„Wir sind eine ländliche und ökologisch sehr fortschrittliche Gemeinde“, erklärt Marion Frei, Bürgermeisterin der 1100-Seelen-Gemeinde. Bild: ZVG

Markus Niedrist: „Unsere Netze stammen aus den 70er und 90er Jahren. Sie wurden in der Annahme gebaut, dass der Stromtransport jährlich um 1.5 bis 4 % steigen würde. Dies ist mit ein Grund dafür, dass wir mit 50 % Solarstrom kein Problem haben.“

Heute fliesst der Strom von oben nach unten, dank der dezentralen erneuerbaren Produktion wird er zukünftig auch zuunterst ins Niederspannungsnetz eingespiesen. Das System wird also zunehmend von unten gespiesen. Grafik: Swissgrid

Dettighofen: 50 % Solarstrom und das Netz ist absolut stabil

(©AN) Die deutsche Gemeinde Dettighofen, südwestlich von Schaffhausen gelegen, verfügt über rund 50 % Solarstrom im Netz. 2.1 kW Solarstromleistung haben die Dettighofer pro Kopf installiert, das Vierfache von Baden-Württemberg. „Wir haben festgestellt, dass die Netze diesen Anteil Solarstrom gut aufnehmen können“, erklärt Fabian Carigiet von der ZHAW.


Wie viel Solarstrom ein Niederspannungsnetz aufnehmen kann, gehört zu den heftig diskutierten Themen in der Fachwelt. Solarstrom, so der Grundton, gefährde die Netzstabilität im Nieder- und Mittelspannungsnetz. Aus diesem Grund ist der Netzbetrieb in Dettighofen, das im Netzgebiet der Elektrizitätswerke des Kantons Schaffhausen EKS liegt, besonders spannend. „2014, damals betrug der Solarstromanteil in Dettighofen rund 46 %, haben wir von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW im Rahmen einer Masterarbeit eine Studie erstellen lassen, wie viel Solarstrom das Netz noch verträgt und welche Massnahmen dazu nötig und auch am wirtschaftlichsten sind“, erklärt Markus Niedrist, Leitung Netze und Mitglied der Geschäftsleitung der EKS (siehe auch Interview am Textende).

„Wir sind eine ländliche und ökologisch sehr fortschrittliche Gemeinde“, erklärt Marion Frei, Bürgermeisterin der 1100-Seelen-Gemeinde, die mit ihren Solartromanlagen rund die Hälfte des Stromverbrauchs von 3.5 Mio. Kilowattstunden deckt. In Dettighofen bilden drei Viertel der Gemeindegrenzen gleichzeitig die Staatsgrenze zur Schweiz. „Angefangen hat der Solarstromboom in der Landwirtschaft. Wir haben viele Bauernbetriebe in der Gemeinde. Die Scheunen werden bei uns mittlerweile grösstenteils als Pferdeställe genutzt. Bei der Sanierung oder Vergrösserung der Scheunendächer wurde oft gleich ein Photovoltaikdach montiert.“ 700 Pferde zählt die Gemeinde, auf deren Grund sich auch das international bekannt Gestüt Albführen befindet. „Unsere Pferde produzieren wöchentlich 100 Tonnen Mist! Dieser wird in einer Biogasanlage verwertet, die über ein Nahwärmenetz alle Gemeindebauten und 30 Wohnhäusern heizt. Der in der Wärme-Kraft-Kopplungsanlage produzierte Biostrom, jährlich 4.4 Mio. Kilowattstunden, wird ebenfalls in unser Stromnetz eingespiesen.“

Impuls aus der Landwirtschaft und der Förderung
„Natürlich hat das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz auch seinen Teil dazu beigetragen“, erklärt Marion Frei. Doch in der Gemeinde sei der in der Landwirtschaft verbreitete Gedanke der Selbstversorgung tief verankert. „Die fehlende Infrastruktur wird auf dem Land grösstenteils durch die Vereins- und Dorfgemeinschaft kompensiert. Daher sind wir sehr kreativ.“ Die Landwirte haben folglich den Solarboom angestossen, aber auch die Gemeinde habe das ihre beigetragen: „Auf dem Dach des Rathauses, des Kindergartens und auch auf dem Dach des Feuerwehrstützpunktes haben wir Photovoltaikanlagen gebaut. -Auch Eigentümer von Einfamilienhäusern haben sich zunehmend für Solarstrom interessiert. Irgendwann war die Identifikation so gross, dass viele sich sagten, was der macht, mache ich auch!“

