Rudolf Rechsteiner: "Auf alte und neue Abenteuer in den Sparten Geothermie oder Kernenergie sollten wir lieber verzichten, je schneller, desto besser."

Geothermie-Strom: Zu teuer, zu spät, zu wenig

(©RR) Das Erdbeben von St. Gallen ist keine Katastrophe. Aber die wohlmeinenden Initianten stehen vor schwierigen Entscheiden. Möglicherweise müssen Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe abgeschrieben werden. Dazu kommen Schäden an Gebäuden. Selbst wenn es technisch gelänge, Strom aus Erdwärme zu erzeugen, hätte er keine Chance: Er ist zu teuer. Die Schweiz sollte auf bewährte Techniken setzen.


Wer die Erdstösse 2006 in Basel hautnah erlebt hat, für den ist das Geschehen in St. Gallen keine Überraschung. Der «wahrscheinlichste Sachschaden» bei Weiterführung des Basler Geothermie-Projekts hätte bei «etwa 40 Millionen Schweizerfranken» gelegen, bilanzierte die kantonale Risikoanalyse. 9 Millionen kosteten in Basel die Bauschäden, rund 30 Millionen Franken Investitionen musste der Kanton abschreiben.

Wer noch immer frohgemut milliardenschwere Programme für die Stromgewinnung aus Erdwärme fordert, sollte Aufwand und Ertrag abwägen. Als die eidgenössischen Räte vor knapp zehn Jahren Bürgschaften zur Risikoabsicherung von Geothermie-Anlagen im Energiegesetz verankerten, kostete Solarstrom etwa 70 Rappen pro Kilowattstunde. Heute liegen die Gestehungskosten noch bei 12 bis 25 Rappen, je nach Standort und Grösse. Windstrom liegt - ebenfalls umgerechnet auf 30 Jahre Betrieb - an guten Standorten bei 5 bis 12 Rappen pro Kilowattstunde. Damit kosten Sonnen- und Windkraft nur noch halb so viel wie Atomstrom, wenn man die Einspeisevergütung von umgerechnet über 20 Rappen in Betracht zieht, die neue Atomkraftwerke in Grossbritannien erhalten sollen; es sind 9,5 Pence pro Kilowattstunde während 35 Jahren indexiert!

In St. Gallen wäre der projektierte Erdwärmestrom für rund 3000 Haushalte mit 40 Rappen pro Kilowattstunde entschädigt worden, deutlich höher also als der Strom aus Wind oder Photovoltaik. Wind- und Solarstrom sind inzwischen selbst im Vergleich mit neuen Kohle- und Gaskraftwerken wettbewerbsfähig geworden. Und sie drücken den Strompreis je nach Witterung tief nach unten, wovon besonders die Grossverbraucher mit Marktzugang profitieren. Der technische Trend lässt sich unschwer an Zahlen festmachen: In Deutschland mit seiner reichen bergmännischen Erfahrung lieferte die Geothermie 25 Gigawattstunden Strom im Jahr 2012, 21 000 Gigawattstunden kamen aus Wasserkraft, 46 000 aus Windenergie und 28 000 aus Photovoltaik; 1 Gigawattstunde sind 1 Million Kilowattstunden. Selbst erfolgreiche geothermische Projekte wie in Unterhaching (Bayern) liefern nicht mehr Strom als ein bis zwei moderne Windturbinen.

Nun führen Geologen als vermeintlichen Vorteil der Geothermie die Bereitstellung von Bandenergie ins Feld. Doch nicht regulierbare Stromlieferungen passen im Umfeld der erfolgreichen Solar- und Windenergie nicht mehr in den Markt, und die tiefen Notierungen für Bandenergie an der Strombörse von unter 5 Rappen pro Kilowattstunde sprechen für sich. Als Ergänzung zu Wind und Sonne sind Wasserkraft und Biomasse besser positioniert als Strom aus teuren Geothermie-Projekten.

Hingegen kann die Geothermie für die Wärmegewinnung in Zukunft einen sehr wichtigen Part übernehmen: Über 50 000 Erdsonden sind in der Schweiz bereits erfolgreich in Betrieb. Auf die dezentrale Wärmegewinnung und -speicherung müsste die Forschung fokussieren, statt Hunderte Millionen für riskante Grossprojekte einzufordern, deren Abwärmenutzung, sollte die Stromerzeugung denn gelingen, neue Folgekosten nach sich zöge. Allerdings: Erdsonden erzeugen keinen Strom, sondern sie verbrauchen welchen. Denn erst die Kombination mit Wärmepumpen ermöglicht die Bereitstellung von Komfortwärme.

Geothermie könne potenziell viel Strom liefern, sagen die grossen Stromkonzerne, die nach dem nuklearen Fiasko nach neuen Grosskraftwerken Ausschau halten. Ihnen geht es darum, die Konkurrenz durch saubere Energien von neuen Anbietern klein zu halten, um die alten Risiko-Reaktoren möglichst lange zu betreiben.

Die Entwicklung im Ausland zeigt, dass es auch anders geht, und dies in hohem Tempo. Die Preise für Wind- und Solarstrom sinken weiter um 1 bis 2 Prozent pro Monat, weil diese Techniken dank global hoher Nachfrage stetig verbessert werden. Mit Photovoltaik in Kombination mit bestehenden Pumpspeicherwerken, Biomasse und etwas Windenergie lässt sich auch in der Schweiz die Energiewende tragfähig und kostengünstig gestalten. Auf alte und neue Abenteuer in den Sparten Geothermie oder Kernenergie sollten wir lieber verzichten, je schneller, desto besser.

Die Innovationszyklen sind bei beiden Techniken äusserst schwerfällig. Bei der Geothermie dauert es vier bis acht Jahre, bis Strom fliesst; der 2006 begonnene «Euroreaktor» in Finnland geht statt 2009 frühestens 2016 ans Netz; Käufer und Verkäufer streiten sich vor Gericht, wer die Mehrkosten bezahlen muss. Die Lernkurve läuft beide Male in die falsche Richtung. Neuanlagen werden im Vergleich mit anderen, sauberen Stromtechniken nicht billiger, sondern der Preisabstand nimmt laufend zu. Deshalb können wir schmerzlos auf sie verzichten.

Zum Autor
Rudolf Rechsteiner ist Ökonom und war von 1995-2010 Mitglied des schweizerischen Parlaments. er führt heute ein eigenes Beratungsbüro (re-solution.ch) in Basel und unterrichtet an verschiedenen Hochschulen, namentlich an der ETH Zürich, der Universität Bern, der Universität Basel und der Fachhochschule Nordwestschweiz.

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