Die Energiewende und der europaweit zunehmende Stromhandel wirken sich stark auf den Betrieb der Stromnetze aus. ©Bild: Swissgrid

ETH Zukunftsblog: Wie wirkt sich die Energiewende auf das Stromnetz aus?

(©AU/ETHZ) Die nachhaltige Energieversorgung mittels erneuerbaren Energien und der europaweite Stromhandel stellen unser Stromnetz vor vielseitige Herausforderungen – sowohl im Netzbetrieb als auch bei der Planung. Es gibt viele Lösungsansätze und Betriebskonzepte für das Stromnetz von morgen. Eine Auslegeordnung aus technischer Sicht.


Wie müssen wir unser Energiesystem umrüsten, damit wir auch langfristig eine hohe Versorgungssicherheit für Strom gewährleisten können? Um diese zentrale Frage drehte sich die Veranstaltung «Das Stromnetz der Zukunft», die das Energy Science Center der ETH Zürich (ESC) im Juni durchführte. Das Thema ist so spannend wie komplex – einfache Antworten gibt es kaum. Fest steht: Die Energiewende und der europaweit zunehmende Stromhandel wirken sich stark auf den Betrieb unserer Stromnetze aus. Die technischen Herausforderungen, die sich daraus ergeben, und mögliche Lösungsansätze möchte ich in diesem Beitrag näher erläutern.

Strom aus Erneuerbaren ist weniger planbar
Europa baut in rasantem Tempo neue erneuerbare Energien zu. Vor allem die wachsende Anzahl Windturbinen und Photovoltaik-Anlagen (PV) führt zu Unwägbarkeiten im Netzbetrieb, weil diese Anlagen Strom nur fluktuierend produzieren – also wechselhaft je nachdem, ob der Wind weht oder die Sonne scheint. Mit einer installierten Leistung von knapp 130 GW Wind (8 Prozent der jährlichen Strommenge) und 87 GW Photovoltaik (3 Prozent) in Europa Ende Jahr 2014 [1] wird die Stromerzeugung noch stärker wetterabhängig und damit für Produzenten und Netzbetreiber weniger planbar.

Stromhandel integriert erneuerbare Energien
Auch der Stromhandel ist ein wichtigerer Einflussfaktor. In den vergangenen 40 Jahren hat sich das Stromhandelsvolumen in Europa verachtfacht, während sich der Stromverbrauch selbst nur etwas mehr als verdoppelt hat [2]. Heute werden mehr als zwölf Prozent des jährlichen europäischen Stromverbrauchs über Ländergrenzen hinweg gehandelt [3]. Früher handelten vor allem Nachbarländer untereinander, und die Stromflüsse waren aufgrund langfristiger Lieferverträge eher statisch und damit gut planbar. Heutzutage wird an den Spotmärkten im Stunden- oder sogar Viertelstundentakt gehandelt, und dies zunehmend europaweit – von Norwegen bis nach Portugal.

Der Stromhandel erfüllt damit eine wichtige Funktion: Er integriert den unsteten Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Wenn eine Windfront oder eine Schönwetterlage regional zu sehr grossen Mengen an Wind- oder Solarstrom führt, organisieren die Stromhandelsplattformen den europaweiten Energieausgleich erstaunlich effizient und meist passgenau.

Veränderte Stromflüsse im Hochspannungsnetz
Unstete Stromproduktion aus Wind und PV und der wachsende Stromhandel verändern die Stromflussmuster auf der obersten Netzebene, dem Hochspannungs- oder Transportnetz (220/380 kV), dessen Lasten damit schlechter vorhersehbar sind. Diese mitunter europaweiten Lastflussänderungen finden oft unkontrolliert statt, teilweise mit unerwünschten Nebeneffekten: Erzeugt die Windkraft in einem Land besonders viel Strom, können die veränderten Lastflüsse zu ungeplanten Netzengpässen führen. Das kann so weit gehen, dass Nachbarländer ganze Kraftwerke abschalten müssen. Nationale Netzbetreiber verwenden deshalb schon heute sogenannte Phasenschieber, um die Lastflüsse an einigen Landesgrenzen besser zu steuern und unerwünschte Effekte in benachbarten Netzgebieten zu reduzieren.

Veränderte Stromflussmuster im europäischen Übertragungsnetz wirken sich auch auf die langfristige Netzplanung aus. Um sicher zu stellen, dass wir dort ausbauen oder verstärken, wo es notwendig ist, müssen wir die künftigen Stromflussmuster möglichst genau vorhersagen. Im Vergleich zu früher ist dazu heute ein viel höherer Planungs- und Simulationsaufwand nötig.

