Gewonnen wird das Methan auf einer dreizehn Kilometer vom Ufer entfernten Plattform. ©Bilder: Martin Egbert

Das Sweet Gas wird getrocknet, komprimiert und durch die lange Pipeline an Land gepresst. 5500 Kubikmeter pro Stunde kommen im Kraftwerk am Ufer an. ©Bilder: Martin Egbert

An seiner tiefsten Stelle im Hauptbecken misst der Lake Kivu 485 Meter. Tief unten schlummern 300 Kubikkilometer Gas. Drei Viertel davon allerdings ist Kohlendioxid. ©Bilder: Martin Egbert

„Wir haben sieben Jahre vor Ort gebraucht, um das Projekt zu realisieren“, erzählt der aus Mauritius stammende Leiter Priysham Nundah in seinem Büro in Kigali. ©Bilder: Martin Egbert

Der deutsche Physiker Klaus Tietze warnt seit Jahrzehnten vor dieser Gefahr: „Ohne Gasförderung würde der Kivu-See nach etwa einhundert Jahren von selbst explodieren.“ ©Bilder: Martin Egbert

ContourGlobal will Kivu Watt auf einhundert Megawatt ausbauen. So viel allerdings könnte das Stromnetz Ruandas nicht aufnehmen. Die Energie soll über den Netzverbund der ostafrikanischen Staaten exportiert werden. ©Bilder: Martin Egbert

Die Pipeline hängt an Bojen in zehn Meter Tiefe, durch die das Methan für die Turbinen des Kraftwerkes strömt. ©Bilder: Martin Egbert

Ruanda: Förderung von Methan aus dem Kivu See - Fluch und/oder Segen?

(©KS) Den Schatz vom Kivu See muss man heben. Ansonsten drohen die Gase des zentralafrikanischen Gewässers die Anwohner zu vergiften. In Ruanda wird das Methan aus dem See für die Stromerzeugung genutzt - und damit technisches Neuland betreten. Nun wird das Kraftwerk Kivu Watt erweitert. Aber ist die Förderung des Gases wirklich ohne Risiken?


David Krasners Arbeitsweg möchte man haben. Der Rumpf des Aluminiumbootes hebt sich aus dem Wasser. Warmer Fahrtwind weht uns ins Gesicht, als es Fahrt aufnimmt. Schnell lassen wir das Sirren und Brummen der drei gewaltigen Gasgeneratoren am Ufer hinter uns, beziehungsweise das ihrer Lüfter in der Aussenwand der Kraftwerkshalle.

Methan aus den sehr tiefen Schichten des Sees
Ein letzter Blick zurück auf die sanften Hügel mit den hohen Masten der noch blitzblanken Überlandleitungen, die seit zwei Jahren den Strom aus dem Kraftwerk in die Hauptstadt Kigali leiten. Dann ist nur noch das Röhren des 200-PS-Aussenborders zu hören. Draussen schlagen die Wellen hoch wie auf dem Meer. Mit 2400 Quadratkilometern ist der Lake Kivu fünf Mal so gross wie der Bodensee. Das Boot rast entlang einer Kette roter Bojen, auf denen Kormorane hocken. An den Bojen hängt in zehn Meter Tiefe die Pipeline, durch die das Methan für die Turbinen des Kraftwerkes strömt. „Zehn Meter reichen aus, um die Pipeline vor Beschädigung durch Fischerboote und den Fährverkehr auf dem See zu schützen“, erklärt David Krasner. Der in Russland geborene Israeli ist ein gefragter Experte für Gasförderung. Sein Arbeitsplatz ist die Welt. Die letzten Jahre aber hat er seine Dienste dem US-Konzern ContourGlobal zur Verfügung gestellt. Nichts geringeres als den Schatz eines der grössten Seen des afrikanischen Grabenbruchs soll er heben. Wer kann da schon widerstehen. „Wir fördern das wertvolle Methan aus den sehr tiefen Schichten des Sees, das ist eine grosse Herausforderung.“ David Krasner reibt sich über seine Wange mit den drei Tage alten Bartstoppeln.

Hohe Druck hält Gas gefangen
An seiner tiefsten Stelle im Hauptbecken misst der Lake Kivu 485 Meter. Tief unten schlummern 300 Kubikkilometer Gas. Drei Viertel davon allerdings ist Kohlendioxid. Das kalte Wasser in den Tiefen kann im Vergleich zum Oberflächenwasser ein Vielfaches des Klimagases speichern. Der hohe Druck der Wassermassen über den tiefen Schichten hält das Gas dort gefangen. Aus dem Kohlendioxid und aus abgesunkenen, organischen Substanzen produzieren Bakterien in der dunklen Tiefe anaerob Methan. Das ist der Schatz des Kivu See. Mit ihm lassen sich grosse Mengen Strom erzeugen.

Gewonnen wird das Methan auf einer dreizehn Kilometer vom Ufer entfernten Plattform. Aus dem Schnellboot geklettert, betritt der Besucher hier draussen technisches Neuland. Im wahrsten Sinne des Wortes. Auch wenn das Konglomerat aus Röhren, Tanks, Waschtürmen und Leitungen zunächst aussieht wie auf jeder Förderplattform. Standard sind auch die kleinen Geräte für den Gasalarm sowie die Westen mit dem Notsauerstoff, die man auf der Plattform tragen muss.

