Wetterboje, die Temperaturdaten vom Meer liefert. ©Bild: NOAA

Wartung einer Wetterboje. ©Bild: NOAA

ETH Zukunftsblog: Wie messen wir die Erderwärmung?

(©RK/ETHZ) Die Frage scheint für den Klimawandel essentiell und denkbar einfach: Wie stark erwärmt sich die Oberfläche unseres Planeten? Wer sich damit beschäftigt, landet schnell bei weiteren fundamentalen Fragen: Was ist überhaupt Temperatur, und wie misst man sie? Und was braucht es, um die globale Temperatur über die Zeit hinweg zu bestimmen?


Forscher der amerikanischen Wetterbehörde NOAA revidierten unlängst die globalen Temperaturdaten und kamen zum Schluss, dass sich die Erde in den letzten 15 bis 20 Jahren durchaus erwärmt habe (siehe dazu meinen letzten Blogbeitrag >>). Frühere Studien zeigten hingegen, dass die Erderwärmung stagnierte. Über diese sogenannte «Klimapause» wurde und wird heftig debattiert. Die neue Temperaturkurve unterscheidet sich zwar nur geringfügig von früheren Daten, dennoch zeigt sie nun für die letzten paar Jahre einen ansteigenden Trend. Warum ist es so schwierig, die globale Temperatur zuverlässig zu bestimmen?

Nicht eine, sondern tausende Temperaturen
Physikalisch betrachtet ist Temperatur eine Zustandsgrösse, die vereinfacht gesagt mit der Bewegung der Teilchen eines Stoffs zusammenhängt: Für ein ideales Gas charakterisiert sie die mittlere kinetische Energie der Moleküle, also wie intensiv sich die Teilchen bewegen. Aber ein ideales Gas ist auch nur eine Modellvorstellung, die uns alleine nicht viel weiter hilft. Deshalb bezeichnen Meteorologen Temperatur für praktische Zwecke als die Grösse, die ein Thermometer in der Luft am Schatten misst. Damit verlagert sich das Problem auf die Fragen, was ein Thermometer genau misst (zum Beispiel wie stark sich das Quecksilber ausdehnt, wenn es sich erwärmt), wie man es baut und wie man es mit anderen Instrumenten abgleicht.

Datensätze vergleichbar machen
Die wirklichen Schwierigkeiten kommen aber erst. Die globale Oberflächentemperatur der Erde ist ein komplexes Konstrukt aus tausenden von Messungen zu Wasser und zu Land, die früher noch von Hand gemacht wurden, heute aber meist automatisiert durch verschiedenste Messstationen erfolgen. Die Krux dabei ist, dass sich die Messsysteme und Methoden stark voneinander unterscheiden. Und sie verändern sich im Verlauf der Zeit. Darum müssen wir die verschiedenen Systeme und Datensätze zuerst vergleichbar machen, um sie zu kombinieren. Wir vereinheitlichen (homogenisieren) die Daten also und stimmen sie aufeinander ab (kalibrieren). Ausgeklügelte Modelle und statistische Verfahren sind notwendig, um aus lückenhaften Daten von verschiedenen Instrumenten aus unterschiedlichen Zeiten überhaupt ein einheitliches Bild zu erzeugen.

Messungen über Land
Bei Temperaturmessungen über Land ergeben sich zahlreiche Schwierigkeiten, die illustrieren, wie heikel es ist, nur schon eine kontinentale Temperatur zu bestimmen: Erstens wird die Lufttemperatur meistens in der Nähe von Gebäuden, Flughäfen oder in Städten gemessen. Auf einem Parkplatz ist es im Sommer heisser als auf einer Wiese. Nicht, dass man auf einem Parkplatz misst, aber der Effekt ist klar: In Stadtnähe ist es wärmer, und diesen «urban heat island effect» muss man korrigieren.

Messstationen verschieben sich
Zweitens verschieben sich Messstationen mit der Zeit: Neue werden errichtet, alte eliminiert. Hinzu kommt, dass die Meteorologen Messstationen früher nicht wegen dem Klima betrieben, sondern für das tägliche Wetter. Ob man auf dem Flughafen hinter oder vor dem Haus oder am Pistenrand misst, ist für den Flugbetrieb nicht so wichtig, aber für langfristig konsistente Zeitreihen schon. Ein neues Gebäude oder eine verschobene Station führen schnell zu Sprüngen in der Messreihe, die man korrigieren muss. Sind die Veränderungen dokumentiert, dann lässt es sich relativ einfach korrigieren, aber bei vielen alten Messreihen fehlen solche Informationen.

