Mitten im Gewühl sitzt Marcel Semacumu auf einem Hocker hinter seinem Solarkiosk. ©Bilder: Martin Egbert

Marcel Semacumu verdient umgerechnet rund 70 Euro, bis zu 100 Euro sind möglich. „Das ist aber schon sehr viel mehr, als ich noch bis vor fünf Monaten mit dem Verkaufen von ausschliesslich Telefonkarten verdient habe.“ ©Bilder: Martin Egbert

In das Steckfeld des Solarkiosk passen gleichzeitig zwanzig Telefone. ©Bilder: Martin Egbert

Stromvorauszahlungen, Telefonguthaben oder Monatsgebühr für den Pay TV- Channel können gekauft werden. Ein kleiner Drucker am Kiosk spuckt dann dafür eine Quittung mit einem Code aus, mit dem die Leistungen abrufbar sind. ©Bilder: M. Egbert

„Beim Solarkiosk wissen die Kunden: wenn etwas schief geht, steht nicht nur der Betreiber am nächsten Tag noch an derselben Stelle, sondern auch unsere Firma hinter ihm.“ Henri Nyakarundi vertreibt und betreut die Solarkioske. ©Bilder: Martin Egbert

Ruanda: Solarkiosk – Geschäftsmodell mit 180 Watt-PV-Modul und vier Batterien

(©KS) Mit einem Solarkiosk auf Rädern verhilft ein Unternehmen in Ruanda den Nutzern von Handys und Smartphones zu mobiler Ladung. Den Betreibern ermöglichen die Handwagen mit Photovoltaik-Klappdach ein Einkommen. Die Nachfrage ist gross: 70% der Menschen benutzten ein Mobiltelefon, aber nur eine Minderheit hat einen Stromanschluss.


Früher Morgen vor dem Universitätskrankenhaus in Kigali, einer der grössten medizinischen Einrichtungen Ruandas. Am Haupteingang herrscht Hochbetrieb. Strassenhändler bieten Telefonkarten, Bananen oder Softdrinks feil. An kleinen Ständen brutzeln Samosas. Ein Schuster hockt auf dem Boden und näht die Sohle eines Turnschuhs wieder an. Menschen auf Krücken humpeln in Richtung Pförtnerhaus. Besucher mit Essensbehältern aus Blech in der Hand fragen nach dem Weg zu Stationen. Motorradtaxis halten. Krankenschwestern, Ärzte und anderes Personal eilt vorbei.

180 Watt Modul mit vier Batterien
Mitten im Gewühl sitzt Marcel Semacumu auf einem Hocker hinter seinem Solarkiosk. Seelenruhig klebt er einen kleinen Zettel mit dem Namen einer Kundin auf ihr Mobiltelefon. Dann verbindet er das Gerät über einen Adapter, an dem unzählige Steckertypen hängen, mit einem der Ladeplätze des Steckfeldes. „Ich muss ja wissen, wem welches Telefon gehört - sonst gibt es Stress beim Abholen.“ Dann streckt sich der 20-Jährige, um die drei kleinen Blechdächer des kleinen Handwagens noch weiter auf zu klappen, auf denen die Solarmodule montiert sind. Schliesslich sollen die Module mit 180 Watt Leistung die vier Batterien des Wagens so schnell wie möglich aufladen. Was an sonnigen Tagen kein Problem ist. Dann sind die Batterien nach nur einer Stunde voll. „Ich kann mit einer Ladung von früh morgens bis in die Nacht hinein arbeiten.“ Was Marcel Semacumu in der Regel auch tut.

Bis zu 20 Handys
In dieser Zeit lädt der Kleinunternehmer um die zwanzig Mobiltelefone. Bedienen könnte er noch weitaus mehr Kunden. In das Steckfeld des Solarkiosk passen gleichzeitig zwanzig Telefone. Und die Ladung der Batterien des Solarkiosk reicht aus, um die Akkus von 50 bis 70 Geräten zu laden. Die Vorteile der Solarenergie liegen auf der Hand: Elektrische Energie ist verhältnismässig teuer in Ruanda, umgerechnet zehn Eurocent pro Kilowattstunde. Die Aufladung der vier Batterien ohne die Energie der Sonne würde Marcel Semacumu umgerechnet zwei Euro kosten, er müsste einen Ladeplatz organisieren, hätte in der Zeit keinen Verdienst und hohe Kosten.

70 Prozent nutzen ein Handy
Nachfrage gibt es in dem zentralafrikanischen Land genug. Zwar hat sich Ruanda seit dem Völkermord von 1994 in vielen Bereichen wie Umweltpolitik oder Infrastruktur zu eine Art Vorzeigeland des Kontinents entwickelt. Der Grossteil der zwölf Millionen Einwohner muss aber immer noch ohne einen eigenen Stromanschluss auskommen. Fast siebzig Prozent der erwachsenen Einwohner des Landes jedoch nutzen Mobiltelefone oder Smartphones. Vor allem auf dem Land müssen sie ihre Geräte gegen Gebühren an Autobatterien aufladen. Oder einer aus dem Dorf sammelt alle Handys ein, um zum Aufladen in die nächste Stadt zu fahren und erst einen halben Tag später wieder zu kommen. Aber auch Stadtbewohner brauchen zwischendurch Ladung, so etwas wie Powerpacks hat kaum jemand in Ruanda. Das alles kostet Zeit und Geld, das Laden an alten Autobatterien verkürzt die Lebensdauer der Akkus, und so manches Gerät ist dabei auch schon verschwunden.

