"Wir alle sind in einer Schweiz gross geworden, in der das schwarze Gold an jeder Tankstelle garantiert verfügbar ist und der Tankwagen das Heizöl mit 100%iger Sicherheit anliefert." Anita Niederhäusern

Energiestrategie 2050: Liegt auf dem Seziertisch des Ständerats

(©AN) Tschernobyl ist vergessen, Fukushima schon weit weg und der mehr als Ölpreis halbiert. Vor diesem Hintergrund lehnt sich die Politik genüsslich zurück und legt den Rückwärtsgang ein. Die Energiestrategie 2050 droht zu scheitern. Doch das geht ins Auge, denn einen Plan B gibt es nicht.


Wir alle sind in einer Schweiz gross geworden, in der das schwarze Gold an jeder Tankstelle garantiert verfügbar ist und der Tankwagen das Heizöl mit 100%iger Sicherheit anliefert. Gas gibt’s eh ohne Ende, einziges Hindernis: Putin und seine Politik. Und Strom, ja Strom kommt aus der Steckdose, oder nicht? Übrigens sind auch der heisse Sommer und die Trockenheit bloss meteorologische Kapriolen. Das scheint die Grundstimmung bei einem grossen Teil der Politiker und der Bevölkerung zu sein.

Dabei hatte gerade die Politik seit 2011 einen richtig guten Weg eingeschlagen. Ein Blick zurück: Am 2. Dezember 2011 konkretisierte der Bundesrat erstmals die Stossrichtung der Energiestrategie 2050. Hier die Effizienzziele aus seiner damaligen Pressemeldung:

  • Gebäude: Sparpotenzial 13 TWh bis 2020 bzw. 28 TWh bis 2035 bei Heizenergie und 2 TWh bis 2020 bzw. 7 TWh bis 2035 beim Strom => technische Vorgaben, Förderung energetischer Gebäudesanierungen, Aus- und Weiterbildung von Baufachleuten, Beratungsleistungen von Bauherren.
  • Elektrogeräte: Sparpotenzial 0.5 TWh bis 2020 und 1 TWh bis 2035 => Effizienzvorschriften, Förderung von Smart Technologies.
  • Industrie und Dienstleistungen: Sparpotenzial beim Energieverbrauch 16 TWh bis 2020 und 33 TWh bis 2035. Beim Elektrizitätsverbrauch beträgt die zu erzielende Reduktion bis 2020 rund 5 TWh und bis 2035 rund 13 TWh => Zielvereinbarungen zwischen Unternehmen und Bund, Ausschreibungen für Stromeffizienz, Effizienzboni. Unternehmen, die viel Strom brauchen und Effizienzziele erreichen, sollen sich von der Bezahlung des Zuschlags für die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) befreien lassen können.
  • Mobilität: Sparpotenzial beim Energieverbrauch 4 TWh bis 2020 und 11 TWh bis 2035 => besser vernetzte Angebote, neue Technologien, z. B. Umstellung der Strassen- und Tunnelbeleuchtung auf LED, Produktion von Energie bei Verkehrsinfrastrukturen.

Dreh- und Angelpunkt Effizienzziele
Auch in seiner Botschaft vom September 2013 schrieb der Bundesrat: „Mit der Energiestrategie 2050 sollen unter anderem der Endenergie- und der Stromverbrauch reduziert, der Anteil der erneuerbaren Energien erhöht und die energiebedingten CO2-Emissionen gesenkt werden.Weiter ist zu lesen: Vorgesehen sind unter anderem eine Erhöhung der CO2-Abgabe mit einer gleichzeitigen Verstärkung des Gebäudesanierungsprogramms sowie ein Umbau der bisherigen kostendeckenden Einspeisevergütung zu einem Einspeisevergütungssystem mit Direktvermarktung. Der Bundesrat setzt in erster Linie auf eine konsequente Erschliessung der vorhandenen Energieeffizienzpotenziale und in zweiter Linie auf die Ausschöpfung der vorhandenen Potenziale der Wasserkraft und der neuen erneuerbaren Energien.“

Die Effizienz ist in der Energiestrategie Dreh- und Angelpunkt, ohne sie geht nichts. Im Faktenblatt zur Medienmitteilung über die Botschaft zur Energiestrategie 2050 formuliert der Bundesrat im September 2013 die Effizienzziele wie folgt:

  • Der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person und Jahr soll gegenüber dem Referenzjahr 2000 bis 2020 um 16 % und bis 2035 um 43 % gesenkt werden. Dies entspricht einem geschätzten Endenergieverbrauch von rund 213 TWh im Jahr 2020 (2012: 245 TWh)
  • Der durchschnittliche Stromverbrauch pro Person und Jahr soll gegenüber dem Referenzjahr 2000 bis 2020 um 3 % und bis 2035 um 13 % abnehmen. Dies entspricht einem geschätzten Stromverbrauch von 59 TWh und einem Landesverbrauch von 64.0 TWh im Jahr 2020 (Landesverbrauch 2012: 63.4 TWh). (Der Stromverbrauch entspricht dem Landesverbrauch nach Abzug der Übertragungs- und Verteilverluste; der Inlandverbrauch dem Stromverbrauch zuzüglich Übertragungs- und Verteilverluste.)

