Die Agrophotovoltaik-Pilotanlage in Heggelbach unweit vom Bodensee kombiniert Strom- und Nahrungsmittelproduktion. Ziel: 80% Ernteertrag im Vergleich zum Referenzfeld ohne PV-Module. ©Bild: Fraunhofer ISE

Bifazialen PV-Modulen, die beidseitig Sonnenenergie in Strom umwandeln; ermöglichen einen höheren elektrischen Ertrag pro Fläche sowie eine homogenere Lichtverteilung unter der APV-Anlage. ©Bild: Fraunhofer ISE

Vier Kulturen sollen den ersten zwei Jahren gleichzeitig getestet werden. Gesamthöhe der PV-Anlage: 8 m, Durchfahrtshöhe: 5 m. Installierte Leistung: 194 kWp – genug, um 62 Haushalte mit Strom zu versorgen. ©Bild: Fraunhofer ISE

Stephan Schindele, Projektleiter am Fraunhofer ISE: «Unsere Herausforderung, den Ausbau der erneuerbaren Energien und damit verbunden den Wandel von Kulturlandschaften hin zu Energielandschaften zu bewerkstelligen.» ©Bild: T. Rütti

Der Regionalverband Bodensee-Oberschwaben unterstützt das Projektvorhaben. Für die Pilotanlage wurde der Hofgemeinschaft Heggelbach, hier vertreten von Thomas Schmid, die Auszeichnung «Ort im Land der Ideen» verliehen. ©Bild: T. Rütti

Prof. Eicke Weber: «Agrophotovoltaik ist eine ressourceneffiziente Doppelnutzung landwirtschaftlicher Flächen, welche auch die Produktion von landwirtschaftlichen Gütern unterhalb von Photovoltaikanlagen ermöglicht.» ©Bild: T. Rütti

Die Projektkosten beliefen sich auf 3,2 Mio. €, wobei 2,8 Mio. € auf Fördergelder und die Differenz auf die Partner entfielen, verkündete die Parlamentarische Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch. ©Bild: T. Rütti

Hans-Josef Fell, Botschafter für 100% Erneuerbare Energien und ehemaliger Bundestagsabgeordneter: «Eine Agro-Photovoltaik-Anlage fördert die Begrünung für den Lebensmittelanbau selbst in Wüstenrandgebieten.» ©Bild: T. Rütti

Mit dem Wachstum der Photovoltaik steigt auch der Flächenbedarf für PV-Anlagen. Dies erfuhren die Besucher in Fachvorträgen, die nebst der Besichtigung der Anlage das Rahmenprogramm bildeten. ©Bild: T. Rütti

Fraunhofer ISE: Weizen, Klee, Kartoffeln und Sellerie unter Photovoltaikmodulen

(©TR) «Kartoffeln unter dem Kollektor»: unter diesem Titel veröffentlichte Prof. Adolf Goetzberger 1981 einen Artikel über die landwirtschaftliche Nutzung unter Solaranlagen. Erst jetzt steht unweit vom Bodensee eine Agro-Photovoltaik-Forschungsanlage: Unter den in 5 Metern Höhe montierten Modulen werden Weizen, Klee, Kartoffeln und Sellerie angebaut.


