„Was wir brauchen, ist eine deutliche Vereinfachung der Verfahren und der einzuhaltenden Normen!“ fordert Adrian Kottmann. Bild: BE Netz

„Die Energiewende ist ein gemeinsames Projekt der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Gesellschaft“, erklärte Marius Fischer. Bild: BE Netz

Vergleich der Normen, die es für den Betrieb einer Sprengstofffirma braucht,...

...mit denen für den Betrieb einer Photovoltaikanlage. Die Überregulierung bei der Photovoltaik ist frappant! Grafik: BE Netz

Netzspezialist Roman Tschanz: „Schon heute steht fest, dass die Anlagen im Niederspannungs- und Kommunikationsbereich stärker vernetzt sein werden, die Leitungen zu den grossen Kraftwerken werden indes weniger belastet sein.“ Bilder: BE Netz

BE Netz: Geballtes Fachwissen an Fachtagung „sonne bewegt“

(©AN) „Zuerst wurden wir als Solarspezialisten der Ökosteinzeit zugeordnet, dann als Baunebengewerbe eingestuft, das sich in die Architektur einmischt, und heute sieht die Politik die Solarenergie als Pfeiler der Energiestrategie 2050,“ leitete Marius Fischer, Geschäftsführer des Solarspezialisten BE Netz die Fachtagung sonne bewegt von BE Netz ein, dem Solarspezialisten aus Ebikon.


„Wir füllen die Werkstatt. Alle sind gekommen, um zu hören, wie das geht. Alle wollen saubere Energie, die Gesellschaft akzeptiert den Wandel zur Solarenergie“, fuhr Marius Fischer fort. Die Werkstattgespräche sonne bewegt, an denen rund 200 Personen teilnahmen, fanden am 27. und 28. Februar in der Werkstatt der BE Netz statt. „Die Energiewende ist ein gemeinsames Projekt der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Gesellschaft“, erklärte Marius Fischer. „Oft wird behauptet, sie könne nicht gelingen, weil man die Komplexität des Zusammenspiels nicht kenne, sondern nur einen Teilbereich. Wir möchten Sie mit unserem Anlass soweit darüber informieren, dass auch Sie in Zukunft auf Augenhöhe mitdiskutieren können!“

Energiewelt 2050?

„2050 wird unsere Mobilität vor allem elektrisch sein“, erklärte Adrian Kottmann, Inhaber und Verwaltungsratspräsident der BE Netz. „Und in den Gebäuden werden wir mit Hybridmodulen einerseits Strom produzieren und andererseits im Sommer Wärme ernten und sie im Winter für die Heizung brauchen, zwischengelagert wird sie im Erdreich.“ Eine erste solche Siedlung baut die BE Netz übrigens gerade in Rotkreuz. Die Energieversorger würden 2050 nicht mehr primär selber Strom produzieren, sondern die Energie als Produkt vermarkten. Als Parallele zieht er den Umbau der PTT zur Swisscom heran. „Es wird selbstverständlich sein, dass Energie auf den Hausdächern produziert wird.“ Wie das auch ästhetisch schön geht, zeigt BE Netz schon heute. „Was wir aber noch brauchen, ist eine deutliche Vereinfachung der Verfahren und der einzuhaltenden Normen!“ fordert Adrian Kottmann. Auf einer Folie verglich er die Normen, die es für den Betrieb einer Sprengstoff-Firma braucht, mit denen für den Betrieb einer Photovoltaikanlage. Die Überregulierung bei der Photovoltaik ist frappant!

Effizienz in Gebäude, Industrie und Verkehr
„Die Photovoltaik ist in der Schweiz prädestiniert, neben der Wasserkraft der wichtigste Pfeiler unserer Energieversorgung zu werden“, ist Roger Nordmann, Nationalrat und Präsident des Branchenverbands Swissolar überzeugt. „Oft wird Bundesrätin Doris Leuthard vorgeworfen, die Energiestrategie konzentriere sich nur auf den Atomausstieg, das ist aber mehr als falsch“, erklärte Roger Nordmann, Nationalrat und Präsident des Branchenverbands Swissolar: „Denn sie ist in erster Linie eine Effizienzstrategie Gebäude, Industrie und Verkehr. Das macht auch Sinn. Ziel ist eine zu 72 % erneuerbare Energieversorgung bis 2050.“ So soll zum Beispiel der Energiebedarf von Gebäuden bis 2035 von heute 58 auf 33 Mrd. Kilowattstunden gesenkt werden. Das sei auch höchst vernünftig, denn es sei inzwischen unbestritten, dass 2005 der Peak bei der Förderung von konventionellem Öl erreicht worden sei. „Jetzt wird es nur noch teurer mit Schieferöl und Teersanden“. Zudem sei es unsinnig, jährlich Milliarden Franken für den Kauf fossiler Energie auszugeben.

