Schwarze Kunststoffrohre schlängeln sich über den ausgetrockneten Boden der geschlossenen Deponie. 250 Gasquellen wurden bisher in den Müllberg gelegt oder gebohrt. ©Fotos: Martin Egbert

Auf der Abfalldeponie von San Nicolas im mexikanischen Bundesstaat Aquascalientes, Müllsammler durchsuchen den Abfall nach Verwertbarem. ©Fotos: Martin Egbert

Juan Manuel Castañeda Muñoz ist Mitglied des Comite Estatal Sistema Producto Nopal. Die fünfzig Farmer der Kooperative haben auf insgesamt 560 ha Nopal angebaut. Für die Biogas-Anlage wächst Feigenkaktus auf 70 Hektaren. ©Fotos: Martin Egbert

Kuhdung Sammelplatz in der Nähe von Queretaro. ©Fotos: Martin Egbert

Geschlossene Lagune des Geflügelproduzenten Pilgrims Pride. Das Unternehmen vergärt diese seit zwölf Jahren in Lagunen mit einem Volumen von insgesamt 46‘000 Kubikmetern. Sie produzieren 6000 Kubikmeter Methan pro Tag. ©Fotos: Martin Egbert

Die Biogasanlage der Kooperative Comite Estatal Sistema Producto Nopal. ©Fotos: Martin Egbert

Mexiko: Auch aus Kakteen lassen sich Biogas und Dünger produzieren!

(©KS) Von Kakteen über Schlachtabfällen bis hin zu Deponien, das Biogaspotenzial in Mexiko ist riesig. Alles ist im Fluss, manches in die richtige Richtung zu einer besseren Nutzung von biogenem Material. Doch die Branche entwickelt sich langsam. Auch weil ein Abfallmanagement fehlt. Ein Tour de Mexiko der Biogasnutzung.


Karge Berge, vertrocknete Büsche, Gestrüpp und gelbes Gras vor bizarren Felsformationen. Mehr Mexiko geht nicht. Ist es da noch verwunderlich, dass Juan Manuel Castañeda Muñoz und die anderen Mitglieder seiner Kooperative ihre Biogas-Anlage mit Kakteen betreiben? „Kaktus wächst sehr schnell.“ Der Farmer zeigt über die Plantage der Kooperative bei Cavillo im Bundesstaat Aguascalientes. Wie eine Armee stehen die kniehohen Nopal – zu deutsch Feigenkaktus – in Reih und Glied. Zwischen den Reihen warten Holzkisten auf ihre Befüllung. Um die fünfzig Arbeiter verdienen hier mit Ernte und Pflege ihren Lebensunterhalt. „Seit wir die Biogas-Anlage betreiben, beschäftigen wir zwölf mehr“, erklärt Castañeda. Das ist wichtig in einer Region, aus der viele Menschen auf der Suche nach Arbeit in die USA auswandern – so lange es noch geht.

Feigenkaktus je nach Marktpreis
Juan Manuel Castañeda Muñoz ist Mitglied des Comite Estatal Sistema Producto Nopal. Die fünfzig Farmer der Kooperative haben auf insgesamt 560 Hektar Nopal angebaut. Für die Biogas-Anlage wächst Feigenkaktus auf einer Fläche von 70 Hektar. Im Prinzip. Der schmackhafte und gesunde Kaktus wird in Mexiko als Gemüse geschätzt. Doch die Preise schwanken sehr. „Zwischen November und Februar sind sie sehr hoch, dann läuft die Anlage nur mit einem Drittel Auslastung, weil wir die Kakteen lieber verkaufen.“ In dieser Jahreszeit produzieren die anderen Regionen Mexikos nicht so viel Kakteen. Hier, im mittleren Norden Mexikos, wächst die genügsame Pflanze jedoch das ganze Jahr gut. Also lohnt es sich eher in den Monaten mit grossem, landesweitem Angebot, die Kakteen der Plantage zu vergären.

Bis zu zwanzig Jahre kann man eine Kaktuspflanze beernten. Als Lebensmittel wachsen die Blätter um die dreissig Tage, als Energiepflanze bis zu vier Monate. „Aber nicht länger, sonst sinkt der Methanertrag.“ Castañeda bricht ein hellgrünes Blatt von einer Pflanze. Die Stachel sind entgegen der Erwartung weich, später fallen sie sogar ganz heraus.

