Daniele Ganser widmete sich in seinem Vortrag dem Ukrainekonflikt. In der Ukraine laufen wichtige Gasleitungen durch. Seit dem Sturz der Regierung im Februar 2014 herrscht Chaos und Krieg. ©Bild: T. Rütti

Für seine Verdienste als Präsident der parlamentarischen Peak Oil-Gruppe wurde Nationalrat Geri Müller von ASPO Schweiz-Präsidenten Walter Stocker geehrt. ©Bild: T. Rütti

Ruedi Küng ist selbständig als Afrikaspezialist tätig. In seinem Vortrag beleuchtete er die neuere Entwicklung der Erdölproduktion in Afrika und analysierte deren Konfliktpotenzial. ©Bild: T. Rütti

V.l.n.r. Anita Niederhäusern, Chefredaktorin ee-news, Energie- und Friedensforscher Daniele Ganser, Nationalrat Geri Müller, ASPO Schweiz-Präsident Walter Stocker. ©Bild: T. Rütti

Michael Lüders beleuchtete die Kriegs- und Krisengebiete der arabisch-islamischen Welt. Er ging dabei insbesondere der Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik sowie den Ursachen der Gewalt nach. ©Bild: T. Rütti

Als Vizepräsident von ASPO Schweiz führte François Cellier durch die von gut 120 Personen besuchte ASPO-Jahrestagung in Bern im Hotel Kreuz. ©Bild: T. Rütti

ASPO Schweiz-Präsident Walter Stocker ging auf den aktuellen Stand der Peak Oil Debatte ein und beleuchtete geostrategische Herausforderungen in Regionen mit noch grossen Reserven an billigem Erdöl. ©Bild: T. Rütti

ASPO Schweiz: Spannungen in Zeiten von Peak Oil

(©TR/AN/LB) Die Versorgungssicherheit mit Erdöl wird zunehmend von Ressourcenknappheit, Klimawandel und politischen Konflikten bedroht. Fragen zu internationalen Spannungen in Zeiten von Peak Oil wurden am 26. September 2015 an der Jahrestagung der Association for the Study of Peak Oil (ASPO Schweiz) in Bern diskutiert.


Die Menschheit ist offenbar dabei, die Grenzen ihres Wachstums zu erreichen: Während die Weltbevölkerung explosionsartig wächst (im Jahr 1800: ca. 1 Milliarde, 2011: ca. 7 Milliarden), werden wichtige Rohstoffe immer knapper. Die Entwicklung zieht weltweit sowie auf nationaler Ebene enorme Umwälzungen nach sich. Will die Menschheit Konflikte, Krisen und Kriege eindämmen, muss sie sich neu erfinden – als Nachhaltigkeits - statt als Wachstumsgesellschaft. Die Probleme, die auf uns zukommen, sind zwar rund um den Erdball ähnlich, aber mögliche Lösungsansätze unterscheiden sich von Land zu Land. Zu diesem Schluss kommt Prof. François E. Cellier in seinem Buch «Zwischen Ressourcenverknappung und Versorgungssicherheit – Zur Zukunft der schweizerischen Energieversorgung». Als Vizepräsident der ASPO Schweiz führte er am 26. September 2015 im Hotel Kreuz (Bern) durch die Jahrestagung mit dem Titel «Erdölkonflikte? Internationale Spannungen in Zeiten von Peak Oil».

Noch sind die Reserven an Schieferöl gewaltig
Der Begriff «Peak Oil» beschreibt das globale Maximum der Erdölförderung. Ist dieser höchste Punkt erreicht, geht das weltweite Erdölangebot zurück. Vorderhand muss dies noch nicht das Ende unseres Erdölzeitalters bedeuten: «Auch nach dem Peak gibt es Erdöl. Aber jedes Jahr kann etwas weniger aus dem Boden gepumpt werden. Dadurch können Energiekrisen, Instabilitäten an den Finanzmärkten und Kriege entstehen. Die Reserven beispielsweise an Schieferöl sind heute noch gewaltig, nur können sie kaum noch zur Steigerung der Fördermenge pro Zeiteinheit beitragen. Der ‹Peak Oil› spricht genau die Problematik der Fördermenge an, und nicht diejenige der Reserven, die noch im Boden verblieben sind», so Walter Stocker. Laut dem ASPO Schweiz-Präsidenten setzt die Erdölindustrie nach wie vor auf nicht konventionelle Erdölreserven, um den Rückgang der konventionellen Ressourcen zu kompensieren.

