Noch gibt es bei den Energievorhersagen Spielraum für Verbesserungen der Solar- und Windprognosen. ©Bild: Bundesverband Windenergie/ Marvin Schnell

Wind- und Solarstrom: Produktionsprognosen werden präziser

(©SR) Um Ökostrom vermarkten und den Einsatz von Regelleistung planen zu können, sind exakte Vorhersagen der Einspeisemengen nötig. Wissenschaftler und Firmen erzielen in dem jungen Marktsegment stetige Fortschritte. Ein Knackpunkt sind die fehlenden Daten: Je mehr Leistungsdaten vorliegen, desto besser wird die Prognose.


Präzise Wind- und Solarprognosen werden für die Energiebranche immer wichtiger. Sie sind nötig, um Ökostrom gezielt und gewinnbringend an der Börse zu verkaufen. Und sie helfen Netzbetreibern, die schwankende Einspeisung von Wind- und Solarstrom besser auszugleichen – für eine sichere Stromversorgung ist die Balance in den Netzen die entscheidende Voraussetzung. Noch gibt es bei den Energievorhersagen Spielraum für Verbesserungen. Die Firmen befassen sich erst seit wenigen Jahren mit der komplexen Materie, die Fehlerquote der Prognosen der viertelstündlichen Windstrommengen am Folgetag liegt in Deutschland deshalb aktuell noch bei durchschnittlich 3.2 bis 3.3 Prozent. Aber Wissenschaftler sehen Optimierungspotenzial. „Die Prognosefehler lassen sich weiter reduzieren“, sagt Malte Siefert vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (Iwes).

Forschungsprojekt Eweline
Das Forschungsprojekt Eweline (Erstellung innovativer Wetter- und Leistungsprognosemodelle für die Netzintegration wetterabhängiger Energieträger), das der Physiker leitet, könnte bald einen entscheidenden Fortschritt bringen. Im Rahmen des vom deutschen Bund mit rund sieben Millionen Euro geförderten Vorhabens wollen Wissenschaftler des Iwes, des Deutschen Wetterdiensts (DWD) sowie die drei Übertragungsnetzbetreiber Amprion, Tennet und 50Hertz bis 2016 ein neues Wettermodell entwickeln, in das erstmals direkt auch detaillierte Windleistungs- und Photovoltaik-Messungen einfliessen. Kein leichtes Vorhaben, denn die Datengrundlage ist spärlich. Informationen zu den Anlagen liegen bisher kaum vor, weil Betreiber in Deutschland nicht verpflichtet sind, ihre Einspeisewerte zur Optimierung des gesamten Energiesystems an eine zentrale Stelle wie die deutsche Bundesnetzagentur (BNetzA) weiterzuleiten.

Fehlende Messdaten sind bisher auch das grösste Problem der Prognoseanbieter. Für ihre Leistungsprognosen berücksichtigen sie Wettervorhersagen verschiedener Wetterdienste sowie die lokalen Gegebenheiten am Standort eines Ökokraftwerks, etwa Geländedaten. Könnten sie ihre Vorhersagen mit Echtzeitwerten der tatsächlichen Einspeisung verifizieren, wären sie deutlich exakter. Für Eweline haben die Teilnehmer das Problem gelöst. Über viele Monate haben sie verschiedene Quellen für historische und Echtzeitdaten aufgetan, etwa Betreiber und Direktvermarkter. Inzwischen sind die Wissenschaftler dabei, die Daten zur Prognoseberechnung in die Wettermodelle des DWD zu überführen. Erste positive Hinweise gebe es schon, sagt Siefert. „Unsere Annahme scheint sich zu bestätigen: Je mehr Leistungsdaten vorliegen, desto besser wird die Prognose.“

Schwierige Berechnungen

Eweline soll aber nicht nur einen Weg zu besseren Leistungsprognosen aufzeigen. Die Wissenschaftler wollen künftig auch genau sagen können, wie wahrscheinlich eine Leistungsprognose eintrifft. Mit welcher Wahrscheinlichkeit wird wann eine gewisse Windleistung mindestens erreicht? Netzbetreiber könnten mit solchen Angaben genauer abschätzen, wie viel Regelleistung sie vorhalten müssen, um Schwankungen auf dem Strommarkt auszugleichen. Damit Wahrscheinlichkeitsangaben möglich sind, lassen die Forscher ein Wettermodell mehrmals mit leicht veränderten Anfangsbedingungen laufen, etwa mit verschiedenen Starttemperaturen. Ähneln sich die Ergebnisse, kann von stabilen Verhältnissen in der Atmosphäre und einer sicheren Vorhersage ausgegangen werden. Streuen die Ergebnisse dagegen, deutet dies auf eine instabile Wetterlage mit unsicheren Prognosen hin. Ein Netzbetreiber würde in diesem Fall wahrscheinlich mehr Reserven einplanen.

