Jörg Strese von der Trianel GmbH: „Neben Biogasanlagen können auch Kehrichtverbrennungsanlagen, Wasserkraftwerke und Industriepartner Regelenergie anbieten."

„Über ein Webportal sind die gebündelte Leistung und die gebündelte Fahrplanproduktion ersichtlich. So entsteht ein virtuelles Kraftwerk", erklärt Stefan Mutzner von Ökostrom Schweiz.

Biomassestrom als Ausgleichsenergie

(AN) Biomasseanlagen spielen in einer zu 100% erneuerbaren Energieversorgung auch die Rolle des Speichers, der die Stromproduktion regelt. Ein Projekt von Ökostrom Schweiz will schon heute so genannte Ausgleichsenergie bereitstellen. Ob dabei die Anlagen gemeinsam als virtuelles Kraftwerk am freien Markt auftreten oder für die Bilanzgruppe der kostendeckenden Einspeisevergütung KEV gepoolt nach einem Fahrplan Strom produzieren, ist noch offen.


Ist eine landwirtschaftliche Biogasanlage einmal in der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV), so liegt der Ball beim Landwirt: Er muss seine Anlage nun optimal „füttern“, damit sie so viel Energie wie möglich liefert, denn bezahlt wird pro produzierte Kilowattstunde. Doch die Einspeisetarife betten die Anlagebetreiber nicht auf Rosen. Ökostrom Schweiz, der Verband der landwirtschaftlichen Biogasanlagenbetreiber, treibt deshalb ein Projekt voran, das es den Landwirten ermöglichen soll, fahrplangesteuert Strom zu produzieren oder allenfalls auch Ausgleichsenergie bereitzustellen. Das Projekt wurde im Rahmen der Tagung „Gemeinsame Visionen schaffen“ von BiomassEnergie in der Kartause Ittingen im vergangenen November vorgestellt.

100% Erneuerbar
Wir wissen‘s, Solarstrom hat den Nachteil, dass die Anlagen bei Bewölkung weniger und nachts keinen Strom liefern. Und Windstrom gibt’s nur, wenn der Wind auch bläst. Biomasseanlagen hingegen haben den Vorteil, dass der Strom nicht sofort produziert werden muss, respektive dass dank ihnen eine gewisse Speichermöglichkeit besteht. So kann dann geliefert werden, wenn die Nachfrage nicht durch die anderen erneuerbaren Energien gedeckt ist. Und umgekehrt können die Anlagen die Produktion dann zurückfahren, wenn genügend Wind-, Solar- und Wasserstrom vorhanden ist. Daher werden Biomasseanlagen gerade bei einer 100-prozentigen erneuerbaren Energieversorgung eine wichtige Rolle spielen.

Vorreiterrolle von Ökostrom Schweiz
Strom ist nicht gleich Strom, das weiss auch Stefan Mutzner, der Geschäftsführer von Ökostrom Schweiz. Um die Netzstabilität zu garantieren, brauchen die Stromnetze einerseits die Kraftwerksleistung und andererseits die Ausgleichleistung, die sogenannte Ausgleichsenergie (siehe Kasten Netzregelung). Stefan Mutzner ist überzeugt, dass die landwirtschaftlichen Biogasanlagen auch von diesem Markt profitieren könnten. Aus diesem Grund hat die Vereinigung der landwirtschaftlichen Biogasbetreiber zehn Testanlagen ausgewählt und sie für die Funktion der gebündelten Fahrplansteuerung und allenfalls für die Regelenergie-Bereitstellung mit der nötigen Steuerungs- und Regeltechnik ausgerüstet. „Erfasst werden verschiedene Messwerte, unter anderem die Brutto- und Nettostromproduktion, die Frequenz und Spannung. Die neue Technologie ermöglicht es aber auch, fahrplangesteuert zu produzieren, das heisst, die Produzenten können die voraussichtliche Stromproduktion als eigentlichen Fahrplan eingeben, sprich im Viertelstundentakt programmieren, wann die Anlagen wie viel produzieren sollen.“

Und hier kommt die smart grid-Technologie ins Spiel: „Über ein Webportal sind die gebündelte Leistung und die gebündelte Fahrplanproduktion ersichtlich. So entsteht ein virtuelles Kraftwerk. Die Testphase hat gezeigt, dass wir so fahrplangesteuert produzieren und auch bestimmte Mengen an Ausgleichsenergie bereitstellen können“, freut sich Mutzner. In den Anlagen muss zudem nur die neue Steuer- und Regelungstechnik installiert werden, weitere Änderungen sind nicht nötig.

Für den freien Markt…
Ökostrom Schweiz sieht zwei Möglichkeiten, ihr virtuelles Kraftwerk zu nutzen. Die erste Möglichkeit besteht darin, den Strom des Kraftwerks als Systemdienstleister, also als kleiner Energieversorger, für den Tertiärregelenergieausgleich (siehe Kasten Netzregelung) alleine oder zusammen mit anderen Poolanbietern wie Trianel anzubieten. Tertiärregelenergie zur Verfügung zu stellen bedeutet, über kurze Zeiträume mehr oder weniger Energie ins Netz einzuspeisen und für diese Flexibilität bezahlt zu werden. Das Kraftwerk wird also zu einer beweglichen Masse: Ist zu viel Strom da, nimmt man die Leistung zurück, ist zu wenig da, fährt man sie zum Beispiel für eine halbe Stunde hoch. Allein nur für die Bereitschaft, dies über eine gewisse Zeit zu tun, wird ein Kraftwerk pro bereit gestelltem Megawatt Leistung honoriert, ohne dass eigentlich Strom fliesst. Wird die Stromproduktion dann auf Wunsch tatsächlich erhöht oder zurückgefahren, wird dies pro Megawattstunde zusätzlich abgegolten. „Wenn tatsächlich weniger oder mehr Leistung bereitgestellt wird, dann wird diese auch sehr gut bezahlt. Aber das eigentliche Geschäft liegt in der Flexibilität“, erklärt Achim Otto, Projektleiter bei Trianel Deutschland.

