Genau lässt sich der Schaden für die Verbraucher nicht beziffern, da die Regulierungsbehörden ihre Entscheidungen zu den Stromnetzentgelten allenfalls unvollständig und zu einem Grossteil geschwärzt veröffentlichen.

Blackbox Netzentgelte Deutschland: Netzbetreiber Tarife vermutlich oft überhöht – Überprüfung unmöglich

(PM) Die Stromverbraucher in Deutschland müssen für Bau und Betrieb der Stromnetze wohl jährlich mehrere hundert Millionen Euro mehr zahlen als gesetzlich nötig. Dafür mehren sich die Indizien. Diese lassen sich jedoch nicht erhärten, weil weder die Netzbetreiber noch die Regulierungsbehörden die entsprechenden Daten und Regulierungsbescheide vollständig veröffentlichen – entgegen den gesetzlichen Vorschriften.


Klagen vor Zivilgerichten scheitern an der mangelnden Beweisbarkeit, weil die Netzbetreiber aus angeblichen Geheimhaltungsinteressen ihre Kosten nicht veröffentlichen. Wird vor Verwaltungsgerichten geklagt, erklären die Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht sich nicht für zuständig für die Durchsetzung der Transparenzvorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes. Obwohl der Stromnetzbetrieb vollständig der öffentlichen Regulierung unterliegt, haben damit weder Stromverbraucher, Stromlieferanten noch Gutachter und die lokale Politik eine Handhabe, die Entscheidungen der Behörden – Bundesnetzagentur und die Regulierungsbehörden der Länder – zu überprüfen und auf diesem Wege gegen überhöhte Netzentgelte vorzugehen. Das zeigt eine rechtliche Analyse im Auftrag von Agora Energiewende. Das Papier wurde von der auf Energierecht spezialisierten Kanzlei Raue LLP gemeinsam mit dem Regulatory Assistance Project (RAP) erarbeitet.

Möglichen Schaden von 360 bis 900 Mio. Euro jährlich
Vor allem zwei Indizien für Regulierungsentscheidungen, die unnötig hohe Netznutzungsentgelte nach sich ziehen, haben die Autoren der Analyse identifiziert. Zum einen kritisieren sie Vergleiche zwischen Regulierungsbehörden und Stromnetzbetreibern: Hierbei verzichten die Unternehmen auf Rechtsmittel im Gegenzug dafür, dass die Regulierungsbehörde die von den Netzbetreibern veranschlagten Kosten im Rahmen der Genehmigungsverfahren nicht kürzen. Diese Praxis widerspreche dem Energiewirtschaftsgesetz, das keinen Raum für ein Entgegenkommen der Regulierer gegenüber den Netzbetreibern sehe, heisst es in der Analyse. Sie beziffert den möglichen Schaden für die Stromkunden auf 360 bis 900 Millionen Euro jährlich.

Zum anderen bemängelt die Analyse, dass die Bundesnetzagentur die zulässige Eigenkapitalverzinsung – diese ist grundlegend für den Gewinn der Netzbetreiber – in der Regulierungsperiode von 2014 bis 2019 zu hoch bemessen hat. Infolgedessen würden die Netzentgelte jährlich um 145 Millionen Euro zu hoch ausfallen.

Genauer lässt sich der Schaden für die Verbraucher nicht beziffern, da die Regulierungsbehörden ihre Entscheidungen zu den Stromnetzentgelten allenfalls unvollständig und zu einem Grossteil geschwärzt veröffentlichen. Auch diese Praxis widerspricht den Transparenzvorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes.

Meisten Klagen scheitern
Vor Verwaltungs-, Zivil- und auch dem Bundesverfassungsgericht sind jedoch bisher die meisten Klagen auf mehr Transparenz und auf Überprüfung der Regulierungsentscheidungen zugunsten von Stromverbrauchern und -vertrieben gescheitert. Netzbetreiber haben umgekehrt bereits erfolgreich gegen Netzentgeltgenehmigungen der Regulierungsbehörde geklagt und konnten so höhere Netzentgelte durchsetzen. Diese Praxis verletze das Recht auf prozessuale Waffengleichheit und auf effektiven Rechtsschutz und sie verstosse gegen das Willkürverbot, moniert die Analyse.

Prozessuale Waffengleichheit und vollständige Transparenz
„Der Skandal ist, dass wir von diesen Regulierungsdefiziten zwar wissen, Verbraucher und Stromvertriebe dagegen aber rechtlich nicht vorgehen können“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Damit die Netzkosten nicht aus dem Ruder laufen, ist jetzt die Politik am Zuge. Wir brauchen prozessuale Waffengleichheit und endlich vollständige Transparenz. Netzkosten sind eine öffentliche Angelegenheit und gehören komplett veröffentlicht, wie dies auch andere EU-Nachbarländer tun“, so Graichen. „Eine gesetzliche Klarstellung der Transparenzpflichten der Behörden wird umso wichtiger, weil die Netzentgelte wohl schon bald die Höhe der EEG-Umlage überschreiten werden und damit zum wichtigsten Bestandteil der Strompreise werden. Dabei kennen wir die Zusammensetzung der EEG-Umlage und der anderen Strompreisbestandteile sehr genau. Derselbe Massstab sollte auch für die Netzentgelte gelten.“

Die Analyse „Stromnetzentgelte: Eine Blackbox die nicht geöffnet werden kann?“ steht weiter unten zum kostenlosen Download zur Verfügung. Sie enthält zahlreiche Verweise auf einschlägige Gerichtsurteile und Rechtsnormen

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Text: Agora Energiewende

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