NEST in der Nacht... ©Bild: Empa

...und am Tag. ©Bild: Empa

Das Projekt City Lifting zur Verdichtung durch Aufstockung. ©Bild: Empa

Skizze des Projekts HiLo. ©Bild: Empa

Adaptive Comfort im Meet2Create-Arbeitsort. ©Bild: Empa

Lavabo aus Holz des Visionary Wood-Projekts. ©Bild: plavisdesign.it

Empa: Das Haus neu erfinden

(©PR) Etwa die Hälfte des Energiebedarfs der Schweiz wird durch Gebäude verursacht, und jedes Jahr werden zehn Tonnen Baumaterialien pro Person verbaut.
Wollen wir weniger fossile Energie importieren und den Rohstoffverbrauch
senken, dann müssen wir neuartige Gebäude entwickeln und in der Praxis
erproben. Die Empa-Forschungsplattform NEST ist genau dazu da.


Es ist in kaum einem Wirtschaftsbereich so schwierig wie in der Baubranche, neue Konzepte und Ideen am Markt umzusetzen. Der Grund: Hohe Investitionskosten, die über lange Zeiträume amortisiert werden müssen, führen zu einer geringen Risikobereitschaft, die durch die hohe Regeldichte weiter reduziert wird. Um neue Ideen und Konzepte rascher als bisher auf den Markt zu bringen, sind daher Demonstrationsprojekte notwendig, die unter realen Bedingungen gebaut, bewohnt, genutzt und während dieser Phase wissenschaftlich begleitet werden – genau das ist die Zielsetzung von NEST.

Forschungsgebäude für Universitäten und Bauwirtschaft
Die Empa und ihr Schwesterinstitut, die Eawag für Wasserforschung, realisieren auf ihrem gemeinsamen Campus in Dübendorf mit Unterstützung des ETH-Bereichs und der öffentlichen Hand die Forschungs- und Technologietransferplattform NEST – ein Versuchs- und Demonstrationsgebäude für Baulösungen der Zukunft. Beteiligt sind führende Wirtschaftspartner der Baubranche, Fachhochschulen und in- und ausländische Universitäten.

NEST (das Kürzel steht für «Next Evolution in Sustainable Building Technologies») wird der Empa und der Eawag unter anderem als Gästehaus für Forscherinnen und Forscher aus aller Welt dienen. Die Bewohner sollen das Haus nutzen und evaluieren. Doch NEST erforscht nicht nur neue Wohn- und Arbeitsformen, sondern auch Energieflüsse und Versorgungstechnik der Häuser von morgen. Die Forschungsmodule werden vom zentralen Backbone aus mit Wasser, Wärme, Elektrizität und Internetanschluss versorgt, die Nutzungsdaten der einzelnen Module detailliert ausgewertet. Das Backbone soll gemäss Planung Anfang 2015 fertig gestellt sein. Parallel werden die ersten Forschungsmodule installiert werden. 

Umsetzung bereits begonnen
Vier Teams, die auf den nächsten Seiten vorgestellt werden, haben mit der Umsetzung ihrer Module bereits begonnen. Zusätzlich zu unseren bestehenden Partnern aus Wissenschaft und Industrie suchen wir auch in Zukunft stets weitere innovative Firmen, die NEST nutzen wollen, um neue Produkte und Systeme zu entwickeln.



City Lifting: Verdichtung durch Aufstockung
Die Zersiedelung der Schweiz schreitet voran, daher sind der haushälterische Umgang mit unbebautem Land und die innere Verdichtung, d. h. die intensivere Nutzung von bereits bebauten Flächen, wichtige Themen der schweizerischen Raumplanung.

Grosses Potenzial
Das Potenzial an innerer Verdichtung, beispielsweise durch Aufstockungen, ist sehr gross. Das Projekt «City Lifting» möchte hier einen Beitrag zu einer nachhaltigen Bauwirtschaft leisten durch die Entwicklung eines Systems für Aufstockungen von bestehenden Liegenschaften. Geplant ist eine nachhaltige Leichtbauweise mit einer Kombination von Holzbau- und Composit-Elementen. Im Rahmen des NEST-Projekts soll der Prototyp von City Lifting realisiert werden.

Hoch flexibles System notwendig
Damit auf die Unterschiedlichkeit der bestehenden Gebäude (Geometrie, Erschliessung, Statik, Haustechnik) eingegangen werden kann, ist ein hoch flexibles System notwendig. City Lifting arbeitet mit tragenden Wand­elementen, mit welchen die Lasten jeweils auf die Fassadenebene des aufzustockenden Gebäudes abgeleitet werden. Böden und Zwischendecken werden zwischen die Wände montiert. Dachelemente überspannen das gesamte System. Die 60 beziehungsweise 90 Zentimeter dicken Wandelemente haben dabei nicht nur eine statische Funktion. Sie beherbergen als vorgefertigte Elemente diverse Infrastruktur wie Treppen, WC, Dusche, Badewanne, Küche, Einbauschränke, Garderobe oder Büchergestell.