Art der Messung
Drittens änderte sich die Art der Messung. Früher hat man zum Teil an Hausfassaden auf der Schattenseite von Häusern gemessen, heute misst man auf zwei Meter über Boden im Freien am Schatten. Früher hat man bei manuellen Thermometern von Auge das Quecksilber abgelesen und für das Tagesmittel einfach den Durchschnitt aus dem Minimum und Maximum des Tages genommen, heute misst man digital so oft wie man will.

Messungen im Meer
Temperaturdaten von den Weltmeeren liefern seit jeher Handelsschiffe und in jüngerer Zeit auch Wetterbojen. Über dem Ozean selbst gibt es nur wenige Messungen der Lufttemperatur, und sie sind nur in der Nacht brauchbar, weil sich die Schiffe über Tag durch die Sonne stark aufheizen. Zudem muss man berücksichtigen, dass die Schiffe grösser werden, womit auch immer höher über dem Wasser gemessen wird.

Jedes Schiff ist anders
Zuverlässigere und längere Messreihen haben wir von den Wassertemperaturen an der Meeresoberfläche. Am Anfang des 20. Jahrhunderts warf man dazu Kessel an einem Seil vom Schiff, später sog man das Wasser direkt in den Maschinenraum. Wir wissen schon lange, dass die Kessel-Methode zu tiefe Werte liefert, weil das Wasser dabei verdunstet und sich abkühlt, während Messungen im warmen Maschinenraum wegen den Motoren zu hoch sind. Das alles versucht man zu korrigieren. Einfach ist das aber nicht, weil jedes Schiff anders ist.

Es gibt vermehrt auch Meeres-Bojen, die spezifisch für die Beobachtung des Klimas entwickelt wurden und sehr genau messen. Will man diese neuen, präziseren Daten von Bojen mit den alten Schiffsdaten kombinieren, müssen auch sie kalibriert werden.

Messungen in der Erdumlaufbahn
Satelliten schliesslich messen nicht Temperatur, sondern Strahlung in bestimmten Wellenlängen, und es gibt sie erst seit 1979. Auch sie haben ihre Tücken: Satelliten gelangen wegen der Reibung über die Jahre in eine tiefere Umlaufbahn – eine ungenügende Korrektur dieses Effektes hat lange für überschätzte Trends in der oberen Troposphäre geführt.

Lückenhafte Abdeckung
Noch lange sind nicht alle Daten rekonstruiert, die je gemessen wurden. Von alten Schiffsrouten gibt es noch eine Fülle handgeschriebener Daten von Seefahrern, aber ihre Interpretation ist nicht einfach, und es ist aufwändig, sie zu digitalisieren. Jedes Schiff hat anders gemessen, Positionen von Schiffen sind nur ungenau bekannt, und beim Digitalisieren passieren Fehler: Zeilen werden übersprungen, Kommas versetzt. Überhaupt ist der Faktor Mensch nicht zu vernachlässigen: Es gab Fälle, wo Temperaturmessungen immer dann seltsam erschienen, wenn es kalt war oder schneite, bis herauskam, dass der Beobachter bei schlechtem Wetter einfach etwas geschätzt hatte, statt nach draussen zur Station zu gehen.

Abseits von Schiffsrouten jedoch gibt es kaum Daten, insbesondere in der Arktis. Stationen auf dem Meereis haben die unangenehme Eigenschaft, ins Meer zu fallen, wenn das Eis im Sommer schmilzt. Die globale Temperatur ist also nicht global, und das lässt sich gut visualisieren (siehe dazu unsere Animation der globalen Temperatur >>). Das gilt umso mehr, je weiter wir in der Zeit zurückgehen – ausser man macht zusätzliche statistische Annahmen über die Temperaturverteilung für die Orte, von denen es keine Daten gibt.

Die Erdtemperatur ist eine Schätzung
Um eine globale Durchschnitts-Temperatur zu erhalten, machen wir also verschiedene Annahmen über Instrumente, Kalibrationen und räumliche Muster der Temperaturverteilung. Deshalb ist die globale Temperaturkurve stets eine Schätzung und nie ganz exakt. Das bedeutet aber nicht, dass das Resultat unzuverlässig ist – immerhin stimmen verschiedene Temperatur-Rekonstruktionen sehr gut überein. Aber Details daran werden sich auch in Zukunft ändern, wenn neues Wissen dazukommt. Lange Beobachtungsdatensätze kombinieren effektive Beobachtungen und Messungen mit Instrumentenverständnis und Kalibrationen. Das bringt zwangsläufig Unsicherheiten mit sich. Aber wir haben gut gelernt, damit umzugehen.

©Text: ETH Zukunftsblog, Reto Knutti, Professor für Klimaphysik, ETH Zürich

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