Urs Elber, Geschäftsführer des Forschungsschwerpunkts «Energie», erklärt, wie sich die Energieversorgung in den nächsten Jahren ändern wird und wie die Empa diesen Wandel begleitet. ©Bild: Empa

Urs Elber: «Die Energiezukunft gibt‘s nicht einfach so»

(©RK/Empa) Urs Elber, Geschäftsführer des Forschungsschwerpunkts «Energie» der Empa, erklärt, wie sich die Energieversorgung in den nächsten Jahren ändern wird und wie die Empa diesen Wandel begleitet. Rund 40% aller Empa-Forschungsprojekte betreffen den Energiebereich, die meisten davon mit externen Partnern aus Forschung und Industrie, zum Beispiel die neuen Forschungsplattformen «NEST» und «Future Mobility».


Herr Elber, warum braucht die Energieforschung der Empa einen
Geschäftsführer?
Für die neu geschaffene Stelle gibt es verschiedene Gründe: Rund 40% aller Empa-Forschungsprojekte betreffen den Energiebereich, die meisten davon mit externen Partnern aus Forschung und Industrie, zum Beispiel die neuen Forschungsplattformen «NEST» und «Future Mobility», bei denen Systemaspekte eine bedeutende Rolle spielen. Energieforschung wird also zunehmend komplexer. Forschung im Bereich Batterien, Solarzellen, CO2-Abscheidung und vieles mehr ist an und für sich nicht neu. Es ist aber notwendig, dass wir je länger je mehr in grösseren Zusammenhängen denken, forschen und handeln – also vom Ernten und Transport der Energie über das Speichern und Umwandeln bis hin zur Steuerung des Verbrauchs. Eine derartige Gesamtbetrachtung zu unterstützen ist Teil meines Jobs hier an der Empa. So können wir in Zusammenarbeit mit sämtlichen am Prozess Beteiligten – nicht nur aus der Forschung – Lösungsansätze für unsere Energiezukunft generieren.

Hört sich nach einer sehr integrativen, vernetzten Tätigkeit an.
Stimmt genau. Und dazu kommt dann noch der gesellschaftliche Aspekt. In der Energiestrategie 2050 des Bundes sind konkrete Ziele definiert. Unsere Aufgabe ist es nun, Optionen zu erarbeiten, die uns dabei helfen, diese Ziele zu erreichen. Deshalb wurden ja auch zusätzliche Bundesmittel für den Aktionsplan koordinierte Energieforschung bereitgestellt. Dabei liegen die Optionen nicht nur in der Materialforschung: Eine neue Batterie hier oder eine bessere Solarzelle dort werden die Energiefrage alleine nicht lösen können. Die Antwort liegt vielmehr in systemischen und konkreten Anwendungsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben. Welche dieser Optionen sich am Ende durchsetzen werden, hängen von ökonomischen und gesellschaftlichen Entscheidungen ab. Wir als Bürger müssen am Ende nicht nur darüber entscheiden, welche Art von Energie wir wollen, sondern vor allem auch, welchen Paradigmenwechsel wir dafür in Kauf zu nehmen bereit sind. Denn jede Option wird auch Nachteile haben.

Können Sie das näher ausführen? Wenn ich mir beispielsweise eine Solaranlage aufs Dach setze und damit Ökostrom ernte – wo ist da der Nachteil?
Zunächst haben Solarpanels noch ein enormes Verbesserungspotenzial: effizientere, billigere und besser integrierbare Module, weniger CO2-belastete Herstellungsmethoden etc. Und dann kann es vor allem im Sommer, wenn viel Solarleistung ins Netz einspeist wird, dazu kommen, dass mehr Solarstrom erzeugt wird als zu diesem Zeitpunkt benötigt. Das bedeutet, dass das Energiesystem viel flexibler werden muss. Beispielsweise müssen wir Speicher, auch saisonale, entwickeln, um diese Überschüsse abzufangen. Dazu müssen wir neue Wege suchen.