Wohnraum für Studentinnen und Studenten
Mit den Elementen lässt sich Wohnraum für Studentinnen und Studenten schaffen. Aufgebaut wird die Unit City Lifting im Frühjahr 2015 auf dem Dach in der nordöstlichen Ecke des NEST.
 



HiLo: Penthouse der Zukunft
Eines der konstruktiv ambitioniertesten Projekte von NEST entsteht auf der obersten Plattform, an der südwestlichen Ecke: das «HiLo»-Modul der ETH Zürich. Federführend sind Philippe Block und Arno Schlüter vom «Institute of Technology in Architecture». Unterstützt werden sie durch das Architektenkollektiv «Supermanoeuvre» aus Sydney und das Büro «Zwarts & Jansma Architects» aus Amsterdam.

Gestalterisch weit in der Zukunft
Die beiden Projektleiter greifen gestalterisch und technisch an mehreren Stellen weit in die Zukunft. Auf dem zweistöckigen Loft thront eine nur wenige Zentimeter dünne, gewellte Betondecke. Sie wird nicht wie üblich auf eine Holzverschalung gegossen, sondern auf ein textiles Hilfstragwerk, das auf ein gespanntes Drahtseilnetz gelegt wird. So entsteht eine organische, selbsttragende Form, elegant und leicht – zum Vergleich: übliche Deckenkonstruktionen sind etwa 30 Zentimeter dick. Das wellenförmige Betondach wird später mit flexiblen Solarzellen bedeckt. Die Firma Flisom, deren Know-how von der Empa stammt, ist für diese Projektarbeit im Gespräch.

Heizen mit lauwarmem Wasser
Auch der Zwischenboden des Lofts basiert auf spezieller Leichtbautechnik. Dünne, gewölbte Betonschalen-Elemente – ähnlich dem Bogen einer Eierschale – bilden das hohle Tragwerk. Ein ebener Fussboden wird darübergelegt. Vorteile der Hohlkonstruktion: Sie ist einerseits um 70 Prozent leichter als eine normale Decke, andererseits bieten die gewölbten Schalen grosse Oberflächen, über die sich das Penthouse effizient beheizen lässt. Für die Heizung genügt nämlich bereits lauwarmes Wasser, welches mit wenig Energieaufwand produziert werden kann.

Auch das Energiemanagement des Lofts an der sonnenreichen Südwestecke ist trickreich und zukunftsweisend. Eine adaptive Fassade, die vor der Verglasung angebracht ist, richtet ihre Solarpanels nach dem Sonnenstand aus. Die beweglich aufgehängten Panels dienen zugleich der Klimatisierung des Innenraums: Bei starkem Sonnenlicht beschatten sie den Wohnraum, um ihn kühl zu halten. Morgens und abends lassen sie mehr Licht ins Innere, um das Loft aufzuwärmen. All das geschieht automatisch, auch wenn die Wohnung leer steht. Wenn die Bewohner zu Hause sind, können sie die Fassade wie eine Jalousie selbst steuern und per Knopfdruck mehr oder weniger Licht hereinlassen. Das Penthouse ist als Plus-Energie-Modul ausgelegt.



Meet2Create: Mehr als ein Arbeitsort
Ein innovatives Gebäudeprojekt beinhaltet eine innovative Arbeitsumgebung. Meet2Create heisst das Projekt des Kompetenzzentrums Typologie & Planung in Architektur (CCTP) der Hochschule Luzern Technik & Architektur. Es setzt die Vision einer zukünftigen Arbeitswelt um und repräsentiert nicht mehr den klassischen Arbeitsplatz, sondern eine Bürolandschaft, die Raum bietet für Kollaboration, den Austausch mit externen Teams und für Projektentwicklungen. Anstelle eines einzelnen Arbeitsplatzes steht ein vielfältiger «Taskspace» zur Verfügung, der flexibel genutzt werden kann. Die räumlichen Strukturen können individuell den unterschiedlichen Teamgrössen und Arbeitsweisen angepasst werden. Abtrennbare Raumzonen für Sitzungen und Präsentationen oder Zonen, in denen sich kleinere Teams auch zurückziehen können, werden so geschaffen. Meet2Create kann räumlich und technisch auf wechselnde und neue Anforderungen reagieren.

