Wie verteilen sich Feinstaub und Treibhausgase, wie hoch ist die Sonnenstrahlung, wie dick das Eis am Nordpol? Der Satellit Copernicus hilft bei der Analyse. ©Bild: ESA–Pierre Carril

Copernicus kann Investoren nicht nur wichtige Entscheidungshilfen an die Hand geben, sondern auch die für die Erneuerbaren-Branche ebenso wichtigen Leistungsprognosen verbessern. ©Bild: Copernicus Service information (2016) / Copernicus EMS / e-GEOS

Leistungsprognosen: „Copernicus“-Satelliten verbessern die Qualität

(©SR) Je genauer Wind- und Solarstrom vorhergesagt werden können, desto besser lassen sie sich vermarkten. Gute Nachrichten für Planungs- und Prognosefirmen: Nach dem Start des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus Ende vergangenen Jahres haben sie nun freien Zugriff auf eine riesige Menge Satellitendaten und Geoinformationen.


Wie verteilen sich Feinstaub und Treibhausgase, wie hoch ist die Sonnenstrahlung, wie dick das Eis am Nordpol? Diese und viele andere wertvolle Informationen zur Zusammensetzung der Atmosphäre und zum Klimawandel können die Firmen fortan kostenlos beim Europäischen Zentrum für Mittelfristige Wetterprognose (EZMW) im britischen Reading abrufen. Eine grosse Erleichterung: Bisher mussten sie die Daten mühsam bei den einzelnen nationalen Wetterdiensten zusammenkaufen.

Klimawandel könnte Bedingungen verändern
Auch die Erneuerbaren-Branche profitiert von Copernicus. Solar- und Windinvestoren müssen genau abschätzen, mit welchem Energieertrag sie an einem bestimmten Standort rechnen können. Doch das ist nicht leicht, denn durch den Klimawandel können sich die örtlichen Bedingungen grundlegend ändern: Wo sich heute Windräder anbieten, könnte in Zukunft Flaute herrschen – und umgekehrt. Copernicus soll die Standortsuche erleichtern, indem es Satellitendaten bereitstellt, die bisher nicht zur Verfügung stehen. Hierfür schiesst die Europäische Weltraumbehörde Esa jetzt nach und nach insgesamt zehn mit neuester Radartechnik, Kameras und Lichtmessgeräten ausgestattete „Sentinels“ in den Orbit, die hoch aufgelöste Bilder der Land- und Ozeanoberflächen liefern, diese vermessen und gefährliche Spurengase wie Ozon oder Schwefeldioxid überwachen. „Mit den Daten kann über einige Jahrzehnte vorhergesagt werden, wie sich die Windressourcen in einem sich wandelnden Klima entwickeln werden“, sagt EZMW-Wissenschaftler Vincent-Henri Peuch.

Je genauer, desto profitabler
Doch Copernicus kann Investoren nicht nur wichtige Entscheidungshilfen an die Hand geben, sondern auch die für die Erneuerbaren-Branche ebenso wichtigen Leistungsprognosen verbessern. Um ihren Strom per Direktvermarktung an der Strombörse verkaufen zu können, müssen Solar- und Windbetreiber ihre Mengen bereits einen Tag im Voraus der Börse melden. Je genauer die tatsächliche Produktion der Prognose entspricht, desto profitabler wird es für sie. Denn für Überschüsse müssen sie Rabatte gewähren, zu geringe Mengen hingegen über den Kauf teurer Ausgleichsenergie auffangen. Auch für die Netzplanung werden exakte Leistungsprognosen immer wichtiger. Abweichungen der tatsächlichen von der erwarteten Erneuerbaren-Einspeisung gefährden die Netzsicherheit und müssen durch kurzfristige Gegenmassnahmen wie das Abschalten von Windturbinen ausgeglichen werden. Mit den Daten der Copernicus-Sentinels könnten Abweichungen in engeren Grenzen gehalten und solche Massnahmen reduziert werden.