… oder die Bilanzgruppe Erneuerbare Energien der KEV
Doch zurück zu Ökostrom Schweiz. Als zweite Möglichkeit sieht die Genossenschaft die gebündelte Fahrplansteuerung und zum Teil auch die Ausgleichsenergie für die Bilanzgruppe Erneuerbare Energien, in der alle Anlagen der kostendeckenden Einspeisevergütung enthalten sind. Auch diese Bilanzgruppe informiert die Netzbetreiber immer im Voraus darüber, wann sie wie viel Strom ans Netz liefert. Liefert sie zu viel oder zu wenig muss sie die zusätzliche Ausgleichsenergie teuer einkaufen. „Und genau da sehen wir eine Möglichkeit“, erklärt Stefan Mutzner, „schliessen wir alle unsere Biomasseanlagen an das virtuelle Kraftwerk an, so ergibt das zur Zeit eine installierte Leistung von rund 8.5 Megawatt. Gehen die sich noch in Planung sich befindenden 50 Anlagen ebenfalls in Betrieb, erhöht sich die Leistung auf 12 bis 15 MW. Zudem könnten andere geeignete Energieerzeugungsanlagen ebenfalls ins System aufgenommen werden, sprich Kleinwasserkraftwerke mit Speichermöglichkeit und industrielle Anlagen. Dank einem virtuellen Kraftwerk könnte der Produktionsfahrplan in Zukunft genauereingehalten werden. „Schlussendlich muss für beide Partner aber eine Win-win-Situation entstehen“, erläutert Stefan Mutzner. „Doch wohlbemerkt, wir sind von der Umsetzung noch weit entfernt“, fügt er an. Als drittes gäbe es noch die Möglichkeit, dass das virtuelle Kraftwerk die Regelenergie für eine energieautarke Region bereitstellt, aber dieses Szenario ist noch weit weniger angedacht als die anderen beiden Lösungen.

Der deutsche Regelprofi
An der Biomassetagung in der Kartause Ittingen präsentierte Jörg Strese von der Trianel GmbH die Möglichkeiten der Regelenergiebereitstellung. „Neben Biogasanlagen können auch Kehrichtverbrennungsanlagen, Wasserkraftwerke und Industriepartner Regelenergie anbieten“, erklärte der Energiefachmann. Achim Otto, Projektleiter von Trianel, präzisierte später im Gespräch: „Wir haben in Deutschland bereits Erfahrungen mit der Bereitstellung von Regelenergie gesammelt und suchen auch in der Schweiz Partner. Ein möglicher Partner ist Ökostrom Schweiz. Voraussetzung wäre aber, dass die Anlagen zu einem Kraftwerk von rund einem Megawatt Leistung zusammengefasst werden, erst ungefähr ab dieser Grenze wird das Geschäft wirtschaftlich.“ Trianel ist eine Stadtwerke-Kooperation, die primär im Strommanagement tätig ist. „Interessant wäre es für uns“, erklärt Achim Otto, „wenn wir mit der Bilanzgruppe Erneuerbare Energien Regelenergie bereitstellen könnten. Die Gespräche mit der Elcom laufen, aber wir müssen noch sehr viel Aufklärungsarbeit leisten!“

Die drei Stufen der Netzregelung
Die Fachleute unterscheiden zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärregelung. Für Biogasanlagen kommt die Bereitstellung von Tertiärregelenergie in Frage. Das bedeutet, dass sie, bzw. dass ein Poolanbieter erst an dritter Stelle und entsprechend selten regeln muss, und zwar erst, wenn die Primär- und Sekundärregelung voll ausgeschöpft wurden.

Ökostrom Schweiz
Die Genossenschaft Ökostrom Schweiz ist der Verband der landwirtschaftlichen Biogasanlagenbetreiber. Zurzeit zählt die Genossenschaft rund 100 Mitglieder, 45 davon betreiben bereits eine Anlage, die anderen stecken in der Planungs- oder Realisierungsphase.

Biomassetagung
Biomasse muss künftig im globalen und schweizerischen Energiemix eine zentrale Rolle spielen. Dies haben Vertreter der Branche im Gespräch mit in- und ausländischen Experten an einer Tagung in der Kartause Ittingen bei Frauenfeld bestätigt. Bis zu 30% des globalen Energiebedarfs können bis 2030 über eine nachhaltige Nutzung feuchter und fester Biomasse bereitgestellt werden. Ab 2011 nimmt der neue Verband BiomasseSchweiz die Interessen der Produzenten von Energie aus feuchter Biomasse wahr.

Text: Anita Niederhäusern, leitende Redaktorin ee-news.ch, Fotos: BiomassEnergie

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