Zum Beispiel?
Eigentlich kann man ja nie «zu viel» Solarenergie haben; man muss lediglich die Menge, die nicht vom Stromnetz aufgenommen oder direkt gespeichert werden kann, in andere Bereiche überführen – etwa in die Mobilität. Man kann Elektroautos aufladen, solaren Wasserstoff für Brennstoffzellenfahrzeuge herstellen oder aus diesem und dem Treibhausgas CO2 synthetisches Erdgas erzeugen. Wir brauchen an heissen Sommertagen keine Solarenergie zum Heizen – aber wir können immerhin damit fahren und so mehr und mehr importierte fossile Energie ersetzen. Eine zweite Möglichkeit sind effiziente Langzeitspeicher. Und schliesslich können wir den Verbrauch so steuern, dass er mit der Erzeugung besser übereinstimmt. Wenn also immer mehr Solarzellen auf Hausdächern montiert werden, wirft dies Folgefragen auf. Aber die sind lösbar.

Heisst das, wir haben an der Energieerzeugung schon relativ viel erforscht – aber uns um die Verteilung der Energie noch zu wenig gekümmert?
Bis jetzt war das System verbrauchsgesteuert. Man hat so viel Strom erzeugt, wie gerade Leistung gebraucht wurde. Jetzt kommen wir mit diesem Ansatz nicht mehr weiter. Wir müssen ein Gleichgewicht herstellen zwischen den herkömmlichen und den neuen Energien wie Solar- und Windenergie – die manchmal verfügbar sind, manchmal nicht – einerseits und dem Verbrauch andererseits. Das kann man durch die Umwandlung in andere Energieformen erreichen, zentral oder dezentral, oder durch neue Vertriebsmodelle, die darauf abzielen, dass man vor allem dann Energie verbraucht, wenn diese verfügbar ist. Und je weniger Energie wir verbrauchen, etwa durch Effizienzmassnahmen, desto kleiner wird die Herausforderung.

Strom- und Gasnetze sind vor rund 150 Jahren entstanden. Wie müssen diese Netze umgebaut werden, um den neuen Anforderungen zu genügen?
Das Stromnetz hat ein prinzipielles Problem: Es ist nicht sehr flexibel; Strom, der irgendwo eingespeist wird, muss im gleichen Moment auch irgendwo abgenommen werden. Und ausgerechnet so ein Netz muss nun mit immer mehr nicht-konstanten Stromerzeugern zurechtkommen. Neue Technologien helfen, die Übertragungsnetze zu erweitern und besser zu nutzen, zum Beispiel über Hochspannungs-Gleichstromübertragung und mittels «Smart Grid». Demgegenüber ist das Gasnetz sehr flexibel – es kann auf gleichem Raum weit grössere Mengen Energie transportieren und erst noch viel Energie speichern. Doch bis jetzt nutzen wir diese Fähigkeiten kaum. Die Frage liegt also nahe: Kann ich die Probleme des einen Netzes mit Hilfe des anderen lösen? Wir müssen herausfinden, ob und wie wir die beiden Welten miteinander verbinden können.

Wie kann die Forschung auf diese Herausforderung reagieren? Welche Forschungsaktivitäten sollte man verstärken? Und gibt es auch Bereiche, deren Förderung man reduzieren könnte?
In der Grundlagenforschung sollte man sicher nicht weniger tun. In diesem Bereich werden die Ideen kreiert, die wir später aufgreifen und weiterentwickeln können. Systemische Entwicklungen müssen aber noch intensiviert werden. Wir müssen Lösungen, die im Labor – gewissermassen auf der Intensivstation – gut funktionieren, tauglich machen für den Alltag. Das geht nicht in einem einzigen Schritt; dazu sind Demonstratoren notwendig, in denen sich die Labortechnik in grösserem Massstab erproben lässt und Erfahrungen gesammelt werden können. Erst nach diesem Schritt können wir Projekte zusammen mit der Industrie in die Praxis umsetzen. Direkt vom Labor «auf die Strasse», das geht in der Energiebranche selten.

Wie weiss man, was Sinn macht und was nicht?
Wir müssen genau wissen, welche Vorteile einer Technologie wir uns mit welchen Nachteilen erkaufen. Lebenszyklusanalysen zeigen dies auf. Oft ist das, was auf den ersten Blick gut und einleuchtend klingt, unterm Strich mit negativen Effekten verbunden. Dafür müssen wir Computermodelle entwickeln, die uns helfen, die Folgen abzuschätzen. Modelle sind keine Prognosen, helfen aber, uns eine gewisse Vorstellung zu geben. Ebenso wichtig wie der ökologische Nutzen ist die ökonomische Realität. Wir müssen uns immer auch fragen, ob und unter welchen Rahmenbedingungen eine Technologie oder ein System am Markt überhaupt eine Chance haben könnte.

