Anton Gunzinger: "In Vielem sind wir Schweizer besser als der Durchschnitt der Welt. Im Bereich erneuerbare Energien ist sie jedoch unsäglich schlecht unterwegs."

Wir laufen der Welt hinterher. Würden wir uns proportional zu unserer Wirtschaftsleitung verhalten, so wären wir bereits jetzt in der Lage, mit neuer erneuerbarer Energie mehr Strom zu produzieren als mit den bestehenden AKW. ©Grafik: SCS

Anton Gunzinger: „Während die Welt auf Erneuerbare setzt, manövriert sich die Schweiz ins Hintertreffen“

(©AG) Solarstrom kostet durchschnittlich 7.5 Rp. pro kWh, bei amortisierten Anlage sinkt der Preis sogar auf 1 Rp. Schon seit 2010 ist Solarstrom in Kombination mit einer Wärmepumpe in der Schweiz konkurrenzfähig mit einer Ölheizung. Seit neustem fährt man auch mit einem Elektroauto günstiger als mit einem mit fossilem Antrieb. Monetär gesehen, ist das fossile Zeitalter definitiv vorbei. Indem wir beim Zubau von Erneuerbaren immer noch zaudern, manövrieren wir uns beim Ausstieg aus dem fossilen und Atomzeitalter selber ins Hintertreffen.


Für eine prosperierende Wirtschaft ist der Zugang zu kostengünstiger Energie matchentscheidend. In der Vergangenheit gehörten dazu Öl, Gas, Kohle und Kernenergie, letztere jedoch nur ohne Berücksichtigung der Entsorgungskosten. In den letzten 10 Jahren hat sich das Blatt zugunsten der neuen erneuerbaren Energien komplett gewendet. Ein Liter Heizöl kostet in der Schweiz heute etwa 1 CHF, inklusive einer CO2-Abgabe von heute 25 Rp./Liter. Damit kostet die Kilowattstunde (kWh) Öl rund 7.5 Rp. Solarstrom im Schweizer Mittelland ist bei Vollkostenrechnung (ohne Subventionen) auch für etwa 7.5 Rp./kWh zu haben. Ist eine Solarstromanlage amortisiert oder ersetzt sie als Dachhaut bei einem Neubau eine Dachabdeckung, so kostet eine Kilowattstunde noch rund 1 Rp./kWh (siehe Tabelle). In den USA liegen die Kosten für Solarstrom bei etwa 2.8 c/kWh (Preis Region New York); im Süden sind sie noch etwa ein Drittel tiefer.

Energie

Kosten pro Liter

Kosten pro kWh

Öl CH

75 Rp.

7.5 Rp.

Solarstrom CH

 

7.5 Rp.

Solarstrom CH, amortisiert

 

1.0 Rp.

Öl USA

60 US-Cent

6.0 US-Cent

Solarstrom USA

 

2.8 US-Cent


Öl und
Strom sind nicht gleichwertig!
Nun ist aber eine Kilowattstunde Öl nur beim direkten Heizen gleichwertig mit einer Kilowattstunde Strom. Wird der Solarstrom mit einer Wärmepumpe verwendet, so ist der Strom verglichen mit Öl rund 4 Mal mehr wert. In der Mobilität steigt dieser Wert auf 4-6 Mal, beim Licht auf 10 Mal. Und wird dieser Strom als Energie für Computer genutzt, ist er sogar mehr als 10 Mal wert als Öl. Will man Öl in Strom verwandeln, so braucht man dazu einen Faktor 3 (konstante Last) bis 6 (variable Last) mehr Öl-Energie. Schaut man nur auf das Portemonnaie, so ist das fossile Zeitalter definitiv vorbei, Strom von Solarstrom- und Windkraftanlagen ist schon jetzt kostengünstiger und wird in Zukunft noch günstiger werden.

1 Rappen pro gespeicherte Kilowattstunde
Da die Sonne ja nicht 24 Stunden pro Tag scheint, müssen wir Solarstrom speichern. Vor fünf Jahren kostete ein Batteriespeicher mit einer Leistung von einer Kilowattstunde etwa 1000 CHF. Nehmen wir an, dass eine Batterie etwa 5000-mal geladen werden kann und dass etwa 50 % der elektrischen Energie gespeichert wird, so musste man 2013 pro gespeicherte Kilowattstunde Solarstrom noch rund 10 Rp. für die Speicherung dazu rechnen. In meinem Buch „Kraftwerk Schweiz“ habe ich 2015 einen Preis für Speicher von CHF 300/kWh für das Jahr 2022 vorausgesagt und wurde dafür ausgelacht. Seit dem 1.1.2017 ist das Elektromobil Renault ZOE mit einer Batterie auf dem Markt, die mit 200 CHF/kWh zu Buche schlägt. In China sind bereits heute Batterien für 100 CHF/kWh erhältlich. Die Speicherkosten müssen also nicht mehr mit 10, sondern mit 1 Rp./kWh berechnet werden. Allerdings löst die Batterie nur das Tag/Nacht-

Seit 2010 ist es günstiger, mit Wärmepumpe und Solarstrom zu heizen als mit Öl. Und mittlerweile ist auch elektrisches Fahren bei einer Vollkostenrechnung günstiger als fossiles Fahren, produziert erst noch weniger Lärm und Gestank und tut dem Klima gut.

