Unzählige Fragen bleiben ungelöst: Was geschieht bei Erdbeben, Erdrutschen, Treibstoffknappheit, oder Schneefall (Nordjapan ist sehr schneereich), … Seeweg wie Luftweg könnten je nach Witterung ausfallen. ©Bild: SES

Japans AKW-Evakuierungskonzepte: Papier und Wirklichkeit

(©KT/SES) In Japan könnten schon diesen Sommer 17 der stillgelegten AKW wieder in Betrieb gehen, auch wenn eine Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist. Voraussetzung für die Wiederinbetriebnahme ist das Bestehen einer Sicherheitsprüfung inklusive Evakuierungskonzept. Viele dieser Konzepte sind aber nicht ihr Papier wert.


Eine Umfrage der Tageszeitung Asahi Shinbun von Mitte März dieses Jahres zeigt: 59 % der Bevölkerung Japans sind gegen die Wiederinbetriebnahme der AKW und nur 28 % dafür. Doch bereits liegen Gesuche für die Wiederinbetriebnahme von 17 AKW vor. Und da die Regierung eine befürwortende Haltung hat, könnte wohl da erste AKW bereits im kommenden Sommer wieder ans Netz gehen.

Neue Sicherheitsprüfung
Voraussetzung für die Wiederinbetriebnahme ist das Bestehen der neuen Sicherheitsprüfung. Auch wird das Einverständnis der Standortgemeinden allgemein als notwendig erachtet, ebenso wie das Vorliegen eines von den Gemeinden mit Hilfe der Präfekturen zu erstellenden Evakuierungsplans für den Umkreis von 30 Kilometern vom AKW. Doch die Erteilung von Bewilligungen für die Wiederinbetriebnahme von AKW ist nicht von Vorliegen eines realistischen Evakuationskonzeptes abhängig.

Zweifel an Evakuierung nach Plan
Betroffen sind 135 Gemeinden in 21 Präfekturen (Präfekturen entsprechen etwa den Schweizer Kantonen). Davon haben 58, also knapp die Hälfte, bisher zumindest formell Evakuationspläne erstellt. Viele Gemeindebehörden glauben allerdings nicht, dass eine Evakuation wirklich nach Plan verlaufen würde. Vom japanischen Staat vorgegeben ist eine „Etappenevakuierung“: Zuerst müssen die Menschen in der 5 km-Zone evakuiert werden. Die Menschen im 30 km-Umkreis sollen derweil in ihren Häusern warten, bis auch sie an die Reihe kommen.

Verkehrsstaus schon vor Evakuierungsbefehl
Verkehrsstaus sind im Katastrophenfall ein zentrales Thema. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima-Daiichi haben zahlreiche Bewohner ausserhalb der 10 km-Zone schon ihre Häuser verlassen, bevor der staatliche Evaluationsbefehl kam. Enorme Verkehrsstaus waren die Folge. Für Wege, welche normalerweise in 15-20 Minuten Fahrzeit bewältigt werden können, wurden fünf bis sechs Stunden benötigt.

In der Umgebung des AKW Hamaoka in der Präfektur Shizuoka – auch für diese Meilergruppe liegt ein Gesuch für Wiederinbetriebnahme vor – leben 860‘000 Menschen in elf Gemeinden. Weder die Gemeinden noch die Präfektur konnten bisher Evakuationspläne vorlegen.

Wenige Gemeinden berücksichtigen Staus
Ein privates Institut für Umweltfreundliche Wirtschaft (Kankyokeizai-Kenkyujo) in Tokyo hat Mitte Januar eine Berechnung vorgestellt. Wegen massiven Staus würde es bei einer Katastrophe im AKW Hamaoka bis sechs Tage dauern, bis alle Einwohner aus der 30 km-Zone evakuiert wären. Nach der Umfrage von Asahi-Shinbun haben bisher nur sieben Gemeinden in ihren Evakuationsplänen einen Verkehrsstau überhaupt nur berücksichtigt.

Eine grosse Herausforderung ist die Evakuierung älterer und pflegebedürftiger Menschen. Nach dem Reaktorunfall von Fukushima-Daiichi sind nicht wenige ältere und kranke Personen durch den Evakuationsstress gestorben. Alters- und Pflegeheime sind für die Evakuation selber verantwortlich. Was wäre, wenn die Katastrophe während der Nacht stattfindet, wo nur wenig Personal verfügbar ist?

Bewusstsein über Restrisiken vorhanden
Unzählige Fragen bleiben ungelöst: Was geschieht bei Erdbeben, Erdrutschen, Treibstoffknappheit, oder Schneefall (Nordjapan ist sehr schneereich), … Seeweg wie Luftweg könnten je nach Witterung ausfallen. Und wie sollen die Zielgemeinden den Ansturm Tausender Menschen bewältigen?

Man ist sich in Japan bewusst, dass mit der Wiederinbetriebnahme von AKW weitere Reaktorkatastrophen möglich sind, dass auch mit den neuen Sicherheitsstandards Restrisiken bleiben. Es ist aber kaum möglich, im Falle einer AKW-Katastrophe alle Menschen rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Ist es wirklich klug und verantwortbar, Reaktoren trotz dieser Erkenntnisse wieder in Betrieb zu nehmen ? Diese Frage wurde in der Fernsehsendung „Somosomo-Soken“ (Asahi-TV) dem japanischen Wirtschaftsministerium gestellt. Die Antwort war ebenso überraschend wie grotesk: Man möchte diese Frage doch bitte an die Atom-Sicherheitsbehörde richten. Diese gab Bescheid, man habe jetzt keine Zeit, diese Fragen zu beantworten.

©Text: von Kaori Takigawa im Auftrag der Schweizerischen Energie-Stiftung, Quellen: Somosomosoken(TV Asahi), NHK Close-up Gendai, Mainichi-Shinbun, Tokyo-Shinbun, Asahi-Shinbun

0 Kommentare

Kommentar hinzufügen

Partner

  • Agentur Erneuerbare Energien und Energieeffizienz

Ist Ihr Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien oder Energieeffizienz tätig? Dann senden sie ein e-Mail an info@ee-news.ch mit Name, Adresse, Tätigkeitsfeld und Mail, dann nehmen wir Sie gerne ins Firmenverzeichnis auf.

Top

Gelesen
|
Kommentiert