  • Konventionelles Erdöl ist relativ billig und rasch verfügbar. Merkmale: geographisch günstige Lage, geringe Viskosität (Zähigkeit), hohe Permeabilität (Durchlässigkeit der umgebenden Gesteinsformationen). Konventionelles Erdöl macht knapp 80% der weltweiten Förderung aus; 2006 hat es das Fördermaximum überschritten.
  • Unkonventionelles Erdöl ist relativ teuer und nur «langsam» verfügbar. Merkmale: geographisch ungünstige Lage, hohe Viskosität, tiefe Permeabilität der umgebenden Gesteinsformationen. Wegen diesen unvorteilhaften Eigenschaften ist die Gewinnung schwierig und nur mit hohem Energieaufwand und Umweltrisiko möglich. Ressourcen: Tiefsee-Öl, Öl-Sande, Schieferöl, Polares Öl.

Förderung von schwierig zugänglichen Erdöl-Vorkommen
Laut ASPO Schweiz-Präsident Stocker ist es nicht nur der Erdölpreis, der durch den Peak Oil beim konventionellen Erdöl angestiegen ist: Die heutige Förderung selbst verschlingt viel mehr Energie als früher. Die sogenannte Energierendite bezeichnet den Quotienten der nutzbar gemachten Energie und der Menge an Energie, die hineingesteckt werden muss, um eine Energiequelle überhaupt zu erschliessen: «Obwohl mit zunehmenden Ölpreisen – was im Moment nicht zutrifft – die wirtschaftlich förderbaren Reserven zunehmen, nimmt der sogenannte ‹Energy Return on Energy Invested› (ERoEI) kontinuierlich ab, da Erschliessung und Förderung der immer schwieriger zugänglichen Vorkommen immer mehr Energie verbrauchen». Der ERoEI von nicht konventionellen Erdölreserven dürfte heute um einen Faktor 3 bis 4 tiefer liegen als bei konventionellem Erdöl. Und auch bei diesem hat der ERoEI stetig abgenommen: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert lag er noch bei rund 100. Das heisst, dass für die Förderung von 100 Fass Erdöl ein Fass Erdöl verbrannt werden musste. Heute liegt die durchschnittliche Energierendite noch bei rund 20. 2015 muss also fünfmal mehr Energie für die Förderung aufgewendet werden als in den 1930er Jahren.

Zunehmende Abhängigkeit
vom Nahen Osten
Es zeichnet sich eine für die weltweite Erdölversorgung zunehmende Gefahr einer Abhängigkeit von Förderländern ab, die noch über grosse und bewiesene Reserven an günstigem Erdöl verfügen. Solche finden wir zu einem grossen Teil im krisengeschüttelten Nahen Osten wie in Saudi Arabien, Iran, Irak oder Kuweit. Zu diesem Schluss gelangt die Internationale Energieagentur (International Energy Agency, IEA) durch ihre Einschätzung, dass die gesamte Erdölförderung ausserhalb des Nahen Ostens – einschliesslich Schieferöl in den USA, Ölsande in Kanada und der Tiefseeförderung in Brasilien und anderswo – in fünf Jahren schon ein Plateau erreichen wird und ab 2024 unaufhaltsam zu sinken beginnt. Die starke Abhängigkeit vom Nahen Osten hält die IEA für zusätzlich problematisch, weil dort politische Unruhen und bewaffnete Konflikte die Sicherheitslage bedrohen. Darüber hinaus ist zu bemerken, dass die Erdölländer im Nahen Osten derzeit nur rund 26 % des weltweiten Ölkonsums fördern. Die Reserven dort nehmen also verhältnismässig weniger schnell ab als in anderen Regionen, so dass die geostrategische Bedeutung der Golfregion in Zukunft steigen und die Abhängigkeit von diesen Länder zunehmen wird. Eine Fazit der Jahrestagung lautete denn auch: Wir sollten, nein müssen, versuchen, unsere Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas zu durchbrechen und erneuerbare Energien und Effizienz zu stärken.

