Berlin in blau: Kristalline Siliziumzellen sind in Deutschland die führende Photovoltaik-Technik. Auch auf dem Dach des Bundesjustizministeriums entsteht ein Sonnenkraftwerk. Bild: Paul Langrock

Zellenrohlinge: Erst mit der sogenannten Texturierung erhalten die Siliziumscheiben, die sogenannten Wafer, ihre typische blaue Farbe. Bild: Solarworld

Multikristalline Solarzellen: Hoffnungsträger der Photovoltaik

(PM) Drastische Förderkürzungen in vielen europäischen Ländern zwingen die Solarindustrie zu raschen Kostensenkungen. Damit rücken Zellen aus multikristallinem Silizium wieder stärker in den Fokus. Sie sind kostengünstig und ihr Wirkungsgrad lässt sich mit relativ geringem Aufwand schnell steigern. Auf der solarpeq, der internationalen Fachmesse für solares Herstellequipment, können sich die Hersteller vom 23.10.2012 bis 26.10.2012 ein Bild machen, welche Innovationen die Zulieferer für weitere Kostensenkungen bereithalten.


Die Technik sollte längst keine Rolle mehr spielen. Als in den Neunzigerjahren der Bedarf an Photovoltaik (PV)-Anlagen stieg, galten Solarmodule aus multikristallinem Silizium bereits als Auslaufmodell. Die Zellen waren zu klobig und mit nur durchschnittlich zehn Prozent Wirkungsgrad nicht effizient genug. Dünnere und leistungsstärkere Absorber sollten sie daher bald ersetzen.

Eine Milliarde Dollar

Die US-Regierung investierte in den Neunzigerjahren insgesamt über eine Milliarde Dollar Fördergelder in die Weiterentwicklung von Dünnschicht- sowie Mehrfachzellen. Während die Dünnschicht wegen ihres geringen Materialbedarfs das Interesse der Forscher weckte, faszinierten die Mehrfachzellen aufgrund ihrer hohen Effizienz. Bis zu fünf verschiedene Halbleiterschichten wandeln bei dieser Technik fast 40 Prozent des Lichts in Strom um.

In Japan wiederum fokussierten sich die Forscher besonders auf reines monokristallines Silizium. So genannte Heterojunction-Zellen (HIT) zum Beispiel, die zur Vermeidung von Ladungsträgerverlusten extra mit einer zusätzlichen Schutzschicht aus amorphem Dünnschichtsilizium ummantelt werden, erreichen Wirkungsgrade von mehr als 20 Prozent.

Deutschland setzte auf multikristallinem Silizium

In Deutschland hingegen arbeiteten die Firmen trotz der Vorbehalte auch weiterhin mit multikristallinem Silizium. „Die hiesige Industrie investierte weniger in revolutionäre Zellentechniken, sondern setzte eher auf die Evolution bestehender Konzepte“, sagt Eicke Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Inzwischen zeigt sich, dass die Unternehmen damit intuitiv den richtigen Weg einschlugen. Noch immer dominieren multikristalline Zellen die Photovoltaik laut Marktforscher Navigant Consulting mit 47 Prozent Marktanteil klar vor monokristallinen Zellen mit 38 Prozent. Mit 14 Prozent folgt mit grossem Abstand die Dünnschicht, die Mehrfachzellen tauchen in der Marktstatistik gar nicht auf.

Unterschätzte Technik

Dass an den Multizellen bis heute kein Weg vorbeiführt, ist leicht erklärt: Innovationen entwickelten sich hier rascher als bei konkurrierenden Techniken. „Der durchschnittliche Wirkungsgrad stieg in den vergangenen zehn Jahren um fünf Prozentpunkte auf 15 Prozent“, erklärt Eicke Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Gleichzeitig sank der Materialbedarf. Mit 0,2 Millimeter Dicke sind die Siliziumscheiben, die sogenannten Wafer, inzwischen im Schnitt ein Drittel dünner als noch vor einer Dekade. Ausserdem lassen sich multikristalline Standardzellen leichter produzieren als die neuen Techniken. So konnten zügig Produktionslinien aufgebaut und Skaleneffekte durch steigende Produktionsmengen erzielt werden.

