2008 führten die hässig sustech gmbh und die Basler & Hofmann Studien in Klassenzimmern mit einer verantwortlichen Lehrperson sowie anonymen Schulräumen mit wechselnden Klassen und Lehrpersonen durch. ©Bild: T. Rütti

Energieberater Werner Hässig: «Bei Neubauten geht die Tendenz in Richtung mechanische Lüftung. Je älter die Schüler und je höher die Raumbelegung, desto wichtiger wird eine mechanische Lüftung.» Bild: T. Rütti

Philipp Deflorin: «Zwingende Voraussetzungen eines funktionierenden Lüftungssystems sind sehr gute Wärmedämmung, eine hohe Luftdichtigkeit, eine optimierte Tageslichtnutzung.» Bild: T. Rütti

Ein Tagungsthema 2016: Lowtech- oder Hightech-Systeme und Lüftungsoptionen in Schulgebäuden sowie Lüftungstechnologie-Konzepte. Teilnehmerzahl: 230. Bild: T. Rütti

Lüftungsproblematik: Am Beispiel von Schulhäusern

(©TR) Wie viel Technik ist erforderlich, um ein Klassenzimmer mit einem adäquaten Lüftungssystem auszustatten. Reicht Lowtech oder braucht es Hightech? Wie viel Technik braucht – oder verträgt – ein nachhaltiges Gebäude? Wissenswertes und Informationen zu diesem Spezialgebiet innerhalb der Gebäudetechnik von Werner Hässig von der hässig sustech und Philipp Deforin von der Ernst Basler + Partner.


Die Kernfrage einer in Ittigen bei Bern abgehaltenen Fachtagung der beiden Organisationen eco-bau – Nachhaltigkeit im öffentlichen Bau und Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz (NNBS) hatte gelautet: Wie viel Technik braucht – oder verträgt – ein nachhaltiges Gebäude? Die Referenten spannten dabei einen weiten Bogen von den Ergebnissen aus der Feldforschung über grundsätzliche Ideen und Konzepte zum Umgang mit Technik am Bau bis hin zu den gemachten Erfahrungen mit realisierten Projekten. Aus der Themenpalette der Fachtagung 2016 herausgegriffen: Lowtech- oder Hightech-Systeme und Lüftungsoptionen in Schulgebäuden sowie Lüftungstechnologie-Konzepte.

Grenzwert von 1‘350 ppm in 20% aller Lektionen überschritten
Wer sich mit Lüftungsfragen in Schulen befasst, der kann sich heute auf zahlreiche Untersuchungen stützen, wie dem aktuellen Dezember-Heft der Fachzeitschrift HK-Gebäudetechnik (AZ Fachverlage AG) zu entnehmen ist. So auch auf eine, die 2008 von den Firmen hässig sustech gmbh und Basler & Hofmann durchgeführt wurde. Vorgenommen wurden dabei Messkampagnen in Primar-, Sekundar- sowie Kantonsschulen, also: Klassenzimmer mit einer verantwortlichen Lehrperson versus anonyme Schulräume mit laufend wechselnden Klassen und Lehrpersonen. Laut dieser Untersuchung weisen Primarschulen eine wesentlich geringere Notwendigkeit für ein Hightech- Lüftungssystem aus als etwa Kantonsschulen. Je dichter also die Belegung ist und je anonymer der Schulbetrieb abläuft, umso eher braucht es ein selbsttätiges Lüftungssystem, werden doch die Schüler namentlich in Primarklassen mit «Ämtli» wie das regelmässige Lowtech-Lüften von Hand in den Pausen beauftragt. Eine kontrollierte Fensterlüftung von Hand sorgt offenbar auch eine bessre Luftqualität. «Bei der kontrollierten statt automatisierten Fensterlüftung wurde der Grenzwert von 1‘350 ppm nur in 20% aller Lektionen bei Vollbelegung überschritten.

«Automatik-Fenster: Schüler frieren»
Die Luftqualität in Zimmern ohne kontrollierte Lüftung hängt stark davon ab, ob konsequent von Hand gelüftet wird oder eben nicht», so Dr. Hässig. Unter dem Titel «Automatik-Fenster: Schüler frieren» berichtete der Tagesanzeiger am 16. März 2009: «Bei zwei Schulhausrenovationen haben Winterthurs Behörden Fenster einbauen lassen, die sich bei zu viel CO2 im Raum automatisch öffnen. Mit der Folge, dass die Schulzimmer oft stark auskühlten. Was die Schulkinder zu besseren Leistungen dank frischer Luft hätte animieren sollen, liess sie nun schlottern.» Als Folge der HighTech-Lüftung blieb im vorliegenden Fall also nicht nur die Energieeffizienz auf der Strecke, sondern das plötzliche Surren der Lüftungsantriebe störte auch noch die Konzentration der Kinder.

