In Walenstadt wird im September 2018 der erste lokale Strommarkt der Schweiz seinen Betrieb aufnehmen. ©Bild: Wasser- und Elektrizitätswerk Walenstadt (WEW)

«Quartierstrom»: Der erste lokale Strommarkt der Schweiz

(SB) Strom soll dort verbraucht werden, wo er produziert wird. Das Projekt «Quartierstrom» wird dies erstmals in der Praxis testen. Im September 2018 geht in Walenstadt im Rahmen eines Leuchtturmprojekts des Bundesamts für Energie der erste lokale Strommarkt der Schweiz in Betrieb: Die Bewohner eines Quartiers handeln lokal produzierten Solarstrom untereinander.


Die Energieversorgung ist im Umbruch. Immer häufiger werden Hausbesitzer mit Photovoltaikanlagen zu Stromproduzenten. Sie nutzen den Strom so weit wie möglich selbst, Überschüsse verkaufen sie dem lokalen Energieversorger. Das Projekt «Quartierstrom» geht noch einen Schritt weiter und startet einen Testbetrieb, in dem der Solarstrom direkt in der Nachbarschaft verkauft wird. Das längerfristige Ziel ist, Photovoltaikanlagen rentabler werden zu lassen und die Netze zu entlasten. Mehrere Hochschulen und Partner aus der Industrie sind am Projekt beteiligt, unterstützt wird es vom Bundesamt für Energie BFE im Rahmen des Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprogramms. In enger Zusammenarbeit mit dem Wasser- und Elektrizitätswerk Walenstadt (WEW) wird ein lokaler Strommarkt aufgebaut, in dem Strombezüger und Besitzer von Photovoltaikanlagen untereinander den Strom handeln. Das WEW stellt die Infrastruktur zur Verfügung und liefert bei Engpässen Strom aus dem Netz.

Teilnehmer gestalten mit
Über 30 Haushalte haben sich bereits entschieden, an diesem Markt teilzunehmen. Eingebunden werden zudem ein Stromspeicher und eine Schnellladestation für Elektroautos, die ausserhalb des Quartiers liegt. Der Handel des Stroms wird automatisch über eine Blockchain abgewickelt: Käufer und Verkäufer können in einer App angeben, zu welchen Bedingungen sie bereit sind, Strom zu kaufen oder zu verkaufen. Der Preis richtet sich nach Angebot und Nachfrage. Wie gut ein lokaler Strommarkt funktioniert, hängt jedoch nicht nur von der Technik ab, sondern auch vom Verhalten der Teilnehmenden. Deshalb erforscht das «Bits to Energy Lab» der ETH Zürich, welche Vorbehalte gegenüber einem lokalen Strommarkt existieren, über welche Argumente sich Teilnehmende motivieren lassen oder wie sie in den Handel eingreifen möchten. Dazu haben bereits vier Workshops mit Besitzern von Photovoltaikanlagen und mit Stromkonsumenten stattgefunden. Die Resultate fliessen unter anderem in die Entwicklung der App ein.

Automatisierter Handel dank Smart Metern und Blockchain
Die Haushalte des lokalen Strommarkts werden mit einem erweiterten Smart Meter ausgerüstet, der den Stromverbrauch und die Solarstromproduktion misst. Das Gerät kann auch Batteriespeicher oder Elektroboiler steuern und diese automatisch einschalten, wenn das Angebot an Solarstrom aus dem Quartier hoch ist. Die Smart Meter kommunizieren mit der Blockchain, die den Handel abwickelt und Buch führt über den gehandelten Strom. Diese Transaktionen sollen möglichst wenig Strom verbrauchen. Dazu evaluiert das Projektteam geeignete Blockchain-Technologien, die dann implementiert werden. Der Aufbau der Technik ist zurzeit im Gang, ab September 2018 soll der einjährige Pilotbetrieb in Walenstadt starten.

Win-win-Situation
Da der Strom nur lokal übertragen wird, fallen für die Bezüger tiefere Netzkosten an als im heutigen Netz. Dadurch sind die Strompreise tendenziell tiefer als beim Energieversorger. Ausserdem erhalten die Produzenten einen besseren Preis, wenn sie ihren Strom direkt dem Endverbraucher verkaufen als wenn sie ihn dem Energieversorger verkaufen. Eine Win-win-Situation – vorausgesetzt, die Konsumenten innerhalb des lokalen Strommarkts sind bereit, gleich viel für den lokalen Strom zu bezahlen wie für die Elektrizität vom Netz. Wie sich aber die Teilnehmenden verhalten, wie sich die Preise entwickeln oder wie viel Solarstrom tatsächlich lokal abgesetzt wird, wird erst der Praxistest zeigen. Dazu Verena Tiefenbeck, Leiterin des «Bits to Energy Lab» der ETH Zürich: «Unser Ziel ist, ein praxistaugliches Konzept zu entwickeln und die nötigen Rahmenbedingungen festzulegen. So wollen wir die Grundlagen schaffen, damit lokale Strommärkte in der Praxis aufgebaut werden können.»

Zentrale Rolle des Energieversorgers
Wer in Zukunft die Infrastruktur in einem lokalen Strommarkt aufbauen und betreiben soll, ist offen. In Walenstadt stellt das WEW das Verteilnetz für den Pilotversuch zur Verfügung. Was motiviert den Energieversorger, sich für das Projekt zu engagieren? Für Christian Dürr, Geschäftsleiter des WEW, ist das Projekt eine Chance, sich auf künftige Konzepte einzustellen: «Die Energieversorger werden sich von der Rolle des klassischen Energieverteilers hin zum umfassenden Dienstleister für Energiesysteme entwickeln müssen. Wenn sie das lokale Netz im Quartier zur Verfügung stellen, werden sie eine Entschädigung dafür erhalten.» Dürr erwartet, dass die übergeordneten Netze irgendwann nur noch während der kalten Monate gebraucht werden.

Das Projekt kann mitverfolgt werden auf www.quartier-strom.ch

Text: Sara Blaser, Sprachwerk

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