Dr. Suzanne Thoma, CEO, BKW : «Erneuerbare Energien verdrängen ihre eigene Backup-Kapazität. Der Anreiz für Investitionen in neue flexible Kraftwerke fehlt.»

Moderator Dr. Ivo Schillig, Sankt Galler Stadtwerke: «Zusätzliche Einspeisungen neuer erneuerbaren Energien werden den Marktpreis weiter zum Sinken bringen und bestehende Kraftwerke aus dem Markt drängen.»

Prof. Dr. Karl Frauendorfer, Ordinarius für Operations Research: «Ein Vertrag zwischen der Schweiz und der EU soll die Sicherheitsstandards harmonisieren und den freien Marktzugang absichern.»

Die «Stromtagung 2013» in Zürich wurde von etwa 150 Fachleuten aus der Strombranche sowie Behördenvertretern besucht. Die Pausen boten Gelegenheit zum Gedankenaustausch und zum Kontakt knüpfen. Bilder: T. Rütti

Strombranche: Die Integration der Erneuerbaren fördern

(TR) Seit 2007 verhandelt die Schweiz mit der EU über ein bilaterales Abkommen im Elektrizitätsbereich. Die Verhandlungen wurden auf Wunsch der EU aufgenommen, als Reaktion auf den Blackout vom September 2003 in Italien. Unter dem Titel «Bilaterale Verträge und Preiszerfall in der Strombranche» fand unlängst in Zürich die «Stromtagung 2013» statt.


Ursprüngliches Ziel der Verhandlungen der Schweiz mit der EU war die Regelung des Netzzugangs für den grenzüberschreitenden Stromverkehr sowie die Harmonisierung der Sicherheitsstandards für die Stromnetze. Im Herbst 2010 hat dann der Bundesrat das Schweizer Verhandlungsmandat erweitert. Dieses berücksichtigt nun auch die jüngsten Rechtsentwicklungen in der EU, beispielsweise das dritte Energiebinnenmarktpaket und zielt langfristig auf ein umfassendes Energieabkommen mit der EU ab. Prof. Dr. Karl Frauendorfer, Ordinarius für Operations Research, sagte: «Die Versorgungssicherheit steht dabei für beide Seiten im Vordergrund.

Den grenzüberschreitenden Stromhandel regeln
Ein Vertrag zwischen der Schweiz und der EU soll insbesondere den grenzüberschreitenden Stromhandel regeln, die Sicherheitsstandards harmonisieren und den freien Marktzugang absichern, wodurch auch die Position der Schweizer Stromproduzenten auf dem europäischen Elektrizitätsmarkt gestärkt würde», so der Leiter des Competence Center Energy Management, Universität St. Gallen; diese Institution hatte die Fachveranstaltung in Zürich organisiert und durchgeführt.

Die Schweiz als Drittstaat ohne Marktzugang?

Vor dem Hintergrund der Debatte um den automatischen Nachvollzug von EU-Recht fordert die EU von der Schweiz, dass das Stromabkommen spätestens bis Ende 2014 «stehen» müsse. Kommt kein Abkommen zustande, wird die Schweiz als Drittstaat ohne Marktzugang behandelt. Schweizer Stromhändler hätten dann keinen Marktzugang mehr und würden für den Stromtransit nur noch sehr tiefe Netzentschädigungen erhalten. Zu dieser unsicheren Situation gesellt sich der Preiszerfall in der Strombranche hinzu.

Pumpspeicherkraftwerke erzielen «negative Renditen»
Die Preise, die zurzeit an der European Energy Exchange AG (Leipzig) gehandelt werden, liegen unter den Gestehungskostenpreisen, was beispielsweise dazu führt, dass Pumpspeicherkraftwerke so genannt «negative Renditen» erzielen, wie es an der «Stromtagung 2013» im Zürich Marriott Hotel hiess. Das Ergebnis der bilateralen Verhandlungen mit der EU ist derzeit noch völlig offen, und die Renditerisiken in der hiesigen Strombranche steigen. Die Energieversorgungsunternehmen der Schweiz fürchten heute Risiken, mit denen sie ehedem kaum in diesem Ausmass gerechnet hatten. Dass man dem drohenden Ungemach jetzt nur mit strategisch geschicktem Handeln begegnen kann beziehungsweise muss, ist eine Quintessenz der «Stromtagung 2013».

Integration der erneuerbaren Energien
Zur Integration der erneuerbaren Energien erfordert ein zukünftiges Energieversorgungssystem laut Bundesamt für Energie BFE nicht zuletzt folgende Technologien und Massnahmen:

  • Flexible Kraftwerke, um einen allfälligen Nachfrageüberhang bei fehlender Produktion zu decken
  • Speichertechnologien, um einen allfälligen Angebotsüberhang zu speichern
  • Demand Side Management, um das Nachfrageverhalten der Angebotsentwicklung anzupassen
  • Effizienter Netzbetrieb, Netzausbau und Entwicklung von Smartgrids für die vermehrte Einspeisung auf der unter Netzebene und um die Verbrauchen und Produzenten intelligenter zu verbinden
  • Es sind zusätzliche Investitionen nötig für den Umbau
  • Effizienzsteigerungen sind nötig, um grosse Preissteigerungen zu vermeiden.

Gedankensplitter zum Stichwort «erneuerbare Energien»

  • Dr. Pascal Previdoli: Stellvertretender Direktor und Leiter Abteilung Energiewirtschaft, Bundesamt für Energie, Bern: «Aufgrund der unter anderem konjunkturell bedingt tieferen Nachfrage und der steigenden Produktionskapazitäten – besonders aus erneuerbaren Energien – sind die Terminpreise für Strom seit 2008 im Abwärtstrend.»
  • Dr. Ivo Schillig, Unternehmensleiter, Sankt Galler Stadtwerke, St. Gallen: «Sinkende Strommarktpreise gefährden die Rendite von bestehenden Investitionen in Kraftwerke und verhindern neue Investitionen, auch in Produktionen neuer erneuerbarer Energien. Zusätzliche Einspeisungen neuer erneuerbaren Energien werden den Marktpreis weiter zum Sinken bringen und bestehende Kraftwerke aus dem Markt drängen.»
  • Dr. Urs Meister: Projektleiter und Mitglied des Kaders, Avenir Suisse, Zürich: «Alternativen zu den Kapazitätsmechanismen: Mit wachsender Stromeinspeisung wird die Kostendeckenden Einspeisevergütung KEV immer ineffizienter. Die Förderung der Erneuerbaren soll marktnäher gestaltet werden.»
  • Dr. Suzanne Thoma, CEO, BKW Energie AG, Bern: «Erneuerbare stossen Spitzenlastkraftwerke aus dem Markt. Wer gleicht die fehlende Last der Erneuerbaren bei Regen aus? Erneuerbare Energien verdrängen ihre eigene Backup-Kapazität. Der Anreiz für Investitionen in neue flexible Kraftwerke fehlt.»
  • Dr. Rainer Bacher, Dozent ETH Zürich, Managing Director Bacher Energie AG, Baden: «Statt Anreizregulierung für Netze: Von der Kostendeckenden Einspeisevergütung KEV hin zu integrierten regionalen ‹Erzeugerkapazität›-Marktplätzen.»

©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

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