Das Hirn ein- und die AKW ausschalten. Erstens rückt der Atomausstieg in weite Ferne und zweitens bleiben die Unfallrisiken in der Schweiz auf unbestimmte Zeit bestehen. Dieser rote Faden zog sich durch den Abend. ©Foto: T. Rütti

V.l.n.r.: Kaspar Schuler, Geschäftsleiter Allianz Atomausstieg, Noah Heynen, Geschäftsleiter Helion Solar, Nationalrat Eric Nussbaumer, Mitglied der Energiekommission, Sabine von Stockar (SES), Moderation. ©Foto: T. Rütti

Stimmen aus dem Publikum wurden laut, ob wir die Gefährdung der Bevölkerung weiterhin hinnehmen müssten? Bedenken und Zukunftsängste lasteten über dem mit ca 200 Leuten nicht ganz voll besetzten Zürcher Volkshaus-Saal. ©Foto: T. Rütti

«Erneuerbare – Ja klar!» Zur SES-Veranstaltung kamen lauter Leute, die der Atomkraft aus energiewirtschaftlichen, politischen oder ethischen Gründen sehr kritisch gegenüber stehen und ihre Haltung manifestieren. ©Foto: T. Rütti

Bildmitte: SES-Präsident und Grünen-Nationalrat Geri Müller. Zur Fehlleitung beim fraglichen AKW-Nationalratsentscheid vom vergangenen 8. Dezember kam es nicht zuletzt auf Druck der AKW-Betreiber. ©Foto: T. Rütti

SES-Podium: Wo bleibt er denn, der längst fällige Atomausstieg?

(©TR) Obwohl der Bundesrat nach dem Supergau in Fukushima den Atomausstieg proklamierte, begrenzte er die Laufzeit der bestehenden AKW in der Energiestrategie 2050 nur halbherzig. Der Nationalrat ist ihm gefolgt. «Wo bleibt der Atomausstieg? – Energiestrategie 2050 unter der Lupe». Dieser Frage ging die Schweizerischen Energie-Stiftung SES am 20. April 2015 in Zürich nach.


Darin sind sich so manche Experten einig: Schweizerische AKW sollten aus «Sicherheitsgründen» höchstens 40 Jahre laufen. Doch Mühleberg und Beznau haben diese Grenze überschritten. Wo bleibt der Atomausstieg? Welche politischen Massnahmen brauchen die Effizienz- und Erneuerbaren-Branche? Mit diesen und weiteren Fragen setzten sich an einer öffentlichen Veranstaltung der Schweizerische Energie-Stiftung SES folgende Branchenspezialisten auseinander: Kaspar Schuler, Geschäftsleiter Allianz Atomausstieg, Nationalrat Eric Nussbaumer, Mitglied der Energiekommission, und Noah Heynen, Geschäftsleiter Helion Solar. Bei einem Blick in den im Saal aufgelegten SES-Flyer «einschalten – ausschalten» – gemeint sind das Hirn beziehungsweise die AKW – sprang einem eine Aussage von Jürg Buri ins Auge: «Erstens rückt der Atomausstieg in weite Ferne und zweitens bleiben die Unfallrisiken in der Schweiz auf unbestimmte Zeit bestehen.» Diese Botschaft des SES-Geschäftsleiters zog sich wie ein roter Faden durch den mit schätzungsweise gegen 200 Personen gut besuchten Informationsabend in Zürich.

Ganz und gar nicht
im Sinn von Allianz Atomausstieg
Die Revision des Kernenergiegesetzes fiel am vergangenen 8. Dezember 2014 ganz und gar nicht im Sinn von Allianz Atomausstieg aus. In seinem Input-Referat geizte Kaspar Schuler nicht mit Kritik am halbherzigen Nationalratsentscheid: «Die Energiewende wurde zwar bejaht, jedoch ohne dabei den konsequenten Schritt zur Abkehr von der Atomkraft vorzunehmen.» Der Nationalrat habe den alles entscheidenden Kern der Energie-Strategie 2050 bloss vor sich hin geschoben: Für die meisten der massiv überalterten Schweizer AKW soll die Laufzeitbeschränkung bei sage und schreibe 60 Jahren liegen! Wohlverstanden, die Rede ist hier von Atomkraftwerken, die für ursprünglich 30 oder höchstens 40 Jahre konzipiert worden waren.


Der Ständerat soll Fehlentscheid des Nationalrates korrigieren
«Umso wichtiger ist es nun für unsere Organisation, die Atomausstiegsinitiative der Grünen, die für alle AKW eine klare Regelung von 45 Jahren Laufzeitbeschränkung vorsieht, zu unterstützen», so Kaspar Schuler mit einem Querverweis auf die Uralt-AKW Beznau und Mühleberg. Da für die jüngeren AKW Gösgen und Leibstadt keine Befristungsregelung getroffen wurde, ist eines absehbar: Sie könnten womöglich bei Ablauf der Energiestrategie 2050 noch in Betrieb sein – für die Organisation Allianz Atomausstieg schlichtweg ein Irrsinn! Daran ändert auch das Bauverbot für neue beziehungsweise geplante AKW nichts. Der Geschäftsleiter von Allianz Atomausstieg appelliert mit aller Deutlichkeit an den Ständerat, «den gravierenden Fehlentscheid des Nationalrates zu korrigieren». 