Kurzes Gedächtnis
Wir haben ein kurzes Erinnerungsvermögen. An den Super-Gau von Tschernobyl erinnern wir uns kaum mehr, obwohl gerade mit Ach und Krach das Geld für einen neuen, dringend benötigten Sarkophag zusammengekratzt wurde, der das Problem nur kurzfristig löst. Und auch die Erinnerungen an den Super-Gau von Fukushima verblassen langsam. Japan ist ja auch ziemlich weit weg. Die Japaner sind ohnehin so smart, dass sie das Problem der Verstählung im Handumdrehen lösen werden. Die durchschnittlich hohen Barrelpreise von über 100 US-Dollar von 2011 bis 2013 (und 2014 nur leicht darunter) sind angesichts der aktuell sehr tiefen Preise von durchschnittlich zwischenzeitlich weit unter 60 US-Dollar pro Barrel vergessen. Kein Problem für ein reiches Land wie die Schweiz angesichts eines aktuellen Benzinpreises von leicht über 1.50 Franken pro Liter. Und überhaupt, haben die US-Amerikaner mit dem Fracking nicht gerade unser Energieproblem gelöst? Dass wir in der Mobilität zu 97 % am Erdöltropf hängen, verdrängen wir vollkommen. Ebenso die Verbindung zwischen Lebensmittelproduktion und Erdöl. Genauso wie die Tatsache, dass 80 % unserer Energieversorgung aus dem Ausland kommt – und zwar grösstenteils aus autokratischen oder zerfallenden Staaten.

Im
Rückwärtsgang
Es ist also wenig erstaunlich, wenn die Energiekommission des Ständerats – kurz UREK-S, zusammengesetzt aus Gross(wasser)kraftwerklobbyisten und Mitgliedern mit wenig fundiertem Grundwissen über Energie – die Energiestrategie 2050 Schritt für Schritt demontiert. Energieeffizienz und neue erneuerbare Energien scheuen sie wie der Teufel das Weihwasser. Ausserdem soll‘s der Markt richten. In der Herbstsession 2015 wird die UREK-S ihre Beratungen fortsetzen. Sie wird die Vorlage des Nationalrats, der dem Bundesrat in weiten Teilen gefolgt ist, zerzausen. Das hat sich schon bei den letzten Beratungen abgezeichnet. Im Unterschied zum Nationalrat hat die UREK-S beim Kernstück der Energiestrategie 2050, der Abnahme- und Vergütungspflicht sowie der Förderung erneuerbarer Energien, wenig Weitsicht bewiesen und den Rückwärtsgang eingelegt. Der Nationalrat hatte noch im Dezember 2014 mit viel Aufwand und unter Berücksichtigung der verschiedenen Interessen sowie der gängigen Marktpraxis die Vorlage des Bundesrats passend optimiert. Er hatte ein überzeugendes Modell vorgelegt, das einerseits die erneuerbaren Energien zügig an den Markt heranführen und andererseits durch eine intelligente Kombination von Einspeiseprämien und Einnahmen aus dem Stromverkauf für die in der Zukunft erforderliche Investitionssicherheit sorgen würde. Das Modell UREK-S dagegen gefährdet die Investitionssicherheit mit der Konsequenz, dass die Energiewende gebremst und verzögert wird. Dass die Grosswasserkraft Unterstützung braucht, ist unbestritten. Eine solche darf aber nicht zulasten der neuen erneuerbaren Energien finanziert werden. Die Modelle, die der Ständerat von Teilen der Stromwirtschaft präsentiert erhalten hat, weisen leider in eine falsche Richtung.

Keine
n Plan B
Zudem ist es so gut wie sicher, dass nicht mehr das derzeitige Parlament die Energiestrategie 2050 verabschieden wird. Und damit ziehen ganz schwarze Wolken am Himmel auf: Wenn die Wahlprognosen stimmen, dann könnte sie sogar gekippt werden. In den Worten von Nationalrat Roger Nordmann: „Wenn im Herbst die FDP und die SVP im Parlament zu viele Sitze gewinnen, könnte die Energiestrategie scheitern und wir stehen vor einem Scherbenhaufen, weil die beiden Parteien keinen Plan B haben, ausser dass sie gegen die Energiestrategie sind.“

Mehr als genug
Gemäss der AEE Suisse, der Dachorganisation der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz, liegen in der Schweiz folgende Potenziale ungenutzt brach:

  • Photovoltaik mindestens 14 TWh (nur Bestdächer);
  • Wind 6 TWh;
  • Biomasse 5 TWh;
  • Wasserkraft 2 TWh;
  • Kehrichtverstromung 2 TWh,

also total ca. 29 TWh (ohne Geothermie). Bei der Energieeffizienz sind noch einmal rund 14 TWh zu holen. Dazu gehören Wärmekraftkopplung, Ersatz von Elektroheizungen, Bestgerätestrategie etc. Und natürlich bestehen gewaltige Wind- und Photovoltaik-Potenziale in Europa, die uns der diskriminierungsfreie Zugang zum europäischen Energiemarkt erlauben würde. Diesen 43 TWh allein der in der Schweiz erzeugten erneuerbaren Energie und der realisierten Netto-Effizienzpotenziale stehen rund 24 TWh Strom aus Schweizer Atomkraftwerken – und 16 TWh importierter Atomstrom aus französischen Anlagen – gegenüber.

©Text: Anita Niederhäusern, Vorstandsmitglied ASPO Schweiz und leitende Redaktorin ee-news.ch

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2 Kommentare

Renato

Wie kommt ee-news dazu, Werbung für Helikopeterflüge aufzuschalten ????

Antwort der Redaktion: Wahrscheinlich handelt es sich beim Inserat, das wir nicht sehen, um Google-Werbung, die wir nicht steuern können.

Christina Marchand

Danke für diesen guten Artikel!

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