Wo finden wir heute noch reichlich und günstiges Erdöl?

Zwei Drittel (1 Billion Fass) der konventionellen Reserven liegen wie gesagt in den Regionen des Persischen Golfs (Saudi-Arabien, Iran, Irak, Kuwait, Vereinigte Arabische Emirate, Katar), aber auch in Russland, Nordafrika (Libyen/Algerien) und im Golf von Guinea (Nigeria/Angola). Diese Regionen, aus denen mehr als die Hälfte des täglich in der Welt geförderten Erdöls stammt, sind jedoch zusehends Schauplätze lokaler Konflikte und geopolitischer Spannungen. Dies könnte auch mit dem Erdöl zusammenhängen – und die globale Versorgungssicherheit ernsthaft bedrohen. Die geopolitische Lage und zukünftigen Entwicklungen in den Erdöl-Förderregionen sind jedenfalls für die modernen Industriegesellschaften von grösster Bedeutung, wie an der ASPO-Tagung aus den weiteren Referaten von Daniele Ganser (Thema «Ukrainekrise»), Michael Lüders (Thema «Naher Osten») und Rudolf Küng (Thema «Afrika») unmissverständlich hervorging.

In der Ukraine laufen wichtige Gasleitungen durch

Dr. Daniele Ganser, Mitgründer der ASPO Schweiz, ist Historiker, Energie- und Friedensforscher. Er leitet das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) und untersucht als Energieexperte den globalen Kampf ums Erdöl. Seine Erkenntnisse hat er in seinem Buch «Europa im Erdölrausch» (Zürich 2012) veröffentlicht. In seinem Vortrag widmete sich Ganser speziell dem Ukrainekonflikt, weil in der Ukraine wichtige Pipelines durchlaufen, die Europa mit russischem Erdgas beliefern. Seit dem Sturz der ukrainischen Regierung im Februar 2014 herrscht im Land jedoch Chaos und Krieg. Der Friedensforscher Ganser legte Beweise vor, die zeigen, dass die USA den Putsch in der Ukraine mitorchestriert haben. Aus geopolitischer Sicht sei zudem klar, warum Russland in der Ukraine keine Intervention des Westens will: Das Land fühle sich von der Nato bedroht und fürchte eine weitere Ausdehnung der Nato in der Ukraine. Würden die Gasleitungen nicht durch die Ukraine führen, so Ganser, wäre der Westen auch nicht brennend am dortigen Konflikt interessiert.

Nahost: Wie ein Polit-Thriller – nur leider Realität

Nahostspezialist Dr. Michael Lüders ist als Publizist und Buchautor tätig sowie als Wirtschafts- und Politikberater. Er hat in Damaskus arabische Literatur, in Berlin Orientalistik und Politologie studiert. Sein letztes Buch, «Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet» (München 2015) beschreibt die westlichen Interventionen im Nahen und Mittleren Osten seit der Kolonialzeit und erklärt, was sie mit der aktuellen politischen Situation zu tun haben. Was er den Teilnehmern der ASPO-Tagung vortrug, und auch in seinem Buch nachzulesen ist, hört sich an wie ein Polit-Thriller – nur leider beschreibt es die Realität. Eine Schlussfolgerung daraus: Das iranische Verhältnis zum Westen versteht nur, wer den von CIA und MI6 eingefädelten Sturz des demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mossadegh im Jahr 1953 berücksichtigt. Und weiter: Ohne den Irakkrieg von 2003 und die westliche Politik gegenüber Assad in Syrien lässt sich der heutige Erfolg des «Islamischen Staates» nicht begreifen. Lüders Vortrag machte die Entwicklungen in Kriegs- und Krisengebieten der arabisch-islamischen Welt auch für jene Zuhörer nachvollziehbar, die sich bis dato noch nicht intensiv damit beschäftigt hatten. Dies gilt insbesondere für den Syrienkonflikt, über den Lüders sagt: „Zu glauben, es sei eine Lösung, Assad abzusetzen, ist ein Irrsinn. Damit könnte die Armee des Islamischen Staates sich weiter ausbreiten.“ Hier wie in anderen Krisen- und Kriegsgebieten des Orients sieht er die militärische Einmischung des Westens und insbesondere der USA als Hauptgrund der Konflikte, und somit auch als Hauptgrund der Flüchtlingsströme: „Wäre man konsequent in Europa, müssten wir die asylsuchenden Menschen gleich an die USA weiterreichen, wo erzkonservative Strömungen dieses menschliche Drama mit ihren kriegerischen Einsätzen überhaupt ausgelöst haben.“