Auto Siphon Pumpe
Das war es dann aber auch mit den Gemeinsamkeiten. Im Kontrollraum, zwischen bunten Monitoren und blinkenden Lampen, erklärt David Krasner das Verfahren: „Das gashaltige Wasser wird mit einer Auto Siphon Pumpe aus einer Tiefe von 355 Meter nach oben befördert.“ Aquarianer kennen diesen automatischen Heber, der ihnen beim Wasserwechsel das unappetitliche Ansaugen erspart. Nach dem Ansaugen kommt das gashaltige Wasser von alleine nach oben. Ab 170 Metern steigt das Gas in Blasen weiter auf. „Wir müssen hier nur die Klappe aufmachen.“ David Krasner grinst.

Drei Viertel Kohlendioxid und hochgiftigen Schwefelwasserstoff
In vier horizontalen Separatoren zwanzig Meter unterhalb der Plattform, wird das Gas weitgehend vom Wasser getrennt. Das gewonnene Gas enthält neben Methan leider immer noch drei Viertel Kohlendioxid sowie Anteile hochgiftigen Schwefelwasserstoffes. Oben auf der Plattform wird dieses so genannte Sour Gas deshalb in einer Waschanlage aus vier jeweils fünfzig Meter hohen Türmen zu 85 Prozent reinem Methan gewaschen. Nun heisst es Sweet Gas, wird getrocknet, komprimiert und durch die lange Pipeline an Land gepresst. 5500 Kubikmeter pro Stunde kommen im Kraftwerk am Ufer an.

Genutzt werden sie mit grosser Effizienz. „85 bis 90 Prozent des geförderten Methans erreichen die Generatoren“, zeigt sich David Krasner zufrieden.

Sieben lange Jahre
So weit so gut. Doch bis dahin war es ein weiter Weg. „Wir haben sieben Jahre vor Ort gebraucht, um das Projekt zu realisieren“, erzählt der aus Mauritius stammende Leiter Priysham Nundah in seinem Büro in Kigali. Über den Mangel an Herausforderungen konnte das international besetzte Team nicht klagen. Wie in einem Binnenland in Zentralafrika tausende Tonnen Material sicher heranschaffen? Oder Experten für ein Land wie Ruanda rekrutieren, das die meisten Menschen noch mit Krieg und Völkermord verbinden? Überforderte Baufirmen mussten heraus gedrängt, geeignete Ingenieurbüros gefunden werden. Und dann waren da noch jede Menge Schwierigkeiten bei der Montage und Inbetriebnahme der Plattform. „Niemand hatte Erfahrungen damit, 1500 Tonnen schwere Separatoren aus Stahl unter einer Plattform zu befestigen, die auf einem so grossen See hin und her schwankt.“ Priysham Nundah rief einen 75-Jährigen Experten aus dem Ruhestand, der es durch die Bergung des Wracks der Costa Concordia vor der italienischen Küste zu weltweitem Ruhm gebracht hatte.

Als endlich alles montiert war, wollte zunächst das Gas nicht gleichmässig aus der Tiefe aufsteigen. Ist dort unten vielleicht gar nicht so viel Methan? Und der Schatz nur eine Finte? Die Nerven lagen blank. Das Team wechselte Leitungen, änderte Druckparameter. „Wir waren so erleichtert, als es dann endlich klappte.“ Priysham Nundah scheint immer noch von der Euphorie dieses Momentes getragen. Die Geschichten sprudeln nur so aus ihm heraus. Wie das Methan aus dem Kivu See. Dann schüttelt er lachend den Kopf. „Das war kein Zuckerschlecken.“

Fast doppelt so teuer als geplant
Auch nicht für das Management: Mit 200 Millionen US Dollar ist das Projekt fast doppelt so teuer wie geplant geworden. Zwischendurch verweigerten die Banken weiteres Geld. Eine neue Finanzierung musste her. Selbst in Zeiten von Hamburger Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und Berliner Grossflughafen ist die Kostenexplosion bemerkenswert. „Für das Geld müsste man eigentlich 110 Megawatt bauen.“ Es sind derzeit aber 26.2 Megawatt. Dafür funktionieren die Förderung des Methans und die Stromproduktion einwandfrei.

Im Kontrollraum der Plattform setzt Francois Darchambeau seinen Helm auf und geht hinaus. Mit einem Probenset in der Hand steigt er die Treppen an den Waschtürmen hinauf, vorbei an Revisionsklappen von der Grösse eines LKW-Reifens. In fünfzig Metern Höhe ist der Blick atemberaubend. Drüben, auf der Seite der Demokratischen Republik Kongo, dem früheren Zaire, erheben sich schroffe Vulkanberge bis zu fünftausend Meter hoch in den weiten Himmel. Der Biologe aus Belgien geht in die Hocke, öffnet das Schloss an einer Entnahmestelle und zieht eine Probe vom Waschwasser.

