Der norwegische Staat nimmt zum ersten Mal weniger Geld aus der Ölwirtshaft ein, als er für andere Bereiche des öffentlichen Haushaltes einschiessen muss.

Norwegen: Der Boom mit dem schwarzen Gold ist vorbei

(©TR) Die Öl- und Gaspreise sind in den letzten beiden Jahren massiv gesunken. Der Preis für Öl sank um fast zwei Drittel, von über 110 Dollar auf unter 40 Dollar pro Fass. In Europa bekommt das vor allem Norwegen zu spüren. Dort läutet der Ölpreiszerfall in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung des Landes geradezu eine neue Epoche ein.


Vorab eine kleine Rückblende: Zum Jahresbeginn 2016 musste der SFR-Korrespondent Bruno Kaufmann in der Sendung Rendez-vous Folgendes schildern: «Fast vierzig Jahre lang erlebte Norwegen einen unglaublichen Boom. Das schwarze Gold aus der Nordsee machte aus dem ärmlichen Agrarstaat eines der reichsten Länder der Welt. 2015 aber kam die Wende zum Schlechteren: Die Halbierung der Ölpreise hat das nordische Land gleich doppelt geschockt; der jährliche Überschuss blieb aus und die Öl- und Gasindustrie hörte praktisch auf, in den weiteren Ausbau und die Forschung der Technologie zu investieren. Als eine konkrete Folge davon hatte der staatliche norwegische Ölgigant Statoil zu Weihnachten seine Angestellten aufgefordert, ihren Job an den Nagel zu hängen – ansonsten drohten Massenentlassungen…»


Zu hoch und attraktiv waren die Überschüsse
Der norwegische Staat nehme zum ersten Mal weniger Geld aus der Ölwirtshaft ein, als er für andere Bereiche des öffentlichen Haushaltes zuschiessen müsse, meldete Bruno Kaufmann nun in seinem neuesten Bericht «Norwegen vor Zeitwende» in der Sendung Echo der Zeit. Mit anderen Worten: Die Zeiten, in denen Norwegen dank dem Schwarzen Gold aus der Nordsee immer reicher geworden sei, seien endgültig vorbei. Das habe weitreichende Folgen. «Das nordische Land hat es in den letzten Jahren verpasst, seine Volkswirtschaft zu differenzieren. Zu hoch und attraktiv waren die Überschüsse aus dem Ölgeschäft. Gleichzeitig fehlt es in anderen Branchen an Arbeitskräften, denn die Unternehmen hatten keine Chancen, so hohe Löhne wie im Erdölsektor zu zahlen», so der SFR-Korrespondent.

Ingenieure, die sich neu orientieren müssen
Die Arbeitslosigkeit unter ausgebildeten Ingenieuren habe sich allein im letzten Jahr fast verfünffacht, meldete Bruno Kaufmann. An einem Seminar in Oslo für angehende Diplomingenieure wurde sehr deutlich, worauf sich das Land am Polarkreis einzustellen hat, angesichts der gesamthaft rund 50‘000 in der norwegischen Ölwirtschaft gestrichenen Stellen. Die rund 200 Ingenieurstudenten und Seminarteilnehmer wurden von einem Job-Coach schon mal aufgefordert, ihre Lage zu «überdenken»: «Öl und Gas waren gestern. In Zukunft braucht es Eure Kompetenz in ganz anderen Sparten – etwa in Gymnasien und Hochschulen. Oder im Umweltbereich.» Diese Botschaft kam bei den angehenden Ingenieuren offenbar an. An alternativen Betätigungsfeldern, die für sie in Frage kämen, nannten sie Sparten wie das Bauwesen, der Strassenbau, die Wasserkraft oder die Ventilation.

Sparpakete und Steuererhöhungen
Laut Bruno Kaufmann steht Norwegen vor einer kleinen Revolution: «In Zukunft wird das Öl- und Gasgeschäft das Land weniger stark beeinflussen als in den vergangenen 25 Jahren. Was bleibt ist jedoch das dicke staatliche Sparkonto, der so genannte Ölfonds. Hier sind fast Tausend Milliarden Franken angelegt. Dieses Geld soll dazu beitragen, dass auch künftige Generationen noch lange von einer überlegten Politik profitieren können. Das unterscheidet dieses Land von zahlreichen anderen, ebenfalls ölproduzierenden Ländern. Gleichzeitig muss sich die norwegische Politik aber auch wieder an Begriffe gewöhnen, die sie in der Vergangenheit gefliessentlich vermeiden konnte, nämlich: Sparpakete und Steuererhöhungen», so der SRF-Korrespondent aus Oslo.

©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch, Quelle: Beitrag von SRF in der Sendung Echo vom 20.3.16

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