Wirkleistungsreduktion auf 70 % ...
„Unsere Analyse hat 2014 klar gezeigt, dass das Niederspannungsnetz durch eine hohe Solarstromeinspeisung wie die 46 % in Dettighofen nicht gefährdet ist“, erklärt Fabian Carigiet, der das EKS-Netz in Dettighofen im Rahmen seiner Masterstudie an der ZHAW analysiert hat. „Einzig bei sogenannten Netzausläufern, das sind oft abgelegene Bauernhöfe mit grossen Solarstromanlagen, können Massnahmen nötig werden. Hier wurden in Dettighofen die gesetzlichen Vorgaben nur einmal innerhalb von 10 Minuten nicht eingehalten. Die Situation war jedoch nie gefährlich.“ Von verschiedenen möglichen Massnahmen zur Behebung des Problems und auch um einem weiteren Ausbau der Solarenergie nicht im Wege zu stehen, erwies sich die Leistungsreduktion der Anlagen auf 70 % der Maximalleistung in Zusammenhang mit Blindleistungsmanagement als die wirtschaftlichste. Das heisst, die Produktion der Anlagen wird bei 70 % gekappt. „Dadurch verringert sich der Ertrag der Anlage pro Jahr um max. 4 Prozent.“

und Blindleistungsmanagement
Zudem wird bei den Wechselrichtern in den kritischen Zonen die Blindleistung dazu genutzt, um die Spannung zu senken. „Die Blindleistung wird erzeugt, um das Magnetfeld in den Spulen aufzubauen“, erklärt Fabian Carigiet, „aber ansonsten bringt sie keinen Nutzen.“ Markus Niederist erklärt noch anschaulicher, was Blindleistung bedeutet: „Sie ist wie der Schaum auf dem Bier, sie ist einfach da. Der Schaum nützt nichts, ist aber Teil des Getränks. Wie beim Bier der Schaum im Glas Platz haben muss, muss die Blindleistung auch im Netz Platz haben.“ Doch sie kann auch einbezogen werden: In Dettighofen kann die Spannung dank einem smarten Blindleistungsmanagement um 3 % gesenkt werden, was zusätzlichen Platz für Solarstrom bringt.

Bottom-up
In der traditionellen Energiewelt wird der Strom grösstenteils in Grosskraftwerken produziert. Die grössten sind die Atomkraftwerke, dann folgen die Wasserspeicherkraftwerke. Der Strom wird dann vom Höchstspannungsnetz, in dem auch Importstrom fliesst, über das Hochspannungsnetz ans Mittelspannungs- und dann ans Niederspannungsnetz abgegeben (siehe Grafik links). Von dort gelangt der Strom über die Stromleitungen an die Stromkundinnen und -kunden. In der erneuerbaren Energiewelt wird Strom jetzt auch vermehrt wie in Dettighofen dezentral in den Dörfern produziert und dort sozusagen Bottom-up ins Niederspannungsnetz eingespiesen. Wird er dort nicht verbraucht, wird er ans Mittelspannungsnetz abgegeben. Diese Umkehrung des Systems kann Spannungserhöhungen verursachen, die mit den oben erwähnten Massnahmen behoben werden können. „In Dettighofen besteht zudem noch Potenzial, den Eigenverbrauch zu erhöhen, was die Diskussion um Netzstabilität zusätzlich entspannt“, erklärt Fabian Carigiet.