«Agro-Photovoltaik wird vielen Menschen neue Lebensgrundlagen schaffen. Insbesondere im Sonnengürtel der Erde kann die Beschattung durch eine Photovoltaik-Anlage mithelfen, Wasser im Boden zu schonen. Und sie kann die Begrünung für den Lebensmittelanbau selbst in Wüstenrandgebieten fördern», so Hans-Josef Fell, Präsident Energy Watch Group und erklärter «Botschafter für 100% erneuerbare Energien». «Gleichzeitig bekommen die Menschen billigen Solarstrom für ihre Häuser sowie zur Wassergewinnung, zum Beispiel aus Meerwasser. Damit lassen sich klimabedingte Fluchtursachen bekämpft», so der ehemalige Bundestagsabgeordnete (1998 bis 2013) gegenüber ee-news.ch. Nachdem die Idee «Kartoffeln unter dem Kollektor» aus dem Jahre 1981 jahrzehntelang in der Schublade geschlummert hatte, beschäftigten sich ab 2011 die Forscher des Fraunhofer-Instituts für Solar Energiesysteme ISE wieder intensiv mit dem Thema Agrophotovoltaik (APV), also mit der gleichzeitigen Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen für die Nahrungsmittelproduktion einerseits und der Energiegewinnung andererseits. Die Beteiligten teilten sich die Projektkosten von 3.2 Mio. €, wobei 2.8 Mio. € auf Fördergelder entfielen, wie die Parlamentarische Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch anlässlich der öffentlich zugänglichen Einweihungsfeier auf der Hofgemeinschaft Heggelbach unweit vom Bodensee auf deutscher Seite verkündete.

Erneuerbaren Energien versus Nahrungsmittelproduktion
Endlich können die Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE gemeinsam mit Partnern des heutigen Projekts «APV-Resola» erste Früchte der Idee von  Prof. Adolf Goetzberger ernten. Mit dem rasanten Zubau an Photovoltaikkraftwerken auf Freiflächen im vergangenen Jahrzehnt schwelte in Deutschland und anderswo zunehmend ein Konflikt betreffend Landnutzung: Hier der Anspruch, Nahrungsmitteln produzieren zu können, dort der Wunsch, erneuerbaren Energien gleichenorts produzieren zu dürfen. Schier zwangsläufig kam es immer wieder zu Interessenkonflikten. Forscher des Fraunhofer-Instituts in Freiburg taten gut daran, die alte Idee ihres Institutsgründers hervorzukramen. Realisiert haben sie die APV-Pilotanlage schliesslich in Zusammenarbeit mit Partnern wie BayWa r. e., Elektrizitätswerken Schönau (EWS), Hofgemeinschaft Heggelbach, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), Universität Hohenheim sowie Regionalverband Bodensee-Oberschwaben. Und auch mit der lokalen Bevölkerung.

Weizen, Kleegras, Kartoffeln und Sellerie

Nach umfassenden Untersuchungen, Modellierungen und Simulationen startete im März 2015 die APV-Projektgruppe in der «Modellregion Bodensee-Oberschwaben» das Pilotvorhaben, in dessen Rahmen jetzt die APV-Pilotanlage auf Ackerflächen der Demeter-Hofgemeinschaft Heggelbach installiert und in Betrieb genommen wurde; das geschützte Markenzeichen Demeter steht für biologisch-dynamisch erzeugte Produkte. Eine Testfläche von insgesamt ca. 2.5 Hektar wurde hierfür eingesetzt. Davon beansprucht die APV-Anlage einen Drittel Hektar. Unter den in fünf Metern Höhe montierten PV-Modulen werden in der Projektlaufzeit vier Kulturen – Weizen, Kleegras, Kartoffeln und Sellerie – gleichzeitig angebaut. Auf dem benachbarten Testacker gibt es eine Referenzfläche von gleicher Grösse und mit gleicher Bepflanzung. Aber ohne PV-Module. Aus dem direkten Vergleich werden die Wissenschaftler sodann ableiten, welche Gemüsearten oder Feldfrüchte besonders geeignet sind, unter APV-Anlagen zu gedeihen und so eine  effiziente Doppelnutzung der Landfläche zu ermöglichen.