Fehlerquote auf unter 1%
Die Karlsruher Firma European Weather Consult (EWC) und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) verfolgen im Projekt „Windsage“, das die deutsche Bundesregierung mit 110‘000 Euro fördert, einen anderen Ansatz zur Prognoseverbesserung. Bisher werden für Leistungsvorhersagen in der Regel zwei bis drei Wettermodelle genutzt, bei Windsage verwenden die Teilnehmer nach Angaben von EWC-Projektleiter Jérémy Sack insgesamt zehn verschiedene Modelle, die zusätzlich mit Prognosen der vergangenen zwei bis drei Jahre abgeglichen werden. Eine neue Software ermöglicht die komplexen Berechnungen. Sie bewertet die Wetterdaten und wählt die optimale Kombination und Gewichtung von Prognosen und Bodenmessdaten aus. „Auf diese Weise wollen wir die Fehlerquote der Windprognose auf weniger als drei Prozent senken“, erklärt Sack.

Neuronale Netze
Hinter dem neuen Verfahren steht künstliche Intelligenz. Sämtliche Daten werden durch einen komplexen, am ZSW entwickelten Algorithmus verarbeitet und zu sogenannten neuronalen Netzen verknüpft. Sie funktionieren wie ein menschliches Gehirn und ziehen aus den Zusammenhängen von Wetterdaten und der Stromproduktion von Windturbinen und Solaranlagen über Erfahrungen aus der Vergangenheit Schlüsse für die zu erwartende Energieeinspeisung. Laut Sack werden neuronale Netze zwar bereits heute für Leistungsprognosen eingesetzt, doch basiere das bei Windsage eingesetzte System auf einem neuen Design, das noch präzisere Vorhersagen ermögliche. „Es nutzt nicht nur einzelne Zeitreihen, sondern auch räumliche Informationen der Wettermodelle.“

Neue Verfahren
Stromhändler und Netzbetreiber müssen sich aber nicht gedulden, bis die genannten Forschungsprojekte abgeschlossen sind. Auch die Prognosedienstleister optimieren ihre Vorhersagen stetig weiter. Die Oldenburger Firma Energy & Meteo bildet die Speerspitze. Sie hat eine Methode entwickelt, um zu bewerten, welcher Wetterdienst für die vorliegende Wettersituation jeweils die beste Vorhersage liefert. Diese wird dann in der Leistungsvorhersage am höchsten gewichtet. Ausserdem hat Energy & Meteo über Jahre an Algorithmen gefeilt und Datenquellen aufgetan, um seine Prognosen zu veredeln. Diese Grundlagen wollen auch jüngere Marktteilnehmer schaffen. Die Kasseler Firma Enercast etwa hat nach Angaben von Geschäftsführer Thomas Landgraf seinen Datenpool von sechs auf zehn Wettermodelle vergrössert und zudem eine neue „Prognose-Maschine“ entwickelt, die die vielen Daten auch verarbeiten kann. „Unseren Prognosen liegt nun ein wesentlich leistungsstärkeres Rechenwerk zugrunde, das auch exotische Wetterereignisse berücksichtigen kann und somit präzisere Vorhersagen ermöglicht“, erklärt Landgraf. Auch Enercast nutzt für seine Prognosen neuronale Netze, deren Weiterentwicklung das Unternehmen gemeinsam mit dem Iwes seit Jahren vorantreibt. Wenn sich etwa in westlicher Himmelsrichtung einer Windturbine eine Erhebung befindet oder eine andere Anlage, lernt das System, dass bei Wind aus westlicher Richtung eine Verschattung der Turbine eintrifft. Der Vorteil: Die Verschattung muss nicht explizit aufgenommen oder modelliert werden, sondern sie wird infolge der Erfahrungen, die das System macht, erlernt. Ausserdem werden neuronale Netze intelligenter, je länger sie Daten erhalten. Ein modelliertes System bleibt dagegen in der Vergangenheit stehen und muss manuell auf den neuesten Stand gebracht werden.

Alle fünf Minuten
Die Krefelder Firma Energy Weather wiederum hat eine neue, viel versprechende Methode für die Solarleistungsprognose entwickelt. In der Regel verwenden Anbieter hierfür statistische Methoden, das heisst sie stützen sich auf das Anlagenkataster der deutschen Bundesnetzagentur BNetzA und kombinieren diese Stammdaten wie Leistung und Ausrichtung mit verfügbaren aktuellen und historischen Einspeisewerten. „Wir gründen unsere Vorhersagen dagegen auf die physikalische Berechnung der erwarteten Sonneneinstrahlung“, sagt Firmenchef Robin Girmes. Dafür berechne er unter Berücksichtigung der BNetzA-Stammdaten alle fünf Minuten, wie viel Solarleistung in Deutschland erzeugt werden würde, wenn der Himmel wolkenlos wäre. Daraus ergebe sich über den Tagesverlauf eine Maximalkurve als Anhaltspunkt. Dazu kämen dann die Informationen aus Wettermodellen, die schliesslich Aussagen darüber ermöglichten, wie viel der Maximalleistung tatsächlich erreicht wird. „Wir kommen mit diesem Modell auf eine Fehlerquote der Day-Ahead-Prognose von drei Prozent. Damit liegen wir ziemlich weit vorne“, sagt Girmes.

Text: Sascha Rentzing

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