Für die Schweizerische Energie-Stiftung SES, die diese Studie in Auftrag gegeben hat, gibt es ein klares Fazit: Der momentane Fracking-Boom wird die Erdöl- und Erdgasverfügbarkeit nur kurzfristig verlängern. Fracking ist der Anfang vom Ende.

Tilgner berichtete zudem darüber, dass Saudi-Arabien aufgrund der Airconditioning im Sommer und auch der Entsalzung von Meerwasser bereits Benzin importiere. ©Bild: Schweizerische Energie-Stiftung

„Viele sagen, die jährlich 300 Millionen Franken für die Kostendeckende Einspeisevergütung seien zu hoch. Gleichzeitig importieren wir monatlich für eine Milliarde Franken fossile Energien“, rechnete der Historiker Daniele Ganser. ©Bild: SES

Der Energieexperte Werner Zittel, Mitarbeiter der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH, stellte die Fracking-Potenziale allgemein in Frage. ©Bild: Schweizerische Energie-Stiftung

Studie Fossile Schweiz: Monatlich CHF 1 Mrd. für fossile Energien

(©AN) Die Studie von Daniele Ganser vom SIPER «Fossile Schweiz – Warum wir die Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas reduzieren müssen» thematisiert die Problematiken dieser Abhängigkeit. Sie zeigt auf, woher die Rohstoffe kommen und welche aussen- und sicherheitspolitischen Risiken bei der Beschaffung bestehen. Und sie beleuchtet die Konfliktrisiken in den Lieferländern.


Die Studie, die vom Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) im Auftrag der Schweizerischen Energie-Stiftung SES erstellt wurde, zeigt auf, dass heute weltweit Erdöl und Erdgas in derart grossen Mengen verbrannt werden, dass wir völlig den Überblick und jegliche Vorstellung über die riesigen Volumen verloren haben: Der summierte globale Verbrauch aller Länder beträgt jeden Tag 90 Millionen Fass Erdöl sowie 9 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Wir heizen das Klima auf, plündern die Ressourcen und führen Krieg um Öl und Gas.

Fokus auf die Schweiz
Die Studie «Fossile Schweiz - Warum wir die Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas reduzieren müssen» des Historikers Daniele Ganser beschreibt umfassend die Abhängigkeit der Schweiz von den fossilen Energieträgern Erdöl und Erdgas. Mit einfachen Zahlen und Fakten zeigt Ganser auf, wie viel Erdöl und Erdgas konsumiert werden, woher sie importiert werden und welche Risiken für die Schweiz und in den Lieferländern bestehen.

Zusammenfassend sind fünf Punkte als Studienergebnisse besonders hervorzuheben:

  • 100 % Importabhängigkeit: Die Schweiz verbraucht 250'000 Fass Erdöl pro Tag, das sind pro Person täglich 5 Liter. Und die SchweizerInnen bezahlen für den Import dieser Menge an Erdöl jeden Monat mehr als 1 Milliarde Franken.
  • Instabile Importländer: Die Schweiz importiert Rohöl seit Jahren aus den Ländern Libyen, Kasachstan, Nigeria, Algerien und Aserbaidschan. Alle diese Länder wurden in der jüngeren Vergangenheit von Gewalt erschüttert.
  • Peak Oil: Das Phänomen der sich verknappenden Erdölressourcen ist als Fördermaximum, dem sogenannten «Peak Oil», bekannt und empirisch belegt: In Grossbritannien, Norwegen, Mexiko, Indonesien und vielen anderen Ländern wurde der Peak Oil erreicht, die Förderung geht zurück.
  • Erdgas: Die Schweiz verbrannte im Jahr 2013 insgesamt 3.5 Milliarden Kubikmeter importiertes Erdgas, also täglich rund 10 Millionen Kubikmeter. Norwegen deckt 18 % der Schweizer Importe und ist ein stabiler und verlässlicher Erdgaslieferant. Die EU deckt 46 % der Schweizer Importe, ist aber ein instabiler Lieferant, da die EU mit Ausnahme der Niederlande selber auf Erdgasimporte angewiesen ist. Russland deckt 25 % der Schweizer Importe und war in der Vergangenheit für die Schweiz ein verlässlicher Lieferant. Russland kann aber den Export von Erdgas einschränken – wie zum Beispiel im Januar 2009 –, wenn der Streit mit der Ukraine oder anderen Ländern weiter eskaliert.

