Fahrer Christoph Cuerry und Stagière Léonie Viallet auf dem E-Kutscher-Bock. Der Kehricht wird von Alain Kapp eingesammelt. Eingespannt ist der von Züchtern viel gefragte Freibergerhengst Coventry. Fotos: T. Rütti

Ruedi von Niederhäusern, Agroscope Liebefeld-Posieux ALP-Haras: «Das Projekt fördert indirekt auch die Zucht der Schweizer Pferderasse Freiberger, da sich hier neue Einsatzmöglichkeiten ergeben.»

«Das Konzept orientiert sich von der Idee her am Elektrovelo», wie Marco Zandonà von der Meterus GmbH. Ihn interessieren Pferde ebenso wie die technischen Belange.

E-Kutsche: Das Elektrovelo für Pferde

(©TR) Die elektrische Kutsche – kurz E-Kutsche genannt – funktioniert wie ein Elektrovelo: Geht es bergauf oder lässt die Pferdekraft nach, wird das Gespann elektrisch angeschoben. So lassen sich Leistungsfähigkeit und Ausdauer erhöhen. In Avenches präsentierte die Forschungsanstalt Agroscope zusammen mit der Gemeinde Avenches und dem Ingenieurunternehmen Meterus GmbH erste Ergebnisse des Projekts «Integration von Pferden in Gemeindearbeiten».


Marco Zandonàs Ingenieurunternehmen Meterus GmbH (Estavayer-le-Gibloux FR) ist auf Industriewerkzeuge spezialisiert und hat seinen Wirkungskreis um die Sparte Tiergespanne diversifiziert, denn Zugpferde und auch damit zusammenhängende technische Fragen haben ihn immer schon interessiert. «Unser Ziel ist es, das Pferdefuhrwerk mittels einer Methode zu modernisieren, welche Technologie, Ökologie, Rentabilität und das Wohlbefinden der Pferde vereint. Es geht keinesfalls darum, das Pferd als Zugtier zu ersetzen. Vielmehr wollen wir es – ähnlich wie dies bei einem Elektrobike geschieht – bei grosser Belastung unterstützen.»

Elektronisches Messsystem, das im richtigen Moment Zugkraft erhöht

Das Fuhrwerk verfügt über ein elektronisches Messsystem, das im richtigen Moment die Zugkraft des Tieres erhöht und dem Gespann so mehr Leistungsfähigkeit und Ausdauer verleiht. Das Pferd weiss sicherlich nicht, wie ihm geschieht, wenn es beispielsweise beim Anfahren am Berg unvermittelt nicht mehr aus dem Gleichgewicht zu fallen droht, sondern fast so losfahren kann, als wäre es eben. Das schont das Tier und deshalb kann es öfter als ehedem eingespannt werden; der Fuhrhalter kommt mit entsprechend weniger Pferden aus.

In den Ortscheit integriert sind Sensoren, die die augenblickliche Zugkraft des Pferdes exakt messen und nötigenfalls Power zur Verfügung stellen; der elektrische Hilfsmotor unter dem Bock wird über ein integriertes elektronisches System gesteuert. Er liefert die nötige Unterstützung, um das Fuhrwerk mit einem für das Pferd immer gleichbleibenden Kraftaufwand voranzutreiben. Laufend kontrolliert der Fahrer die Funktionsparameter. Jederzeit kann er die Zuglast einstellen, die dem Fitnesszustand des jeweiligen Pferdes entspricht. Ein erfahrenes, kräftigeres Pferd hat nur bei grosser vorübergehender Anstrengung Unterstützung nötig, während ein schwächeres Pferd womöglich fast ständig mit elektrischer Energie unterstützt werden muss.

Aufladung des Lithium-Ionen-Akkus
Abwärtsfahrten werden zur Aufladung des Lithium-Ionen-Akkus mit der Bezeichnung LiFePo4 48 V 50 Ah über eine elektronische Bremssteuerung genutzt. Der in Avenches vorgestellte Prototyp basiert auf dem Prinzip eines vom französischen Konstrukteur Bernard Michon für die Kommunalarbeit konzipierten Vierrad-Vorwagens; in Frankreich werden Pferde längst für Kommunalarbeiten eingesetzt. Das für Schweizer Bedürfnisse konstruierte Fahrzeug ist vielseitig einsetzbar und hat unter anderem den Vorteil, dass bereits vorhandenen Anhänger und Werkzeuge einer Gemeinde genutzt werden können.

Wissenschaftlicher Rahmen für eine innovative Idee
Die Forschungsanstalt Agroscope spielt in diesem Projekt eine doppelte Rolle: Zum einen leistet sie einen wissenschaftlichen Beitrag zum Experiment, indem sie ethologische Analysen zum Wohlbefinden des Pferdes durchführt. Zum anderen sollen anhand der zusammengetragenen Informationen und Messungen die notwendigen Kenntnisse erworben werden, um interessierten Körperschaften mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. In dieser Hinsicht sei das Projekt in der Schweiz eine wahre Premiere, hiess es gegenüber den Medien. «Bei den für dieses Experiment eingesetzten Pferden handelt es sich ausschliesslich um Freiberger Hengste, die im Besitz des Schweizerischen Nationalgestüts stehen», erklärte Projektleiter Ruedi von Niederhäusern vom Forschungsbereich EquiChain des Nationalgestüts. In den vergangenen Jahren sei das Pferd auf bemerkenswerte Weise sowohl in der Stadt als auch auf dem Land in die Öffentlichkeit zurückgekehrt. Zudem würden vermehrt auch öffentliche Verwaltungsstellen das Pferd in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Einige hätten dies bereits in die Praxis umgesetzt, wie zahlreiche Beispiele zeigten – Abfallsammlung, Grünflächenbewirtschaftung, Schülerbeförderung, Tourismus etc.