80% Ernteertrag im Vergleich zum Referenzfeld

Gemeinsam mit dem österreichischen Solartechnikhersteller Hilber Solar wurde eine Unterkonstruktion entwickelt, die an die spezifischen Gegebenheiten des Geländes vor Ort angepasst ist und durch eine modulare Bauweise zukünftig mit minimalem Aufwand flexibel an andere Einsatzorte angepasst werden kann. Thomas Schmid von der Demeter-Hofgemeinschaft Heggelbach erklärte: «Wir sind gespannt auf den Praxistest der APV-Pilotanlage. Für uns ist entscheidend, dass die Anlage einfach zu handhaben ist und ein Ernteertrag von mindestens 80 Prozent im Vergleich zum Referenzfeld ohne PV-Module erzielt werden kann.» Bis 2019 werden die Projektpartner die Pilotanlage gemeinsam betreiben. Im Sommer 2017 und 2018 ist jeweils Erntezeit unter der APV-Anlage in Heggelbach. Danach werden die Ergebnisse in den einzelnen Arbeitsgebieten ausgewertet und in einem gemeinsamen Abschlussbericht veröffentlicht.

Wegweisender Lösungsansatz
Die installierte Leistung der APV-Anlage von 194 kW vermag den Strombedarf von rund 62 Haushalten abzudecken. Der überschüssige Strom wird von den Elektrizitätswerken Schönau abgenommen. Die APV-Anlage ist mit sogenannten bifazialen PV-Modulen der Firma deutschen SolarWorld bestückt. Bifaziale PV-Module können nicht nur vorderseitig Sonneneinstrahlung in Strom umwandeln, sondern über die Rückseite auch die reflektierte Strahlung der Umgebung aufnehmen. Dies erhöht den Energieertrag pro Fläche und sorgt durch die beidseitige Zellverglasung für eine homogenere Lichtverteilung über den Pflanzen. «Der Landwirtschaftssektor steht unter anderem vor der Herausforderung, den starken Ausbau der erneuerbaren Energien und damit verbunden den Wandel von Kulturlandschaften hin zu Energielandschaften zu bewerkstelligen. In diesem Kontext kann die Agrophotovoltaik ein wegweisender Lösungsansatz für die Zukunft sein», so Stephan Schindele, Projektleiter am Fraunhofer ISE.

Innovative und ressourceneffiziente Doppelnutzung

Prof. Dr. Eicke R. Weber resümierte in Heggelbach: «Agrophotovoltaik ist eine innovative und ressourceneffiziente Doppelnutzung landwirtschaftlicher Flächen, welche die Produktion von landwirtschaftlichen Gütern unterhalb von Photovoltaik-Freiflächenanlagen erlaubt.» Wie der Institutsleiter am Fraunhofer ISE weiter erklärte, «erlauben innovative Konzepte wie die Agrophotovoltaik eine Doppelnutzung agrarischer Flächen durchaus und dienen dadurch dem weiteren, raschen Umbau des globalen Energiesystems». Es sei dies eine unabdingbare Notwendigkeit «angesichts des dynamischen, weltweiten Wachstums der Photovoltaik im letzten Jahrzehnt und dem damit verbundenen steigenden Flächenbedarf für PV-Anlagen». Was darunter im Detail zu verstehen ist, erfuhren die Besucher der Einweihungsfeier an diversen Fachvorträgen. Diese bildeten das Rahmenprogramm, nebst der Besichtigung Anlage vor Ort und dem variantenreichen kulinarischen Angebot, ausschliesslich einheimische Produkte, versteht sich.

«
Agrophotovoltaik – Ressourceneffiziente Landnutzung», kurz «APV-Resola»
Das Projekt «APV-Resola» wird vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und FONA (Forschung für nachhaltige Entwicklung) gefördert. Es folgt dem «Living-Lab»-Prinzip, das auf inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit ausgerichtet ist und potenzielle Nutzer neuer Technologien sowie die Bevölkerung in den Innovationsprozess miteinbezieht – eine komplexe Laborlandschaft mit Forschung, Ausbildung, Wohnen und Landwirtschaft am gleichen Standort. Im Falle der Hofgemeinschaft Heggelbach kommt noch die Vermietung von grosszügig dimensionierten Ferienwohnungen hinzu. «APV-Resola» ist ein gemeinsames Projekt von Partnern aus Landwirtschaft, Wissenschaft, Technik und den Bewohnern der Region.

