Die Initiative «für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie» fordert das Bau- und Betriebsverbot für neue AKW und maximale Laufzeiten von 45 Jahren für bestehende AKW. ©Bild: T. Rütti

V.l.n.r. Finanzexperte Kaspar Müller, Direktor Jean-Michel Bonvin, Co-Präsidentin Allianz für den geordneten Atomausstieg Regula Rytz, Gewerkschafter Corrado Pardini, Grossrat Xavier Challandes. ©Bild: T. Rütti

Nationalrat Corrado Pardini (Unia) beim Interview mit dem Schweizer Fernsehen. Ein Ja zur Initiative am 27. November 2016. Das Interesse der Medien am Thema war hoch, die journalistische Ausbeute gross. ©Bild: T. Rütti

Volksinitiative: Das Argumentarium für ein Ja am 27. November 2016


(©TR) Die Allianz «für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie» hat am 5. Oktober 2016 in Bern ihre Argumente für ein Ja zur gleichnamigen Initiative am 27. November 2016 dargelegt. Mehr als vierzig Organisationen, Parteien, Unternehmen, Umweltverbände und atomkritische Gruppierungen unterstützen die Initiative, ebenso zahlreiche Einzelpersonen verschiedenster politischer Couleur und Berufsgattungen.

Laut der breit abgestützten Allianz schliesst die Volksinitiative «für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie» die Lücke, welche die Energiestrategie 2050 offen lässt und bringt damit die Energiewende erst richtig voran. Sie fordert neben dem Betriebsverbot für neue AKW insbesondere maximale Laufzeiten von 45 Jahren für bestehende AKW. Und wenn es die Sicherheit verlangt, müssen die AKW gemäss Volksinitiative auch schon früher abgeschaltet werden.

Eine zentrale Ergänzung zur Energiestrategie

Für Regula Rytz, Co-Präsidentin Allianz «für den geordneten Atomausstieg», ist die Energiestrategie 2050 «ein guter Plan». Er weise der Schweiz den richtigen Weg in die Energiezukunft: «Bis ins Jahr 2050 soll unsere Energieversorgung zum grossen Teil auf Energieeffizienz und erneuerbaren Energien basieren.» Damit dies passiere, müsse der alte nukleare Kraftwerkspark vom Netz genommen werden; schrittweise und gut vorbereitet und eben nicht so, wie es zurzeit beim AKW Beznau geschehe: plötzlich und auf unbestimmte Zeit. «Das Parlament hat es leider verpasst, diesen zentralen Teil der neuen Energiestrategie verbindlich zu regeln. Einzig ein Neubauverbot wurde im Gesetz festgeschrieben. Es fehlen aber die Regelungen zur schrittweisen Ausserbetriebnahme der bestehenden alten AKW. Das hat sogar die Atomaufsichtsbehörde ENSI bemängelt und ist dennoch mit ihrem Minimalvorschlag gescheitert. Das ist sehr beunruhigend: Das Parlament beruft sich bei jeder atomkritischen Bemerkung auf diese Behörde und desavouiert sie exakt dann, wenn diese nach mehr gesetzlicher Handhabe zum Erhalt der Sicherheit der Bevölkerung ruft», so Grüne-Nationalrätin Ritz.

Mehr Angst vor erneuerbaren Energien als vor AKW?
Chancen statt Risiken zu sehen, entspreche der Tradition unseres innovativen Landes, sagte SP-Nationalrat Corrado Pardini, Sektionsleiter «Industrie» der Gewerkschaft Unia. «Soll die Innovationstradition nun etwa scheitern, weil viele mehr Angst haben vor erneuerbaren Energien als vor Atomkraftwerken? Solar- und Windkraft haben sich weltweit bewährt. Global wird mehr an Photovoltaik, Windkraft und dergleichen mehr zugebaut als an konventionellen Kraftwerken», so SP-Nationalrat Pardini. Die Preise seinen in beeindruckender Weise gefallen, ja sogar fast zerfallen. «Als 2009 in der Schweiz die kostendeckende Einspeisevergütung KEV eingeführt wurde, wurde eine Kilowattstunde Solarstrom mit über 60 Rappen vergütet. Heute sind wir unter 20 Rappen, also unter dem Preis, den eine Kilowattstunde für einen Haushalt beim Netzbetreiber kostet. Die sogenannte Netzparität ist erreicht, die Tendenz ist weiter sinkend.» Laut Corrado Pardini ist der geordnete Ersatz der AKW nicht nur machbar oder günstige, sondern er bietet der Schweizer Wirtschaft sogar eine grosse Chance. «Mit Energieeffizienz und erneuerbaren Energien können in den nächsten 20 Jahren rund 85'000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Diese enstehen vorwiegend in  strukturschwachen und eher ländlich geprägten Kantonen wie Graubünden, Tessin und Wallis.»

