschule Luzern), wobei hier institutionelle Investoren wie Pensionskassen zu energetischen Gebäudeerneuerungen motiviert werden sollen.

Nutzerverhalten Grund für Performance Gap
Um das menschliche Verhalten geht es letztlich auch bei der Diskussion rund um den Performance Gap, dem sich am Status-Seminar rund ein halbes Dutzend Vorträge widmeten. Igor Mojic (Institut für Solartechnik/Hochschule für Technik Rapperswil) stellte bei Messungen in 65 Mehrfamilienhäusern fest, dass der Energieverbrauch bis zu 115% über den Planungswerten gemäss der einschlägigen SIA-Norm 380/1 lag. In Übereinstimmung mit anderen Forschern verwies er auf den Umstand, dass sich der Performance Gap zu einem wesentlichen Teil mit dem Nutzerverhalten erklären lässt. „Der Nutzer ist nicht das Problem, sondern ein wichtiger Faktor, den man besser verstehen muss“, meinte Mojic.

Gebäude und Siedlungen anpassungsfähig gestalten
Leitthema des diesjährigen Status-Seminars war 'Resilienz'. Dieser Begriff aus der Soziologie bezeichnet die Fähigkeit eines Systems, den Stressoren, die von aussen auf dieses System wirken, zu widerstehen und Veränderungen erfolgreich zu meistern. Im vorliegenden Zusammenhang meint Resilienz eine anpassungsfähige Architektur, welche für unterschiedliche technologische, politische oder wirtschaftliche Entwicklungen gewappnet ist und längerfristig den Bedürfnissen der Nutzer entspricht. Peter Schwehr, Professor an der Hochschule Luzern Technik&Architektur und Dozent an der TU Berlin, rief in seiner Keynote nach „transhybriden Typologien“. Er versteht darunter multifunktionale, entwicklungsfähige Gebäude, die zum Beispiel tagsüber als Gemeinschaftsbüro und abends als Restaurant dienen. Gebäude, die gleichzeitig eine Schul- und Büronutzung zulassen. Oder Gebäude mit Wohnungen, die über einen hohen Gemeinschaftsanteil verfügen und sich damit für Gross-Wohngemeinschaften eignen. Mehr planerischer Wagemut und Experimentierwillen sei erwünscht, so das Plädoyer von Peter Schwehr.

Am Status-Seminar rannte er damit offene Türen ein. Denn die Gebäudeforschung ist naturgemäss ein Ort innovativer Ideen. Die rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Status-Seminars begegneten einem bunten Strauss innovativer Lösungen der Gebäudetechnik, die versprechen, Heizenergie und Warmwasser zu sparen und erneuerbare Energien einbinden zu helfen. Jannis Wernery (Empa) stellte Hochleistungsdämmziegel mit einer Aerogel-Füllung vor, die über eine rekordtiefe Wärmeleitfähigkeit von 59 mW/(m•K) verfügen. Ali Motamed (EPFL) berichtete über einen Sensor, der die Lichtverhältnisse am Arbeitsplatz erfasst und eine optimale Steuerung des Sonnenschutzes erlauben soll. Claudio Meissner (HyWin GmbH) präsentierte ein Fensterelement mit integriertem Luft/Wasser-Wärmetauscher, das den Innenraum im Sommer kühlt und im Winter heizt.

Das Potenzial der Digitalisierung
Die Digitalisierung ist im Gebäudebereich in vollem Gang. Eine Reihe von Referenten präsentiert am Status-Seminar neue IT-Lösungen (inkl. machine-learning-Algorithmen) für Planung, Umsetzung und Monitoring von Gebäuden, aber auch mit dem Potenzial, Menschen zu effizientem Verhalten zu bewegen. Manuel Frey (Gruner Roschi AG) beispielsweise berichtete über die Einbindung der dynamischen Gebäudesimulation in einen „automatisierten Workflow“, wie er bei der Planung des neuen Spitalzentrums Oberwallis in Brig zum Einsatz kam. Ein Zuhörer äusserte in der anschliessenden Diskussion allerdings sein Unverständnis, dass trotz der elaborierten IT zunächst ein 2.5 MW-Ölkessel als Rückgrat der Energieversorgung des Spitalzentrums vorgesehen war. Erst nach Intervention externer Experten wird unterdessen an einem fortschrittlicheren Energiekonzept gearbeitet.

Widersprüche zwischen der Zielsetzung eines nachhaltigen Gebäudeparks und der tatsächlichen Umsetzung blitzten auch in anderen Referaten auf. Lionel Rinquet (Hochschule für Landschaft, Technik und Architektur Genf) etwa hat in seine Studie verschiedene Mehrfamilienhäuser einbezogen und untersucht, ob eine energetische Sanierung lohnender ausfällt, wenn sie mit einer Verdichtung kombiniert wird. Dies sei nicht der Fall, brachte der Genfer Forscher ein Hauptergebnis auf den Punkt. Wirtschaftlich betrachtet sei es für den Eigentümer am lohnendsten, gar nichts zu tun, also nicht zu sanieren, und schon gar nicht eine Sanierung mit einer Verdichtung zu kombinieren. Laut Rinquet sind unter anderem neue Reglementierungen gefragt, um die erforderlichen Anreize zu schaffen.

Wie Industrie und Hochschulen zueinander finden
Informationen über den Gebäudeforschungsverbund SCCER FEEB&D und eine Diskussion über die Erfolgsfaktoren der Kooperation zwischen Industrie und Hochschulen rundeten die vom Ökozentrum in Langenbruck organisierte Fachtagung ab. Rolf Moser, der im Auftrag des Bundesamts für Energie das BFE-Forschungsprogramm 'Gebäude und Städte' leitet, zeigte sich zum Abschluss des Status-Seminars 2018 beeindruckt vom hohen Niveau und der thematischen Breite der vorgestellten Energieforschungsprojekte. „Die jüngsten Projekte gehen stärker in Richtung konkrete Anwendungen, grössere Umsetzungswirkung und besseres Verständnis der Akteure“, sagte Moser. Der Gebäudeexperte möchte den Impact der Forschung im Planungs- und Baualltag weiter steigern. Er regte an, mit dem Status-Seminar künftig neben Forschern verstärkt auch Planer, Unternehmer und Bauherren anzusprechen.

Die Tagungsdokumentation zum brenet Status-Seminar 2018 steht zum Download bereit unter: www.brenet.ch/downloads-2018/

Auskünfte zum BFE-Forschungsprogramm 'Gebäude und Städte' erteilt Rolf Moser (moser@enerconom.ch), Leiter des Forschungsprogramms.

Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Gebäude und Städte finden Sie unter www.bfe.admin.ch/CT/gebaeude

©Text: Dr. Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)

0 Kommentare

Kommentar hinzufügen

Top

Gelesen
|
Kommentiert