Noch ist Deutschland führend in der Windenergie. Doch die Konkurrenz, auch aus China, nimmt zu. ©Bild: Juwi Holding/BEW

Deutsche Windindustrie: Zu wenig Kooperation

(©SR) Die deutsche Windbranche ist weltweit führend. Doch nun droht zum einen der deutsche Windmarkt als Innovations- und Demonstrationsbasis zu stagnieren, zum anderen wächst die internationale Konkurrenz – wenn die hiesige Windbranche ihre Technologieführerschaft behaupten will, muss sie Forschung und Entwicklung besser bündeln.


Besser könnte es für Windturbinenhersteller Nordex nicht laufen. „Wir wachsen zurzeit im Vergleich zur Windindustrie überdurchschnittlich“, sagt Unternehmenschef Lars Bondo Krogsgaard. Vor allem florierende Geschäfte in Europa und Südamerika haben dazu beigetragen, dass Nordex seinen Umsatz im dritten Quartal 2015 um 50 Prozent auf 685.8 Millionen Euro steigern konnte. Dass es ähnlich oder sogar noch besser weitergehen könnte, dafür soll die im November besiegelte Übernahme der spanischen Acciona Windpower sorgen. Wesentliches Ziel des neuen Windkonzerns ist es, durch effizientere Turbinen und produktionstechnische Verbesserungen die Erzeugungskosten von Windstrom in den kommenden drei Jahren um bis zu 18 Prozent reduzieren. Die Reduktion soll als Hebel dienen, um den Umsatz bis 2018 auf 4.2 bis 4.5 Milliarden Euro zu steigen.

Hohe neue Anforderungen

Nordex' Aufschwung kommt für Experten nicht überraschend. „Die deutsche Windbranche ist weltweit führend. Es gibt sehr viele Bereiche, wo die Akteure international vorne mitspielen“, sagt Andreas Reuter, Leiter des Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (Iwes) in Bremerhaven. Die Hersteller profitieren davon, dass der deutsche Windmarkt seit Jahren kontinuierlich wächst. Von 2010 bis 2014 haben sich die jährlichen Neuinstallationen auf eine Gesamtleistung von 4750 Megawatt verdreifacht, allein im Vorjahr legte der Zubau hierzulande um 50 Prozent zu. Dabei sind die technischen Anforderungen immens. Während für den Einsatz an der Küste und auf dem Meer immer leistungsstärkere Turbinen gefragt sind, steigt im Binnenland die Nachfrage nach individualisierten Hocheffizienzanlagen, die auch bei schwachem Wind hohe Erträge liefern. Um den Anforderungen gerecht zu werden, muss die Windindustrie alle Innovationskraft aufbringen.

Exportschlager für Binnenstandorte
Die Mühen lohnen sich, denn deutsche Windtechnik ist weltweit gefragt. Um den sich verändernden Rahmenbedingungen in Deutschland, der Verlagerung des Zubaus in die küstenfernen Regionen Rechnung zu tragen, präsentierte Nordex 2011 die speziell für Binnenlandstandorte entwickelte N117/2400 mit einem Rotordurchmesser von 117 Metern und 2.4 Megawatt Leistung. Heute ist die Anlage ein regelrechter Exportschlager. „Sie kommt rund um den Globus zum Einsatz, vor allem in Frankreich, Skandinavien, Uruguay und den USA“, erklärt Nordex-Sprecher Felix Losada. Auch Enercons Exportgeschäft wird von einem stabilen Heimatmarkt getragen. Er forscht und entwickelt im unternehmenseigenen Innovationszentrum in Aurich, demonstriert und etabliert die Neuentwicklungen in Deutschland und transferiert die Techniken samt Produktionen anschliessend in viel versprechende Auslandsmärkte. Ausserhalb Deutschland betreibt Enercon mittlerweile Produktionsstätten in Brasilien, Frankreich, Kanada, Österreich, Portugal, Schweden und der Türkei.

Ineffiziente Förderung?
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat derartigen Innovationen den Weg geebnet, da es mit seinen garantierten Einspeisetarifen für Windstrom für ein kontinuierlich starkes Wachstum des deutschen Windmarkts sorgte. Davon profitieren auch die Forschungsinstitute, die immer mehr direkte Aufträge von den expandierenden Windfirmen erhalten. Der Grossteil der Mittel kommt jedoch aus öffentlichen Forschungsvorhaben. Derzeit laufen vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekte der Windforschung mit einer Gesamtförderung von 204 Millionen Euro, davon fliessen allein 123 Millionen Euro in Verbundprojekte von Industrie und Wissenschaft. „Das ist eine sehr komfortable Summe“, sagt Stephan Barth, Geschäftsführer von Forwind – Zentrum für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg, Bremen und Hannover.