Africa Renewable Energy Distributor
„Bei unserem Solarkiosk wissen die Kunden: wenn etwas schief geht, steht nicht nur der Betreiber am nächsten Tag noch an derselben Stelle, sondern auch unsere Firma hinter ihm.“ Henri Nyakarundi vertreibt und betreut die Solarkioske. Mit den Angestellten seiner kleinen Firma Africa Renewable Energy Distributor (ARED) arbeitet er in einem kleinen Büro an einer verkehrsberuhigten Strasse hinter der Rückseite der City Hall von Kigali. Die sechs Schreibtische stehen eng beieinander. Das Team ist jung und die Bürotechnik auf dem neuesten Stand. So wie auch die Technik der aus 115 Komponenten in Deutschland gefertigten Solarkioske. Qualität hat ihren Preis. Noch kosten die Modelle über 2400 Euro. An einer preiswerteren Lösung wird gearbeitet. Rahmenteile und die Box für die Batterien könnten im Land gefertigt werden. In Kombination mit einer höheren Stückzahl soll dann ein Preis von rund 800 Euro möglich werden.

Noch aber steckt das Unternehmen mit 25 Modellen im Land am Anfang und in der Testphase. Die meisten Solarkioske werden noch in der Hauptstadt betrieben. „So können wir die Kioske und ihre Betreiber besser betreuen und beobachten, wachsen wollen wir in erster Linie auf dem Land.“ Ausserdem hat Henri Nyakarundi mit zwei ersten Modellen seine Fühler ins Nachbarland Uganda ausgestreckt.

Eine Vielzahl weitere Dienstleistungen
Ruanda gilt als der Digitalisierung gegenüber sehr aufgeschlossen. Das Durchschnittsalter seiner Bewohner beträgt gerade einmal 19. Neben dem Laden von Mobiltelefonen bieten die Solarkioske eine Vielzahl weiterer Dienstleistungen an. Man kann bei ihnen die Vorauszahlung für seinen Stromanschlusses leisten, falls man denn einen hat, sein Telefonguthaben aufladen oder sogar die nächste Monatsgebühr für den Pay TV- Channel entrichten. Ein kleiner Drucker am Kiosk spuckt dann dafür eine Quittung auf Thermopapier mit einem Code aus, mit dem die Leistungen abrufbar sind.

In Zukunft sollen die Kunden zudem digitale Geldgeschäfte über den Kiosk abwickeln und ihre Steuern bezahlen können. „Wir sind darüber gerade mit der Regierung in Verhandlung – und es sieht ganz gut aus“, freut sich Henri Nyakarundi. Bereits jetzt bieten die neuesten Modelle kostenfreies WLAN für eine halbe Stunde an. „Diese Vielzahl an unterschiedlichen Dienstleistungen an einem Ort wird die Kunden an die Solarkioske binden.“ Verdienen will ARED an den Kommissionen für die digitalen Dienstleistungen sowie an Werbeeinnahmen aus dem WLAN. Für die Steuerüberweisungen verhandelt die Firma über feste Sätze.

Männer bezahlen einmalig 50, Frauen 25 Euro
Und was haben die Betreiber davon? Wenn ARED sie nach ihrer Bewerbung unter Vertrag nimmt, müssen sie zunächst einmal bezahlen. Männer entrichten einmalig umgerechnet 50 Euro, Frauen die Hälfte. Dafür können sie den Solarkiosk so lange nutzen wie sie wollen. Für nur einen Euro pro Monat bekommen sie technischen Support und Reparaturen, ausser sie beschädigen den Solarkiosk mutwillig. ARED organisiert zudem die Genehmigung der Behörden und hilft bei der Auswahl der Standortes, über den letztlich aber der Betreiber entscheidet.

Einkommen von bis zu 100 Euro monatlich
Durchschnittlich verdienen können die Betreiber umgerechnet dreissig bis vierzig Euro im Monat für die Kommissionen der digitalen Dienstleister sowie sechzig Euro für das Aufladen der Mobiltelefone. Wenn alles gut läuft, ist also eine monatlicher Verdienst von bis zu einhundert Euro möglich. Das entspricht dem Gehalt eines einfachen Polizisten oder Büroangestellten und dem Doppelten des Einstiegsgehaltes einen Lehrers.

Ganz so viel verdient Marcel Semacumu mit umgerechnet siebzig Euro noch nicht. „Das ist aber schon sehr viel mehr, als ich noch bis vor fünf Monaten mit dem Verkaufen von ausschliesslich Telefonkarten verdient habe.“ Die hohe Zahl der mobilen Verkäufer von Telefonkarten im Land zeugt von der extrem hohen Arbeitslosigkeit. Im Zusammenhang mit dem starken Bevölkerungswachstum ist das eine explosive Mischung.

LED-Leuchten als Werbemittel
Gegen Abend schaltet Marcel Semacumu eine kleine LED-Leuchte an seinem Solarkiosk an. „Das lockt neben der Musik, die ich immer abspiele, viele Kunden an“, sagt er und lächelt. Immer noch herrscht Hochbetrieb vor dem Universitätskrankenhaus. „Hier ist den ganzen Tag über viel los.“

Als seine Frau eintrifft, verschwindet Marcel Semacumu für ein paar Minuten, um etwas Popcorn zu kaufen. Dann hocken die Beiden noch eine ganze Weile gemeinsam hinter dem Solarkiosk und knabbern. Bis Marcel Semacumu den Wagen um 22 Uhr in einem Abstellraum hinter dem Pförtnerhaus einschliesst. Ein Freund arbeitet dort. So steht der 90 Kilogramm schwere Handwagen sicher. Morgen früh um sieben Uhr wird Marcel Semacumu den Solarkiosk wieder vor das Pförtnerhaus schieben. Und erneut einen langen Arbeitstag beginnen. Der bringt ihm jetzt aber zumindest ein akzeptables Einkommen.

©Text: Klaus Sieg, ©Bilder: Martin Egbert

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