Und das Ökosystem des Sees?
Das Waschwasser wird wieder in den See geleitet. Täglich muss seine Zusammensetzung im Labor untersucht werden. Schliesslich enthält es das klimaschädliche Kohlendioxid und das giftige Schwefelwasserstoff. Es riecht entsprechend nach faulen Eiern. Aber bringt das rückgeführte Waschwasser nicht das gesamte Ökosystem des Sees durcheinander? „Wir pumpen es in 240 Meter Tiefe in den See, das ist weit unterhalb der Biozone und nicht so tief, dass es die Ausbeute des Methan stört“, erklärt Francois Darchambeau. In dieser Tiefe sei der See tot.

Der hohe Druck sorge zudem dafür, dass die Schichten sich kaum vermengten. Wie in Schubladen lägen sie übereinander. „Die Verweildauer des Wassers in der Zone ab 180 Meter beträgt eintausend Jahre.“ Der Wissenschaftler kontrolliert regelmässig, ob das Waschwasser in die richtige Tiefe gelangt, und ob es in dem See nicht doch etwas verändert. Zudem untersucht er Arten und Biomasse der Fische. Externe Experten kontrollieren seine Kontrollen. Zwar leben nur etwa dreissig Fischarten in dem See, fünfzehn davon aber sind endemisch. Zudem stellt der Fisch eine wichtige Lebensgrundlage für die lokale Bevölkerung dar.

Eine Million Menschen gefährdet
Letztlich aber ist die Entnahme des Methan alternativlos, weil sie den Gasdruck im See senkt. Denn der Segen des Kivu Sees ist gleichzeitig sein Fluch. Gelangen Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff und Methan an seine Oberfläche, wäre das nicht nur für das Weltklima eine Katastrophe. Das Leben von Millionen Menschen an seinenUfern wäre gefährdet. Eine vergleichbare Katastrophe ereignete sich 1986 am Lake Nyos in Kamerun. Dort starben über Nacht 1800 Menschen, als eine Gaswolke aus dem See stieg. Ihr war vermutlich ein starker Erdrutsch vorausgegangen. Der 2400 Quadratkilometer grosse Lake Kivu enthält 300-mal so viel Gas wie der See im Kamerun.

Der deutsche Physiker Klaus Tietze warnt seit Jahrzehnten vor dieser Gefahr: „Ohne Gasförderung würde der Kivu-See nach etwa einhundert Jahren von selbst explodieren.“ Eine katastrophale Gaseruption könne jederzeit auf natürliche Weise von Innen oder Aussen getriggert werden, beispielsweise durch einen kleinen Vulkanausbruch auf dem Boden des Sees oder durch Eindringen aufgeheizter Grundwässer.

Risiken der Förderung
Tietze erforscht seit den 1970er Jahren die aussergewöhnlichen Vorkommen des Kivu-Sees und anderer gashaltiger Seen und Meeresbecken. Mit seinen Forschungen in Ruanda und in der Demokratischen Republik Kongo hat er wichtige wissenschaftlich-technische Grundlagen für das gelegt, was heute passiert. Er warnt aber vor den Risiken der Förderung. Die Wahrscheinlichkeit einer Gaseruption aus dem Kivu-See sei zwar viel geringer als am Nyos-See, durch eine fehlerhafte Förderung und Rückführung des Tiefenwassers und der Restgase werde sie aber langfristig stark erhöht. „Nur ein gasarmer See ist ein ungefährlicher See.“ Klaus Tietze hat deshalb eine Methode entwickelt, mit der auch das Kohlendioxid gefördert und wirtschaftlich in brauchbarere Produkte umgewandelt werden soll. Er hofft, diese bald in der Demokratischen Republik Kongo realisieren zu können.

Wie auch immer. ContourGlobal will Kivu Watt in Kürze um einen weiteren Generator erweitern, weil die Plattform mehr Methan fördert als geplant war. Später soll der Ausbau auf einhundert Megawatt folgen. So viel allerdings könnte das Stromnetz Ruandas nicht aufnehmen. Die Energie soll über den Netzverbund der ostafrikanischen Staaten exportiert werden, von denen die meisten unter einem Mangel an Strom ächzen. Das kleine Ruanda könnte die grossen Nachbarn dann versorgen.

Anstrengender Segen
Nach einer zwölf Stunden-Schicht verlässt David Krasner die Plattform und steigt ins Schnellboot. „Wir produzieren an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden.“ Nur so sind die Generatoren im Kraftwerk ausreichend versorgt. Methan lässt sich nicht lagern. „Nur in der Pipeline wird etwas von dem Gas vorgehalten“, sagt Krasner und zeigt auf die roten Bojen, auf denen immer noch die Kormorane hocken. „Wenn wir auf der Plattform Probleme haben, gibt es eine dreiviertel Stunde später im Kraftwerk welche.“ David Krasner reibt sich die Augen. Scheint anstrengend zu sein - aus dem Fluch des Kivu Sees einen Segen zu machen.

©Text: Klaus Sieg, ©Bilder: Martin Egbert

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