Alte Glanzzeiten: Italien galt in den letzten Jahren als Boomstart für die Photovoltaik. Diese Zeiten sind zumindest vorbei. Foto: Solarworld

Europäische Solarindustrie: Letzte Chance

(©SR) Die europäische Solarindustrie steckt tief in der Krise. Ein neues europaweites Bündnis von Unternehmen, Forschung und Wissenschaft gegen die Billigkonkurrenz aus China soll den Kollaps noch verhindern: Die sieben grössten Solarcluster in Europa haben sich zu einem internationalen Spitzencluster zusammen geschlossen. Doch die Erfolgsaussichten sind eher mässig.


Im Solarvalley Mitteldeutschland hat die Solarkrise heftig gewütet: Viele Firmen des grössten deutschen Solarclusters sind mittlerweile pleite, Zehntausend Menschen in der Region haben in den vergangenen Monaten den Arbeitsplatz verloren.

Und das dürfte noch nicht alles gewesen sein: In Deutschland wird dieses Jahr die Absenkung der Solarstromvergütung greifen. Das Marktforschungsunternehmen IHS rechnet für 2013 nur noch mit fünf Gigawatt an neu zugebauter Leistung – 2,6 Gigawatt weniger als 2012. Was der Markt noch hergibt, greifen sich vor allem die Chinesen. In China ist es ein Staatsziel: Die chinesischen Produzenten sollen den Photovoltaik-Weltmarkt beherrschen. Daher werden sie mit Rückendeckung Pekings die Preisschraube solange nach unten drehen, bis auch der letzte deutsche Modulhersteller aufgeben muss. Die hiesige Solarindustrie scheint dem Untergang geweiht.


Know-how als einzige Chance
Dennoch bäumen sich die Firmen im Solarvalley noch einmal auf: Auf ihre Initiative haben sich jetzt die sieben grössten Solarcluster in Europa zu einem internationalen Spitzencluster vereint. Dazu zählen Regionen in Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Slowenien und Spanien. Indem Unternehmen, Institute und Universitäten in diesen Ländern all ihre Expertise und Mittel in eine Waagschale werfen, wollen sie Innovationen wesentlich beschleunigen – und die Chinesen noch bremsen.

„Unsere einzige Chance ist, unseren Vorsprung im Know-how zu behaupten und die Forschungsergebnisse so schnell wie möglich in die Produktionshallen zu bringen“, sagt Peter Frey, Leiter der Koordinierungszentrale des Solarvalley Mitteldeutschland. Sie managt auch das europäische Netzwerk und hat soeben den Aktionsplan für das Bündnis vorgelegt. Danach sollen nun zuerst die wichtigsten Forschungsschwerpunkte festgelegt und diese dann von allen Akteuren gleichzeitig bearbeitet werden. „Am Ende stehen zum Beispiel Solarzellen mit deutlich höheren Wirkungsgraden, die ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis als die der Konkurrenz haben“, sagt Frey.

Forsch
ung im Eiltempo
Die deutsche Photovoltaikindustrie knüpft grosse Hoffnung an das Projekt. Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW), glaubt, dass die heimischen Hersteller von Zellen und Modulen so mit einem blauen Auge davonkommen könnten. „Das Rennen ist nicht entschieden. Es kommt auf die Innovationskraft der Unternehmen an. Ich bin überzeugt, dass sich das deutsche Engagement für die Solartechnik auszahlen wird“, sagt Körnig. Zuversichtlich stimmt ihn, dass Sonnenstrom in immer mehr Regionen der Welt wettbewerbsfähig werde und die globalen Absatzmärkte ansprängen. „Schon heute verdienen deutsche Solarunternehmen jeden zweiten Euro im Ausland“, so Körnig.

2013 schätzungsweise 35 GW Zubau

In der Tat erwarten Analysten für zahlreiche Regionen der Erde ein starkes Wachstum der Photovoltaik. „Der weltweite Zubau wird dieses Jahr schätzungsweise von 31,5 auf 35 Gigawatt steigen“, sagt IHS-Analyst Stefan de Haan. China, das zwar eine gewaltige Solarindustrie aufgebaut hat, aber kaum Anlagen förderte und installierte, wird 2013 vermutlich zum weltgrössten Markt und löst Deutschland ab. Bis 2015 sollen dort mindestens 21 Gigawatt solare Erzeugungskapazität installiert sein. Auch in Japan hat ein Ansturm auf ein grosszügiges Förderprogramm eingesetzt, und in Saudi-Arabien, Lateinamerika und den Vereinigten Staaten ziehen vor allem grosse Solarkraftwerke Investoren an. Im sonnenreichen Südwesten der USA lässt sich Solarstrom mittlerweile für fünf bis sieben Cent produzieren – das ist günstiger als Strom aus Gas- oder gar Ölkraftwerken.