Neue Möglichkeiten der Raumnutzung und Raumanpassung
Herkömmliche Bürogebäude sind einem permanenten Anpassungsdruck ausgesetzt. Kann ein Gebäude nicht auf solchen Wandel reagieren, droht der Leerstand und später der Abriss. Ziel des Projektes ist es also, neue Möglichkeiten der Raumnutzung und Raumanpassung zu erforschen, um möglichst effizient auf neue Anforderungen reagieren zu können. Ein einfach veränderbares Interieur ist dazu ein erster Schritt, konzentriertes Arbeiten oder kreatives Miteinander in Teams zu ermöglichen.

Kleiner ökologischer Fussabdruck
Die Gestaltung des Innenraumes ist nicht alleiniger Bestandteil von Meet2Create. Die Fassade muss ebenso an die unterschiedlichen Verhältnisse und Bedürfnisse anpassbar gestaltet sein. In den verschiedenen Zonen der «Unit» werden unterschiedliche Fassadentypen eingesetzt. Unter anderem können bei der Layerfassade Elemente wie beispielsweise Sonnenschutz, Tageslichtlenkung oder begrünte Fassadenteile variabel eingesetzt und auf Schienen verschoben werden. Wichtige Fragen zum Thema Tageslichtnutzung sowie individuelle Kontrolle von Temperatur, Licht und Luft werden in der Bürolandschaft Meet2Create erprobt. Am Ende soll ein kreatives und angenehmes Arbeitsklima entstanden sein, in dem individuelle Komfort­bedürfnisse erfüllt sind, während der ökologische Fussabdruck klein gehalten wird. Meet2Create wird voraussichtlich im Frühjahr 2015 fertiggestellt und den NEST-Entwicklungsteams als inspirierender Ort zum Arbeiten zur Verfügung stehen.



Visionary Wood: Unerwartet hölzern
In der Wohneinheit «Visionary Wood» zeigen Empa-Forschende, dass sich dank des altbewährten Werkstoffs Holz zukunftsweisende Lösungen für ökologisches Bauen und energieeffizientes Wohnen entwickeln lassen. Sie wollen beweisen: Holz kann ansprechendes Design, Wohnkomfort und Nachhaltigkeit ausgezeichnet miteinander verbinden.

Neue Erkenntnisse aus der Holzforschung
Das Modul Visionary Wood greift nicht nur auf bewährtes Know-how im modernen Holzbau zurück, es setzt auch auf neueste Erkenntnisse aus der Holzforschung. Neue Produkte aus Materialien, die auf Holz basieren, werden extra für das Modul entwickelt. Sie sollen helfen, besser zu isolieren oder den Schall besser zu dämmen. Einige Elemente werden gar mit vollkommen neuartigen Eigenschaften ausgerüstet. So könnte es im Visionary Wood-Modul dereinst magnetische Holzpinnwände geben oder Holz im Nassbereich, an dem das Wasser abperlt. Für Architekten und Inneneinrichter ergeben sich daraus ganz neue Möglichkeiten.

Holzfaserplatten mit holzeigenem Enzym
Das Team um Tanja Zimmermann, Leiterin der Abteilung «Angewandte Holzforschung», erarbeitet zusammen mit Projektpartnern aus Industrie und Forschung unterschiedlichste Lösungen. Etwa Schallabsorptionsplatten aus pilzbehandeltem Holz, die hervorragend bestimmte Obertöne dämpfen, oder Holzfaserplatten zur Wärmeisolation, die anstatt konventioneller Bindemittel ein holzeigenes Enzym verwenden. Zudem soll es wetterbeständige Holzfassaden geben, die nicht nur an der Oberfläche, sondern auch im Innern der Holzstruktur wasserabweisend sind, dazu mineralisierte Holzkomponenten für günstige und umweltfreundliche feuerfeste, stabile Rahmen und Fassaden bis hin zu Holzelementen, die ihre Form in Abhängigkeit der Luftfeuchtigkeit verändern können ­– und sich eventuell als Halterung für Solarzellen eignen, die sich nach der Sonne ausrichten können. Im NEST-Modul Visionary Wood zum Einsatz kommen ausserdem umweltverträgliche, UV-beständige Flammschutzmittel sowie Teppiche, Vorhänge oder Matratzen aus abbaubaren Biopolymeren,die von der Empa-Abteilung «Advanced Fibers» entwickelt wurden. Das Modul soll im Frühjahr 2015 fertiggestellt werden.

©Text: Peter Richner, stv. Direktor der Empa, erschienen in EmpaNews 43/2014

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