Für Sicherheit und Schutz der Heimat
Wie wir aus der Vergangenheit wissen, geschehen schwere Atomunfälle immer wieder. Dieses Risiko einzugehen, ist für die Allianz «für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie» völlig sinnlos, wären doch die Folgen eines Unfalls hierzulande nicht auszumalen: Die Regionen um die fünf Schweizer AKW sind ausnahmslos dicht besiedelt. Im Umkreis von 50 km liegen 13 Kantonshauptstädte. Bei einem schweren Nuklearunfall müssten bis zu 1 Mio. Menschen evakuiert und umgesiedelt werden, grosse Teile des Landes würden radioaktiv verseucht. Doch ausgerechnet die Schweiz leistet sich drei der ältesten und damit zunehmend störungsanfälligen AKW der Welt: Während weltweit AKW durchschnittlich 29 Jahre in Betrieb sind, steht in der Schweiz mit Beznau I der älteste Atomreaktor überhaupt. Dieser ist bereits 47jährig, steht seit 18 Monaten aufgrund von Sicherheitsbedenken still und soll doch wieder ans Netz und insgesamt 60 Jahre laufen. Der Atomausstieg ist zwar im Grundsatz unbestritten, jedoch fehlt momentan ein verlässlicher Plan. Laufen lassen so lange es geht, wie es das Parlament vorschlägt, ist für die Allianz nachgerade «fahrlässig und planlos». Die Volksinitiative soll daher sicherstellen, dass die fünf AKW bis 2029 geordnet und schrittweise vom Netz gehen. Die öffentliche Hand, aber auch Private und Unternehmen, sollen dadurch Investitionssicherheit für den Ausbau der erneuerbaren Energien erhalten. Zudem falle so nicht noch mehr hochradioaktiver Atommüll an.

Versorgungssicherheit ist garantiert
Die Schweiz sei voller Energie, wurde gegenüber den Medien beteuert. Mit Strom aus Wasser, Sonne, Wind und Biomasse könnten wir den Atomstrom ersetzen – einheimisch, erneuerbar, naturverträglich und effizient. Dieser Bereich der Energieproduktion liefere bereits heute rund zwei Drittel des gesamten Strombedarfs. Die Wasserkraft lasse sich durch den geordneten Atomausstieg langfristig stärken, ebenso die Versorgungssicherheit. Was für die Allianz auch feststeht: «Viele Unternehmen aus Industrie und Gewerbe, darunter unzählige KMU, arbeiten bereits an dieser Energiezukunft. Sie schaffen Arbeitsplätze und Einkommen in allen Landesregionen. Darauf lässt sich bauen. AKW sind hingegen ein Risiko für die Versorgungssicherheit. Der Vorteil der Erneuerbaren liegt in ihrer dezentralen Struktur.»