Nachgefragt bei Markus Niedrist, Leitung Netze der EKS

Grünes Licht für mehr Solarstrom

Was unterscheidet die EKS von anderen Schweizer Energieversorgern?
Markus Niederist: Ein Drittel unseres Netz- und Versorgungsgebiets liegt in Deutschland, damit sind wir wohl schweizweit die einzigen. Aufgrund des frühen und hohen Ausbaus der Photovoltaik in Deutschland haben wir eher als die meisten Energieversorger in der Schweiz Erfahrungen mit einem hohen Solarstromanteil gesammelt.

Welche Schlüsse ziehen die EKS aus den Resultaten der Netzstudie der ZHAW?
Die Studie hat unsere Berechnungen bestätigt. Sie hat ebenfalls bestätigt, dass wir den Betrieb der Netze bis auf kleine Anpassungen so weiterführen können. Zudem wissen wir, dass wir mit 50 Prozent Solarstrom nun an einer Grenze angelangt sind, an der wir zusätzliche Massnahmen ins Auge fassen, um einen zusätzlichen Ausbau aufzufangen. Dabei kann es sich um den Einbau von Batteriespeichern in den Gebäuden bei den Solarstromanlagen handeln, oder um eine weitere Wirkleistungsreduktion. Das Augenmerk muss auch auf die Einstellungen der Wechselrichter gerichtet werden: Die Kunden müssen von Anfang an gut informiert werden, wie diese eingestellt werden müssen. Möglich ist auch ein künftiger Netzausbau.

Was können andere Energieversorger, in deren Gemeinden der Ausbau der Photovoltaik noch bevorsteht, von dieser Studie lernen?
Ich denke, sie können erstmal beruhigt sein und müssen sich keine Sorgen machen, wenn ein paar Photovoltaikanlagen und erneuerbare Erzeuger ins Netz neu zugebaut werden. Die Studie zeigt, dass das Netz einiges verträgt, wenn es standardmässig gebaut wurde. Und dass somit nicht von Beginn an ein Netzausbau nötig ist, weil das Niederspannungsnetz in den Dörfern in der Regel bis zu 50 % Solarstrom verträgt.

Ist der Zustand des Niederspannungsnetzes ebenfalls entscheidend?
Unsere Netze stammen aus den 70er und 90er Jahren. Sie wurden in der Annahme gebaut, dass der Stromtransport jährlich um 1.5 bis 4 Prozent steigen würde. Dies ist mit ein Grund dafür, dass wir mit 50 Prozent Solarstrom kein Problem haben. Ich gehe davon aus, dass die meisten Niederspannungsnetze, insbesondere die, die von den Kantonen gebaut wurden, ähnlich gut sind wie unsere. Bei kleinen Energieversorgern, die sich in einem engeren finanziellen Rahmen bewegen, könnte es sein, dass einige über etwas weniger gute Voraussetzungen verfügen.

Wagen Sie eine Prognose? Wie viele Solarstromanlagen ha
ben die EKS heute am Netz und wie viele werden es in 10 Jahren sein?
Ich gehe davon aus, dass in 10 Jahren jedes neue Haus mit einer Solarstromanlage gebaut wird. In bis zu 20 Jahren werden die meisten den Eigenverbrauch gezielt einplanen, indem sie Batterien einbauen. Das wird ein grosser Trend, davon bin ich überzeugt. Wir haben im Moment insgesamt 1300 Solarstromanlagen am Netz. Wie viele es in 10 Jahren sein werden, hängt stark von der politischen Unterstützung für die Photovoltaik ab.


Netzstudie der ZHAW
Das Elektrizitätswerk des Kantons Schaffhausen (EKS) hat 2014bei der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHA W) eine Studie erstellen lassen, wie viel Solarstrom das Netz noch verträgt und welche Massnahmen dazu nötig und auch am wirtschaftlichsten sind. Eine englische Zusammenfassung der “Case study of a low-voltage distribution grid with high PV penetration in Germany and simulation analyses of cost-effective measures“ kann bei Fabian Carigiet, ZHAW, bestellt werden: fabian.carigiet@zhaw.ch

Text: Anita Niederhäusern, leitende Redaktorin ee-news.ch, Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Umwelt&Energie 1/2017 der Schweizerischen Energie-Stiftung

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