Der Methanertrag des Feigenkaktus beträgt 860 Kubikmeter pro Tonne Trockenmasse, was zehn Tonnen Frischmasse entspricht. Damit ist der stachelige Geselle in Bezug auf sein Gewicht nicht besonders ertragreich. In Anbetracht der Hektarerträge aber schon. „Wir ernten in drei Ernten insgesamt 600 Tonnen Frischmasse pro Jahr und Hektar.“ Zudem hat Kaktus in der Biogasanlage mit 16 Stunden eine sehr kurze Verweildauer.

Fermenter aus lokalem Material
Ein Blick auf die Anlage in der Nähe der Plantage aber verdeutlicht: Für ihren Betrieb muss einiges an Masse bewegt werden. Die Kakteenblätter werden zerkleinert und kommen ohne die Zugabe von Wasser in die Fermenter. Beigemischt wird lediglich ein Prozent Kuhdung. Der Nopal gärt in vier jeweils 1000 Kubikmeter grossen Behältern. Die vier Meter hohen Behälter sind lediglich aus Folie, Eisengittern, etwas Beton sowie Steinen und Erde gebaut. „Alle Bauteile gibt es lokal zu kaufen, die Arbeiten konnte ein mexikanisches Unternehmen ausführen“, erklärt Miguel Angel Perales de la Cruz, der Konzept, Finanzierung und Konstruktion der Anlage für die Kooperative geplant hat. Geheizt werden diese Zwitter aus einer Lagune und einem Reaktor allerdings nicht.

„Wenn wir voll produzieren, liegt hier alles voller Kaktusblätter“, so Perales weiter. Die Hoffläche vor der Anlage ist zwei bis drei Fussballfelder gross. Und sie strahlt komplett in hellem Beton, was auf den Projektpartner Cruz Azul verweist. Der grosse mexikanische Betonhersteller nimmt die über sieben Millionen Kilowattstunden Elektrizität ab, die der ein Megawatt grosse Generator von Caterpillar pro Jahr erzeugt. Cruz Azul hat auch weit über die Hälfte der Investitionskosten von umgerechnet zwei Millionen Euro übernommen. Der andere Teil stammt von dem mexikanischen Nationalrat der Wissenschaft und Technologie (CONACYT). Platz für eine Erweiterung ist vorgesehen, wird aber wohl so schnell nicht umgesetzt. Dass die Anlage schon in ihrer jetzigen Grösse nicht auf voller Last läuft, liegt auch daran, dass der staatliche Versorger und Netzbetreiber Comisión Federal de Electricidad (CFE) eine Einspeisung nur zu bestimmten Zeiten zulässt, um das Netz nicht zu überlasten. Zwar hat die mexikanische Regierung mit einer Energiereform das Monopol der CFE aufgelöst. In vielen Angelegenheiten aber agiert diese nach wie vor zäh. Zwischen der Genehmigung zur Produktion von Strom und der für die Einspeisung vergingen im Fall der Nopal-Biogasanlage zum Beispiel zwei Jahre.

Die Gestehungskosten für den Strom aus Kakteen belaufen sich auf umgerechnet knapp vier Eurocent pro Kilowattstunde. Cruz Azul zahlt der Kooperative mehr als das Doppelte.

35% erneuerbarer Strom bis 2024
Mexiko will bis 2024 einen Anteil von 35 Prozent erneuerbarer am Energiemix erreichen. Derzeit sind es gut 18 Prozent, wovon der grössten Teil Wasser – und Windkraft stellen. Energie aus Biomasse spielt mit 0.3 Prozent noch kaum eine Rolle. Der Anteil soll aber innerhalb dieses Zeitraumes auf immerhin 3 Prozent steigen.

Eine Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Energien aber gibt es nicht. Der Staat fördert lediglich so genannte saubere Energien über Investitionsanreize, Förderprogramme und ab Januar 2018 mit Clean Energy Certificates. Zu diesen sauberen Energien zählen aber auch moderne Gas- und Atomkraftwerke.