AKW sind unrentabel und teuer
Atomstrom sei ein Verlustgeschäft und bereits heute teurer als Strom aus Wasserkraft, hiess es gegenüber den zahlreich erschienenen Medienvertretern. Denn: Die Kosten für die Entsorgung des Atommülls, die eigentlich dem Atomstrom aufgebürdet werden müssten, würden von den Betreibern viel zu tief veranschlagt. Ausserdem seien die Produktionskosten für erneuerbare Energien seit Jahren kontinuierlich am Sinken. Die Atomkraft hingegen kämpfe mit steigenden Gestehungskosten. Das zeige die Preisentwicklung der letzten Jahre deutlich. «Kernenergie ist unbestritten eine finanzielle Verlustquelle», sagte Kaspar Müller. Wörtlich sagte der unabhängige Finanzmarktexperte: «Heute geben auch die Betreiber der Kernkraftwerke zu, dass Kernenergie nur ein Verlustgeschäft und keine baldige Besserung absehbar ist. Aus betriebs- und finanzwirtschaftlicher Optik wäre die Konklusion wiederum: Abschalten, resp. geordneter Ausstieg aus der Kernenergie. Offenbar haben sich die Verantwortungsträger beim KKW Mühleberg solche Überlegungen gemacht und nehmen deshalb das KKM 2019 vom Netz. Der finanzielle Basismechanismus ist für das KKM derselbe wie für die anderen KKW. Aber die Betreiber der anderen Kernkraftwerke kommen zu einer anderen Konklusion. Die neue Strategie heisst: unbefristete Laufzeiten, und das ohne die vom Ensi geforderten Langzeitbetriebskonzepte für mehr als vierzigjährige Kernkraftwerke, die das Parlament in der Folge der Sicherheitsbehörde auch verweigert hat.»

Die AKW als architektonische Schandflecken
Laut Jean-Michel Bonvin «ist die Energiewende ist nicht nur kostengünstig, sie ist auch eine grosse Chance – auch in Bezug auf die Wertschöpfung». Dem Direktor eines Unternehmens der Erneuerbaren-Branche zufolge «hat unser Land grosses Interesse daran, in Zukunft die verlorene Führungsrolle wieder einzunehmen, welche der Schweiz nach dem Bau der grossen Staudämme zukam». Es gelte, Know-how in der Produktion zu entwickeln, vor allem auch in Sachen Energieeffizienz sowie im Cleantech-Bereich.» Für Xavier Challandes, Grossratspräsident des Kantons Neuenburg, hatte die Energieproduktion immer schon einen Einfluss auf die Umwelt, was sich auch in Zukunft nicht ändern werde. Laut dem SVP-Abgeordneten Challandes gibt es jedoch neben den offensichtlichen Auswirkungen eines schweren AKW-Unfalls noch einen anderen wesentlichen Aspekt im Alltag: «Die AKW als architektonische Schandflecken. Diese vertreiben Touristen und schaden so zusätzlich der Reputation einer ganzen Gegend.»

Über 40 Organisationen wollen ein Ja erreichen
Die Unterstützung der Initiative für den geordneten Atomausstieg ist in den letzten Monaten stark gewachsen. Neben den Engagierten der ersten Stunde etwa Grüne, SP, Greenpeace, WWF und vielen weiteren kommen laufend Unterstützungsbescheide hinzu. Dieser Tage etwa seitens Bio Suisse, der GLP oder der EVP. Hinzu kommen kirchliche, friedenspolitische und medizinische Kreise, Architektinnen und Architekten, Bauernfamilien, Unternehmer, Kulturschaffende und viele mehr. Dies sind alles Menschen, die die Risiken der Atomtechnik genauso wie die Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts erkannt haben. «Wir sind also beileibe nicht alleine. Über 40 Organisationen wollen gemeinsam ein Ja erreichen. Ein Ja zum geordneten Ausstieg aus der Atomenergie bis 2029», konstatierte Nationalrätin Regula Ritz.

