François Cellier: „Je früher wir uns der Unabwendbarkeit der bevorstehenden Umwälzungen stellen, desto besser werden wir die Energiewende meistern, desto besser werden wir uns in der postfossilen Welt behaupten können.“

ASPO: Die postfossile Schweiz

(©FC) Niemand bestreitet, dass die förderbaren Erdölreserven tatsächlich begrenzt sind. Die Frage ist nur, ob das Erdölzeitalter bereits in 10 Jahren ein jähes Ende nehmen wird oder ob wir noch für 50 Jahre billiges Erdöl haben werden. Vielleicht betrifft diese Frage Sie oder mich nicht mehr, sicher aber betrifft sie die Generation unserer Kinder, und so scheint es mir sinnvoll zu sein, sich auszumalen, wie eine Welt ohne Erdöl aussehen wird.


Auf Grund der momentan sehr tiefen Erdölpreise ist das Thema der bevorstehenden Energiewende in vielen Köpfen etwas in den Hintergrund gerückt. Tiefe Preise implizieren einen (wenn auch nur temporären) Produktionsüberschuss, und so scheint die Endlichkeit der noch verbleibenden Reserven in weite Ferne gerückt zu sein. Niemand bestreitet jedoch, dass die förderbaren Erdölreserven tatsächlich begrenzt sind und dass der Tag kommen wird, da diese versiegen werden. Spätestens dann werden wir ohne diese wertvolle Ressource auskommen müssen, ob uns dies passt oder nicht.

Die Schweiz kann sich die Energiewende leisten
Toni Gunzinger hat es uns vorgerechnet: Die Schweiz kann die Energiewende ohne katastrophale Folgen schaffen (siehe ee-news.ch vom 17.5.16>>); ja, wir können die unweigerlich bevorstehende Energiewende als Chance sehen statt als Gefahr. Der Umstieg auf erneuerbare Energieträger bedingt die Entwicklung neuer Technologien, und wenn wir Schweizerinnen und Schweizer diese Entwicklung bejahen und unseren Forscher- und Unternehmergeist darauf setzen, die Energiewende möglichst frühzeitig (das heisst, möglichst sofort) einzuleiten, können wir in der Entwicklung der benötigten neuen Technologien federführend sein und damit später gutes Geld verdienen

Finanzielles Exportland
Die Schweiz ist bereits heute ein finanzielles Exportland, das heisst, wir verdienen mehr Geld mit Exporten als wir für Importe ausgeben. Ein namhafter Prozentsatz unserer Importe besteht aber aus Erdöl; wenn wir also vermehrt auf erneuerbare Energieträger setzen, die lokal produziert werden können, reduzieren wir unsere Abhängigkeit von ausländischen Interessen und schaffen zusätzliche Arbeitsplätze in der Schweiz.

Umwälzungen benötigen Zeit. Die Energiewende ist nicht von heute auf morgen zu bewältigen. Wie viel Zeit bleibt uns noch? Eine obere Zeitgrenze können wir angeben: Wenn wir die Klimaverträge von Paris buchstabengetreu umsetzen wollen, dürfen wir ab 2050 in der Schweiz keine fossilen Energieträger mehr zum Einsatz bringen, unabhängig davon, ob solche noch zur Verfügung stehen oder nicht. Somit bleiben uns noch maximal 34 Jahre bis zum Ende des Erdölzeitalters. Auch von diesem Gesichtspunkt aus gesehen ist es dringlich, die Energiewende nicht länger als nobles Ziel vor uns her zu schieben, sondern deren Umsetzung umgehend in die Wege zu leiten.

Das Wirtschaftssystem muss sich ändern
Ich will unsere Situation nicht schön reden. Es kommen gewaltige Probleme auf uns zu, Probleme von einem Ausmass, das wir uns noch kaum ausmalen können. Jede erzwungene Umwälzung führt zu sozialem und wirtschaftlichem Stress, und je länger und je mehr wir uns gegen diese Umwälzung sträuben, desto grösser werden die zerstörerischen Kräfte sein, die ausgelöst werden, wenn unser bisheriges System zusammenbricht – und zusammenbrechen wird es, muss es. Unsere Wirtschaft ist auf Wachstum ausgelegt. Unsere Ökonomen sagen uns, dass unser Wirtschaftssystem ohne Wachstum nicht fortbestehen kann. Nachhaltiges Wachstum ist aber in einer endlich grossen Welt mit beschränkten Ressourcen nicht möglich. Wir müssen uns darum neu erfinden; wir müssen lernen, den Weg von einer Wachstumsgesellschaft zu einer Nachhaltigkeitsgesellschaft ohne physisches Wachstum zu finden (vgl. ASPO Newsletter #92).