Zusatzeinkommen aus Fest- und Flüssigdünger
Die Vereinbarung mit Cruz Azul ist für die Kaktusfarmer deshalb ein guter Deal, zumindest in Zeiten hohen Angebotes an Nopal. Vor allem aber soll die Anlage, die seit September 2015 Strom liefert, mit der Erzeugung von Fest- und Flüssigdünger Geld verdienen. Der wird in einer eigens dafür gebauten Halle produziert. Laboruntersuchungen und Feldversuche bescheinigen ihm eine gute Wirkung. Was allerdings fehlt, ist ein Absatzmarkt für den Biodünger. So landet er bislang grossteils auf den eigenen Plantagen der Kooperative.

Düngerproduktion auf der Milchfarm
Düngerproduktion und der Eigenverbrauch der Energie steht auch im Mittelpunkt des Anlagenkonzeptes von Sistema Biobolsa. „Mit den Reststoffen aus ihrer Biogas-Anlage düngt diese Milchfarm achtzig Prozent ihrer Flächen.“ Alex Eaton zeigt über die sieben Lagunen, deren von der Sonne ausgeblichene Folien sich unter dem Druck des Methans aufblähen. Alte Autoreifen liegen auf der Folie, um den Druck der 280 Kubikmeter grossen Anlage der Rancho Sinai bei Zumpango de Ocampo, nordöstlich von Mexico City, zu regulieren. Der US-Amerikaner Eaton hat Sistema Biobolsa vor sieben Jahren gegründet. Er läuft auf eine der Folien und fängt an zu wippen. Ein Glucksen in der Lagune verrät, dass dort ausschliesslich Flüssigkeit gärt, dank eines Separators, der die Feststoffe heraustrennt.

Konstruiert hat Eatons Team diesen aus einem auf dem lokalen Markt erhältlichen Motor. Die Gesamtkosten der Anlage belaufen sich so auf nur rund umgerechnet 15‘000 Euro. Zwei Drittel der Kosten hat Sistema Biobolsa als zinslosen Kredit gewährt. Ein gutes Drittel hat das Agrarministerium zugeschossen.

Strom für die Melkanlage
Es gibt Budgets für derartige Investitionshilfen. Nicht immer werden diese allerdings sinnvoll eingesetzt, bemängeln Experten, zu häufig herrsche dabei das Prinzip Giesskanne. Viele Kleinbiogasanlagen sollen nicht funktionieren, unter anderem weil die Hersteller keine nachhaltige Wartung bieten. Nicht so Sistema Biobolsa. Als Kreditgeber hat das Unternehmen ein Interesse daran, dass die Anlagen dauerhaft Methan produzieren. Davon profitieren natürlich auch die Betreiber. „Die Investition hat die Farm schnell wieder drin“, erklärt Alex Eaton. Und somit kann sie auch den Kredit abbezahlen. Alleine für Kunstdünger müsste die Rancho Sinai pro Jahr und Hektar fast 290 Euro ausgeben. Ein bedeutender Posten, denn sie baut auf einhundert Hektar das Futter für ihre 250 Kühe an. Hinzu kommen Einsparungen von Energiekosten von fast 3000 Euro pro Jahr. Mit Biogas heizt die Farm nicht nur das Warmwasser zur Reinigung der Melkgerätschaften sondern treibt auch den Motor der Melkmaschine an. Sistema Biobolsa hat einen Honda Diesel Motor so modifiziert, dass er mit Methan läuft. Über einen Keilriemen treibt dieser die Melkmaschine an. Der Keilriemen kann aber auch auf einen Dieselmotor umgelegt werden, falls nicht genug Biogas in der Lagune entsteht oder der Gasmotor aus einem anderen Grund nicht funktioniert.

Alex Eaton hatte Sistema Biobolsa zunächst als kleine NGO gestartet und dann in ein Unternehmen mit Sitz in Mexiko City umgewandelt. Heute beschäftigt Sistema Biobolsa 45 Mitarbeiter. Es gibt kleine Ableger in Zentralamerika und demnächst in Kenia sowie in Indien.