Mehr Daten aus dem All
Schon heute liefern Satelliten wichtigen Input für die Leistungsvorhersage. „Der Satellit kann die Sonnenstrahlung am Boden ganz gut bestimmen und Wolken erkennen“, sagt der Prognoseexperte Malte Siefert vom Forschungsinstitut Fraunhofer-Iwes. Wetterdienste wie der DWD nutzen die Daten aus dem Weltraum deshalb als Ausgangswerte für ihre Wettervorhersagen, die wiederum die Grundlage der Leistungsprognosen bilden. Hierfür reichern die Prognosedienstleister die Wettervorhersagen mit Informationen zu den lokalen Gegebenheiten am Standort einer Erneuerbaren-Anlage und Echtzeitwerten anderer Solarkraftwerke und Windparks an. Die Livewerte helfen, ihre Prognosen zu verifizieren. Doch obwohl die Firmen die Fehlerquote etwa für eine Windprognose für den Folgetag bereits auf drei Prozent gesenkt haben, sind sie mit den Ergebnissen ihrer Vorhersagen noch nicht zufrieden. „Wir brauchen noch mehr Daten“, sagt der Energiemeteorologe Matthias Lange von Energy & Meteo Systems aus Oldenburg. Zusätzliche Satelliteninformationen könnten die Qualität der Prognosen steigern.

Neue Prognoseprodukte
Mit den Sentinel-Daten lassen sich ausserdem ganz neue Prognoseprodukte für die Energiewirtschaft kreieren. Bisher werden damit überwiegend die Wettermodelle für die Folgetagsprognosen gefüttert, jetzt wollen die Firmen Informationen aus dem Weltraum stärker auch direkt für Kurzfristprognosen verwenden. Diese Vorhersagen für die kommenden Stunden werden immer relevanter, um etwa im sogenannten Intraday-Handel die vortägige Vermarktung nach den Folgetagsprognosen kurzfristig zu korrigieren. „Der Transfer der Satellitendaten in ein geeignetes Modell für eine Kurzfristprognose ist momentan einer der grössten Knackpunkte. Wir sind dabei, einen entsprechenden Ansatz für die Solarenergie zu entwickeln“, sagt Joris Brombach von der Firma EWC Weather Consult aus Karlsruhe. Allerdings verwende EWC keine Daten aus dem Copernicus-Programm, sondern nutze Informationen anderer Anbieter. „Damit erreichen wir schon eine sehr hohe Qualität“, so Brombach.

Kurzfristprognosen
Enercast aus Kassel bietet bereits Kurzfristprognosen für das Intraday-Geschäft an. „Dafür nutzen wir im Prinzip die gleichen Einflussgrössen, die auch in die Wettermodelle einfliessen“, sagt Firmenchef Thomas Landgraf. Auch Copernicus-Daten könnten eine wichtige Rolle spielen, allerdings nur wenn sie sich als geeignet erwiesen. „Das Projekt klingt sehr viel versprechend, aber konkrete Aussagen dazu sind derzeit noch nicht möglich. Hierzu müssen wir uns erst über ein gesamtes meteorologisches Jahr ansehen, welchen Einfluss Copernicus auf die Vorhersagen hat“, so Landgraf. Das Programm könnte Enercasts Wetterintelligenz für weitere Branchen erhöhen. „Ist ein Unternehmen im Hinblick auf seine Prozesse, seine Produkte oder Dienstleistungen von den meteorologischen Bedingungen abhängig, gilt es, diese in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Wir helfen, Geschäftsentscheidungen aufgrund des Wetters zu prognostizieren – in Echtzeit sowie bis zu 240 Stunden in die Zukunft.“ Landgraf nennt ein Beispiel aus der Baubranche: Ein Baudienstleister könne mithilfe einer Prognose genau abschätzen, wie die Arbeit auf seinen Baustellen in den nächsten Tagen organisiert werden muss.

Noch Schwierigkeiten
Allerdings bestehen bei den Leistungsprognosen noch Probleme, die sich auch mit Copernicus nicht lösen lassen. Eine Schwierigkeit ist, die früher nur für die Allgemeinheit bestimmten Wettermodelle weiter für die erneuerbaren Energien zu optimieren. „Vor allem bei der Berechnung der Windbedingungen auf Nabenhöhe einer Windturbine gibt es häufig Abweichungen“, sagt Lange. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Orka 2“ widmen sich Energy & Meteo und der DWD aktuell diesem Problem. Ein weiteres ist, dass Anlagendaten und Informationen zur aktuellen Situation im Stromnetz nach wie vor nur lückenhaft vorhanden sind. Wann werden Turbinen gewartet, wann im Fall von Überkapazitäten durch Einspeisemanagement abgeregelt und wie hoch ist ihre Verfügbarkeit? „Hätten wir diese Informationen, könnten wir noch präzisere Prognosen anbieten“, sagt Lange. Die Situation ist paradox: Während an Daten aus dem Weltraum bald kein Mangel mehr herrscht, müssen die Prognosefirmen die Erneuerbaren- und Netzbetreiber für ihre Vorhersagen mühsam ins Boot holen.

©Text: Sascha Rentzing

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