1,70 Euro pro Watt

Dank der besseren und immer grösseren Produktionen fielen die Kosten drastisch. Im Februar 2011 gab die Online-Plattform pvXchange Grosshandelspreise von rund 1,70 Euro pro Watt für kristalline Module aus deutscher Produktion an. Seitdem senkten die Hersteller ihre Preise um rund ein Drittel auf 1,10 Euro pro Watt. Und die Technik kann noch deutlich günstiger werden. „Die Effizienz multikristalliner Module lässt sich sicher noch auf 20 Prozent erhöhen“, sagt Weber. Steigt die Effizienz, sinken automatisch der Materialbedarf und die Kosten.

CIS-Module

Grosses Innovationspotenzial haben sicher auch die Dünnschicht- und die Mehrfachzellen, nur vollziehen sich technische Fortschritte hier langsamer. Dünnschichtzellen auf Basis der Halbleiter Kupfer, Indium und Gallium (CIS) zum Beispiel erreichen zwar bereits Wirkungsgrade von 13 Prozent, konnten ihre kristallinen Konkurrenten beim Preis aber noch nicht unterbieten – laut pvXchange kosten CIS-Module derzeit noch rund 1,50 Euro pro Watt. „Der Aufbau grosser Fertigungskapazitäten ist beim CIS schwieriger als erwartet“, gesteht der Dünnschichtexperte Michael Powalla vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg. Auch die Mehrfachzellen-Produktion ist durch den niedrigen Automatisierungsgrad noch nicht wirtschaftlich.

Das Problem ist, dass die Solarindustrie nicht mehr viel Zeit hat, um die Wettbewerbsfähigkeit der Photovoltaik zu erreichen. Fast überall in Europa haben Länder mit einer Einspeisevergütung für Solarstrom die Fördertarife radikal gekürzt, weil der starke Zubau an Solaranlagen ausser Kontrolle geriet. In Deutschland zum Beispiel soll die Solarstromvergütung nach den jüngsten Plänen der Bundesregierung dieses Jahr um bis zu 40 Prozent sinken. „Wer in diesem schwierigen Marktumfeld bestehen will, muss seine Preise weiter massiv senken“, sagt der Analyst Matthias Fawer von der Schweizer Bank Sarasin.

Keine Zeit für Experimente

Aus jetziger Sicht sind multikristalline Zellen hierfür am ehesten geeignet, denn sie weisen von allen Techniken die steilste Lernkurve auf. Die deutschen Solarmaschinenbauer und Hersteller sind die Technologieführer bei den Multis und kennen die Stellschrauben für weitere Innovationen. Unternehmen wie Bürkle, Centrotherm oder Grenzebach liefern Equipment für alle Bereiche der kristallinen Wertschöpfungskette von der Siliziumherstellung bis zur Modulfertigung. Mit ihren Anlagen und Automationslösungen sorgen sie für rasche Effizienzgewinne und sinkende Fertigungskosten.

Internationalen Fachmesse
solarpeq
Auf der internationalen Fachmesse für solares Herstellequipment, solarpeq, und der parallel stattfindenden glasstec, Weltleitmesse für die Glasbranche, können sich die Hersteller vom 23.10.2012 bis 26.10.2012 ein Bild machen, welche Innovationen die Zulieferer für weitere Kostensenkungen bereithalten. Ausserdem präsentieren zahlreiche Aussteller zur glasstec Lösungen für den Einsatz von solaren Endprodukten in Gebäudehüllen, denn die weltgrösste Glasfachmesse zieht auch zahlreiche Architekten und Gebäudeplaner an.