Spannungsprobleme in den Verteilnetzen
Auch neue Stromverbraucher wie Wärmepumpen und langfristig auch die Elektromobilität beeinflussen die Netze. Während heute schon mehr als 250‘000 (Ende 2014) Wärmepumpen in der Schweiz installiert sind [4], ist die Anzahl der hierzulande zugelassenen Elektrofahrzeuge mit wenigen Tausend zwar immer noch sehr gering. Ihr Potenzial für die kommenden Jahre und Jahrzehnte ist allerdings hoch.

Die allermeisten PV-Anlagen und Wärmepumpen sowie alle Elektroautos werden auf den untersten Netzebenen betrieben, dem Niederspannungs- oder Verteilnetz (220 bis 400 V). Wird viel PV-Strom erzeugt, kommt es lokal zu Überspannung, während ein höherer Lastverbrauch durch Wärmepumpen und Elektroautos zu Unterspannung führt. In beiden Fällen können lokale Netz-Überlastungen entstehen. Solche Effekte werden die langfristigen Netzausbaupläne stark beeinflussen.

Smart Grid schafft Abhilfe
In den meisten Fällen lösen Netzbetreiber auftretende Probleme auch heute noch durch konventionellen Netzausbau, sprich durch Investitionen in neue oder stärkere Leitungen und Transformatoren. Doch Alternativen dazu wie Energie-Speicher und Smart-Grid-Elemente werden zunehmend wichtiger. Unter Smart Grid versteht man ein «intelligentes» Stromnetz, das verschiedenste Stromerzeuger, Energiespeicher und Verbraucher miteinander vernetzt und dezentral steuert. Beim Einsatz von neuen Netzelementen und Smart-Grid-Konzepten gibt es Unterschiede zwischen dem Hochspannungs- und Niederspannungsnetz:

Im Hochspannungsnetz spielen bestimmte, an sich schon etablierte Netztechnologien eine immer grössere Rolle: Im Fokus steht die sogenannte Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ oder englisch HVDC), die Energie verlustarm über weite Strecken transportieren kann. HGÜ ermöglicht es beispielsweise, Kontinentaleuropa über leistungsstarke Unterwasserkabel mit Grossbritannien und Skandinavien zu verbinden. Dies erlaubt erst einen wirklich europaweiten Stromhandel und -transport.

Grössere Transport- und Speicherkapazitäten
Generell lässt sich sagen, dass grössere Transport- und Speicherkapazitäten den Netzbetrieb, Stromhandel und die Integration erneuerbarer Energien erleichtern. Neue leistungsstärkere Pump- und Turbinenanlagen ermöglichen es im Bereich Pumpspeicherkraftwerke, die vorhandenen Speicherkapazitäten effizienter und flexibler zu nutzen. Hier müssen wir allerdings einen langfristig tragfähigen Kompromiss finden zwischen den hohen Investitionskosten und dem damit erreichbaren betrieblichen Nutzen. Gerade Pumpspeicheranlagen sind ein wichtiges Element für die Energiewende. Da die Geschäftsmodelle in der Strombranche aber im Umbruch sind, sind Investitionen über sehr lange Zeiträume (bis 40 Jahre und mehr) sehr unsicher. Dies sind einige der Kernergebnisse einer trilateralen Studie über Pumpspeicherkraftwerke für die Energieministerien der Schweiz, Österreich und Deutschland, an der das Energy Science Center der ETH Zürich mitarbeitete [5].

Im Verteilnetz gilt es vor allem, die PV-Anlagen und die neuen Verbrauchertypen wie Wärmepumpen und Elektroautos besser einzubinden. Hier können Smart-Grid-Elemente und -Konzepte effektiv helfen, die PV-Integration zu verbessern und generell Netzbelastungen zu reduzieren. Die modernen Netztechniken sollten sich auch langfristig lohnen, weil ein konventioneller Ausbau der Verteilnetze wohl umfangreicher und damit auch teurer wäre.

Weiterführende Informationen

[1] EurObserv‘ER 2015 >>
[2] IEA Electricity Information 2013 (Tabelle 2.13) >>
[3] ENTSO-E YearlyStatistics & AdequacyRetrospect 2013 >>
[4] BFE Elektrizitätsstatistik 2013.
[5] Trilaterale Studie zur Zukunft von Pumpspeicherkraftwerken in der Schweiz, Österreich und Deutschland, 2014 >>

©Text: ETH Zukunftsblog, Andreas Ulbig, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Power Systems Laboratory (PSL), ETH Zürich

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