Die sechs Bohrlöcher (für die Feuerlöscher-Halterung) im Primärcontainment des Kernkraftwerks Leibstadt stellen gemäss dem Ensi weniger ein technisches als ein organisatorisches Problem dar. ©Bild: Ensi

Bohrlöcher im AKW Leibstadt: ENSI will sich aus der Verantwortung stehlen

(ee-news) 2008 wurde im AKW Leibstadt für die Montage von zwei Feuerlöschern das Primärcontainment durchbohrt. Heute hat die Atomaufsichtsbehörde ENSI ihren Bericht zu diesen unglaublichen Vorgängen publiziert. Das Ensi titelt dazu: „Bohrlöcher weniger ein technisches als ein organisatorisches Problem“.


Greenpeace Schweiz begrüsst den detaillierten Bericht und die geforderten Massnahmen zur Behebung der Mängel in der Sicherheitskultur im AKW Leibstadt. Stossend ist aber, dass sich das ENSI selbst aus der Verantwortung zu stehlen versucht. Das Ensi schreibt heute in einer Meldung: „Sicherheitstechnisch waren die Bohrlöcher im Containment des Kernkraftwerks Leibstadt von geringer Bedeutung. Hingegen zeigt das Vorkommnis, dass dort im Jahr 2008 bedeutende organisatorische Mängel bestanden.“

Trotz klaren Vorgaben nicht entdeckt

«Wir sind sehr enttäuscht, dass der Bericht kein Wort verliert zur Rolle und der Verantwortung der Aufsichtsbehörde. Das ENSI darf sich bei einem derart schwerwiegenden Vorfall nicht einfach aus der Verantwortung stehlen», sagt Greenpeace-Atomexperte Florian Kasser. Seit der Montage der beiden Feuerlöscher vor sechs Jahren wurden Dutzende von Inspektionen durchgeführt. Dabei sieht das entsprechende Regelwerk klar vor, dass die Inspektoren die Schutzhülle regelmässig von Auge prüfen müssen. Warum die Löcher trotz dieser klaren Vorgaben nicht entdeckt wurden, lässt der Bericht offen.

Nur unwesentlicher Einfluss
Das Ensi schreibt in seiner Meldung weiter: „Durch die Beschädigungen am Primärcontainment traten keine unzulässigen Abgaben von radioaktiven Stoffen an die Umgebung auf. Das Schutzziel „Einschluss radioaktiver Stoffe“ wäre auch unter Störfallbedingungen eingehalten worden. Betrachtet wurde bei der Analyse des Kernkraftwerks Leibstadt unter anderem der Fall eines Frischdampfleitungsbruchs innerhalb des Primärcontainments. Primär- und Sekundärcontainment sind so ausgelegt, dass sie den Druck- und Temperaturbelastungen bei einem solch grossen Störfall standhalten. Als weiteres Rückhaltesystem dient das Notabluftsystem, das die Unterdruckhaltung im Sekundärcontainment gewährleistet und die Luft, die aus dem Sekundärcontainment abgesaugt wird, gefiltert und kontrolliert über den Kamin an die Umgebung abgibt. Durch die Bohrlöcher wäre bei einem Störfall zwar mehr kontaminierte Luft in das Sekundärcontainment gelangt. Das Notabluftsystem verfügt jedoch über ausreichende Kapazitäten, um solche Mengen kontaminierte Luft gefiltert abzuführen.

Das Kernkraftwerk Leibstadt konnte zudem rechnerisch unter konservativen Bedingungen nachweisen, dass die sechs Bohrlöcher die Struktur des Primärcontainments nur unwesentlich geschwächt haben.

Ungenügende Prozesse
Das ENSI schreibt weiter, man habe neben dem sicherheitstechnischen Aspekt ein besonderes Augenmerk auf die menschlichen und organisatorischen Gesichtspunkte gelegt. „Wir sind dabei zum Schluss gekommen, dass die Betreuung von externem Personal zum Zeitpunkt der Montage der Handfeuerlöscher im Jahr 2008 nicht geregelt war und die Prozesse ungenügend waren“, erklärt Georg Schwarz, stellvertretender ENSI-Direktor

Drei Forderungen
Das ENSI hat deshalb drei Forderungen erhoben:

  1. Einführung und Betreuung von externen Mitarbeitern: In einer vertieften Analyse soll das AKW aufzeigen, dass die Mängel bezüglich Einführung und Betreuung externer Mitarbeiter mit den heute gültigen Regelungen vollständig behoben sind (zum Beispiel durch Nachweis der Schulung und Betreuung der betreffenden externen Mitarbeiter).
  2. Instandhaltungsprozesse I: Der Prozess „Instandhaltung Infrastruktur“ muss so gestaltet werden, dass eine mögliche Beeinträchtigung der nuklearen Sicherheit bereits im Rahmen der Planung durchzuführender Tätigkeiten erkannt wird und die entsprechenden Prozesse zur Sicherstellung der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes durchlaufen werden.
  3. Instandhaltungsprozesse II: Es ist über geeignete Massnahmen sicherzustellen, dass die Qualitätsüberprüfung durchgeführt und dokumentiert wird. Alle getroffenen Massnahmen sind dem ENSI ausführlich dazulegen.

„Wir werden zudem nächstes Jahr das Thema Mensch und Organisation im Kernkraftwerk Leibstadt besonders eng begleiten“, ergänzt Georg Schwarz in der Pressemeldung.

Das ENSI stuft das Vorkommnis im Kernkraftwerk Leibstadt nach eingehender Prüfung auf der internationalen Ereignisskala mit INES 1 ein. Ausschlaggebend sind die unzureichenden Prozessvorgaben bei der Instandhaltung und Mängel bei der Qualitätssicherung.

Fall nicht abgeschlossen!

Für Greenpeace ist der Fall nicht abgeschlossen. Die Rolle des ENSI muss von einer unabhängigen Stelle untersucht werden. Greenpeace wird deshalb in den kommenden Tagen die zuständige Bundesrätin Doris Leuthard anschreiben mit der Bitte, die offenen Fragen in dem Fall abklären zu lassen.

©Text: ee-news.ch, Quellen: Greenpeace, Ensi

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