Afrika: Jenseits von Klischees, Schwarzmalerei oder Schönfärben

Der Afrikaspezialist Ruedi Küng beschäftigt sich seit 34 Jahren mit Afrika, wo er elf Jahre gelebt hat. Von 1998 bis 2010 war er Afrikakorrespondent und später Redaktor des Schweizer Radios (heute SRF). Heute ist Küng selbständig als Afrikaspezialist tätig. In seinem ASPO-Vortrag beleuchtete er neuere Entwicklungen der Erdölproduktion in Afrika und analysierte deren Konfliktpotenzial. Sein Vortrag liess keine Zweifel daran, dass er auch oder gerade als Insider möglichst unvoreingenommen und vorurteilsfrei Informationen über afrikanische Gegebenheiten vermitteln wollte, jenseits von Klischees oder Schönfärberei. Küngs Recherchen zufolge machen Afrikas Erdölreserven von 125 Milliarden Fass nur 8 Prozent des Weltvorkommens aus. Afrikas Gasreserven dürften bei 510 Billionen Kubik-­‐Fuss oder 7 Prozent des Weltvorkommens liegen. Einen direkten Zusammenhang zwischen Krieg und Erdölförderung sieht der Afrikakenner jedoch nicht: „Es geht hier um sehr viel mehr“, erklärte Küng, zum Beispiel um andere Bodenschätze. In Bezug auf das politisch-gesellschaftliche System bestehe zwar ein Zusammenhang von Erdölproduktion und mangelnden Freiheiten. Mangelnde Freiheiten gebe es aber auch in afrikanischen Ländern, die kein Erdöl produzieren, mit und ohne Ressourcenreichtum. Erdöl hat wie andere Ressourcenvorkommen gleichzeitig jedoch das Potenzial, interne Konflikte trotz staatlicher Repression‚unter Verschluss zu halten‘, indem es autoritären Regimen ermöglicht, durch gezielte Verteilung der Gewinne offene Konfrontationen und Konflikte zu verhindern. Gleichzeitig sei zu bedenken, so Küng, dass autoritäre Regime allerdings auch unabhängig von sogenanntem Erdöl- oder Ressourcenreichtum bestünden.

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Helfen Sie mit, die Erdölabhängigkeit der Schweiz zu verringern»
Für seine Verdienste als Präsident der Parlamentarischen Gruppe Peak Oil wurde Nationalrat Geri Müller von der ASPO Schweiz geehrt. An das rund 120-köpfige Publikum richtete er folgenden Appel: „Setzen Sie sich in Ihrer Gemeinde aktiv für nachhaltige Entwicklung, für die Förderung erneuerbarer Energien sowie für Effizienz und Sparsamkeit beim Energieverbrauch ein! Unterstützen Sie Abstimmungsvorlagen und Kandidaten für politische Mandate, die sich für diese Anliegen einsetzen und helfen Sie mit, die Erdölabhängigkeit der Schweiz zu verringern.“ Diese Worte lösten eine angeregte Diskussion im Publikum aus. Solarpionier Josef Jenni, der ASPO Schweiz-Mitglied ist und an der Tagung anwesend war, meinte zum Anspruch, ‚unseren Wohlstand aufrecht zu erhalten - trotz Energiewende!’: „Wir sollten anfangen, die Nachfrage in Frage zu stellen.“

©Text: Toni Rütti und Anita Niederhäusern, ee-news.ch, und Léa Burger, ASPO Schweiz

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