Den Mehraufwand für die Planung und den Bau der Massanlagen müssen die Hersteller durch Einsparungen in der Produktion und Logistik kompensieren. ©Bild: Windstrom Vindvet/BWE

Windindustrie unter Druck: Verlangsamung nach Rekordjahr

(SR) Nach dem deutschen Rekordjahr 2014 wird sich gemäss Experten das weltweite Wachstum der Windenergie in den kommenden Jahren verlangsamen. Turbinenhersteller und Zulieferer stehen schwierige Zeiten bevor: Rasche technische Anpassungen der Komponenten, individuelle Lösungen und schnellere Lieferzeiten werden zur Pflicht.


Neuer Rekord für die Windbranche in Deutschland: Turbinen mit 3500 bis 3700 Megawatt Leistung wurden im vorigen Jahr hierzulande neu aufgestellt, nach 3238 Megawatt 2013. Damit hat die Branche ihr bisher bestes Ergebnis von 3247 Megawatt im Jahr 2002 übertroffen.

Nach 2500 MW ist Schluss
Das im August novellierte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) setzt der Windenergie aber nun engere Grenzen: Es erlaubt an Land nur noch einen jährlichen Zubau von 2500 Megawatt. Ausserdem erhalten Betreiber von Ökokraftwerken ab 2017 keine einheitlichen, festen Vergütungen mehr, sondern grüne Projekte werden ausgeschrieben: Wer am günstigsten baut, erhält den Zuschlag. Damit könnte die Windenergie für viele an Reiz verlieren.

Von 25 auf 4 Prozent
Auch international verlangsamt sich der Windkraft-Ausbau. Ab 2015 soll das globale Wachstum nach Schätzungen des deutschen Maschinenbauverbands VDMA von 25 Prozent 2014 auf fünf Prozent pro Jahr abebben. Vor allem in Europa droht eine Stagnation, da die Europäische Union EU-weite Ausschreibungen für Erneuerbaren-Projekte plant. In allen Ländern mit einer Einspeisevergütung für Ökostrom stehen die Fördermodelle deshalb auf dem Prüfstand.

Rahmenbedingungen ausschlaggebend
Die Windindustrie gerät damit unter starken Druck. Um erfolgreich zu bleiben, sind effizientere und kostengünstigere Turbinen nötig. In Deutschland sinkt die Einspeisevergütung für Anlagen an Land ab 2016 quartalsweise zwischen 0.4 und 1.2 Prozent. „Deshalb muss sehr genau auf die Rahmenbedingungen geachtet werden, damit die Wirtschaftlichkeit der Projekte noch gegeben ist“, sagt Klaus Schulze Langenhorst, Vizepräsident des Bundesverbands WindEnergie (BWE).

Lösungen für Schwachwind
Die Hersteller sputen sich deshalb mit Innovationen. Inzwischen führen fast alle Anbieter Turbinen mit besonders hoher Energieausbeute bei Schwachwind. Die Anlagen sind bei gleicher Leistung zum Teil deutlich grösser als ihre Vorgänger. Nordex zum Beispiel hat bei seiner Binnenlandmaschine N131/3000 den Rotordurchmesser um 14 Meter erhöht, um nach eigenen Angaben an weniger windreichen Standorten bis zu 30 Prozent Mehrertrag zu ermöglichen.

Immer individueller
Grössere Rotoren und höhere Türme allein reichen aber nicht. Da die Windkraft in immer kniffeligere Regionen mit strengeren Auflagen vordringt, müssen die Turbinen oft mit besonderen Zusatzfunktionen ausgestattet werden. Mal ist in einem Waldgebiet Brandschutz erforderlich, mal wird eine Blattheizung gegen Eisschlag benötigt oder müssen Windparks wegen Umweltauflagen zu bestimmten Zeiten automatisch abgeregelt werden. „Die Bestellungen werden individueller“, erklärt Nordex-Sprecher Ralf Peters.

Den Mehraufwand für die Planung und den Bau der Massanlagen müssen die Hersteller durch Einsparungen in der Produktion und Logistik kompensieren. Sie orientieren sich dabei an der Autoindustrie: Statt für jedes Modell eine eigene Bodengruppe mit passenden Motoren, Getrieben und Komponenten zu entwickeln, bauen die Autohersteller ähnliche Fahrzeuge auf der gleichen Basis. So sparen sie Zeit und Kosten.

Produktplattformen
Die Windindustrie will genauso vorgehen. Siemens hat bereits alle Anlagen unter dem Dach einer von insgesamt vier Produktplattformen mit den Namen G2, G4, D3 und D6 gebündelt, wobei G für einen Triebstrang mit Getriebe, D für Direktantrieb und die Ziffer für die Leistungsklasse steht. Jede Plattform besteht wiederum aus mehreren Modulen, wodurch innerhalb einer Plattform verschiedene Anlagentypen angeboten werden können. Dank der Modularisierung werde der gesamte Fertigungs- und Installationsprozess effizienter, heisst es bei Siemens.