Auch wenn der Strom sowohl bei der Wärmeerzeugung wie auch bei der Mobilität eine immer wichtigere Rolle spielt, ist das Ziel, den Stromverbrauch auf dem heutigen Niveau zu stabilisieren. Und um die Stromproduktion der AKW zu kompensieren, sei die Photovoltaik prädestiniert, da dezentral auf unseren Dächern genügend Platz sei. Swissolar hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 20 % des Stroms solar zu produzieren. 12 m2 Dachfläche pro Kopf seien dafür nötig: „Da pro Person 52 m2 verfügbar sind, ist es also kein Problem auch noch Sonnenkollektoren für die Warmwasser- und Heizungsunterstützung dazu zu bauen“.

Höchst effiziente Elektromobilität

„45 % der CO2-Emissionen und ein Drittel des Gesamtenergieverbrauchs der Schweiz gehen auf das Konto der Mobilität, notabene fossiler Energie,“ rechnete Karin Schulte von m-way, ein auf Elektromobilität spezialisiertes Tochterunternehmen der Migros, vor. „Beim Verbrennungsmotor verpuffen 75 % der eingesetzten Energie, nur gerade 25 % werden in die Fortbewegung umgesetzt“, fügte sie an. Elektroautos setzten dagegen 70 % der Energie in die Fortbewegung um. Nach sehr zurückhaltenden Jahren gewinne die Elektromobilität zuerst bei den E-Bikes und nun bei den Elektroautos an Fahrt.

Alternativen zu Geboten oder Verboten

„Der Einfluss des Preises auf den Verbrauch ist eindeutig“, erklärte Andreas Diekmann, Professor an der ETH Zürich, der zum Thema „Alternativen zu Geboten oder Verboten“ referierte. So habe die USA 2004 aufgrund von sehr günstigen fossilen Energien lange einen doppelt so hohen CO2-Ausstoss gehabt wie zum Bespiel die EU oder Japan. „Der höhere Verbrauch von Autos ging mit einem Aufbau einer Infrastruktur einher, der nur aufgrund des günstigen Treibstoffs möglich war.“ Er sprach sich für Zertifikate für fossile Energien aus und relativierte dies gleich mit dem Beispiel der CO2-Zertifikate in der EU: Da bei der Lancierung die Industrie und die Kraftwerke viel zu viele Zertifikate erhalten hätten, sei heute der Preis im Keller. So dass Deutschland munter viel zu viel Kohlestrom produziere und diesen zu Spotpreisen exportiere. Anhand von verschieden Beispielen erklärte er, dass er einerseits ein Fan von monetären Anreizen sei, die durch sogenannte „Soft Incentives“ ergänzt würden, wie zum Beispiel dadurch, dass der Stromkunde automatisch grünen Strom erhalte, wenn er nicht ausdrücklich grauen Strom wünsche.


80 % Energie im Gebäude einsparen
An den Werkstattgesprächen vom Samstag zeigte Gallus Gadenau von der Solaragentur, die jährlich den Schweizer Solarpreis vergibt, auf, wie schon heute bei Sanierungen Ein- und Mehrfamilienhäuser und Gewerbebauten zu sogenannten Plus-Energie-Bauten werden: „Heute kann bei den Sanierungen 80 % der Energie für Heizung und Warmwasser ganz einfach eingespart werden. Und dank der Photovoltaik produzieren die Gebäude danach bis zu 300 % mehr Energie, als sie selber brauchen!“ Er forderte eine „Dursetzungsinitiative“ im Energiebereich: Denn heute importiert die Schweiz 80 % ihres Energieverbrauchs.

Der Architekt Philippe Künzler von but Bau Umwelt Technik in Luzern präsentierte die Lehrstücke seiner Arbeit mit der Solarenergie. An einigen Beispielen zeigte er auf, wie Bauherren es trotz nicht so hoher Mehrkosten verpassen, die Solarenergie ins Gebäude zu integrieren. „Es ist heute gar nicht so schwierig, dank den hohen Energieerträgen der Photovoltaik in Kombination mit einer Wärmepumpe Gebäude auf den Minergiestandard oder gar auf ein Plus-Energie-Haus zu trimmen“, erklärte er. Oft auch, ohne dass die Fassade gedämmt und damit schöne Häuser ihr Gesicht verändern müssten. „Die heutigen Baustandards sind in Bezug auf die Energie ein Witz, und es ist ein Leichtes sie zu unterschreiten“, ist er überzeugt, oft werde aber nur das Minimum gemacht.



Acht Monate Bewilligungsfrist für Netzanpassungen

Roman Tschanz, Projektleiter beim Zuger Energieversorgungsunternehmen WWZ (Wasserwerke Zug AG), zeigte am Samstag auf, was die dezentrale Stromproduktion für regionale und lokale Netzbetreiber bedeutet: ein fundamentales Umdenken und eine grundlegende Umstrukturierung des Netzes. Wurde früher der Strom von Grosskraftwerken hinunter in die Regionen und dann in die Dörfer zu den Kunden transportiert, wird mit der Energiewende jetzt direkt in den Dörfern und auf Bauernhöfen produziert. Die Niederspannungsnetze müssen folglich angepasst werden, da der Strom vermehrt dort hin- und her verschoben wird. Ein Gespräch mit dem Netzfachmann.