Nicht alle Länder sind in der glücklichen Lage wie die Schweiz, über hohe Berge und ausreichend Niederschläge zu verfügen, die es ihnen erlauben, billige Wasserkraft auszubeuten und die benötigte elektrische Bandenergie unter Verwendung von Speicherseen sicher zu stellen. Wir können aber bereits heute unsere bestehende Bevölkerung nicht mehr ohne massive Einfuhr von Lebensmitteln ernähren. Ein „Plan Wahlen“, wie er im zweiten Weltkrieg bestand, wäre heute zum Scheitern verurteilt. Unsere Bevölkerungsdichte ist unterdessen dafür zu hoch. Wir benötigen deshalb ein Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik (inklusive einer Einwanderungspolitik), die gewährleisten, dass auch in Zukunft allen Einwohnerinnen und Einwohnern der Schweiz ein Leben in Sicherheit und Wohlstand garantiert werden kann.

Unsere Beziehungen zur EU
Die Schweiz ist keine Insel. Wir sind auf das Wohlwollen unserer Nachbarn angewiesen, damit uns diese auch in schweren Zeiten mit den benötigten Lebensmitteln versorgen. Unsere Nachbarn wissen dies, und das macht uns erpressbar. Das „Fahren im Inselbetrieb“, wie wir dies (mehr schlecht als recht) während des zweiten Weltkriegs betrieben, wäre heute hoffnungslos zum Scheitern verurteilt. Somit bleibt uns gar nichts anderes übrig, als uns auf die eine oder andere Weise mit unseren Nachbarn zu arrangieren.

Die Ausgangslage ist allerdings nicht hoffnungslos. Die Schweiz hat viel zu bieten, das sie für unsere Nachbarn attraktiv macht. Wie müssen unsere Verhandlungspartner nur davon überzeugen, dass eine unabhängige, wirtschaftlich florierende Schweiz dem europäischen Umfeld mehr nützt als eine abhängige Schweiz, die alle wirtschaftlichen Schwankungen des europäischen Raums mitmacht. Ein starker Schweizer Franken stützt die europäische Wirtschaft mehr, als eine Schweiz, die voll in den europäischen Wirtschaftsraum integriert ist.

Die Energiewende ist unabwendbar
Gewisse Politiker sagen uns, dass die Energiewende „zu teuer“ sei, dass wir uns diese im jetzigen Zeitpunkt beim hohen Schweizer Frankenkurs nicht leisten können. Dies ist kurzsichtig. Die Energiewende ist unabwendbar. Sie kommt, ob uns dies passt oder nicht. Das schlechteste aller Szenarien ist jenes, bei dem wir abwarten und nichts tun, so lange wie wir dies können, und uns dann von der Energiewende überrollen lassen. Je früher wir uns der Unabwendbarkeit der bevorstehenden Umwälzungen stellen, desto besser werden wir die Energiewende meistern, desto besser werden wir uns in der postfossilen Welt behaupten können.

Diesen Herbst zelebriert die ASPO Schweiz ihr zehnjähriges Bestehen. Wir wollen dieses Ereignis feiern und werden die Jahrestagung, die am 22. Oktober 2016 in Bern stattfinden wird, ganz der Thematik der postfossilen Schweiz widmen. Wir haben hochkarätige Redner eingeladen, uns ihre Vision der Schweiz nach dem Ende des Erdölzeitalters zu erläutern und uns aufzuzeigen, welche Hürden auf dem Weg zu einer nachhaltigen Schweiz zu meistern sind. Sie sind alle recht herzlich dazu eingeladen! Weitere Informationen folgen.

©Text: Prof. Dr. François Cellier, Vizepräsident ASPO Schweiz

0 Kommentare

Kommentar hinzufügen

Partner

  • Agentur Erneuerbare Energien und Energieeffizienz

Ist Ihr Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien oder Energieeffizienz tätig? Dann senden sie ein e-Mail an info@ee-news.ch mit Name, Adresse, Tätigkeitsfeld und Mail, dann nehmen wir Sie gerne ins Firmenverzeichnis auf.

Top

Gelesen
|
Kommentiert