N
eue Einsatzmöglichkeiten für Pferde
Laut Ruedi von Niederhäusern fördert das Projekt indirekt auch die Zucht der Schweizer Pferderasse Freiberger, da sich hier neue Einsatzmöglichkeiten und Absatzmärkte für die Pferde ergeben würden: Kommunalarbeit, kutschengeführter Tourismus oder als pädagogisches Instrument. Die Möglichkeiten für den Einsatz der Pferdekraft seien zahlreich und verschiedenartig. «Hauptsächlich soll nun untersucht werden, welcher Einfluss die Technik auf das Wohlbefinden sowie das Verhalten der eingesetzten Pferde hat. Hierbei handelt es sich um eine Vorstudie, in der geeignete Parameter zur Messung des Wohlbefindens und des Verhaltens definiert und getestet werden. Diese Ergebnisse fliessen in weitere etholgische Studien des Schweizerischen Nationalgestüts ein. Während des Versuches wird auch untersucht, wie sich die E-Kutsche besonders innerhalb der ökonomischen, ökologischen sowie auch der sozialen Indikatoren bewährt», so Ruedi von Niederhäusern. Darauf aufbauend soll ein Beratungstool in Form eines Frage-Antwortkataloges entwickelt werden. Damit soll potenziell interessierten Gemeinden, Organisationen und Privatpersonen die Möglichkeit geboten werden, zu den wichtigsten Fragen eine erste Auskunft zu erhalten. Abgeklärt werden sollen Aspekte wie Personal- und Finanzaufwand, Ausbildung der Pferde und des Personals sowie Technisches. Mit diesem Werkzeug, welches in Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle Pferd des Schweizerischen Nationalgestüts angewendet werden wird, erhält ein potenzieller Neuanwender Entscheidungsgrundlagen für einen möglichen Einsatz von Pferden bei Kommunalarbeiten.

Nachhaltigkeit in der Energiepolitik

Für die Gemeinde Avenches bietet sich mit dem Hippomobileinsatzes eine Möglichkeit, den Kriterien der Nachhaltigkeit in der Energiepolitik nachzukommen, die ihr Label Energiestadt erfordert. «Wir beschränken den Testlauf auf die Werkhofbetriebe und insbesondere auf die öffentliche Kehrichtabfuhr», so Jean-Louis Scherz, Gemeinderat und Werkhof-Verantwortlicher. «Im Gespräch mit den Vertretern der Forschungsgruppe EquiChain wurden die Aufgaben festgelegt, die mit einem Pferdefuhrwerk durchführbar sind. Dies in Absprache mit Alain Kapp, Chef dieses Dienstbereichs der Gemeinde.» Dreimal wöchentlich findet in Avenches die pferdebetriebene Kehrichtabfuhr statt, einmal pro Monat wird mit Ross und (Elektro-) Wagen Altpapier gesammelt. Das Schweizerische Nationalgestüt stellt für den angelaufenen Probegalopp eine E-Kutsche, einen Hengst der Freibergerrasse und einen Fahrer zur Verfügung, die Gemeinde einen Angestellten der öffentlichen Kehrichtabfuhr zur Erledigung der entsprechenden Arbeiten. «Mit diesem innovativen Projekt» – so Jean-Louis Scherz – «wird zweifellos eine ökologische, praktische und lärmfreie Lösung für den Nahverkehr vorgestellt. Einige Kommunalarbeiten, wie zum Beispiel die Müllabfuhr, verschlingen grosse Mengen an Kohlenwasserstoff, da die sonst hierfür verwendeten, motorisierten Nutzfahrzeuge ständig anhalten, neu starten, beschleunigen und wieder abbremsen müssen.» Nach der Versuchsphase will die Gemeinde Avenches eine Zwischenbilanz ziehen und anschliessend entscheiden, welchen Weg sie künftig einschlagen wird in Sachen pferdegestützte Kommunalarbeiten.

Nachhaltiges Bild der Gemeinde vermitteln

Tradition und Technologie sollen bei diesem Projekt in Einklang gebracht werden. Hinzu kommt allenfalls eine weitere Komponente: Das Pferd soll in der Stadt neue Möglichkeiten eröffnen, kommunale Arbeiten zu organisieren, die nicht nur preiswert und ökologisch sind, sondern auch durch einen sozialen Aspekt von Interesse sind: Unter anderem soll die Beziehung der Gemeinde beziehungsweise des Gemeindemitarbeiters zu den jeweiligen Bewohnern der Quartiere über das Lebewesen Pferd gefördert werden. Auch das Image der Gemeinde selbst soll von pferdegestützten, städtischen Arbeiten Nutzen ziehen: Vermittelt werden soll ein nachhaltiges Bild einer Gemeinde, bei der sich ein Pferdegespann wieder harmonisch vor allem in die Altstädte einpasst.

www.agroscope.ch


©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch 

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5 Kommentare

Redaktion ee-news.ch

Der Artikel wurde 2012 veröffentlicht. Wir haben leider keinen Informationen, ob das Projekt weiter verfolgt wurde. Weitere Informationen können Ihnen evt. die Meterus Sàrl Estavayer-le-Gibloux oder Agroscop in Avanches geben.

Arnold Elisabeth

Ich interessiere mich für diesen Antrieb.
Bitte senden Sie mir Unterlagen zu.
Kann man Kutschen nachträglich damit ausrüsten?

Adresse: Seestrasse 12, 6344 Meierskappel LU

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