Herr Tschanz, Sie sind als Energieversorger täglich mit der Energiewende beschäftigt. Welche Chancen bietet sie?
Ich denke, dass sie uns die Chance bietet, von Anfang an dabei zu sein und unsere Dienstleistungen von Anfang an anbieten und weiterentwickeln zu können. Das Energiegeschäft wird sich verändern, wie Adrian Kottmann an der Tagung am Beispiel der Entwicklung der PTT zur Swisscom bildlich erklärt hat. Als Energieversorger werden wir zunehmend schweizweit Energie verkaufen, also auch ausserhalb unseres angestammten Netzgebiets. Als Netzbetreiber werden wir zudem mehr und mehr zum Verwalter von Energie, den es immer noch braucht.

Aus Sicht des Netzbetreibers bietet uns die dezentrale Einspeisung die Chance, insbesondere ältere Anlagen im ländlichen Raum auf den neusten Stand bringen zu können und sie effizienter, wartungsarmer und sicherer zu machen. Damit erhöhen wir nicht zuletzt auch die Arbeitssicherheit für unsere Mitarbeiter. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass wir im Rahmen entsprechender Netzanpassungen auch Freileitungen im Niederspannungsbereich ins Erdreich verlegen und damit die Versorgungssicherheit erhöhen können.

Welche Herausforderungen müssen Sie aufgrund der neuen dezentralen Anlagen lösen?
Eine grosse Herausforderung ist die langfristige Netzplanung. Anders als in der Vergangenheit gilt es Vorhaben von dezentralen Anlagebetreibern zu berücksichtigen. Und diese frühzeitig zu kennen, ist nicht immer einfach. Dadurch wird das Erstellen von Netzkonzepten schwieriger.

Eine weitere Herausforderung bilden grosse Photovoltaikanlagen auf Landwirtschaftsbetrieben. Während in den Dörfern das Netz aufgrund der stetigen Veränderungen laufend modernisiert und angepasst wird und Neuanlagen rasch ans Netz angeschlossen werden können, ist der Anschluss von Anlagen im weitmaschigen ländlichen Raum fast immer mit grösseren Netzanpassungen verbunden. Wenn wir eine Netzanpassung für einen Bauernhof planen, fragen wir deshalb gleich auch bei den umliegenden Höfen an, ob eine Solarstromanlage angedacht ist, damit wir die langfristigen Leistungsanforderungen beim Netzbau frühzeitig berücksichtigen können.

Wird das Netz durch die vielen dezentralen Anlagen sicherer oder unsicherer?
Wenn viele kleine Anlagen Strom einspeisen, betrifft ein Netzausfall tendenziell weniger Haushalte, das Netz wird dadurch also sicherer. Was wir aber brauchen, sind Standards, damit alle Anlagen auch verlässlich laufen, zumal gewisse Projekte auch mit technischen Anpassungen auf der Produzentenseite verbunden sind, die wir als Netzbetreiber nicht kontrollieren können. Anlagen bis 30 kW Leistung beispielsweise müssen heute weder beglaubigt noch abgenommen werden. Unser Unternehmen bietet, wie übrigens auch BE Netz, den Anlagebesitzern die Dienstleistung an, einen Sicherheitsnachweis für ihre Anlage zu erstellen und empfiehlt diesen auch für Anlagen unter 30 kW.

Was würden Sie sich von Anlageplanern und Installateuren als Netzbetreiber wünschen?
Zum einen, dass uns die Projekte so früh wie möglich gemeldet werden. Im ländlichen Raum zum Beispiel kann bereits eine Anlage mit 10 kW Leistung eine Netzanpassung bedingen. Für solche Netzanpassungen müssen wir ebenso wie im städtischen Bereich eine Bewilligung einholen, und es kann bis zu acht Monate dauern, bis wir diese erhalten. Des Weiteren ist ideal, wenn uns mit der Projektankündigung auch ein Situationsplan inklusive technischer Anschlusslösung mitgeliefert wird. Oft stimmen zum Beispiel bei Bauernhäusern der Standort der Anlage und der Einspeisepunkt nicht überein, sind also die Anlagen auf Schöpfen oder Ställen geplant, während sich der Netzanschluss aber in der Nähe des Wohnhauses befindet.

Je nach Anschlusskonzept können neue und komplexe Probleme das Netz zusätzlich belasten. Um diese Belastungen abzuschätzen und mittels Berechnungen die Netzrückwirkungen vernünftig zu beurteilen, braucht es genügend Vorlaufzeit.

Wie sieht Ihrer Meinung die Netzstruktur in 10 Jahren aus?
Schon heute steht fest, dass die Anlagen im Niederspannungs- und Kommunikationsbereich stärker vernetzt sein werden, die Leitungen zu den grossen Kraftwerken werden indes weniger belastet sein. Die Netze werden einerseits eine tiefere Grundlast aufweisen, andererseits werden schnellere Reaktionszeiten nötig sein. Die Auslegung der Netze als Rückversicherung bei lokalen Produktionsausfällen wird trotz der tieferen Energiebelastung nicht kleiner.

©Text: Anita Niederhäusern, Bilder: BE Netz

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