Modulares Anlagekonzept
In Mexiko hat Sistema Biobolsa schon über 3000 Anlagen installiert. Die Grössen reichen von vier bis 280 Kubikmeter. Als Module lassen sie sich kombinieren. Der überwiegende Teil sind kleine Haushaltsanlage, mit denen Familien kochen. Kleine Farmer leiden auch in Mexiko besonders unter niedrigen Milchpreisen. Schon die Einsparungen von umgerechnet dreissig Euro für Erdgas im Monat sind eine grosse Hilfe. Zudem können kleine Farmer mit Biogas ihre Milch kostengünstig pasteurisieren und so besser direkt vermarkten. Etwa einhundert grössere Anlagen hat Sistema Biobolsa gebaut. In ihnen wird das Methan genutzt zum Heizen der Verschläge von Ferkeln, in Käsereien oder für den Antrieb von Melkmaschinen wie auf der Rancho Sinai. Dort löst sich der Frühnebel langsam auf, der über die Wiesen wabert. Man könnte sich fast in Schleswig-Holstein wähnen. Knapp 2300 Meter liegt die Region um Zumpango de Ocampo hoch. Das sorgt nachts für niedrige Temperaturen. Der Methanertrag der Anlage schwankt deshalb zwischen 60 und 100 Kubikmeter pro Tag, je nach Jahreszeit und Wetter.

„Lagunen sind preisgünstig aber auch eine Black Box, die kaum zu kontrollieren ist“, sagt Violeta Bravo de Sepúlveda. „Viele funktionieren gar nicht oder schlecht und holen nicht das vorhandene Potential an Methan aus den Substraten“, so die Wissenschaftlerin weiter. Violeta Bravo de Sepúlveda stammt aus Mexiko, hat in Deutschland studiert und arbeitet für ein Projekt der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und des Zentrums für Forschung und technologische Entwicklung der Elektrochemie (CIDETEQ) im mexikanischen Querétaro, einem bedeutenden Industriestandort im gleichnamigen Bundesstaat.

Abwassernutzung bei Geflügelproduzenten
Mit dem Geflügelproduzenten Pilgrims Pride hat sie zum Beispiel eine Pilotanlage zur Behandlung der Abwässer betrieben. Pilgrims Pride verarbeitet 300‘000 Hühner pro Tag. Dabei fallen 2000 Kubikmeter Abwasser an, das reich an Fett und Blut ist. Das Unternehmen vergärt diese seit zwölf Jahren in Lagunen mit einem Volumen von insgesamt 46.000 Kubikmetern. Sie produzieren 6000 Kubikmeter Methan pro Tag. Das reicht für ein Drittel der benötigten Prozesswärme des Lebensmittelbetriebes, die insgesamt fünf Dampfmaschine produzieren. Für mehr aber auch nicht, da bereits alle Abwässer genutzt werden. „Sie bräuchten eine effizientere Biogas-Anlage.“ Violeta Bravo de Sepúlveda hat auf dem Firmengelände deshalb einen 10 Kubikmeter grossen Pilotreaktor in den realen Anlagenbetrieb integriert und erforscht. Das dabei angewandte Anaerobic Sequencing Batch Verfahren (ASBR) bietet im Vergleich zu konventionellen Biogasverfahren erhebliche Einsparung im Eigenenergieverbrauch sowie eine stoffgruppenspezifische Verweilzeit im Fermenter, die zu einer deutlich höheren Ausbeute führt. Eine ähnliche Anlage für Schlachtabfälle war bereits an der BTU Cottbus erprobt worden. „Wir konnten zeigen, dass Pilgrims Pride seinen gesamten Wärmebedarf mit einer solchen Anlage decken könnte “, erklärt die Wissenschaftlerin.

Das Unternehmen plant nun in diese Richtung, nicht zuletzt auch, weil es wahrscheinlich nur so kommende Umweltauflagen erfüllen können wird. Einen genauen Zeit- und Finanzierungsplan aber gibt es noch nicht.

Wärme für Futtermittelhersteller
Violeta Bravo de Sepúlveda ist schon am nächsten Projekt. Mit dem Futtermittelhersteller La Perla soll eine Biogas-Anlage entstehen, die mit über einhundert Millionen Kilowattstunden pro Jahr mehr als den gesamten Wärmebedarf des Unternehmens abdeckt. Dafür sollen 185‘000 Tonnen Gülle, fast 4000 Tonnen Gemüseabfälle aus Treibhäusern sowie grosse Mengen Altfett als auch Molke vergoren werden. So sollen besonders klimarelevante Methanemissionen um 5300 Tonnen pro Jahr reduziert werden.

Das Projekt forscht unter anderem an der Entwicklung einer geeigneten Logistik für den Transport der Substrate sowie den technischen Herausforderungen ihrer gemeinsamen Vergärung. Dafür läuft im Labor des Institutes seit Januar 2017 eine Biogas-Testanlage. „Altfett bringt vier mal so viel Methan wie Dung“, weiss Violeta Bravo de Sepúlveda schon jetzt.