Eine zukunftsträchtige Technologie, die derzeit Einzug in die Fabriken hält, sind multikristalline Zellen mit Rückseitenpassivierung, die sogenannten Perc-Zellen (Passivated Emitter and Rear Contact). Bei den derzeit gängigen Standardzellen drängen Elektronen zum Minuspol auf der Vorderseite und die Elektronenlöcher zum Pluspol auf der Rückseite. Hier fliesst der Strom über einen Aluminiumkontakt ab, der grossflächig auf dem Wafer liegt. Durch das Aluminium ist der elektrische Kontakt zum Pluspol zwar sehr gut, aber der direkte Kontakt zwischen Metall und Halbleiter führt dazu, dass sich negative und positive Ladungsträger an dieser Grenze gegenseitig auslöschen, im Fachjargon: rekombinieren. Die Entwickler nutzen deshalb einen einfachen Trick: Sie ersetzen das Aluminium durch eine neue Schicht, die Stromverluste reduziert. Man bezeichnet diese Schicht als dielektrische Passivierungsschicht, die aus Siliziumnitrid, Siliziumoxid oder Aluminiumoxid bestehen kann. Allerdings haben diese Schichten den Nachteil, dass sie Strom nicht leiten. Deshalb müssen sie zusätzlich an einigen Stellen geöffnet werden, um die metallenen Stromanschlüsse dort hindurchführen und mit dem Halbleiter verbinden zu können.

Diverse neue Multi-Konzepte

Schott Solar beispielsweise erreicht dank Perc-Technik Moduleffizienzen von 18 Prozent. Das Unternehmen will aber noch einen Schritt weiter gehen und diese Zellen künftig aus sogenanntem Quasi-Mono-Silizium herstellen. Dieser neue Halbleiter, der dem multikristallinen Silizium zugeordnet wird, gilt in der Branche als eine Art Sprungbrett zur Wettbewerbsfähigkeit. Es wird wie einfaches multikristallines Material in Schmelztigeln hergestellt, hat aber die Eigenschaften des höherwertigen monokristallinen Materials. „Wir erhoffen uns damit einen Effizienzgewinn von bis zu zwei Prozentpunkten bei nahezu gleichbleibenden Produktionskosten“, sagt Schott Solar-Entwicklungschef Klaus Wangemann.

Quasi-Mono-Material

Normalerweise wird Silizium in einem speziellen Tiegel geschmolzen und anschliessend kontrolliert abgekühlt. Beim Blockguss für multikristalline Blöcke richten sich die Kristalle unterschiedlich aus. In ihren Zwischenräumen entstehen sogenannte Korngrenzen, jene Unregelmässigkeiten, die die Stromausbeute schmälern. Schott will den Tiegelboden darum mit einer Platte aus einkristallinem Silizium als Saatkristall präparieren. Beim Abkühlen erstarrt der Halbleiter an diesem Kristall und übernimmt weitgehend dessen Orientierung. Dadurch werden effizienzschmälernde Defekte im Material vermieden. 2013 will Schott erstmalig Quasi-Mono-Material für seine Zellen einsetzen.

Metal
-Wrap-Through
Mit sinkenden Material- und Produktionskosten rückt schliesslich eine Technik in den Fokus der Hersteller, an die sie sich wegen der vergleichsweise schwierigen Produktion lange nicht heranwagten: die sogenannten Metal-Wrap-Through (MWT)-Zellen. Bei dem vom niederländischen Energieforschungsinstitut ECN entwickelten Ansatz werden die Stromsammelschienen intern auf die Rückseite durchgeführt. Dadurch liegen auf der Vorderseite weniger Leiterbahnen, die Licht von der Zelle fernhalten. Der Wirkungsgrad steigt, und gleichzeitig können die Module mit effizienteren Methoden gefertigt werden.

Mit Schott Solar, Bosch Solar, Ja Solar, Kyocera und Canadian Solar wollen jetzt gleich fünf Firmen die neue Technik serienmässig herstellen. Kein Wunder, denn sie ermöglicht Module mit 16 Prozent Wirkungsgrad. Damit stösst die multikristalline Technik in Effizienzbereiche vor, die bisher den teureren monokristallinen Modulen vorbehalten waren.

Text: glasstec/solarpeq

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