Einstieg in die Energiewende geschafft
Nach der Monsterdebatte zur Energiestrategie 2050 der Wintersession 2014 im Nationalrat zog die SP eine eher «durchwachse», aber nicht in jedem Punkt vernichtende Bilanz. Moniert wurde, bezüglich Atomausstieg habe eindeutig die Konsequenz gefehlt und das Parlament habe sich bloss zu einem «Atomausstieg light» durchringen können: «Zwar hat der Nationalrat am Atomausstieg festgehalten, es aber versäumt, einen klaren Abschalttermin festzulegen. Der Verzicht auf AKW-Neubauten ohne verlässlichen Fahrplan für die Abschaltung der bestehenden Kraftwerke reicht nun mal bei Weitem nicht», so SP-Nationalrat Eric Nussbaumer. Er bemängelte anlässlich der SES-Veranstaltung auch, die Politik habe sich dem Umbauprozesses weg von den fossilen, hin zu den erneuerbaren Energien nur in kleinen Schritten genähert. Und: «Wo bleibt der ersehnte grosse Wurf? Wann endlich kommen die uns vorwärtsbringenden Rahmenbedingungen?» Denn so, wie die Energiewende angelegt sei, komme sie effektiv erst in Jahrzehnten.

Bei den Effizienzzielen gab sich der Nationalrat couragiert

Doch auch dies sei erwähnt: Insbesondere die Erhöhung der Einspeiseprämie auf 2,3 Rappen pro Kilowattstunde gilt als Erfolg. Auch die Stärkung der einheimischen Wasserkraft zielt in diese richtige Richtung. Bei den Effizienzzielen gab sich der Nationalrat recht couragiert, indem er die zögerliche Haltung der Kommission korrigierte und ambitionierte Ziele im Energiegesetz verankerte, darunter auch Effizienzvorschriften für Neuwagen. Für Nationalrat Nussbaumer haben hier «gewisse konstruktive Kräfte im Parlament die Weichen für die Energiezukunft der Schweiz gestellt». Und er konnte es am SES-Informationsabend nicht genug betonen: Nichts ist jetzt für Branche so wichtig, wie Mehrheiten für die Anliegen der Befürworter von Energieeffizienz und Erneuerbare zu finden. Wir erinnern uns: Bei der Energie-Monsterdebatte standen die SVP und ihr freisinniger Juniorpartner mit ihrer Verhinderungstaktik auf recht verlorenem Posten…

Strategieziele
umsetzen mit Alpiq InTec und Helion Solar
Die Podiumsrunde wäre unvollständig besetzt gewesen, hätte nicht Geschäftsleiter Noah Heynen ein Anliegen quasi in eigener Sache aufs Tapet bringen können: Die Helion Solar Gruppe (Luterbach SO) wurde im Februar 2015 vom Unternehmen Alpiq InTec übernommen. Damit etabliert sich Alpiq InTec in der Schweiz zur Marktführerin in der Sparte Photovoltaik und stärkt ihre Marktpräsenz als Gebäudetechnikanbieterin. Die Helion Solar erhofft ihrerseits Synergien dank einem stärkeren Partner. Laut Noah Heynen vermag diese Übernahme auch etwas zum Erreichen der Energieziele 2050 beizutragen. Immerhin ergebe die Einbindung von Photovoltaik ins Angebot der Gebäudetechnik eine attraktive Symbiose sowie Vorteile für alle Involvierten. Der Helion-Solar-Geschäftsleiter machte aber auch auf das unternehmerische Erfordernis aufmerksam, jeweils zum Monatsende allen über 90 Mitarbeitenden die Löhne bezahlen zu müssen…

Fehlte
Bedarfsnachweis für erneuerbare Energien?
Alle im Saal, vom Podium über die Diskussionsleiterin Sabine von Stockar bis hin zu den Zuhörer, die sich zu Wort meldeten, liessen keinen Zweifel: Zur Fehlleitung beim umstrittenen Nationalratsentscheid vom vergangenen 8. Dezember kam es nicht zuletzt auf Druck der AKW-Betreiber. Es hätten aber auch ein plausibler Bedarfsnachweis und eine verlässliche Planungssicherheit für den Umbau auf erneuerbare Energien gefehlt, war im Zusammenhang mit dem Nationalratsentscheid zu vernehmen. Unter solchen Voraussetzungen habe nun mal keine Investitionssicherheit entstehen können, weder für private noch für industrielle Investoren. Die Energie-Strategie 2050, das immerhin wichtigste Vorhaben zur überfälligen energiewirtschaftlichen Stärkung der Schweiz, drohe unter dem rückwärtsgewandten Druck der Atomkraftbefürworter zu kollabieren, war auch beim Apéro zu vernehmen. Und Stimmen wurden laut, ob wir denn die lebensbedrohliche Gefährdung der Bevölkerung weiterhin hinnehmen müssten? Solche Zukunftsängste lasteten über dem nicht ganz voll besetzten Volkshaus-Saal. Gekommen waren lauter sachkundige Zuhörer, die der Atomkraft aus energiewirtschaftlichen, politischen, ethischen oder gesundheitlichen Gründen kritisch gegenüber stehen und dies nicht ungern kundtun.

Energieproblematik
ist kein technisches Problem
Das zusammenfassende Schlusswort sprach der SES-Präsident Geri Müller. Der Grünen-Nationalrat hielt fest, dass wir es bei der Energieproblematik nicht etwa mit einem technischen Problem zu tun haben, sondern vorab mit einem politischen und wirtschaftlichen. Energie brauche jeder von uns und so seien wir alle von den Entscheiden aus Bundesbern betroffen. Geri Müller bezeichnete die Energiewende als eine vordringliche staatliche Herausforderung und Aufgabe. Jedenfalls dürfe die Schweiz mit ihrem Tun und Handeln nicht länger zufahren wie bislang.

©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

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