 

  • Schiefergasfracking: Schiefergas ist endlich und unterliegt dem Peak-Gas-Erschöpfungsgesetz. Die besten Quellen in den USA produzieren schon nach drei Jahren 80 % weniger als zu Beginn. Im Gegensatz zu den USA spielt in Europa Fracking noch kaum eine Rolle und ist zum Beispiel in Frankreich verboten. Nur die Regierungen von Grossbritannien und Polen setzen auf Fracking. Dies trifft aber in der Bevölkerung auf heftigen Widerstand.

Fracking ist der Anfang vom Ende
Für die Schweizerische Energie-Stiftung SES, die diese Studie in Auftrag gegeben hat, gibt es ein klares Fazit: Der momentane Fracking-Boom wird die Erdöl- und Erdgasverfügbarkeit nur kurzfristig verlängern. Fracking ist der Anfang vom Ende. Die Schweiz tut gut daran, sich aus diesen fossilen Abhängigkeiten schneller zu lösen, als es die heutige Energiestrategie des Bundesrates zum Ziel hat. Das macht unsere Energiezukunft sicherer sowie umwelt- und menschenverträglicher.

Tagung zur Studie

An der Fachtagung “Fossile Schweiz – Der Preis der Abhängigkeit“ wurde die Studie am 26. September dem Publikum vorgestellt und breit über das Thema debattiert: Zum einen gingen die Referenten der Frage der Beschaffungsrisiken dieser Rohstoffe nach. Zum anderen wurde die Technologie des Frackings diskutiert und aufgezeigt, dass dessen Nutzung keine Probleme löst. Lösungsansätze wurden ebenfalls diskutiert. Zu den Referenten der Tagung zählten unter anderem der Autor und Journalist Ulrich Tilgner und der Soziologe Harald Welzer.

Russland und Ukraine
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Schweiz ist in einem unverantwortlich hohem Masse vom Import von fossilen Energien abhängig. Wir importieren und verbrennen täglich 250'000 Fass Erdöl und rund 10 Millionen Kubikmeter Erdgas. Und gerade heute ist dieser Erdgas-Import nicht unproblematisch, denn ein Viertel unseres Erdgases stammt aus Russland – und 80 % der russischen Gas-Lieferungen nach Europa fliessen durch die Ukraine.

Diskussion unter Süchtigen
„Viele sagen, die jährlich 300 Millionen Franken, die uns die Kostendeckende Einspeisevergütung kostet, seien zu hoch. Gleichzeitig importieren wir monatlich für eine Milliarde Franken fossile Energien“, rechnete der Historiker Daniele Ganser, Autor der Studie, vor. „Wir sind alle Süchtige,“ ist der Friedensforscher Daniele Ganser überzeugt. „Wir führen eine Diskussion unter Süchtigen, gleich wie ein Kokainsüchtiger, der bilanziert, wie viel Stoff er braucht und wie er da wieder runterkommt.“ Unsere Situation sei vergleichbar. Wir würden zurzeit viel über den Atomausstieg diskutieren, weil wir darüber abstimmen könnten. „Aber wir stimmen nie darüber ab, ob wir Erdöl importieren möchten oder nicht.“ Obwohl es immer mehr Erdölkriege gebe. „Im Irakkrieg hat es mindestens 100‘000 Erdölkriege gegeben. Verkauft wurde es uns aber als Demokratieprojekt“. Wäre die Hauptexportware des Irak Broccoli gewesen, wären die USA nicht in den Irak einmarschiert.

Vom Wachstum zur Reduktion
Der Soziologe Harald Welzer, Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg und Direktor der Stiftung Futurzwei, zeigte auf, wie wir durch einen generellen Kulturwandel unsere Gesellschaft in eine nachhaltigere, lebenswertere transformieren können – eine Welt der Reduktion statt der immer fortfahrenden Expansion. „Öl ist einfach da, das steht für uns selbstverständlich zur Verfügung, Öl hinterlegt unseren Lebensstil. Das Erdöl, auf dem unser Wachstum basiert, hat auch unsere Kultur und unsere Lebensläufe bestimmt: Das ständige Wachstum, immer geht es darum, das Maximale herauszuholen und noch mehr zu wachsen.“ Er führt aus: „Es ist eine total falsche Vorstellung, dass wir unsere expansive Kultur in nur einem Segment ändern können, sprich die fossilen Energien durch unendlich viel erneuerbare Energien zu ersetzen.Dann gibt es keine Grenzen des Wachstums mehr, darüber freut sich der Kapitalismus ganz toll. Der Weg müsse weg vom Wachstum hin zur Reduktion gehen.“

