Derzeit herrscht viel Unklarheit betreffend der unlängst bekannt gewordenen Schwachstellen im Reaktordruckbehälter des AKW Beznau. Sollten seit der Inbetriebnahme bisher unbekannte Mängel vorhanden sein, heisst dies für Greenpeace Schweiz schlicht Folgendes: Die Stärke der Druckbehälterwände und seine Widerstandfähigkeit im Störfall wurden bis heute geradezu fahrlässig überschätzt. Das sei sehr problematisch, weil Betreiberin und Aufsichtsbehörde davon ausgingen, dass diese Komponenten gar nicht versagen könnten. Notfallmassnahme gebe es keine, die gegen das Versagen des Containments wirkten, hiess es an der Medienkonferenz in Bern. Es könnte in der Folge sogar zum Super-Gau kommen. Sowohl die Betreiberin Axpo als auch die Atomaufsichtsbehörde ENSI schweigen laut Greenpeace zu Anzahl, Grösse und Eigenschaften der Schwachstellen. Ja selbst die Ursache der Schäden sei unbekannt. «Klar ist aber, dass es diese Schwachstellen gibt und dass sie sich im Herzstück der Anlage befinden, im Reaktordruckbehälter», so Florian Kasser, Atom-Experte Greenpeace Schweiz.
Keine wirksamen Notfallmassnahmen vorgesehen
Halten wir fest: Versagt der Reaktordruckbehälter, sind laut Greenpeace Schweiz keine wirksamen Notfallmassnahmen vorgesehen. «Weil Beznau 1 schon 46 Jahre auf dem Buckel hat und deshalb stark abgenutzt ist, erhöhen die Schwachstellen das Risiko für einen katastrophalen Atomunfall. Die vernünftigste Massnahme ist eine definitive Ausserbetriebnahme des AKW», so Greenpeace-Atomexperte Kasser. Keine Frage, auf den Schultern des ENSI lastet ein grosser Druck: Die Axpo hat in Beznau gerade über 700 Millionen Schweizer Franken für Nachrüstungen ausgegeben. Diese Investitionen dürften angesichts der heutigen Strommarkt-Preise ohnehin schwierig zu amortisieren sein. Geht die Anlage nicht mehr ans Netz, drohen der Axpo massive Verluste.
Zustand nur stichprobenweise überprüft
Ob das Werk Beznau 1 wieder hochgefahren werden soll, entscheidet das ENSI. Es trägt somit eine sehr grosse Verantwortung. Auch der Zustand des Grundmaterials der Druckbehälter in den anderen Schweizer AKW ist laut Greenpeace Schweiz nur teilweise bekannt. Nach eigenen Angaben überprüften die Betreiber der AKW Mühleberg, Beznau und Gösgen den Zustand des Grundmaterials nur stichprobenweise. Begründet wird dies damit, dass Schwachstellen, falls überhaupt vorhanden, nur grossflächigen auftreten würden. «Die neusten in Beznau gewonnenen Erkenntnisse beweisen allerdings das Gegenteil: Nach Angaben der Axpo sind in Beznau vereinzelt Schwachstellen aufgetaucht; bei Stichproben-Messungen könnten also vereinzelte Schwachstellen gar nicht bemerkt worden sein. Deshalb drängt sich eine lückenlosen Überprüfung des gesamten Grundmaterials aller Schweizer AKW auf», so Kasser.
Druckbehälter in Leibstadt sei anders hergestellt worden...
In Leibstadt soll das Grundmaterial nicht einmal stichprobenweise überprüft worden sein! Den wahren Zustand des Druckbehälters kennt man dort also seit der Inbetriebnahme vor 31 Jahren nicht! Auch hat das ENSI hier keine Überprüfung verlangt. Dies mit der Begründung, der Druckbehälter in Leibstadt sei mit einem anderen Verfahren hergestellt worden. Diese Begründung ist für Greenpeace Schweiz nachgerade haltlos: «Auch ein anderes Herstellungsverfahren könnte Schwachstellen verursachen, ebenso die Extrembedingungen des Betriebs.»