Aber was bringt das der deutschen Photovoltaikindustrie? International erfolgreiche Firmen können vom wachsenden Weltmarkt profitieren. Als in den Boomjahren 2010 und 2011 vor allem die Asiaten in neue Solarfabriken investierten, waren deutsche Firmen dank ihrer Expertise im Maschinenbau als Lieferanten und Errichter von Fertigungslinien sehr gefragt. Springen nun die neuen Märkte an und werden die bestehenden Überkapazitäten abgebaut, könnte ihre Zeit wiederkommen. Auch Spezialisten wie der Wechselrichterhersteller SMA haben international gute Karten. Das Unternehmen bietet Elektronik, die China bisher nicht liefern kann: Wechselrichter, die die Leistung der Module regulieren und so das Netz stabilisieren können.

Preislich abgehängt?

Schwierig wird es jedoch für die Hersteller von Zellen und Modulen. Viele Firmen haben sich bisher auf Europa oder gar nur Deutschland konzentriert, doch hier gehen die Neuinstallationen zurück. „Die Musik spielt künftig woanders“, sagt de Haan, der den Zubau in Europa nach 16,9 Gigawatt 2012 dieses Jahr nur noch bei 13,4 Gigawatt sieht. Um im Spiel zu bleiben, haben die Hersteller nur eine Möglichkeit: Sie müssen sich rasch Zutritt zu den Newcomer-Staaten in Übersee verschaffen und ihre Produkte dort günstiger verkaufen als die asiatische Konkurrenz. Das erscheint aber aussichtslos, weil die Chinesen die Europäer preislich bereits weit unterbieten: Ein kristallines Siliziummodul aus deutscher Produktion kostet nach Daten des Internet-Handelsplatzes Sologico derzeit 0,78 Cent pro Watt, ein chinesisches hingegen nur 0,53 Cent. Damit ist China klar im Vorteil, zumal in vielen neuen Sonnenstaaten in Südamerika und im Nahen und Mittleren Osten kaum Förderung gewährt wird und somit niedrige Gestehungskosten entscheidend sind. „Diese Märkte sind preissensitiv mit einem Schwerpunkt auf grossen Freiflächenanlagen und eignen sich eher nicht für europäische Hersteller“, erklärt de Haan.

Normalisierung der Preise

Die deutschen Produzenten spekulieren jedoch darauf, dass, wenn der Weltmarkt weiter wächst, sich die Preise wieder normalisieren. Nach den notwendigen Kosteneinsparungen könnten dann auch deutsche Hersteller wieder konkurrieren. Für billigere Solarmodule will das europäische Spitzencluster an verschiedenen Punkten ansetzen. So lässt sich die Effizienz der etablierten Siliziumzellen laut Eicke Weber, Chef des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg, von derzeit durchschnittlich 17 Prozent noch auf deutlich über 20 Prozent steigern. Eine Möglichkeit bieten Rückkontaktzellen, die sämtliche Stromanschlüsse auf der Rückseite tragen und dank der geringeren Verschattung mehr Licht absorbieren. Ein anderer Ansatz ist das sogenannte PERC-Konzept (Passivated Emitter and Rear Contact). Bei dieser Technik geht es vorrangig darum, Stromverluste zwischen Halbleiter und den metallenen Kontakten an der Rückseite der Zellen durch eine zusätzliche Barriereschicht zu reduzieren. Bisher fehlt es an günstigen, massentauglichen Produktionsverfahren für diese Technologien – hier will das Spitzencluster ansetzen.

Senkung der Materialkosten

Auch die Materialkosten können deutlich sinken. So ist es dem belgischen Forschungsinstitut IMEC gelungen, PERC-Zellen auf nur 100 Mikrometer dicken Wafern mit industrietauglichen Prozessen zu produzieren. Die Bonner Solarworld hat die schlanken Stromgeneratoren anschliessend zu Modulen verarbeitet. Obwohl die PERC-Zellen nur halb so dünn gewesen seien wie Standardzellen, sei bei der Produktion keine einzige zerbrochen, berichtet IMEC-Solarforscher Jef Poortmans. Zellbruch gilt als grosse Hürde auf dem Weg zu dünneren Wafern. Gelänge es den Europäern, derartige Innovationen in die Serienfertigung zu übertragen, würde die Produktion deutlich billiger. Das Problem ist nur, dass die Chinesen erfolgreich an ganz ähnlichen Themen arbeiten. Sie verfügen längst über ein weit verzweigtes Forschungsnetzwerk, und sie haben im Gegensatz zu den Europäern nahezu unbegrenzten finanziellen Spielraum, Neuerungen auch umzusetzen. Das Spitzencluster muss Aussergewöhnliches leisten, um erfolgreich zu sein.

©Text: Sascha Rentzing

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