Verlagerung in den pazifischen-asiatischen Raum
Ulrich Tilgner, Autor, Journalist und Korrespondent für das Schweizer Fernsehen SF, beleuchtet die kriegerischen Auseinandersetzungen des an fossilen Ressourcen reichen Vorderen Orients. Unter anderem berichtet er über den Iran. Er sei fest überzeugt, dass die USA im Irak kein Interesse an einer funktionierenden Erdölproduktion hätten, denn nur so blieben die Preise hoch, was wiederum den USA ermögliche, mit Fracking Geld zu machen. Tilgner berichtete zudem darüber, dass Saudi-Arabien aufgrund der Airconditioning im Sommer und auch der Entsalzung von Meerwasser bereits Benzin importiere.

Kirsten Westphal, Wissenschaftlerin an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und am Deutschen Institut für Politik und Sicherheit, analysierte die europäische Gasabhängigkeit von Russland vor dem Hintergrund des Russland/Ukraine-Konflikts. Sie stellte fest, dass in der Ukraine zwar das Erdgas nicht der entscheidende Faktor sei, wohl aber Russland diese Karte gezielt spiele. Mit Sorge beobachte sie, dass sich das Zentrum des fossilen Erdölmarktes immer mehr in den pazifischen-asiatischen Raum verlagere und sich so dem Einfluss von Europa entziehe.

Analyse der Fracking-Potenziale
Bedingt durch die zunehmende Verknappung und den Preisanstieg von Erdöl und Erdgas wird Fracking von Schiefergas und -öl zunehmend wirtschaftlicher. Hans-Martin Schulz des Deutschen GeoForschungsZentrums analysierte die Technologie und das Potenzial des Frackings: In den USA sei das Potenzial sehr gross, in Europa hingegen bescheiden. Ausser in Polen und Frankreich, aber in letzterem müsse, abgesehen vom nationalen Verbot des Frackings, schon aus Sicherheitsgründen aufgrund der vielen AKW vom Fracking abgesehen werden. Schulz sieht auch die viel genannten Potenziale in Russland eher kritisch. Denn die seien an den Schreibtischen in den USA berechnet worden.

Aufgeblasene Frackinpotenziale
Der Energieexperte Werner Zittel, Mitarbeiter der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH, stellte die Fracking-Potenziale allgemein in Frage. Zum Beispiel in den Gebieten Argentiniens, wo riesige Potenziale vermutet würden, gebe es kaum Wasser, ohne Wasser gebe es aber kein Fracking. In den USA wiesen auch nur die beiden Felder North Dakota Bakken und Texas Eagelford gute Erträge auf. Das Fracking habe auch immer eine Industrialisierung der Landschaft zur Folge, aber in diesen Gebieten habe es wenig Opposition gegeben, da pro Quadratkilometer nur gerade eine Person lebe. Er zeigte Nachtaufnahmen dieser Gebiete, die von viel Licht geprägt sind: „Generell wird eh nur Öl gefördert, weil es dazu weniger Infrastruktur braucht als bei Gas, wo es auch Leitungen braucht. Da aber bei der Ölförderung auch Gas austritt, wird dieses abgefackelt.“ Ein grosses Potenzial gebe es auch im Staat New York, dort werde das Fracking aber in immer mehr Gemeinden verboten. Zittel wies zudem darauf hin, dass die Förderrate der einzelnen Quellen monatlich um durchschnittlich 4-6 % zurückgingen. Zudem weist er darauf hin, dass das Fracking eh erst einen Aufschwung erlebt habe, als 2005 das Trinkwassergesetz dahingehend geändert wurde, dass die Bohrungen nicht mehr meldepflichtig sind. Über Vorhersagen, dass die USA im grossen Stil Gas aus Fracking exportieren werden, lacht der Fachmann: „Fracking wird in den nächsten Jahren wieder abnehmen. Das sieht man auch daran, dass die USA nur die Import- nicht aber die Exportkapazität ausgebaut haben.“

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Am 5. Juli 2014 srahlte Arte TV eine Dokumentarbeitrag zum Thema Fracking

©Text: Anita Niederhäusern, leitende Redaktorin ee-news, Quelle: Schweizerische Energie-Stiftung

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