Weltweiter Durchbruch von Erneuerbaren
Weltweit wird die Chance der erneuerbaren Energien wahrgenommen: 2016 wurden 250 Milliarden Kilowattstunden Wind und Sonnenenergie zugebaut. Das entspricht der Produktion von rund 30 grossen AKW wie Gösgen: Alle 14 Tage ging ein erneuerbares Gösgen ans Netz. Ganz anders lief es beim modernsten AKW: Der Europäische Druckwasserreaktor EPR Olkiluoto III (Finnland) wurde 2003 geplant, sollte 2011 in Betrieb gehen und wird mit viel Glück nach dem letzten Wissenstand 2019 in Betrieb gehen. Der Strom aus einem modernen AKW wie Hinkley Point C, dessen Bau letztes Jahr in England in Angriff genommen wurde, wird voraussichtlich 15 c/kWh kosten. 2021 werden jede Woche Erneuerbare-Energien-Anlagen von der Leistung eines AKW ans Netz gehen, und das mit Stromgestehungskosten von unter 2-3 c/kWh.

Die Schweiz im Schlafzug
Die Schweiz erzeugt mit etwa 1 Promille der Weltbevölkerung etwa 1 Prozent des Welt-BIP. Wir haben den BP Energy Outlook 2017 (BP ist ja nicht gerade ein positiv eingestelltes Unternehmen gegenüber neuer erneuerbarer Energie) genommen und auf die Schweiz umgerechnet (1 % der weltweiten Produktion). Dann haben wir die in der Schweiz produzierten neuen Erneuerbaren unterlegt und für 2016 auch die Schweizer Beteiligungen an erneuerbaren Energieparks dazu genommen. Für 2017 haben wir auch noch die von den Schweizerischen AKW produzierte Energie eingetragen. Das Resultat sehen wir der Graphik links oben.

Legende Grafik links oben: In Vielem sind wir Schweizer besser als der Durchschnitt der Welt. Im Bereich erneuerbare Energien ist sie jedoch unsäglich schlecht unterwegs. Hätte die Schweiz entsprechen ihres BIP in erneuerbare Energien investiert – siehe gelbe Linie – könnten wir uns schon heute zu 100% mit erneuerbarem Strom versorgen! Deshalb ist für mich diese Graphik (siehe links oben) so niederschmetternd: Wir laufen der Welt hinterher. Würden wir uns proportional zu unserer Wirtschaftsleitung verhalten, so wären wir bereits jetzt in der Lage, mit neuer erneuerbarer Energie mehr Strom zu produzieren als mit den bestehenden AKW.

Was bedeutet das für die Schweiz?
Es geht hier nicht ausschliesslich um Umweltschutz: Natürlich produzieren neue erneuerbare Energien viel weniger CO2 als fossile Quellen. Wichtiger sind aber noch die wirtschaftlichen Nachteile für die Schweiz: Mit der fossilen Strategie bezahlt die Schweizer Wirtschaft am Ende höhere Energiepreise. Wie ist das möglich? Reaktionäre politische Kreise machen vordergründig gute Arbeit und setzen sich scheinbar für eine unabhängige Schweiz ein. In der Realität unterstützen wir mit der fossilen Strategie indes oft dubiose Staaten und bezahlen mehr Geld für Energie als andere Staaten. Damit sind wir weniger konkurrenzfähig und schaden am Ende erst noch der Umwelt. Wir müssen endlich den reaktionären Dogmatikern den Riegel vorschieben und uns für eine starke und unabhängige Schweiz einsetzen, die ihre Energiepotenziale in Kilowattstunden umsetzt!

©Text: Anton Gunzinger, Gründer und Inhaber SCS, Dozent an der ETH Zürich, Autor des Bestsellers „Kraftwerk Schweiz“, Vorstandsmitglieder der ASPO Schweiz, Erstveröffentlichung als ASPO Newsletter Nr. 128 vom 4.9.18

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6 Kommentare

Jürgen Baumann

Der Zubau der Erneuerbaren jedes Jahr wächst atemberaubend. Die Preise fallen schneller als alle Experten es prophezeiten.
In der Ernährung haben wir eine ähnliche Situation. Alles hängt von der Sonne ab und einem Wirkungsgrad der Photosynthese von 0.5 bis 1%.
Eigentlich sollten dann im Winter die Läden leer sein und es müsste Hunger herrschen. Ist mir aber noch nie aufgefallen. Kann jemand dieses Rätsel erklären?

Solarmax

@Beat Walde bitte das Buch von Anton Gunzinger "Kraftwerk Schweiz" lesen, da wird Ihre Frage zur Saisonspeicherung beantwortet. Leider haben unsere Energiekonzerne an einem solchen Szenario kein Interesse.

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