Brennelementbecken im AKW Mühleberg. ©Foto: ensi.ch

Standbild aus Video der Zivilschutzkräfte: verzweifelte Kühlwasserzufuhr zum Brennelementbecken in Block 3. ©Quelle: Japanisches Verteidigungsministerium

energisch.ch: Risikotechnisch wichtig Brennelementkühlung im AKW Mühleberg

(©MK) Die Unterlagen zur Stilllegung für das AKW Mühleberg liegen öffentlich vor (siehe ee-news.ch vom 4.4.16 >>). Trotz dem grossen Umfang der Unterlagen bleiben diese in den einzelnen, von mir bisher untersuchten technischen Details immer noch äusserst vage. Exemplarisch— weil risikotechnisch wichtig—die Brennelementbeckenkühlung.


Neue Brennstäbe sind nur mässig radioaktiv, erst durch den Abbrand entstehen im Innern mehr und mehr hoch radiotoxische, langlebige Zerfalls- und Aktivierungsstoffe. Diese Materialien sind derart radioaktiv, dass sie auch Jahre nach Unterbrechung der Kettenreaktion noch enorme Mengen Wärme abgeben. Abgebrannte Brennelemente verbleiben deshalb mindestens für fünf Jahre im Kühlbecken, bevor sie verpackt und abtransportiert werden können.

Knallgas
Das Wasser in den Becken schirmt Strahlung ab und nimmt die Nachzerfallswärme auf, muss aber seinerseits zuverlässig gekühlt werden. Bleiben Kühlmassnahmen über lange Zeit (Tage) ungenügend, dampft das Wasser langsam aus. Die Hüllrohre der Brennstäbe oxidieren, wobei Wasserstoff abgesondert wird, mit Luftsauerstoff vermischt entsteht Knallgas. Rekombinatoren, welche diesen Wasserstoff wieder abbauen könnten, fehlen in Mühleberg. In Fukushima hat man gleich mehrfach gesehen, wie sich Wasserstoff ansammelt, um dann mit gewaltiger Zerstörungskraft zu detonieren.

15cm Kuppel
Das Reaktorgebäude im AKW Mühleberg—auch als Sekundärcontainment bezeichnet—kann dieser Wucht nicht standhalten (die Kuppel ist nur 15cm stark). Aufgesprengt schliesst es die Radioaktivität nicht mehr ein. Die Brennstäbe fangen schliesslich an zu brennen und zu schmelzen und es erfolgt eine radioaktive Freisetzung gigantischen Ausmasses.

Einerseits muss hier angemerkt werden: Eine Kernschmelze im Reaktor ist viel schlimmer. Dort verbleibt viel weniger Zeit zu intervenieren und es gibt massenhaft kurzlebige radioaktive Stoffe aus der nuklearen Kettenreaktion, die akut eine viel stärkere Verstrahlung des Personals und der Anwohner bewirken können (z.B. Jod-131). Ein laufender Reaktor ist und bleibt ein ungleich viel grösseres Risiko.

Andererseits sind die Radionuklide, welche ganze Landstriche für Generationen unbewohnbar machen, auch nach fünf Jahren noch fast unvermindert in den Brennelementen vorhanden und können nach wie vor—also auch aus dem Brennelementbecken—freigesetzt werden (z.B.  Cäsium-137).

Höchste Verlässlichkeit erforderlich
Die Brennelementbecken-Kühlung muss also mit höchster Verlässlichkeit funktionieren, auch nach einem Störfall. Besonders gilt dies natürlich nach Naturereignissen (Erdbeben, Hochwasser), die übergreifend wirken und auch Notfallmassnahmen erschweren. So wie in Fukushima, wo eine zusätzliche Brennelementbecken-Katatstrophe—neben der dreifachen Kernschmelze in den Reaktoren—nur dank selbstaufopferndem, pausenlosem Einsatz der Rettungskräfte und—wie kürzlich der damalige japanische Premier Naoto Kan schilderte—nur dank „göttlicher Fügung“ vermieden werden konnte.

Auch nach dem Ende des Leistungsbetriebs 2019 verbleiben die Brennelemente somit bis 2024 im Becken des AKW Mühleberg. Die Brennelementbeckenkühlung bekommt eine noch grössere Bedeutung, weil einige Monate nach Ausserbetriebnahme der gesamte Kern aus dem Reaktor ins Becken umgeladen wird, also rund die sechsfache Jahresladung und ein hoher Nachzerfallswärmeeintrag. Zudem wird später, wohl auch mit schwerem Gerät, die Demontage bei angrenzenden—elektrisch, steuerungstechnisch usw. vermaschten—Systemen begonnen, diverse neue Störfallszenarien sind dadurch denkbar. Die Brennelementbeckenkühlung muss trotzdem bei allen Eventualitäten funktionieren.

Morgen, morgen nur nicht heute
Nach Fukushima hat zunächst auch das ENSI erkannt, welche Bedeutung diese Becken haben und bereits im Mai 2011 ein Konzept zur Ertüchtigung gegen Erdbeben und Überflutung gefordert. Noch im selben Jahr reichte die BKW ein Konzept mit Terminschätzung ein und das ENSI versprach im Rahmen des Schweizerischen EU Stresstest Reports unseren europäischen Nachbarn eine Nachrüstung bis 2015 „at the latest.