Tendenz geht in Richtung mechanische Lüftung von Schulbauten

Maschineningenieur Hässig erörterte in diesen Zusammenhang die spezifischen Eigenheiten und Vor- und Nachteile der Lüftungs- und Raumgeräte «geniovent.x» der Firma Energenio und «Airmaster» der Firma Wesco, aber auch «Aeroschool» von Drexel & Weiss, «Schoolair» von der Trox GmbH sowie «Univent FVS» von der Firma LTG. In seinem Resümee sagte Dr. Hässig: «Bei Neubauten und wirklich umfassenden Umbauten geht die Tendenz klar in Richtung mechanische Lüftung von Schulbauten. Je älter die Schüler und je höher die Raumbelegung, desto wichtiger wird eine mechanische Lüftung, also LowTech.» Die Anforderungen an die Lerneffizienz werden künftig weiter steigen, was wiederum eine effektive Lüftung bedinge. «Die Lüftung soll pro Schulungsraum einzeln auf Basis CO2 und Zeitschaltuhr regelbar sein – von 0 bis 100% pro Klassenzimmer: Nachts aus, morgendliche Vorspülung und Nachtauskühlung, falls dies über die Fenster nicht möglich ist.

Zentrale oder dezentrale Lüftungsanlagen einbauen?

Bei Kinosälen, Theater, Restaurants etc. sind Lüftungsanlagen eine Selbstverständlichkeit», so Energieberater Hässig. Offen bleibe allerdings die Frage, ob zentrale oder dezentrale Lüftungsanlagen einzubauen seien. Seine Empfehlung bei Neubauten lautet: Projektspezifische Abklärungen vornehmen! Hingegen geht die Tendenz bei kleineren Umbauten und Modernisierungen von Schulbauten laut Werner Hässig «ganz klar in Richtung mechanische LowTech-Lüftung». Wörtlich sagte der Firmenchef der hässig sustech gmbh: «Nur in bestehenden Schulräumen der Unter- und Mittelstufe ist eine eigenverantwortliche Fensterlüftung prüfenswert, wobei eine professionelle Instruktion zum Schuljahresbeginn und ein regelmässiges Monitoring unabdingbar sind.» Eine automatische Fensterlüftung (Oblichter) empfehle sich nur in den seltensten Fällen. Dr. Hässigs Fazit: «Eine mechanische Lüftung mit Zu- und Abluft von Schulbauten ist grundsätzlich die richtige Lösung». Diskussionspunkte für Lowtech-Ansätze sind eine Lüftung ohne Befeuchtung und ohne Kühlung sowie dezentrale Lüftungsanlagen pro Klassenzimmer ohne langes Leitungssystem.

Technik kann schlecht konzipierte Gebäude nicht korrigieren
Nachhaltig gebaute Schulhäuser, welche mit einem Fensterlüftungssystem ausgerüstet sind, müssen sehr hohen Ansprüchen genügen, erklärte Philipp Deflorin vom Ingenieur-, Planungs- und Beratungsunternehmen Ernst Basler + Partner (EBP). Dazu nannte er folgende Hauptkriterien: «Erstens sind eine sehr gute Wärmedämmung, eine hohe Luftdichtigkeit, eine optimierte Tageslichtnutzung sowie eine wirksamer Sonnenschutz zwingende Voraussetzungen.» Zweitens plädierte der Energieberater und Projektleiter Gebäudetechnik für «eine Zwischenspeicherung von passiven Energiegewinnen in der Gebäudestruktur sowie eine automatisierte Nachtauskühlung». Erst dann könne drittens das Raumklima mit einer effizienten und schlanken Technik justiert werden. Klartext sprach Philipp Deflorin zudem mit folgender Aussage: «Die Technik kann nicht schlecht konzipierte Gebäude korrigieren. Gebäudehülle und Gebäudestruktur müssen ebenfalls ihren Anteil an der Klimatisierung übernehmen.» Letztlich lässt sich anscheinend eine hohe Effizienz auch mit einer kontrollierten, natürlichen Stosslüftung – der altbekannte Pausenlüftung – und einem flinken Heizsystem erreichen.

Award «für Bestleistungen im Energiebereich»
Für den neue Swisscom Businesspark in Ittigen bei Bern (siehe ee-news.ch vom 21.8.14 >>) wurden das Telekommunikationsunternehmen Swisscom AG und die Ernst Basler + Partner in der Kategorie «Gebäude und Raum» gemeinsam mit dem Preis «Watt d'Or 2016» ausgezeichnet. Verliehen wird dieser unter dem Patronat des Bundsamtes für Energie stehende Award «für Bestleistungen im Energiebereich». Das Besondere an diesem Hightech- und Lowtech-Swisscom-Bürokomplex: Die konsequente Abstimmung der Technik auf das Gebäude. In Kombination mit einem neuartigen Energie- und so genannten Lungenlüftungskonzept ist daraus ein bemerkenswertes Gesamtkonzept entstanden, welches von den Fachtagungsteilnehmern im Nachmittagsprogramm kommentiert besichtigt werden konnte. Der Fachzeitschrift HK-Gebäudetechnik zufolge vermag dieser Neubau nicht nur in Sachen Energieeffizienz (Minergie-P-Eco) und Komfort zu überzeugen, sondern auch bezüglich Kosten und Betriebssicherheit. Klar, dass die EBP die beim Grossprojekt von Ittigen gewonnenen Erkenntnisse auch in die Konzeption von kleineren Aufträgen einfliessen lässt, etwa bei Lüftungskonzepten in Schulhäusern.

©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

0 Kommentare

Kommentar hinzufügen

Partner

  • Agentur Erneuerbare Energien und Energieeffizienz

Ist Ihr Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien oder Energieeffizienz tätig? Dann senden sie ein e-Mail an info@ee-news.ch mit Name, Adresse, Tätigkeitsfeld und Mail, dann nehmen wir Sie gerne ins Firmenverzeichnis auf.

Top

Gelesen
|
Kommentiert