Auszeichnung «Ort im Land der Ideen»
Das Fraunhofer ISE hat die Federführung und ist für den technischen und energiewirtschaftlichen Teil zuständig. Die Fakultät für Agrarwissenschaften der Universität Hohenheim führt die agrarwissenschaftliche und ökologische Analyse durch. Das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) ist für die Konzeption und Realisierung des «Living-Lab»-Ansatzes verantwortlich. Der Energieversorger Elektrizitätswerke Schönau EWS nimmt den überschüssigen Strom ab. Die BayWa r. e. renewable energy ist für die APV-Anlagenprojektierung und Betriebsführung zuständig. Die Demeter-Hofgemeinschaft Heggelbach schliesslich stellt die Ackerflächen für die APV-Pilotanlage zur Verfügung und nutzt den Strom vorab für den Eigenbedarf. Der Regionalverband Bodensee-Oberschwaben unterstützt das Projektvorhaben auf regionaler und kommunaler Ebene. Anlässlich der Einweihungsfeier der Pilotanlage wurde der Hofgemeinschaft Heggelbach und den Projektverantwortlichen die Auszeichnung «Ort im Land der Ideen» verliehen.

Eckdaten des
Projekts «APV-Resola»

  • Die gesamte Testfläche (inkl. APV-Anlage und Referenzfläche) umfasst ca. 2.5 ha
  • Flächenmasse der APV-Anlage: 25 m Breite und 136 m Länge (ca. 1/3 Hektar)
  • Stützenabstand: in der Breite 19 m, in der Länge 12 m
  • Abstand zwischen den Stützen wurde in der Breite so gewählt, dass er einem Vielfachen der Breite der gängigen Landmaschinen entspricht; 95 % der Fläche unter der APV-Anlage stehen damit weiter für die Landwirtschaft zur Verfügung.
  • Gesamthöhe der PV-Anlage: 8 m, Durchfahrtshöhe: 5 m
  • Vier Kulturen werden in den ersten zwei Jahren gleichzeitig getestet: Weizen, Kleegras, Kartoffeln und Sellerie.
  • Installierte Leistung von 194 kW – damit können jährlich 62 Haushalte (4 Personen, ca. 4000 kWh Stromverbrauch) versorgt werden.
  • Betonlose Spinnanker-Fundamente ermöglichen die land-wirtschaftliche Bearbeitung bis an die Stützen und eine rückstandslose Demontage der APV-Anlage.
  • Verwendung von bifazialen PV-Modulen, die beidseitig Sonnenenergie in Strom umwandeln; diese ermöglichen einen höheren elektrischen Ertrag pro Fläche sowie eine homogenere Lichtverteilung unter der APV-Anlage.
  • Ausrichtung der Anlage nach Südwesten und ein ca. 60% grösserer Abstand der PV-Modulreihen gegenüber herkömmlichen PV-Freiflächenanlagen sorgen für optimale Verteilung der Sonneneinstrahlung auf der landwirtschaftlichen Fläche und bewirken damit eine gleichmässige Nutzpflanzenentwicklung.
  • Fläche neben der Anlage wird als Referenzfläche verwendet, um den Einfluss der APV-Anlage auf die Entwicklung der Pflanzen analysieren zu können.
  • Für die Optimierung des APV-Geschäftsmodells wird ein hoher Stromeigenverbrauch beim Landwirt angestrebt. Langfristig sollen möglichst viele Energieverbraucher auf dem Hof elektrifiziert werden, z. B. sollen zukünftig die mit Diesel angetriebene Landmaschinen durch elektrisch ersetzt werden.
  • Den überschüssigen Strom nimmt der Projektpartner Elektrizitätswerke Schönau ab.

www.ise.fraunhofer.de, www.hofgemeinschaft-heggelbach.de

©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

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