Pascal Kuhn (r.) beim Aufbau einer professionellen Wolkenkamera. In seinem aktuellen Projekt greift er auf öffentliche Kameras zurück, die im Internet in grossen Mengen und kostenlos verfügbar sind. ©Bild: DLR

Tausende Kameraeinstellungen werden kostenlos ins Internet gestellt, z. B. durch die Plattform foto-webcam.eu. Diese zeigen einen Ausschnitt von Himmel und Erde und geben Aufschluss über Bewölkung, Schneebedeckung usw. ©Bild: foto-webcam.eu

DLR: Will Stromnetze mit hohem PV-Anteil mit öffentlich zugänglichen Kameras stabilisieren

(DLR) Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) arbeiten an einer Technologie, die es ermöglichen soll, Energienetze mit hohem Solaranteil stabiler und effizienter zu betreiben. Die Idee der Wissenschaftler: Sind die Strahlungsprognosen genauer, also wann wie viel Sonne an einem Ort scheint, können die Betreiber von Stromnetzen und Solaranlagen früher reagieren.


Kündigen sich beispielsweise in den kommenden drei Minuten Wolken und damit Leistungsabfälle an, könnten Reserveaggregate und -kraftwerke automatisch hochfahren und auf mehrere Sekunden genau einspringen.

Internet hält wahren Datenschatz bereit
Nicht immer genügen jedoch Wettersatelliten für solche genauen Kürzestfrist-Prognosen. Die europäischen Satelliten der Meteosat Second Generation beispielsweise aktualisieren im Bestfall in fünf-Minuten-Intervallen. In ihrer höchsten Auflösung entspricht ein Pixel etwa einem Quadratkilometer. Auch bewerten Satelliten Wettersituationen manchmal falsch: Schnee und Wolken beispielsweise können aus dem Weltall nahezu gleich aussehen. An solchen Stellen möchte ein DLR-Forscherteam um Pascal Kuhn die Satellitendaten mit zusätzlichen Informationen flankieren. "Das Internet hält einen wahren Datenschatz für die Meteorologie bereit", sagt Pascal Kuhn. "Die Menge der frei verfügbaren Kamerabilder steigt rasant an. Meteorologie-Netzwerke oder touristisch geprägte Regionen filmen mancherorts fast flächendeckend den Himmel und den Boden." Ein Algorithmus soll daraus relevante Daten ableiten und Fragen beantworten wie "Ist der Himmel bewölkt?", "Liegt Schnee?" oder "Bewegen sich die Wolken?".

Kürzest-Frist-Prognosen sollen bei Energiewende helfen
Verbesserte Strahlungsprognosen helfen, Stromproduktion und -verbrauch dynamischer zu regeln. Fällt die Leistung ab, können Reserve-Aggregate und Kraftwerke automatisch anlaufen und Ausfälle kompensieren. Werden Produktionsspitzen vorhergesagt, könnten Solarproduzenten ihre Produktion runterregeln oder flexible Verbraucher einspringen, wie Warmwasserspeicher, Kühlhäuser, ladende E-Autos oder Pumpspeicherkraftwerke. "Das Stromnetz würde dadurch intelligenter werden. Teilweise könnte auch der Bedarf an teuren Stromspeichern wie Akkus sinken", sagt Kuhn. "Da Vorhersagen deutlich günstiger sind als Stromspeicher, sind Innovationen in diesem Feld besonders wichtig."

Aus Testdatensätzen ermittelten die Forscher derzeit die relevanten Parameter, die aus den Kameras ausgewertet werden sollen und untersuchten Daten über einen längeren Zeitraum.

Zusammenarbeit mit Kameraherstellern geplant
Die Forscher haben bereits eine erste Herausforderung gelöst. "Bei öffentlichen Kameras sind viele Parameter unbekannt, wie die Himmelsrichtung, in die sie zeigen. Wir haben jedoch gezeigt, dass robuste Algorithmen dennoch die relevanten Wetterdaten ableiten können", sagt Pascal Kuhn. In der Testphase arbeiten die Forscher mit Fotos der Plattform foto-webcam.eu. Darauf stellen Nutzer kostenlos hunderte Kameraeinstellungen vor allem aus dem Alpenraum ins Internet. Möglich wäre auch eine Big-Data-Lösung: "Moderne Überwachungskameras werden immer intelligenter, wir möchten deshalb namhafte Hersteller von Überwachungskameras für Kooperationen zu gewinnen. Wenn meteorologische Daten vor Ort in der Kamera bestimmt werden, müssen nicht viele Bilder, sondern nur kompakte Meta-Daten übertragen werden", so Kuhn.

Vor allem für kleine Stromnetze interessant
Vor allem für kleine Stromnetze, sogenannte Microgrids, mit hohem Solaranteil ist Kuhns Forschung wichtig. Microgrids finden sich beispielsweise auf Inseln und in abgeschiedenen Regionen. Da dort Schwankungen der Solarstromproduktion besonders stark ins Gewicht fallen, haben manche der Länder sogenannte Rampenbeschränkungen eingeführt. Die Abgabe durch Solarkraftwerke darf also nur um einen bestimmten Wert gegenüber der Vorminute schwanken. Auf Puerto Rico sind dies beispielsweise zehn Prozent. Wissen die Produzenten einige Minuten im Voraus von Wolken, können sie vorher ihre Abgabe drosseln oder Reserveaggregate hochfahren und die Vorgaben besser einhalten.

Das Projekt
Die Idee von Pascal Kuhn wurde zusammen mit vier weiteren Projekten 2017 mit dem Innovationspreis des DLRs ausgezeichnet. Am Projekt arbeitet im Bereich der Kameras das DLR-Institut für Solarforschung in Almería. Die Integration der gewonnenen Daten in bestehende Satellitenvorhersagen geschieht am DLR-Institut für Vernetzte Energiesysteme in Oldenburg. Das Videomaterial für die Versuchsphase stellt die Internetplattform Foto-webcam zur Verfügung. Das Projekt läuft noch bis November 2019.

Text: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)

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