Mehr Konkurrenz aus China
Die Frage ist jedoch, ob die Bemühungen der deutschen Windbranche ausreichen, um ihre internationale Vorreiterrolle sicher zu behaupten. Der Druck auf die Unternehmen steigt, denn einerseits droht der deutsche Markt als Innovationstreiber an Bedeutung zu verlieren – Experten befürchten, dass Zubau infolge des Ende 2016 anstehenden Systemwechsels auf wettbewerbliche Ausschreibungen zurückgehen könnte. Andererseits drängen immer mehr chinesische Unternehmen mit relativ günstigen Turbinen und Komponenten auf die internationalen Märkte. „Das ist schon eine Konkurrenz, die da wächst“, sagt Barth. Ein Beleg dafür ist der chinesische Getriebe- und Antriebstechnikspezialist NGC, der derzeit in Duisburg eine neue Europazentrale errichtet. Sie soll europäische Kunden künftig einen einfacheren und schnelleren Zugriff auf NGCs Produkte und Dienstleistungen ermöglichen.

Dass chinesische Windfirmen stärker mitmischen wollen, dafür spricht auch ihr Engagement in der IEA Wind, einer Forschungskooperation unter dem Dach der Internationalen Energieagentur. Ziel etwa der Task 35, einer der insgesamt 37 Arbeitsgruppen der IEA Wind, ist es, Empfehlungen und Richtlinien für den Betrieb von Testständen für Grosskomponenten wie Gondeln und Rotorblätter zu entwickeln. Dafür legen ihre Teilnehmer – Turbinen- und Komponentenhersteller, Wissenschaftler und Zertifizierungsfirmen – ihre Expertise für alle zugänglich offen auf den Tisch. Der Vorteil aus deutscher Sicht: Die Teilnehmer kommen in der Task mit chinesischen Firmen und Forschern in Kontakt und nähern sich damit möglicherweise einem Markt, der enorme Exportchancen verspricht – 2015 werden in China mindestens 20 Gigawatt Neuinstallationen erwartet. Der Nachteil: Deutsche Wissenschaftler wissen, wie Prüf- und Teststände aufgebaut werden, was unter anderem das Iwes mit dem Dynalab in Bremerhaven, einem grosstechnischen Prüfstand für komplette Gondeln mit bis zu acht Megawatt Leistung, jüngst bewiesen hat. Seit dem Frühjahr können Hersteller hier ihre neuen Antriebe in relativ kurzer Zeit auf Herz und Nieren testen und sich somit die langwierige Prototypen-Testphase im Feld sparen. Die Chinesen verfügen über derartige Einrichtungen noch nicht – doch das könnte sich durch die Task 35 bald ändern.

Kräfte bündeln
Was kann die deutsche Windindustrie tun, um bei zunehmender Konkurrenz ihre Exportchancen zu wahren? Bei der Antwort auf diese Frage sind sich im Prinzip alle Experten einig: Hersteller, Zulieferer und Wissenschaftler in Deutschland müssen ihre Kräfte bündeln und bei Forschung und Entwicklung wesentlich enger und intensiver zusammenarbeiten. „Bei den Fördergeldern sind wir im Vergleich zu anderen Nationen gut ausgestattet, doch es fehlt die Absprache zwischen den Akteuren. Die Industrie ist sehr zögerlich, denn sie hat Angst, zu viel offenzulegen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren“, sagt Barth. Auch Iwes-Leiter Reuter sieht einen Mangel an vorwettbewerblicher Gemeinschaftsforschung. „Es fehlt der Aufwand, bestimmte Probleme gemeinsam zu lösen.“ So habe das Iwes oft Mühe, zwei Hersteller in ein Forschungsprojekt einzubinden. Dabei gibt es aus Sicht der Wissenschaftler viele Fragen, die die Unternehmen effizienter gemeinsam angehen könnten: zum Beispiel zum Thema Vereisung der Rotorblätter oder zum grossen Komplex der Lastreduzierung. Wie können Turbinen höher und ausladender werden, ohne dass ihr Gewicht über die Gebühr steigt? Welche neuen Materialien kommen in Frage? Und wie können durch innovative Überwachungskonzepte die Auswirkungen der Kräfte auf die Anlagen besser eingeschätzt werden? „Das Thema Lastminimierung birgt noch grosses Kostensenkungspotenzial“, sagt Reuter.

Forschungsroadmap
Auch das für die Windforschung verantwortliche Bundeswirtschaftsministerium hat offenbar mittlerweile erkannt, dass der duale Innovationsmotor von Wissenschaft und Wirtschaft nicht optimal läuft und auf Touren gebracht werden muss. Aus Branchenkreisen heisst es, das Ministerium wolle die Forschung deshalb künftig noch stärker am Bedarf der Industrie ausrichten und vor allem Gemeinschaftsprojekte fördern. Deshalb habe sie von der Industrie eine Art Forschungsroadmap erbeten, die Problemfelder aufzeigt, die für alle Unternehmen von Bedeutung sind. Die deutsche Bundesregierung muss eine weitere Herausforderung bewältigen: die Windförderung in Deutschland so justieren, dass der Markt weiter funktioniert. Der Bundesverband WindEnergie (BWE) befürchtet, dass mit den Ausschreibungen die Kontinuität verloren geht. Die Windindustrie steht vor grossen Herausforderungen.

©Text: Sascha Rentzing

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