Welche Rolle spielt die Empa dabei?
Zurzeit laufen an der Empa gleich mehrere Grossprojekte: «Future Mobility», eine Demonstrationsplattform für nachhaltige Mobilität, das Versuchsgebäude «NEST», der «Energy Hub» und die Neukonzeption der Areal-Energieversorgung. Diese Aktivitäten sind ideal, um verschiedene Forschungsgebiete transdisziplinär und konzeptionell miteinander zu verbinden. Die vernetzte Forschung ist dabei enorm wichtig, sowohl innerhalb der Empa als auch mit externen Partnern im ETH-Bereich sowie im Rahmen der neuen «Swiss Competence Centers for Energy Research» (SCCER). Meine Aufgabe ist die Unterstützung und weitere Vernetzung dieser Aktivitäten.

Sie haben die Rolle der Institutsübergreifenden Forschungsprojekte erwähnt, wie wichtig ist diese Zusammenarbeit?
Die ist zentral. Unter anderem mit dem «Competence Center for Energy and Mobility» (CCEM) hat der ETH-Bereich bereits 2006 erkannt, dass nicht alle alles in der gleichen Tiefe tun können und dass unsere komplexer werdende Welt immer mehr systemische Betrachtungen erfordert. Deshalb ist die Komplementarität der Forschung im ETH-Bereich enorm wichtig. Mit Vernetzung wird weniger Parallelforschung betrieben – und so Geld und Zeit gespart; die Akteure können sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Mit dem Paul Scherrer Institut (PSI) und den anderen ETH-Institutionen besteht im Energiebereich bereits eine sehr enge Zusammenarbeit. Ich sehe es als meine Aufgabe an, diese Zusammenarbeit weiter voranzutreiben.

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Was wird in den nächsten 35 Jahren beim Thema Energieversorgung passieren?
Nach meiner Einschätzung werden wir einen ähnlich drastischen Wandel erleben wie in der Telekommunikation in den vergangenen 20 Jahren, mit Paradigmenwechseln auf der Lieferanten- wie auf der Kundenseite. Damals gab es einen staatlichen Monopolisten, der alle Infrastrukturen und Services besass und die Technik bis zum Kunden betreute. Und heute? Bei der Übertragung dieses Modells auf die Energiewirtschaft muss man jedoch vorsichtig sein. Der Wandel wird langsamer und anders vonstattengehen, weil die Energieinfrastruktur sehr langfristig angelegt ist und der Effekt auf die Landschaft sich nicht verstecken lässt. Wir können auch nicht genau voraussagen, wann was passieren wird. Der technische Fortschritt wird uns in den nächsten 35 Jahren etliche Technologien bescheren, deren Bedeutung wir heute noch nicht einmal erahnen. 1992 konnte sich auch kaum jemand ein Smartphone vorstellen. Da stehen uns spannende Zeiten bevor – und es wird für alle Beteiligten viel zu tun geben.


Zur Person
Seit September 2014 fungiert Urs Elber als Geschäftsführer des Forschungsschwerpunkts «Energie» an der Empa. Seine Aufgabe ist es, neue Forschungsaktivitäten im Energiebereich in Gang zu bringen. Zugleich ist er für Industrie- und Forschungspartner der Empa Ansprechperson in Sachen Energiemanagement, -forschung und -planung. In mehr als 20 Jahren Berufserfahrung hat sich Elber ein profundes Wissen über die Schweizer Telekommunikations- und Energiebranche angeeignet: Er leitete verschiedene Wasser-, Wind-, Solar- und Biomassekraftwerke, war CEO der Holzenergie-Gruppe beim Stromversorger Axpo und managt als Geschäftsführer nach wie vor das Kompetenzzentrum des ETH-Bereichs für Energie und Mobilität (CCEM) am PSI. Nun will er die Kompetenzen der Empa im Bereich Energieforschung bündeln und sich mit den Schwesterinstituten des ETH-Bereichs noch enger vernetzen. Urs Elber ist kein Theoretiker: Auf dem Dach seines Hauses in Wangen bei Olten arbeitet seit mehr als 20 Jahren eine Photovoltaikanlage der ersten Generation.


Text: Rainer Klose, Empa, Ersterscheinung EmpaNews Januar 2015

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