Eindrucksvolles Potenzial
Eine Fahrt rund um die Stadt Querétaro zeigt eindrucksvoll die Potentiale der Region: In der Sonne glitzert ein Meer aus Gewächshäusern des Agroparks. Hier wachsen Tomaten und Paprika für das ganze Land. Nicht weit entfernt erscheint der legendäre Monolith Peña de Bernal am Horizont. Jedes Jahr am 21. März versammeln sich an dem Felsen Scharen von Esoterikern, um seine Energie zu empfangen. Doch die wahren Energieberge erheben sich davor: auf dem Dung-Sammelplatz. Lange Trucks kippen ihre Ladung ab, die sie in den Rinderfarmen der Umgebung eingesammelt haben. Vorderlader schieben und schichten die braune Masse zu haushohen Haufen. Hier, in der Gemeinde Ezequiel Montes, wird der Grossteil des in Mexiko konsumierten Rindfleischs gezüchtet. Der gesammelte Dung geht zurzeit noch unbehandelt als Dünger auf Avocadoplantagen.

Mexikos Landwirtschaft wächst. Und mit ihr das Aufkommen von Dung und organischen Abfällen. Bereits jetzt gibt es zum Beispiel fünf Millionen Bauernhöfe mit etwa 18 Millionen Schweinen. Wachsen tun auch die Lebensmittelproduktion sowie das Aufkommen von Abwässern und Siedlungsabfällen. Jede Sekunde fallen in Mexiko 82.000 Liter Abwasser an. Und täglich 100.000 Tonnen Hausmüll.

50% weniger CO2 bis 2050
Die mexikanische Regierung hat sich selbst verpflichtet, die Treibhausgasemissionen des Landes bezogen auf das Emissionsniveau im Jahr 2000 bis 2020 um 30% und bis 2050 um 50% zu reduzieren. Und da kommt die energetische Nutzung von Methan ins Spiel, nicht zuletzt auch wegen des drastischen Preisverfalls von CO2-Zertifikaten.

Methan nutzen statt abfackeln
„Eigentlich sollte dieses Projekt über den CO2-Zertifikathandel Geld verdienen.“ Rodolfo Montelongo zeigt auf drei dicke, schwarze Rohre zum kontrollierten Abfackeln von Methan, die über der Abfalldeponie von San Nicolas im Bundesstaat Aguascalientes in den blauen Himmel ragen. Installiert wurden diese 1998. Zehn Jahre später beschloss sein Arbeitgeber, das britische Unternehmen Ylem Energy, noch einmal über fünf Millionen US-Dollars in die Hand zu nehmen und das Methan zur Erzeugung von Elektrizität zu nutzen. Seit Dezember 2011 speisen zwei Generatoren von Caterpillar mit einer Leistung von insgesamt 2.4 Megawatt Strom ins Netz. Abgefackelt wird das Methan aus der Deponie nur noch, wenn die Generatoren ausfallen. Der Stromverkauf stellt einhundert Prozent der Einnahmen der Anlage.

Strom für die Autoindustrie
Abnehmer für die zehn Gigawattstunden im Jahr ist der japanische Autohersteller Nissan, der seine Produktion für Mexiko im Gewerbegebiet der Stadt Aguascalientes betreibt. Wie viel Nissan für die Kilowattstunde bezahlt, darf Rodolfo Montelongo nicht verraten. Nur so viel, dass der Preis unter dem Tarif für Industriebetriebe des Hauptversorgers liegt, also unter rund fünf Eurocent für die Kilowattstunde.

Theoretische 19 Gigawattstunden Strom
„Das ist eine Herausforderung für uns“, sagt Montelongo beim Rundgang über die Deponie. Auf dem offenen Teil kippen Mülllaster ihre Ladung aus. Per Hand suchen Sammler Verwertbares heraus. Schwarze Kunststoffrohre schlängeln sich über den ausgetrockneten Boden der geschlossenen Deponie. 250 Gasquellen wurden bisher in den Müllberg gelegt oder gebohrt. „Wir jagen ständig dem Methan hinterher“, erklärt der technische Leiter José Luis Valadez Bustos. Verschiedene Materialien im Abfall, die Auswaschung organischer Anteile durch Regen und schwankende Temperaturen sorgen für ein unstetiges Aufkommen. Hinzu kommen nicht reparierte Risse, durch die Sauerstoff eindringt, oder die zu späte Abdichtung einzelner Abschnitte der Deponie. Vom Müllaufkommen und der Leistung der Anlage her könnten in San Nicolas bis zu 19 Gigawattstunden Strom pro Jahr erzeugt werden. Die würde Nissan auch abnehmen. Nur kann dieses Potential bislang noch nicht gewonnen werden.