Was die Initivative will
Die Initiative «für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie» fordert das Bau- und Betriebsverbot für neue AKW und maximale Laufzeiten von 45 Jahren für bestehende AKW. Wenn es die Sicherheit verlangt, müssen AKW auch schon früher abgeschaltet werden. Darüber hinaus fordert die Initiative eine Energiewende, die auf Einsparungen, Energieeffizienz und dem Ausbau der Erneuerbaren basiert. Regula Rytz erinnerte daran, dass die Initiative nach dem Atomunfall von Fukushima 2011 von den Grünen im Verbund mit anderen Organisationen lanciert wurde. Kurz nach der Lancierung der Initiative hätten Bundesrat und Parlament das Thema aufgenommen: Das Parlament wollte jedoch nur ein Neubauverbot ins Gesetz aufnehmen. Die Ausserbetriebnahme der alten AKW - den eigentlichen Risiken - plane das Parlament nicht. Aus diesem Grunde brauche es die Initiative für den geordneten Atomausstieg. Nur sie reduziere das Risiko eines Super-Gaus. Die Initiative ist laut NR Ritz «kein Gegenprojekt zur Energiestrategie 2050, sondern ergänzt und vervollständigt diese mit der wichtigen maximalen Betriebsdauer für Atomreaktoren». Durch die damit einhergehende schrittweise Abschaltung der AKW bis 2029 entstünden Planungssicherheit für die ganze Schweizer Strompolitik sowie Investitionssicherheit für die vielen kantonalen und kommunalen Elektrizitätswerke.

Die fünf wichtigsten Argumente für ein Ja im Überblick

  • AKW sind hoch riskant Trotz den nuklearen Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima leistet sich die Schweiz mit dem AKW Beznau I den weltweit ältesten Reaktor. Er steht im 47. Betriebsjahr. Das ist höchst bedenklich, denn die 151 weltweit bereits stillgelegten Atomreaktoren erreichten im Schnitt nur ein Alter von 25.6 Jahren. (Stand: Ende 2015)
  • AKW sind unrentabel und teuer Im Gegensatz zu immer günstigeren Produktionskosten für erneuerbare Energien, steigt der Kapitalbedarf für Sicherheitsinvestitionen in AKW stark an. Gleichzeitig sinkt der Ertrag. Zudem kostet der Import von Kern-brennstoffen die Schweiz jährlich rund 180 Mio. Franken während Sonne und Wind als Energiequelle gratis zur Verfügung stehen.
  • Weltweiter Trend geht von atomar zu erneuerbar Atomstrom ist ein Auslaufmodell nur noch wenige Länder mit Planwirt-schaft, etwa China, investieren in neue AKW. Wo die Marktwirtschaft do-miniert, da scheitern Neubau-Projekte und die alten Atomkraftwerke werden vom Netz genommen.
  • Die Erneuerbaren sind ein Jobmotor Die einheimische, erneuerbare Energiewirtschaft macht uns unabhängig: vom Ausland, von fossilen und nuklearen Energieträgern. Erneuerbare Energien schaffen Wohlstand für alle. Insbesondere schaffen sie hier bei uns ein Vielfaches an Arbeitsplätzen in Entwicklung, Errichtung und Be-trieb der Anlagen. Ganz im Gegensatz zu Atomkraftwerken, wo das Geld ins Ausland fliesst.
  • Stromschwemme, nicht Stromlücke Bis heute ist keine der Vorhersagen einer Stromlücke eingetroffen. Die De-ckung unseres künftigen Strombedarfs mit erneuerbaren Energien und Effizienzmassnahmen ist gemäss detaillierten Szenarien von Greenpeace bis 2024 möglich. Auch vorsichtige Berechnungen des Bundesamtes für Energie zeigen die Machbarkeit klar auf.

Lanciert wurde die Initiative «für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie» am 19. Mai 2011. Am 16. November 2012 wurden 125'000 Unterschriften (über 108'000 beglaubigte) bei der Bundeskanzlei eingereicht. Im Juli dieses Jahres hat der Bundesrat beschlossen, die Vorlage am 27. November 2016 Volk und Ständen zu unterbreiten.

Weitere Infos >>

©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

0 Kommentare

Kommentar hinzufügen

Partner

  • Agentur Erneuerbare Energien und Energieeffizienz

Ist Ihr Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien oder Energieeffizienz tätig? Dann senden sie ein e-Mail an info@ee-news.ch mit Name, Adresse, Tätigkeitsfeld und Mail, dann nehmen wir Sie gerne ins Firmenverzeichnis auf.

Top

Gelesen
|
Kommentiert