Danach fing jedoch die Salamitaktik an. Mit dem Langzeitbetriebskonzept rutsche das Datum um zwei Jahre nach hinten. Aber einem Betrieb über das Jahr 2017 hinaus kann die Aufsichtsbehörde nur zustimmen, wenn die BKW umfassende Nachrüstungen realisiert“, hiess es dann immerhin ultimativ. Nach Bekanntgabe des Stilllegungsentscheides per 2019 allerdings, wurde dann selbst diese Frist wieder fallen gelassen und nun soll erst per 2020 das System „ARBEK-S“, das „Autarke Brennelement-Kühlung-Sicherheitssystem“ in Betrieb genommen werden.

Ja, Sie haben richtig gelesen: auch nach 45 Jahren Betriebszeit und fünf Jahre nach den Erfahrungen in Fukushima verfügt das AKW Mühleberg über kein Brennelementbecken-Kühlsystem, welches das Prädikat „Sicherheitssystem“ verdient, also qualifiziert und erdbebenfest ist.

Und das soll noch weitere vier Jahre so bleiben. Somit bleibt der grösste Kritikpunkt an diesem Stilllegungsprojekt nach wie vor der späte Zeitpunkt ab 2019 und die Aussetzung von qualifizierten Nachrüstungen in der Zwischenzeit. Aber diese Entscheide des ENSI sind gar nicht mehr Gegenstand des nun anstehenden Verfahrens, also kommen wir zurück zum aufgelegten Stilllegungsprojekt.

Billiglösung à la BKW
Auch in den nun publizierten Unterlagen sind nach erster Konsultation keine Detailinformationen zu finden, wie dieses ARBEK-S aussehen wird. Eines ist klar, es handelt sich um eine der berüchtigten BKW-Billiglösungen: Man hängt in einer nicht näher beschriebenen Augen-zu-und-durch-Aktion das dann (2020) nicht mehr benötigte Reaktor-Notkühlsystem an den Beckenkühler um. Natürlich kommt das wesentlich billiger. Man stelle sich einmal (Achtung Oxymoron) eine integre Atomindustrie vor: nach ursprünglichen Nachrüstversprechen wäre letztes Jahr „at the latestein zusätzliches qualifiziertes Sicherheitssystem in Betrieb genommen worden. Später hätte man geschützt durch die Robustheit zweier unabhängiger und qualifizierter Sicherheitssysteme am Brennelementbecken den Rückbau angrenzender Systeme vornehmen können. Das wäre dann ungefähr die Sicherheit die einem immer versprochen wird.

Allerdings haben solche Billiglösungen in Mühleberg geradezu Tradition: So wurden bei der Nachrüstung des Notstandssystems SUSAN Ende der 1980er nicht etwa unabhängige, räumlich separierte Primärkühlsysteme nachgerüstet (wie es eigentlich damals seit zehn Jahren Vorschrift gewesen wäre). Stattdessen stellte man alles in denselben Raum, wo schon die bisherigen Systeme standen (die auch teilweise umgehängt wurden)—auf die sog. Minus-11-Meter-Ebene. Ein übergreifender Störfall (interner Brand/interne Überflutung) kann dort bis heute gleich alle Primärnotkühlsysteme auf einen Schlag ausschalten.

Nach dem selben Schema wurde damals nicht etwa eine zweite, unabhängige und vollwertige Kühlwasserfassung errichtet, nein man schloss die Notstand-Wasserfassung ganz einfach ans Auslaufbauwerk des normalen Wasserkreises an. Versehen mit einem starren Feinrechnen ohne Spülung oder Reinigungsmaschine. Wahrlich eine Billiglösung. Zwanzig Jahre später (nach Fukushima) staunte man dann [angeblich] darüber, dass bei einem Hochwasser alles aufs Mal verstopfen kann. Schliesslich schämte sich die nukleare Aufsicht trotzdem nicht, für diesen Fall den Einsatz mobiler Feuerwehrpumpen zur Kühlung von Reaktor und Notstrom zu akzeptieren.

Sonstiges Merkwürdigkeiten des Stilllegungsprojekts
Abgesehen von diesen fortgeführten nuklearen Risiken sind mir beim Stilllegungsprojekt noch einige weitere Merkwürdigkeiten aufgefallen. Diese muss ich allerdings noch vertiefter studieren. Die BKW hat jedoch für dieses Projekt eine lobenswerte Gesprächsbereitschaft an den Tag gelegt und weiter signalisiert. Natürlich ist sie daran interessiert, jegliche Einsprachen gegen das Stilllegungsprojekt zu vermeiden, aber trotzdem darf dies positiv vermerkt werden. Ich bleibe dran.

©Kommentar: Markus Kühni, energisch.ch

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1 Kommentare

Georg Hanselmann

Wieso nicht sofort eine Einsprache: diese AKW sollten schon lange abgestellt werden, den sie wurde mit vielen Unwahrheiten gebaut. Den Stromverbrauch wurde mit massiven Subventionen vorgegaukelt, indem für jedes verkaufte Elektrogerät Prämien gewährt wurde.

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