„Just-in-Time“
Auch bei der Lagerung wollen die Turbinenhersteller Kosten sparen. Bisher arbeiteten sie mit hohen Lagerbeständen, um die Produktion nicht zu gefährden. Nun gehe die Entwicklung in Richtung „Just-in-Time“-Belieferungen, sagt Klaus Westhoff, Vertriebsleiter Service beim Bochumer Getriebehersteller Eickhoff. Bei diesem Verfahren wird das Material vom Zulieferbetrieb erst bei tatsächlichem Bedarf in die Fertigung des Abnehmers geliefert. „Die Hersteller wollen damit die Verweildauer der Hauptkomponenten im eigenen Lager und damit die Kapitalbindung verringern“, erklärt Westhoff.

Die genannten Entwicklungen stellen die Zulieferer auf eine harte Probe. Denn sie müssen einerseits ihre Komponenten anpassen und die zu den neuen Produktplattformen der Hersteller passenden Module entwickeln und sich andererseits auf kürzere Lieferzeiten einstellen. „Wir brauchen eine hohe Bereitschaft zu Flexibilität“, sagt Nordex-Sprecher Peters. Eickhoff-Mitarbeiter Westhoff erklärt, was das für den Nordex-Getriebelieferanten bedeutet: „Um die nötige Flexibilität sicherstellen zu können, werden wir künftig höhere Lagerbestände mit uns führen müssen. Das geht zwar zu Lasten unseres Kapitals, ist aber das Geschäft geworden.“

Überkapazitäten
Realität ist auch, dass viele Zulieferer bereits seit Jahren Überkapazitäten für die Produktion ihrer Komponenten vor sich herschieben, weil sie die globale Nachfrage überschätzt haben. Getrieberiese ZF Friedrichshafen beispielsweise investierte massiv in neue Produktionsstätten in den USA, konnte sie aber nie auslasten, da das Wachstum im US-Markt deutlich geringer ausfiel als angenommen. Die aus den Überkapazitäten resultierenden Leerkosten belasten bereits das Geschäft der Unternehmen.

Konkurrenz aus China
Dem Druck der Turbinenhersteller können sich die Zulieferer jedoch kaum entziehen, da sie die Aufträge sonst an asiatische Wettbewerber verlieren könnten. In China hat sich mittlerweile eine eigene Windindustrie entwickelt, und zwar nicht nur bei den Turbinenherstellern, sondern entlang der gesamten Wertschöpfungskette. „Nun drängt die Konkurrenz aus China auch in die USA und nach Europa“, erklärt Westhoff. Für diese These spricht etwa der Erfolg des chinesischen Getriebeherstellers Nanjing High Speed Gear Manufacturing, der den beiden grossen deutschen Getriebeanbietern Winergy und ZF in den USA bereits stark Konkurrenz macht.

Know-how ist entscheidend
Allerdings spricht auch vieles dafür, dass die deutschen Zulieferer erfolgreich bleiben. Wenn massgeschneiderte Turbinen und Just-in-time-Lieferungen gang und gäbe werden, führt an engen Kooperationen und kurzen Wegen zwischen Herstellern und Ausrüstern kein Weg vorbei. Diese Voraussetzungen lassen sich eher mit bestehenden Partnern in Deutschland als mit neuen Unternehmen erfüllen. Nordex will deshalb weiterhin auf die Expertise seiner bestehenden Ausrüster setzen. „Ihr Know-how ist für uns entscheidend“, sagt Peters. „Wir müssen nun überlegen, wie wir Technologien gemeinsam weiter entwickeln.“

An der technischen Kompetenz der deutschen Windausrüster kein Zweifel. Sie haben sich zum Innovationsmotor der Windindustrie entwickelt und mit ihren Lösungen dazu beigetragen, die Effizienz und den Ertrag von Turbinen zu steigern. Dafür haben sich die Firmen wiederum eng mit anderen Industrien verzahnt und profitieren von Technologietransfers aus diesen Branchen, etwa Sensoren und elektronischen Regelungen aus der Autoindustrie oder leichteren Materialien aus der Raumfahrt.

Grössere Komponenten integrieren
Eickhoff etwa arbeitet mit hohem Einsatz am Getriebe der Zukunft. Der Fokus der Bochumer liegt derzeit auf den Getriebeanpassungen für die schwächeren Binnenstandorte, denn bei der Vergrösserung der Rotorflächen bei gleichbleibender Anlagengrösse werden die Drehmomente für Getriebe deutlich grösser. Das bedeutet, dass Eickhoff auch grössere Komponenten integrieren muss. Um Kosten zu sparen und schneller auf Bestellungen reagieren zu können, optimiert das Unternehmen ausserdem seine Produktion. „Wir wollen die Prozesse schlanker machen, indem wir Baugruppen bilden“, sagt Westhoff.

Marktbereinigung bei Zulieferern
Auch Bosch Rexroth hat ein neues Getriebekonzept für Anlagen mit drei bis 4.5 Megawatt Leistung entwickelt. Mit einem kompakten Getriebe, das aus zwei in Reihe geschalteten Planeten- und einer nachgelagerten Stirnradstufe besteht, werden nach Angaben des Zulieferers die Stromgestehungskosten gesenkt und gleichzeitig die Zuverlässigkeit erhöht. Fakt bleibt allerdings: Das Geschäft der Zulieferer ist schwieriger geworden. Innovationsträge, unflexible und finanziell angeschlagene Unternehmen werden in den kommenden Jahren vom Markt verschwinden.

©Text: Sacha Rentzing

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