Fehlende Mülltrennung verhindert Biogasanlagen
Auf acht Deponien in Mexiko wird bislang das Methan für die Stromproduktion genutzt. Mit einer installierten Leistung von 17 Megawatt befindet sich die grösste in Monterrey. Ab 500 Tonnen Tagesaufkommen lohnt sich eine Deponiegasanlage. Da der Trend in Mexiko hin zu grösseren Deponien geht, werden sicher noch mehr entstehen. Ylem Energy baut zurzeit an zwei neuen Deponiegas-Anlagen. Aber wäre es nicht besser, mit Biogas-Anlagen zu arbeiten? Rodolfo Montelongo schüttelt den Kopf. „Das wäre zwar effizient und kostengünstig, doch es gibt keine wirklich funktionierende Mülltrennung in Mexiko.“

Auch Alvaro Zurita und Esteban Salinas von dem Projekt `Energetische Nutzung von städtischen Abfällen` der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) bestätigen, dass vor allem die fehlende Trennung bei der Nutzung organischer Abfälle eine zu überwindende Hürde darstellt.

Wegen ungenügend oder ungeeignet aufbereiteter Abfälle hat auch die bislang einzige Biogas-Anlage an einer Deponie technische Probleme. Finanziert hat die Anlage in Atlacumulco im Bundesstaat Mexiko das mexikanische Umweltministerium.

Unübersichtlichen Geflecht aus öffentlichen und privaten Akteuren
Die Abfallentsorgung Mexikos wird in vielen Kommunen von einem unübersichtlichen Geflecht aus öffentlichen und privaten Akteuren organisiert. Die Müllwagen und ihre Fahrer stellen die Kommunen. Die Besatzungen der Wagen sind private Selbstständige, die nebenbei den recycelbaren Abfall aussortieren und verkaufen. Ihre Jobs sind begehrt und werden unter der Hand von den Fahrern vergeben. Die wiederum sind in starken Gewerkschaften organisiert. Von recycelbaren Stoffen leben auch viele Sammler, die auf eigene Faust mit einem Sack auf dem Rücken Haushalte und Betriebe abklappern. Ein Blick auf die erstaunlich sauberen Strassen Mexico Citys zeigt, dass das System irgendwie funktioniert. Nur ist es derart von partikularen Interessen geprägt, dass sich schwer etwas verändern lässt. Zudem verhindern sehr niedrige Deponiegebühren Investitionen von Seiten der Betreiber.

In Zusammenarbeit mit dem Energie- als auch dem Umweltministerium versucht die GIZ auf verschiedenen Ebenen die energetische Nutzung von Abfällen voran zu bringen. Zum Beispiel beraten Zurita und Salinas gerade ein Projekt in Xalapa im Bundesstaat Veracruz, wo die Interamerikanische Entwicklungsbank eine Abfallvergärungsanlage an einer Deponie finanziert. „Da müssen wir uns vor allem mit dem Abfallmanagement beschäftigen“, weiss Esteban Salinas.

Grosse Projekte, die nicht vorankommen
Vieles ist im Fluss in Mexiko, manches in die richtige Richtung. Die Ausgestaltung der Energiereform zum Beispiel, verschiedene Umweltauflagen sowie ein nationaler Handel mit CO2-Zertifikaten, der sich zurzeit noch in der Pilotphase befindet. Manche Grossprojekt tauchen regelmässig immer wieder in den Medien auf, ohne wirklich voran zu kommen. Wie zum Beispiel die Nutzung des Deponiegas von Bordo Poniente, der 2012 geschlossenen, einst grössten Abfalldeponie der Welt, für den neuen Flughafen von Mexiko Stadt. Oder der Bau der weltgrössten Biogas-Anlage am Grossmarkt der Megametropole, für täglich 2000 Tonnen organische Abfälle.

©Text: Klaus Sieg, ©Fotos: Martin Egbert

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