Schwachstellen, die sich kaum reparieren lassen
Eine Frage stellt sich unweigerlich: Kann man überhaupt mit den jetzt vorgesehenen Tests garantieren, dass ein Wiederanfahren ungefährlich ist? Nein, laut Greenpeace kann man nur höhere Sicherheitsmargen vorsehen: Die Tatsache, dass Schwachstellen vorhanden sind, schwächt somit die gesamte Sicherheit des Druckbehälters – Schwachstellen, die sich kaum reparieren lassen; sie befinden sich nämlich in einer 15 cm dicken Wand und sind kaum zugänglich. Also kann das ENSI vor allem eines fordern: Eine geringere Beanspruchung des Druckbehälters. Erreichen lässt sich dies zum Beispiel durch tiefere Temperaturen, ein geringeres Strahlungsniveau oder eben eine kürzere Lebensdauer, begrenzt diese doch die Beanspruchung sowie das Versagerrisiko.
Berechnungen zu Erdbeben nicht mehr gültig?
Nach Befunden in Beznau 1 sollen die Berechnungen betreffend Erdbeben nicht mehr gültig sein. Immer wieder versicherten AKW Betreiber und das ENSI, die Schweizer Atomkraftwerke hätten beim EU-Stresstest sogar Bestnoten erhalten. Laut Greenpeace Schweiz wird dies jedoch heute widerlegt, denn: Ultraschall-Messungen am Reaktordruckbehälter gehörten nicht zum Stresstest. Der Befund in Beznau zeige vielmehr, dass der Stresstest wichtige Aspekte der nuklearen Sicherheit gar nicht untersucht habe und folglich völlig unzureichend sei.
Unabhängige Expertenkommission nötig
Greenpeace fordert, dass das ENSI eine unabhängige Expertenkommission einsetzt, die der Aufsichtsbehörde eine entsprechende «Empfehlung» abgibt. Laut Greenpeace Schweiz könnte das ENSI so den auf ihm lastenden Druck reduzieren und seine eigene Unabhängigkeit stärken. «Die Kommission muss aus Experten zusammengesetzt sein, die völlig unabhängig von den Atomkraftwerk-Betreibern sind», so Florian Kasser.
Hintergrundinformationen und Fazit von Greenpeace Schweiz
Fazit aus der Pressedokumentation mit diversen Hintergrundinformationen, zusammengestellt von Thomas Mäder, Medienverantwortlicher Greenpeace Schweiz: «In der kommenden Herbstsession berät der Ständerat die Energiestrategie 2050 und damit den Atomausstieg. Mit der Entdeckung der Schwachstellen im Reaktordruckbehälter von Beznau 1 werden jetzt die Karten neu gemischt. Die Vorfälle im AKW Beznau 1 betreffen das Herzstück des AKW, den Reaktordruckbehälter. Dieser lässt sich aber nicht austauschen oder nachrüsten. Die einzige vernünftige Massnahme ist daher, das älteste AKW der Welt endgültig vom Netz zu nehmen. Ein Betrieb von bis zu 60 Jahren, wie vom Nationalrat beschlossen, ist völlig unverantwortlich. Es ist auch ungenügend, dass die Aufsichtsbehörde ENSI im Langzeitbetriebskonzept lediglich den sicheren Betrieb verlangen soll, wie dies der Nationalrat beschlossen hat. Das jüngste Vorkommnis in Beznau zeigt: Je älter die AKW werden, desto unberechenbarer wird ihr Betrieb. Um die Risiken zumindest teilweise zu kompensieren, muss ein mit dem Alter zunehmender Sicherheitspuffer grundlegende Anforderungen an ein Langzeitbetriebskonzept sein.»
Forderungen von Greenpeace Schweiz:
- Definitive Abschaltung von Beznau 1 und 2
- Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission bei der Überprüfung der Schwachstellen in Beznau 1
- Umfassende Transparenz: Veröffentlichung aller verfügbarer sicherheitstechnischer Analysen; Bekanntgabe von Anzahl und Grösse der Schwachstellen in Beznau 1
- Vollständige Überprüfung der Reaktordruckbehälter sämtlicher Schweizer AKW.
©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch
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