In China lagern die grössten Schiefergas-Vorräte der Welt, der Grossteil davon in der Provinz Sichuan. Diese vermeintliche Chance will sich die Regierung nicht entgehen lassen.

China: Fracking-Vorhaben der Regierung, koste es was es wolle

(©TR) Unter einem «Sweetspot» versteht man ein Schiefergasfeld mit grosser Aussichten auf optimalen Nutzen, sprich Rentabilität. In der Provinz Sichuan im Südwesten Chinas gibt es viele «Sweetspots». Hier befindet sich beinahe die Hälfte des chinesischen Schiefergasvorkommens. In ganz China scheinen etwa 30 Billionen Kubikmeter Schiefergasgestein nur darauf zu warten, endlich in Energie umgewandelt zu werden. Und so ist denn auch die Begehrlichkeit der chinesischen Regierung gross, das Fracking massiv voranzutreiben, egal mit welchen Umweltrisiken dies verbunden ist.

Wir sprechen hier von den grössten Schiefergas-Vorkommen der Welt, schätzungsweise anderthalb Mal so gross wie die unterirdischen Schiefergas-Reserven der Vereinigten Staaten! Um das riesige Vorkommen endlich nutzen zu können, werden von der chinesischen Regierung alle mit Fracking zusammenhängenden Gefahren wie Verknappung von Wasser, Artenschwund und sogar mögliche Erdbeben in Kauf genommen. Folgen des Frackings wie Schwund von Lebensräumen, eine chemische Verschmutzung und die Minderung der Wasserqualität werden dabei kaltschnäuzig verdrängt oder bis zur Bedeutungslosigkeit verharmlost. Darauf deutet jedenfalls ein Bericht von Christoph Behrens vom 10. August 2015 unter dem Titel «Fracking in China - Der grosse Sprung nach unten»; bei der Süddeutschen Zeitung ist er für das Wissensressort von SZ.de zuständig, studiert hatte er Bioingenieurwesen und Technikphilosophie. 

Ein Wald von Bohrtürmen schiesst aus dem Boden
Wie schlecht sich Fracking mit der Natur verträgt, kann man laut SZ nahe der kleinen Stadt Yibin beobachten: «In der Umgebung schiesst gerade ein Wald von Bohrtürmen aus dem Boden. Es sind grosse, lärmende Anlagen. Mit einem Druck von mehreren Hundert Bar pressen sie Tag für Tag Chemikalien, Wasser und Sand in den Untergrund. In eintausend Meter Tiefe knackt die Flüssigkeit die Gesteinsschichten, die das Erdgas umschliessen. Feine Frakturen im Fels reissen auf, das Gas strömt nach oben.»


Ein Industriewachstum von 10 Prozent
Klar, die Bohrungen läuten in China eine Zeitenwende ein. Die Regierung wolle Schiefergas als eine zentrale neue Energiequelle entwickeln, soll Wang Bao Hua gesagt haben; er ist in der nahe gelegenen Metropole Chengdu für die Energieversorgung zuständig. Mit 14 Millionen Einwohnern gilt die Provinzhauptstadt als eine «Boomtown des 21. Jahrhunderts» mit unablässig wie Pilze aus dem Boden schiessenden neuen Wolkenkratzern, Investmentfirmen und europäische Konzern-Niederlassungen von Siemens, Shell oder Bosch usw. Die fünfzehnstöckigen Einkaufszentren müssen zum Bersten gefüllt sein mit westlichen Luxuswaren. Der entsprechende Energiebedarf sei gewaltig und die Industrie vor Ort wachse jedes Jahr um zehn Prozent, so Wang Bao Hua. Ist dies der kümmerliche Versuch einer Rechtfertigung?

600 Zusatzstoffe, damit Gas aus dem Bohrloch strömt
Wörtlich zitieren wir aus der Süddeutschen Zeitung: «Auch ohne Fracking ist die Natur in der Region bereits bedroht. Das hemmungslose Wachstum von Städten wie Chengdu und Chongqing in der Nachbarprovinz wirkt sich auf die Artenvielfalt aus. In Flüssen wie dem Jangtse sind Arten wie der kleine weisse Kugelfisch und der rotbäuchige Molch verschwunden. Dass die Umwelt unter der Schiefergasförderung zu leiden hat, zeigen Berichte aus den USA. Jede Plattform braucht rund vier Hektar Platz, es müssen Tanks für Wasser, Chemikalien, Abwasser errichtet, eine Strasse und eine Pipeline verlegt werden. Rund 600 Zusatzstoffe kommen zum Einsatz, damit das Gas aus dem Bohrloch strömt.»

Wie viele Chinesen bezahlen Energieversorgung mit dem Leben?
Dass man die mit Fracking verbundenen Probleme in China in Kauf nimmt, hängt laut SZ-Reporter Behrens auch damit zusammen, dass dort bislang zwei Drittel der Energieversorgung mit Kohle bewältigt werden: Kohle in alten Kraftwerken, alten Fabriken, alten Heizungen. Dies schlägt sich in der Gesundheitsbilanz der verpesteten Provinz nieder. Wie viele Chinesen wegen der hohen Feinstaubwerte vorzeitig sterben ist zwar unklar, die Schätzungen reichen von 400‘000 bis zu 1,2 Millionen pro Jahr. «Der Smog ist ein Riesenproblem in den Städten im Osten, das erzeugt einen gewaltigen Druck in der Bevölkerung», soll Li Yan gesagt haben; sie ist energiepolitische Sprecherin von Greenpeace China.  

Passenden Umweltgesetze sind noch gar nicht geschrieben 
Die in Europa extrem umstrittene Schiefergasgewinnung wird in China offenbar als eine segensreiche Technik proklamiert. Wang Bao Hua von der  Energieversorgung Chengdus nennt das Fracking offenbar in einem Atemzug mit Solarenergie und Windkraft, also mit umweltfreundlichen Alternativen zur traditionellen Energiegewinnung. Der SZ-Journalist Behrens konstatiert dazu: «Bei diesem Enthusiasmus verwundert es kaum, dass in Sichuan bereits Schiefergas aus dem Förderschächten strömt, obwohl die passenden Umweltgesetze noch gar nicht geschrieben sind.»

Die letzten 1800 freilebenden Riesenpandas
Noch ein Wort zur Provinz Sichuan: Hier liegen sechs Welterbe-Stätten der Unesco, Arten wie den Urweltmammutbaum und den Taubenbaum gibt es nur hier. Die Provinz ist bekannt für ihre Bergflüsse und dichten Wälder. An den Steilhängen brüten hier seltene Vögel und in den Bambushainen streifen die letzten 1800 freilebenden Riesenpandas umher. Effektiv darf der Südwesten Chinas als eine ökologisch einzigartige Region mit Kalksinterbecken, aber auch seltenen Tier- und Pflanzenarten bezeichnet werden. Doch wen interessiert das schon, wenn der «Sweetspot» ganz andere Schätze in rauer Menge bereit hält. Im Gegensatz zu Pandas und Bambushainen lässt sich Schiefergas eben in bares Geld von enormer Höhe ummünzen!

Zum Bericht von Süddeutsche.de >>

©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

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